Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
So, Freunde, jetzt mache ich mal aus einer Mücke eine Elefanten. Am besten einen weißen Elefanten, einen, den keiner sieht, obwohl er überall herumtrampelt. In der Sendung „Im Gespräch“, zu der mich Dirk Pohlmann hier auf apolut vor kurzem eingeladen hatte, erzählte ich nebenbei, dass ich auf Facebook ein Video gesehen hatte, dass Daniele Ganser auf einer Bühne in Rostock zeigte. Wie immer war der Saal bis auf den letzten Platz besetzt und wie immer machte der Vortragende eine vorzügliche Figur in seinem blauen Anzug. Aber etwas war anders diesmal. Dr. Daniele Ganser schien sich auf dem Podium noch einen Tick eleganter zu bewegen als gewöhnlich.
Plötzlich wusste ich auch, warum. Es waren die nagelneuen strahlend weißen Sneakers, die ihn federnd über die Bretter trugen. Sie standen ihm gut, keine Frage, und dennoch versetzte mich der Anblick in eine kurze Schockstarre. „Weiße Sneakers!“, schob ich mit gespielter Empörung nach. Dirk Pohlmann schaute mich etwas ratlos an, dann begann er, Daniele zu preisen, als hätte ich diesen großartigen Mann mit einem unauslöschlichen Makel behaftet. Seine Verteidigungsworte hätten von mir sein können und so beeilte ich mich, meinem Gesprächspartner zu versichern, dass ich wie er den Schweizer Historiker für seine unermüdliche Arbeit im Dienste der Aufklärung seit langem über alle Maßen schätze. Damit waren die Sneakers ad acta gelegt. Später fragte mich eine Freundin, was denn in der Sendung plötzlich in mich gefahren sei.
Darüber habe ich lange nachgedacht. Die weißen Sneakers an den Füßen eines meiner Helden wirkten wie ein Dammbruch auf mich. Nun war auch Dr. Daniele Ganser aus seinem Kleiderschrank getreten, um in das Nike-Imperium zu treten. Damit war der Anschluss an den Massengeschmack vollzogen.
Jaja, ich weiß, wir leben in einem freien Land (oder nicht?), hier kann sich jeder kleiden, wie er will. Kann er, sicher. Aber die weißen Sneakers sind Ganser nicht zufällig an die Füße geflogen. Sie wurden gekauft und vor dem Auftritt vor dem Spiegel unter einigen Drehungen für chic befunden. Auch das ist okay, eitel sind wir alle. Aber inzwischen leben wir in einem Land voller Weißfüße. Von ganz jung bis ganz alt stolzieren Menschen in weißen Sneakers herum, am liebsten zu dunklen Hosen. In jedem Schuhgeschäft sind ganze Wände mit weißen Sneakers bestückt.
Zur Zeit findet in unserem Land auch noch die Fußball-EM statt. Eine Flut von TV-Fachleuten flutet unsere Wohnzimmer. Jede Expertin, jeder Experte, ob im Stadion oder im Studio, steckt in weißen Sneakers. In den zahlreichen Talksendungen, in denen jedes der 51 Spiele bis zum Erbrechen analysiert wird, tragen mindestens sechs von sieben Gästen weiße Sneakers. Junge Frauen tragen die Dinger inzwischen auf ihrer Hochzeit. Selbst wenn man diese massenhafte Einfalt nicht mehr erträgt und auf der Straße verschämt die Augen senkt, was gerät da ins Blickfeld? Eine Horde hurtiger Weißfüße.
Ich erinnere mich an meinen ersten USA-Besuch Anfang der Neunziger Jahre. Damals trugen achtzig Prozent der Männer diese hässlichen Baseballmützen mit der hohen Frontpartie und den Belüftungsgittern an den Seiten. Für einen Moment dachte ich, dass Verkehrssünder per Gesetz dazu verdonnert wurden, diese lächerlichen Kopfbedeckungen zu tragen, wer hätte sie sich wohl freiwillig aufgesetzt?
Papst Benedikt der XVI trug rote Schuhe, richtig? Da gab es noch keine weißen Sneakers, jedenfalls gab es noch nicht diese heimliche Übereinkunft unter den Deutschen, sich neben der Gesinnung auch im Schuhwerk solidarisch zu zeigen. Ach, ich glaube, ich kaufe mir jetzt auch welche. Sind bequem und sehen doch gut aus. Man fällt auch nicht unangenehm auf. Beim nächsten Interview werde ich vor der Kamera entspannt die Füße auf den Tisch legen. Weißer Elefant? Wo?
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystopische Zukunftsvision. 2023 erschien sein aktuelles Buch „HEROES. Mut, Rückgrat, Visionen“.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: BLGKV / shutterstock
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Das Eine ist , womit sich Leute privat in Gedanken so beschäftigen, etwas Anderes, es in die Öffentlichkeit hinaus zu posaunen.
Und so erfahren wir alle ganz viel über Herrn Fleck und eigentlich nichts über Herrn Ganser.
Kluge Menschen diskutieren (dessen) Ideen, nicht so kluge diskutieren andere Menschen und manche sogar nur deren Kleidung.
Nun ja, man hat sich selbst in Erinnerung gebracht. Das war es dann aber auch schon.
Lieber Nevyn,
ich schätze Ihre Kommentare eigentlich sehr, aber dieser ist nun völlig daneben. Wenn ich ein gesellschaftliches Phänomen, nämlich den absurden Hang zum Konformismus, der aktuelll durch den massenhaften Marsch ins Nike-Imperium gekennzeichnet ist, in satirischer Form aufgreife und eine solche mit Humor gewürzte Betrachtung als Versuch gewertet wird, mich selbst in Erinnerung zu bringen, ist das, wie soll ich sagen, ziemlich dumm. Daniele Ganser war lediglich die Initialzündung für den Artikel, von dem ich nicht erwartet hätte, dass man ihn so bösartig missverstehen könnte.
Lieber Herr Fleck,
danke für ihre Replik, die aufmerksam gelesen habe.
Wir leben nach meiner Wahrnehmung in einer Zeit, in der alles ideologisiert wird. Ich plädiere da für wesentlich mehr Gelassenheit und Rückschau auf das eigene Wesen. Wenn mich etwas an einem anderen Menschen in seinem bloßen Sein affektiv stört, habe ich ein Problem mit mir, nicht mit dem Anderen, weil es ein Schattenthema berührt. Der Andere ist einfach, wie er ist.
Apolut hat einen Hang dazu, sich an Personen abzuarbeiten, statt an Themen. Damit lässt man sich auf eine Ebene herab ziehen, die die Gegenseite auch praktiziert, und sich in sinnlose und ehrlich gesagt auch geistlose Gefechte verwickeln.
Es ist nicht so, dass weiße Schuhe einer bestimmten Marke keine symbolische Bedeutung hätten, die allerdings meist unbewusst bleibt. In gewisser Weise eine Verkehrung der weißen Handschuhe der Freimaurer. Wer sich die Füße nicht schmutzig machen will, wird sich in seinem Standpunkt nicht bewegen können. Sie mögen den Standpunkt von Herrn Ganser ja sehr schätzen. Das tue ich übrigens auch. Es ist nur eben nicht der einzige, durch von dem aus man die Welt betrachten kann.
Herr Ganser mag tragen, was er will und ich mag darüber denken, was ich will. Es ihm öffentlich vorzuhalten, und sei es noch so nett – zu welchem Zweck, wenn nicht dem, sich damit zu zeigen?
Was ich hier nun schreibe, sagt wiederum viel über mich und eigentlich nichts über Sie oder Herrn Ganser.
Eine angenehmen Tag wünscht Ihnen
Nevyn
Jarrefreak und die anderen Kommentatoren haben es ja eigentlich bereits gesagt (geschrieben)… so wie es von Hr. Fleck beschrieben wird, geht es mir auch:
Was ist es bloß, das sogar im vorgeblich kritischen (Medien-) Bereich die Menschen sooo stark zum Konformismus treibt?
Kann auch ich provokant weiße Sneaker tragen, und wird dies vielleicht sogar von den Menschen exakt so erkannt?
"Nur" ein Kleidungsstück? Oder viel mehr?
Und… Daniele Ganser ist nicht der einzige Weiße-Sneaker-Träger im sog. kritischen Bereich….
Was ist Kleidung? Kleidung ist Bedeckung. Mit Kleidung zeigen wir auch, wofür wir stehen und welche Gedanken wir haben. Mit Kleidung zeigt man die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, und mit der Ablehnung eines bestimmten Kleidungsstils kann man ausdrücken, wohin man nicht gehören möchte.
Viele würden das nicht so eng sehen, aber das Leben stark reflektierende Menschen stimmen da zu. Es ist völlig legitim, eigene Werte und Vorstellungen von der selbst getragenen Kleidung völlig getrennt zu betrachten, für andere ist es doch eine Einheit. Und so ist gerade die Abgrenzung durch die eigene Kleidung für viele auch das äußere Zeichen, sich nicht mit den Strukturen des aktuellen Zeitgeistes und deren Protagonisten zu identifizieren.
Ich habe im oben beschriebenen Gespräch die Passage zu den weißen Sneakers überrascht verfolgt und besonders auf Reaktion und Gegenreaktion der beiden Protagonisten geachtet. Ich schätze beide sehr, musste aber auch schmunzeln, weil der von mir sehr geschätzte Dirk Pohlmann hier kurzzeitig etwas überfordert wirkte, was rein menschlich ist.
Und doch hatte ich die Anspielung auf die weißen Sneakers schon im ersten Moment verstanden. Weil ich diese Problematik genauso sehe. Und lebe. Persönliche Abgrenzung begreift jeder anders. Abgrenzung in allen wichtigen – auch mentalen – Dingen ist für mich Überlebensstrategie.
Ich dachte schon, ich bin der Einzigste, der diesen FFP-2 Ersatz als Konformitätsunterwerfung erkennt. Echte Untertanen halten die Schnauze und passen sich an. Das gilt auch für D. Ganser. Der hat ein Geschäfzsmodell entwickelt, wo er Frieden predigt und dafür Kohle einsammelt. Eigentlich was völlig Selbstverständliches. Hat leider gerade Hochkonjunktur.
Stimmt. Die Dinger sind echt hässlich, und man sieht sie überall. Der Triumph billigen teuren Schrotts über hochwertige Schuhe.