Ein Beitrag von Eugen Zentner.
Kritische Künstler haben zunehmend Schwierigkeiten, kooperierende Veranstaltungsorte zu finden. Gleiches gilt für Wissenschaftler, Publizisten oder andere Personen des öffentlichen Lebens, die sich mit ihrer Meinung jenseits offizieller Narrative bewegen. Die Ursache sind nicht unbedingt die Veranstalter selbst. Natürlich, einige von ihnen knüpfen die Kooperation an die politische Gesinnung oder den Gesundheitsstatus. Wer davon abweicht, darf dort nicht auftreten. Andere sind offener, müssen aber mit immensem Druck rechnen, wenn sie unliebsamen Personen, Künstlern oder Gruppen eine Bühne bieten. Aktivisten, politische Organisationen, ja selbst so manche Redaktion belästigen sie dann mit Anrufen oder E-Mails, um sie auf ihr „Vergehen“ aufmerksam zu machen oder sogar mit unangenehmen Konsequenzen zu drohen. Diese Praxis schüchtert die Veranstaltungsbranche zunehmend ein, weshalb Location-Betreiber lieber Auftritte absagen oder erst gar nicht genehmigen, um bloß nicht ins Fadenkreuz zu geraten.
Allerdings gibt es auch Veranstalter, die diesem Druck standhalten; die sich der Konsequenzen bewusst sind und diesem Trend der Cancel Culture trotzdem nicht folgen. Sie wollen kritischen Künstlern weiterhin eine Plattform bieten, selbst wenn sie dadurch unter Beschuss geraten. Zu ihnen gehört unter anderem der Hinterhofsalon in Köln, eine klassische Kleinkunststätte, die insbesondere an den Wochenenden eine Bühne für Kulturschaffende aus den verschiedensten Bereichen bietet. „Das Programm ist sehr bunt“, sagt Anja Reuther, Inhaberin des Hinterhofsalons. „Hier finden Konzerte statt, politisches Kabarett, Theatervorführungen oder Lesungen und Comedy-Abende.“ Die 48-Jährige betreibt die Location seit 2009 und hat seitdem vor allem Künstler in den Hinterhofsalon eingeladen, die noch relativ unbekannt sind.
Seit der Corona-Politik bekommen im Hinterhofsalon aber auch Personen eine Bühne, die in den Leitmedien diffamiert werden und sich lediglich außerhalb des Mainstreams Gehör verschaffen können. Kurz vor dem zweiten Lockdown hatte hier zum Beispiel der Philosoph Gunnar Kaiser einen Auftritt. Später kam auch der Publizist und Arzt Paul Brandenburg zu Besuch. Als die Kulturbranche im April dieses Jahres den Betrieb endlich wieder uneingeschränkt aufnehmen durfte, gaben schließlich die Sprechgesangskünstler Goethe, Lapaz und Holy Smokez ein gemeinsames Konzert. Die drei sind Teil des Rapkollektivs Rapbellions, das aufgrund kritischer Texte bei vielen Veranstaltern keine Auftrittsmöglichkeiten bekommt.
Mit dem gleichen Problem hat der Stand-up-Comedian Nikolai Binner zu kämpfen. Einige der Veranstalter springen sogar kurzfristig ab, wenn sie drohende Anrufe bekommen. So wurde Binner mehrmals Opfer dieser perfiden Praxis. Im Hinterhofsalon jedoch bekam er sogar an drei Abenden eine Bühne geboten. Für Anja Reuther war das selbstverständlich. Kultur müsse eine Plattform für Meinungsfreiheit sein, sagt sie. Dass sich so viele Veranstalter einschüchtern lassen, findet die gebürtige Kölnerin schlimm, ja geradezu absurd. Bei ihr hätten derartige Einschüchterungsversuche keinen Erfolg, versichert sie. Sie wäre auf jeden Fall standhaft geblieben. Reuther gibt sich kämpferisch und geht in die Offensive, indem sie gerade solchen Künstlern eine Bühne bietet, die andernorts unerwünscht sind. Sie seien kritisch und sendeten die richtigen Botschaften, sagt die Veranstalterin. „Botschaften, hinter denen ich stehe.“ Deswegen müssten diese eine große Verbreitung finden, eine Plattform bekommen. „Und wenn es andere nicht tun, machen wir es“, so Reuther.
Ihr Mut zahlt sich aus. Größere Angriffe auf den Hinterhofsalon blieben bislang aus. Obwohl vor dem Rapbellions-Konzert gegen ihn in den Social-Media-Kanälen der Antifa Stimmung gemacht wurde, gab es weder drohende Direktanrufe noch Sabotageversuche vor Ort. Reuther soll sogar viel Lob für ihre Standhaftigkeit erhalten haben. Das bestärkt sie in ihrer Haltung, weshalb sie auch in Zukunft Kulturschaffenden die Möglichkeit bieten will, ihre kritische Kunst darzubieten. Die gleiche Willensstärke legt das Paar Gertraud Angerpointner (56) und Schorsch Planthaler (61) an den Tag. Beide betreiben in Anger nahe Traunstein einen Bergbauernhof mit einer urig-bayrischen Wirtschaft, wo normalerweise auch Veranstaltungen wie Vorträge, Betriebs- und Hochzeitsfeiern stattfinden. Überdies kommt es gelegentlich zu Dichter- oder Musikertreffen statt, meist mit regionalem Bezug.
Seit der Corona-Krise öffnen sich die Betreiber auch für kulturelle Events mit politischem Inhalt, wobei gerade solche Beiträge gewünscht sind, die die gegenwärtigen Verhältnisse kritisch beleuchten. Erst kürzlich trat auf der Fürmann Alm, wie der Veranstaltungsort heißt, die Kabarettistin Barbara Weinzierl auf. Auch sie sieht die Corona-Maßnahmen kritisch und hat ihre Gedanken und Gefühle in einem Bühnenprogramm verarbeitet. Politisches Kabarett wie dieses soll auf der Fürmann Alm eine Plattform bekommen. Das Paar Angerpointner und Planthaler wollen dieses Projekt vorantreiben, selbst wenn ihnen Gegenwind entgegenbläst. Wie die Kölnerin Anja Reuther werden sie bei Drohungen keinen Zentimeter zurückweichen.
Kritische Beiträge müssten Gehör finden, sagt Gertraud Angerpointner, weshalb sie und Schorsch Planthaler Fürmann Alm verschiedene Events veranstalten möchte – Konzerte, Lesungen, Vorträge. 2018 war bereits der Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser zu Gast. Erst kürzlich trat der Medienwissenschaftler Michael Meyen auf. In wenigen Monaten werden der Investigativjournalist Dirk Pohlmann und der Publizist Hermann Ploppa Vorträge halten. „Was das Programm betrifft, sind wir offen“, so Angerpointner. „Es muss nur zu unserer politischen Meinung passen.“ Und die steht derzeit konträr zum Regierungshandeln, das zur Richtschnur für Medien, Wirtschaft und Kulturbranche geworden ist. Es gibt nur wenige, die sich dem widersetzen. Deshalb lädt die Fürmann Alm alle kritischen Künstler ein, sich dort zu melden, wenn sie nach einem Veranstaltungsort suchen.
Das gilt auch für den Hinterhofsalon in Köln. Inhaberin Anja Reuther will kritischen Künstlern Mut machen und heißt sie in ihrer Location herzlich willkommen. Ihr ist es durchaus bewusst, wie prekär die gegenwärtige Situation für Kulturschaffende ist. Einige von ihnen schlüpfen sogar selber in die Rolle von Veranstaltern – so wie Marta Murvai. Die Violinistin hat im Frühsommer in Kooperation mit der Berliner Galerie Bottega Barone die Reihe «Auftakt» gestartet. Der Titel suggeriert einen Neuanfang. Murvai will ihn tatsächlich einleiten und kritischen Künstlern eine Plattform bieten, wo sie ihre Meinung ausdrücken dürfen, ohne Zensur zu befürchten. «Auftakt» verbindet Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen. Musik, Schauspiel, Lesungen: Es dürfen alle auftreten, die mit ihren Werken etwas zu sagen haben. In den Anfangsveranstaltungen waren unter anderem die Schauspielerin und Autorin Philine Conrad oder der Musiker und Lyriker Jens Fischer Rodrian zu Gast. Murvai selber spielte auf ihrer Geige.
Wie der Hinterhofsalon und das Wirtshaus auf der Fürmann Alm zeigt sich die Violinistin offen gegenüber weiteren Kooperationen mit Künstlern, die es gerade schwer haben, ihre öffentlich aufzutreten. Mit diesen Veranstaltern haben sie jedoch eine wahre Stütze, die nicht bei jedem Windchen sofort umfällt. Solche Institutionen sind in der gegenwärtig schwierigen Zeit ein Hoffnungsschimmer und zeigen, dass es in der Kulturbranche noch mutige Akteure gibt. Wenn andere Veranstalter ihrem Beispiel folgen, entsteht wieder das, was man in Lehrbüchern über Demokratie eine „pluralistische Gesellschaft“ nennt. Kritische Künstler und standhafte wie unkonventionelle Veranstalter gehören dazu.
Hier Links zu den genannten Veranstaltungsorten:
Hinterhofsalon: https://www.hinterhofsalon.de/
Fürmann Alm: http://www.fuermann-alm.de/
Marta Murvai: https://www.martamurvai.com/
Galerie Bottega Barone: https://bottegabarone.berlin/
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Fer Gregory / shutterstock.com
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