53 Videos und eine gestörte Gesellschaft – Ein Herausgeberband arbeitet die Ereignisse um die «#allesdichtmachen»-Aktion auf

Ein Beitrag von Eugen Zentner.

Als im April 2021 die Künstleraktion #allesdichtmachen online ging, brach eine Welle der Empörung los. 53 namhafte Schauspieler aus Deutschland und Österreich hatten in kurzen Videos die Corona-Politik hinterfragt und die hiesige Diskussionskultur kritisiert, an einem Tag, an dem eine „bundeseinheitliche Notbremse“ in Kraft trat. Die Aktion traf den Nerv des politisch-medialen Mainstreams, zumal die Künstler von der Satire Gebrauch machten, um die vielen Widersprüche, Ungereimtheiten und Absurditäten in der Krisen-Kommunikation zuzuspitzen. Die Mauer des Schweigens, die die Leitmedien seit März 2020 um die Corona-Politik errichtet hatten, war durchbrochen. Und das Establishment sah sich veranlasst zurückzuschießen – mit Polemik, Beleidigungen und Diffamierungskampagnen. Die Ereignisse rund um #allesdichtmachen werden nun in einem gleichnamigen Herausgeberband aufgearbeitet, dessen Initiatoren aus der Kommunikations- und Literaturwissenschaft stammen.

Michael Meyen, Carsten Gansel und Daria Gordeeva versammeln darin heterogene Texte, die aus der Feder unterschiedlicher Autoren kommen. Das Spektrum reicht dabei von Medienforschung bis zur Politikwissenschaft. Den Kern bilden 53 Analysen zu je einem der #allesdichtmachen-Videos, zu denen immer der Originaltext, ein Screenshot sowie eine ausführliche Beschreibung von Setting, Kameraführung, Licht, Musik und möglichen Besonderheiten gehört. Die Autoren gehen darin unter anderem auf den Einsatz von Musik ein, auf einmalige Drehorte oder auf Abweichungen, die sich im Vergleich mit anderen Videos zeigen. Dass die Videoanalysen so nah am Material bleiben, liegt in der Intention begründet, das Irritationspotenzial der #allesdichtmachen-Aktion herauszuarbeiten. Sie wird in dem Buch als Störung im gesellschaftlichen Prozess betrachtet, deren Erfolg gerade darin besteht, dass sie Form, Inhalt und Beteiligte perfekt auf die Handlungslogik eines Massenmediumsystems abgestimmt hat, das auf die Maximierung von Reichweiten ausgerichtet ist.

Diese Störung kam aus der Kunst. Welche Kraft ihr innewohnt, veranschaulichen die jeweiligen Analysen auf erhellende wie scharfsinnige Weise. In ihnen wird die Botschaft jedes Videos gleichsam dekodiert. Indem die Autoren den satirischen Modus durchbrechen und die Interpretationslücken füllen, legen sie sachlich die ernst gemeinten Aussagen offen, die in der ganzen Aufregung untergegangen sind. Das sie die Leitmedien selber verursacht haben, zeigt der Publizist Detlef Stapf. In seinem Beitrag «Deutungshoheit vs. künstlerische und Meinungsfreiheit» analysiert er die zahlreichen Strategien, mit denen man nach der Künstleraktion versuchte, von deren Kritik abzulenken und die Beteiligten zu diskreditieren. Ihnen wurde nicht nur Unprofessionalität unterstellt, sondern auch Verhöhnung der Pandemieopfer. Als nicht weniger wirksam erwies sich der Vorwurf, „Beifall von der falschen Seite“ in Kauf zu nehmen.

Auf diese Weise wurden die Künstler über akrobatische Kontaktschuld in die rechte Ecke geschoben, was nicht Wenige von ihnen dazu bewegte, sich anschließend umgehend von der Aktion zu distanzieren und das eigene Video zu löschen. Mit welchen öffentlichen Äußerungen die Schauspieler zurückruderten, kommt in den jeweiligen Videoanalysen ebenfalls zur Sprache, wobei einige Autoren mit den reumütigen Künstlern teilweise scharf ins Gericht gehen. „Zeigt sich [Pasquale] Aleardi in seinem Video souverän“, schreibt etwa Detlef Stapf, „wird hier eine politische Naivität offenbar, die man ihm nicht zugetraut hatte. Aber er sah sich offenbar genötigt, eine solche absurde Erklärung abzugeben.“ Liest man diese im Original, fällt dieses harte Urteil durchaus gerecht aus: „Ich bin Ehemann und Vater von zwei Kindern. Ich liebe und schütze meine Familie. Wir halten uns klar an alle AHA-Regeln. Häusliche Gewalt ist das Allerletzte und es gibt keine Partei, die entfernter von meiner Denkweise wäre, als die AfD sowie jegliches rechte Gedankengut, von dem ich mich klar distanziere. Ich bin kein Corona-Leugner und kein Querdenker.“

Dass die Aktion mit Ironie, Witz und Sarkasmus auf die vielen Widersprüche, Verdachtsmomente und dubiösen Zusammenhänge in der Corona-Krise aufmerksam machen wollte, wischt Aleardi mit seiner Abbitte einfach so weg. Wie sie konkret aussehen, zeichnet dafür der Germanist Dennis Kaltwasser minutiös in einer Coronalogie nach, in der die Maßnahmenspirale samt zweifelhafter Kontextereignisse deutlich zum Vorschein kommt. Sie führt noch einmal vor Augen, dass die Kritik der Künstleraktion gar nicht so abwegig und „zynisch“ erscheint, wie die Meinungsführer sie dargestellt haben. Kaltwassers und die Beiträge der anderen Autoren dokumentieren sowohl für die wissenschaftliche Forschung als auch für die interessierte Öffentlichkeit eine Kunstaktion, die die Gesellschaft „aufgestört“ und „verstört“ hat.

Mit dem Begriff der Störung beschäftigt sich vor allem der Literaturwissenschaftler Carsten Gansel. Während er darin eine produktive Kategorie sieht und danach fragt, welches Potenzial die #allesdichtmachen-Aktion hat, betrachtet der Publizist Klaus-Rüdiger Mai in seinem Beitrag die Satire als Stilmittel der Störung. Abgerundet wird das Buch durch einen Beitrag des Regisseurs und #allesdichtmachen-Teilnehmers Dietrich Brüggemann, der so eloquent wie schlagfertig zwei Hetzartikel des Tagesspiegel aus dem Frühjahr 2021 zerlegt. Es ist eine ganz persönliche Reaktion auf einen perfiden Versuch, ihm und seinen #allesdichtmachen-Kollegen einen Reputationsschaden zuzufügen.

Brüggemanns entlarvende Replik verleihet dem Band zusätzliche Schärfe und hebt das hervor, was er ist: ein geistreicher Erfahrungsbericht, der mit viel Esprit und Klarsicht darlegt, wie eine Gesellschaft auf eine Störung aus der Kunst reagiert. Es ist ein Genuss, diesem Strom aus verschiedenen Denkbewegungen zu folgen, die Kraft der Argumente zu spüren und dabei festzustellen, dass es durchaus kritische Stimmen aus der Geisteswissenschaft gibt, die die Löcher im offiziellen Corona-Narrativ nicht nur sehen, sondern sich auch wagen, trotz Gegenwind auf sie zu verweisen.

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Hier der Link zur Buchpremiere und Lesung von Prof. Michael Meyen: https://www.youtube.com/watch?v=BYFmmrOxSww

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “53 Videos und eine gestörte Gesellschaft – Ein Herausgeberband arbeitet die Ereignisse um die «#allesdichtmachen»-Aktion auf

  1. Neusprech sagt:

    Alles dichtmachen passt zu den faschistoiden Kulturschaffenden, die so zu sind, dass sie mediale Hinrichtungen Andersschaffender und Bücher-/Internetverbrennungen nicht nur begrüßen sondern aktiv betreiben ohne zu merken, dass sie zu Schergen des digital-finanziellen Komplexes geworden sind. Sie sind dem Wahn verfallen, die Wahrheit zu besitzen in Form einer absolutistischen totalitären experimentellen Gentherapiespritze.

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