Das Ende der Demokratie

Während Kriegstreiber und Sozialstaatsfeinde mit staatlichen Geschenken überhäuft werden, nehmen die Repressionen gegen die kritische Zivilgesellschaft immer bedrohlichere Ausmaße an.

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

von Jens Wernicke und Matthias Burchardt

Wie immer man inhaltlich zur Arbeit von Attac steht, das Urteil des Bundesfinanzhofs in dieser Sache kann nur als weiterer Beleg für das unmittelbar bevorstehende Ende der bürgerlichen Demokratie verstanden werden. Warum? Weil es sichtbar macht, mit welcher Verve und Unverschämtheit die Eliten ihre neoliberale Herrschaft als einzig denkbares Paradigma verteidigen und mit totalitären Mitteln als „demokratisch“ zu legitimieren versuchen. Konkret: Die seit ihrer Gründung für die Privatisierung und Liberalisierung aller Lebensbereiche eintretende Bertelsmann Stiftung soll, während sie wider die Interessen fast aller Menschen im Lande agiert, selbstverständlich als „gemeinnützig“ gelten dürfen, während Attac dieser Status entzogen wird — allein für das Insistieren darauf, dass eine „andere Welt“ sehr wohl denkbar ist. In Folge genießt eine der mächtigsten, finanzstärksten und gefährlichsten Institutionen im Land Steuerprivilegien, die ihre Machenschaften noch unterstützen, und wird zugleich einer alles andere als gefährlichen NGO, die sich gegen statt für die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten engagiert, der Geldhahn zugedreht.

Eine Demokratie ohne abweichende, öffentlich wahrnehmbare Positionen in Sach- und Sinnfragen ist keine Demokratie mehr, auch wenn sie an Wahl- und Parlamentsfolklore festhält. Insofern dient gerade die Artikulation von Perspektiven, die — auch in tagespolitischen Themen — ein Fragezeichen hinter die veröffentlichte Meinung setzen, dem Gemeinwohl. Wie sähe es in Deutschland aus, wenn es alternative Medien wie zum Beispiel den Rubikon nicht mehr gäbe, weil ihm die Arbeitsgrundlage per Steuerrechtsprechung entzogen würde?

Eine rechtliche Einschätzung des Urteils müssen Juristen vornehmen. Eine politische Bewertung steht allen Bürgerinnen und Bürgern zu. Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang sinnvoll, sich an die Empörung der Qualitätspresse zu erinnern, als Wladimir Putin sich mit dem Wirken ausländischer NGOs und Stiftungen in Russland beschäftigt hat.

Auch die Interventionen der Regierung von Victor Orban gegen die Open-Society-Foundations des selbstlosen Philanthropen und Milliardärs Soros wurden entsprechend als Kampf gegen „die Zivilgesellschaft“ kritisch beurteilt. Das Attac-Urteil entlarvt diese Empörung nun als Meinungsmache im Sinne einer interessengeleiteten Außenpolitik.

Die „westliche Wertegemeinschaft“ liebt ihre hehren Überzeugungen nur solange, wie sie damit auf andere einprügeln kann, für das eigene Handeln gelten diese Werte nicht. Doppelmoral hält besser!

Doppelmoral gibt es natürlich auch in Bezug auf die innenpolitischen Akteure der „Zivilgesellschaft“, wie sich aus der Urteilsbegründung des BFH ableiten lässt:

„Die Verfolgung politischer Zwecke ist im Steuerrecht nicht gemeinnützig. (…) Politische Bildungsarbeit setzt aber ein Handeln in geistiger Offenheit voraus. Daher ist eine Tätigkeit, die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen, nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig“ (1).

Es gehört zur redlichen Beurteilung, dass der BFH hier zu Recht auf den Beutelsbacher Konsens Bezug nimmt, der für die politische Bildung Indoktrination verbietet und eine kontroverse, offene Auseinandersetzung mit politischen Themen fordert.

Attac könnte diesen Widerspruch durch eine Präzisierung in der eigenen Satzung sicher leicht auflösen. Skandalös ist unseres Erachtens aber die selektive Wahrnehmung. Warum wird dieser Vorwurf an Attac herangetragen, nicht aber an die Antonio Amadeo Stiftung oder gar an die allgegenwärtige und allbeglückende Bertelsmann Stiftung (2)?

„Der Errichtung der Bertelsmann Stiftung im Jahre 1977 lag die Überzeugung ihres Stifters zugrunde, dass in unserem Lande die Konsequenzen des entstehenden Systemwettbewerbs nicht hinreichend beachtet werden. Die Bertelsmann Stiftung sollte sich deshalb darauf konzentrieren, Problemlösungen für die verschiedensten Bereiche unserer Gesellschaft zu entwickeln und zugleich der Systemfortschreibung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu dienen“, heißt es in der Präambel der Satzung.

Statt „Systemfortschreibung“ würden böse Zungen wohl eher vom „neoliberalen Umbau im Sinne und zum Vorteil globaler Eliten“ sprechen. Von einem Angriff auf unser Verständnis von Demokratie. Entsprechend haben Kritiker immer wieder auf den Zusammenhang von „Problemlösungsvorschlägen“ der Stiftung sowie Geschäftsinteressen der Bertelsmann AG hingewiesen (3).

Schließlich sind Stiftung und AG wirtschaftlich miteinander verflochten, so dass zu prüfen wäre, ob es sich bei der Stiftungsarbeit nicht eher um einen steuerfinanzierten Lobbyismus handelt. Die Neue Rheinische Zeitung hat sich jedenfalls schon vor geraumer Zeit mit einem juristischen Gutachten beschäftigt, das die Gemeinnützigkeit der Stiftung infrage stellt. Und auch Norbert Häring kritisiert ganz aktuell die „steuerbefreite Globalisierungspropaganda“ made in Gütersloh.

Also, liebe Steuerrechtler und Tugendwächter der politischen Kultur, wenn Ihr das Haar in der Suppe bei Attac gefunden habt, befreit uns bitte auch vom verfilzten Toupet der Bertelsmann Stiftung!

„Wir müssen raus as der Defensive, raus aus immer wieder neuen Verteidigungs-Schützengräben“, kommentiert Rubikon-Herausgeber Jens Wernicke.

„Mehr denn je brauchen wir heute eine starke, kritische und selbstbewusste Zivilgesellschaft und tragen nur zur Vernebelung der Debatte bei, wenn wir Roß und Reiter nicht klar benennen und deutlich machen, worum es bei den aktuellen Entwicklungen tatsächlich geht: das planvoll herbeigeführte Ende jedweden nicht herrschaftsopportunen Denkens und Tuns!“

Der Rubikon wird sich jedenfalls nicht einschüchtern lassen und die Machenschaften auch der Bertelsmann Stiftung weiterhin aufdecken.


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Quellen & Anmerkungen:

(1) Pressemitteilung des BFH vom 26. Februar 2019
(2) Matthias Burchardt: Liebesgrüße aus Gütersloh
(3) Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.): Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh, Forum Wissenschaft Studien 54, BdWi 2007/2010

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Dieser Beitrag erschien am 09.03.2019 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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