Das Leben als ein großes Heimweh

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

„Wird aus diesem Weltfest des Todes, auch aus der schlimmen Fieberbrunst, die rings den regnerischen Abendhimmel entzündet, einmal die Liebe steigen?“,

fragte einst Thomas Mann. Diese Frage haben sich in der einen oder anderen Form alle sensiblen Geister im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder gestellt, sie ist sozusagen ein Klassiker der Sehnsucht. Schon Dante Alighieri (Die göttliche Komödie) stellte im dreizehnten Jahrhundert resignierend fest, dass nur drei Dinge aus dem Paradies geblieben sind: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.

Wie kann man sich nun inmitten dieses Weltfestes des Todes, das heute besonders lärmend begangen wird, behaupten, ohne dauerhaften Schaden zu nehmen?

„Irgendwann bin ich angesichts all des Leides in der Welt, das mir im Laufe der Jahre begegnete, zusammengebrochen“, schrieb Albert Camus (Die Pest, 1913 -1960) einmal.

„Ich litt, war verzweifelt und wollte sterben. Bis ich begriff, dass wir nur überleben können, wenn wir uns aus der Sklaverei der Gegebenheiten befreien, und beginnen, endlich aus unserer lähmenden Zuschauerlethargie auszubrechen, selbst aktiv, und zu Schöpfern werden.“

Eine Solidargemeinschaft, die dem halsbrecherischem Treiben einer durch geknallten Elite aus Politwürmern, Wirtschaftsgangstern und Allmachtsfantasien frönenden Manipulateuren der Geheimbünde Einhalt gebieten könnte, lässt sich auf diesem Wege zwar nicht herstellen, aber immerhin kümmern wir uns endlich einmal um uns selbst, schließlich sind wir das einzige was wir haben.

„Es ist wirklich unglaublich, wie nichtssagend und bedeutungsleer, von außen gesehen, und wie dumpf und besinnungslos, von innen empfunden, das Leben der allermeisten Menschen dahinfließt“, notierte Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) bedauernd.

„Es ist ein mattes Sehnen und Quälen, ein träumerisches Taumeln durch die vier Lebensalter hindurch zum Tode, unter Begleitung einer Reihe trivialer Gedanken.“

Mit einer solchen „Verfügungsmasse“ lässt sich natürlich trefflich Politik betreiben. Machen wir uns folgendes endgültig klar: wir leben in einer Zeit, in der die Mediengesellschaft das Wort Krieg prüfend in ihren Händen wiegt wie einen Kohlrabi auf dem Gemüsemarkt, in der man die Diskussionskultur zertrümmert, das Denunziantentum hoffähig gemacht und den Maulkorb zum Accessoire erhoben hat. Die Kraftspeicher für die Wachgebliebenen in unserer narkotisierten Zivilgesellschaft sind fast leer. Jetzt gilt es, nicht den Verstand zu verlieren. Deshalb ist es dringend notwendig, dass wir uns frei machen von den Narrativen, die der Politik entspringen, dass wir uns wieder unsere eigenen Geschichten erzählen. Schließlich gibt es noch ein Leben außerhalb des politischen Ränkespiels, das unsere Seelen immer mehr zu vergiften droht. Es braucht über den riesigen Misthaufen, den das von Gier gesteuerte System permanent produziert, weder weitere Informationen noch Aufklärung – wir wissen, nach welchen Gesetzen ein menschen- und naturverachtendes System funktioniert.

Vergessen wir das dämliche Spiel der „Mächtigen“, bleiben wir bei uns selbst, das lohnt sich. Es ist das einzige, was sich noch lohnt. Vor allem dann, wenn wir füreinander in Liebe da sind. Davon haben die seelenlosen Killer und Psychopathen aus Wirtschaft und Politik nämlich nicht die geringste Ahnung. Verschwenden wir unsere Energien nicht in einem aussichtslosen Kampf gegen sie, in dem die Gewalt die einzige Option zu sein scheint. Auf diese Weise werden wir nie gewinnen. Arbeiten wir an uns selbst, seien wir uns wichtig, jeder für sich. Das ist die einzige Chance, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Eine andere haben wir nicht.

Der Schöpfer der Kindertotenlieder, Gustav Mahler (1860 – 1911) hat in einem Satz ausgedrückt, was uns wohl alle insgeheim bewegt:

„Mein ganzes Leben ist ein grosses Heimweh.“

Benehmen wir uns entsprechend, verlieren wir das Ziel unserer Sehnsucht nicht aus den Augen, selbst dann nicht, wenn wir den Weg ohne große Unterstützung und gegen alle gesellschaftspolitischen Widersprüche gehen müssen.

Da ich gerade so schön am zitieren bin, möchte ich euch diese wunderbaren und tröstlichen Sätze des US-amerikanischen Philosophen und Schriftstellers Ralph Waldo Emerson (1803 – 1882) nicht vorenthalten:

„Wenn ich auf dem nackten Boden stehe, mein Kopf von der heiteren Luft umspült wird und ich in den unendlichen Raum emporgehoben werde, verschwindet jeder gemeine Egoismus. Ich werde zu einem durchsichtigen Augapfel; ich bin nichts; ich sehe alles; die Ströme des universellen Seins zirkulieren durch mich; ich bin Teil oder Partikel von Gott … Ich bin der Liebhaber der ungehemmten und unsterblichen Schönheit. In der Wildnis finde ich Lieblicheres und Angenehmeres als in Straßen oder Dörfern. In der stillen Landschaft, und besonders in der fernen Linie des Horizonts, erblickt der Mensch etwas so Schönes wie seine eigene Natur.“

Viel Zeit, uns zum Liebhaber der unsterblichen Schönheit zu machen, haben wir allerdings nicht. Denn das Leben ist eine einzige Hängepartie, die letztlich durch Materialermüdung zu unseren Ungunsten entschieden wird. Da heißt es rechtzeitig S.O.S. zu funken – SAVE OUR SOULS!

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Kris Mari / Shutterstock.com

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Kommentare (3)

3 Kommentare zu: “Das Leben als ein großes Heimweh

  1. Rulai sagt:

    Ein sehr schöner Text. Fehlt eigentlich nur das Zitat vom Autor selbst.

  2. Nevyn sagt:

    Es gibt Spiel, bei denen man schon verloren hat, wenn man sich darauf einlässt, es zu spielen.
    Dazu gehört das Machtspiel: "Gewinnen oder verlieren."
    Ich kann hier jedem die Parzival-Legende ans Herz legen. Lange, lange, wird von den Kämpfen des Parzival erzählt, bei denen er immer Sieger bleibt, mit anderen Worten, mutig in die Begegnung geht und sich ständig neu überwindet. Ein Gang durch den ganzen Tierkreis, der die Bewusstseinsentwicklung des Menschen spiegelt.
    Ziemlich am Schluss begegnet der Firefiz, seinem Bruder, der ihm die wichtigste Erfahrung seines Lebens vermittelt, nämlich vom Kämpfen ins Heilen zu kommen. Erst hier öffnet sich ihm der Weg zur Gralsburg wieder.

    Das Kampfparadigma ist die Voraussetzung, um ins Erfahrungsparadigma zu kommen. Wer ausweicht, ist nicht weise sondern feige. Doch ist das Ziel allen Kämpfens, einmal darüber hinaus zu wachsen.
    Der Weg durch den Tierkreis beginnt ganz am Anfang, im Widder, wo der Mensch sich seinen Platz in der Welt erkämpfen muss. Das klingt wenig "esoterisch" und ist es doch zutiefst. Wer nicht mal mit der Welt zurecht kommt, das will der im Himmel?

    • Nevyn sagt:

      Goethe schrieb in seinem Gedicht "Heilige Sehnsucht"
      Und solang du das nicht hast,
      dieses "Stirb und Werde!"
      bleibst du nur ein trüber Gast
      auf der dunklen Erde.

      Aber es ist nicht die Sehnsucht nach dem Paradies, aus dem der Mensch am Anfang der Bibelgeschichte kommt, sondern die Sehnsucht nach dem Himmel, nach dem Neuen Jerusalem, nach der Gottesbürgerschaft, die am Ende der Bibel verkündet wird. Dazwischen liegt eine weite Reise hin zur Bewusstheit mit vielen Gefahren, die in unzähligen Heldensagen erzählt und besungen wird.
      Diese Sehnsucht nach dem Himmel rettet den Menschen oft davor, im Schlamm der Materie zu versinken. Das Gebet ist ihr Ausdruck. Solange man darum betet, egal in welcher Sprache und welcher Form, wird man nicht versinken, egal sie dunkel die Zeiten auch erscheinen mögen:

      Du Wahrheit und meines Herzens Licht, lass nicht meine Finsternis zu mir sprechen! In sie bin ich hinab gesunken, und ich fand mich wieder im Dunkel; aber selbst darin habe ich dich geliebt. Ich bin auf Irrwege geraten, doch ich habe mich an dich erinnert. Ich hörte deine Stimme hinter mir, die mich rief, zu dir zurückzukehren;
      doch ich hörte sie nur mit Mühe, weil in mir die Friedlosigkeit vorherrschte. Aber jetzt kehre ich zu dir zurück, ich dürste und sehne mich nach deiner Quelle. Niemand soll es mir verwehren, mich aus ihr zu nähren. Aus ihr will ich trinken und leben. Ich will nicht selbst mein Leben sein; denn aus mir habe ich mein Leben verfehlt, bin zum Tode mir geworden. In dir lebe ich wieder auf. Sprich du zu mir und weise mir den Weg! Deinem Wort vertraue ich mich an, auch wenn es ein tiefes Geheimnis bleibt.
      Amen!
      (Gebet des heiligen Augustinus)

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