Das Corona-Establishment überbrückt die virusarme Jahreszeit mit Angstmache, Propagandakitsch und üblen Diffamierungen von Kritikern.
„Endlich wieda la vida! Ab in den Fliega! Jetzt feiern wir wieda — la vida sin corona“. Carolin Kebekus, die Mehrzweckwaffe der neunormalen Correctness („Alles wird sich gendern“) tänzelt wie entfesselt durch die Szenerie. Kein Sommer-Sonne-Klischee wird in dem Filmchen zu ihrem neuen Hit ausgelassen: Strohhut, Sonnenbrille, Drink, Strohhalm, Palmen, Strand. Party-People räkeln sich lasziv, raven, knutschen gar. „Der Sommer, der Sommer, der Sommer, er wird guuuuut“, flötet die Comedy-Sirene.
Eine Botschaft der Befreiung drängt sich mit dem vitalen Clip auf.
Die dunkle Zeit ist vorbei, die Spaßgesellschaft ist zurück, Lebensgier bricht sich Bahn. Selbst das Sakrileg wird nicht gescheut: „Goodbye Maskenpflicht“, heißt es, und Masken purzeln zu Boden. Es wäre so schön. Tja, wäre da nicht Karl Lauterbach. Die ewige Corona-Kassandra nölt der Befreierin andauernd dazwischen. Singt Kebekus „In der vollen Bahn fassen wir uns an“, relativiert Lauterbach: „Wovon ich nur dringend abraten kann“.
Tatsächlich scheint Lauterbach freiwillig an dem Popvideo mitgewirkt zu haben. Seriös an seinem Schreibtisch sitzend, kommentiert er die seiner Meinung nach zu weit gehenden Lockerungen und die lockeren Sitten, zu denen Kebekus verlocken will. „Der Sommer wird gut“ ist ja ein Originalzitat des SPD-„Gesundheitsexperten“ und De-facto-Lebensgefährten von Markus Lanz. Daraus wurde ein Hit gestrickt. Einige Passagen sind verräterisch. „Keine Querdenker mehr, die schimpfen“, heißt es, und ein Querdenken-Schild landet im Müll. Das reimt sich natürlich auf „Und alle wollen sich impfen.“
Kultfigur Lauterbach
Was will uns das Liedchen sagen? Ist es etwa ein Signal für das Aufbegehren anarchischer Vitalität gegen das Corona-Korsett? Auffällig ist, mit welcher Selbstverständlichkeit beim Bürger die Möglichkeit vorausgesetzt wird, am Dolce Vita teilzunehmen. Das Ambiente ist eher „Upper Class“. So mancher Hartz-IV-Betroffene oder gerade durch den Lockdown ruinierte Kleinunternehmer mag es als Verhöhnung empfinden. Er kann nicht mal eben in die Bar oder ins Restaurant gehen oder in den „Fliega“ steigen.
Des Weiteren ist die Produktion natürlich eine Sympathiekampagne par excellence für Karl Lauterbach, der sich auf diese Weise als jemand präsentiert, der auch mal „locker“ ist und für einen Spaß zu haben.
So richtig lustig ist es aber nicht, was Lauterbach tut. Er ist seit dem Beginn der Epidemie zu einer Art geistigem Kerkermeister der Nation avanciert.
Seine manchmal im Tonfall skurril wirkenden und gut parodierbaren Ermahnungen haben unmittelbare politische Folgen. Mit jedem Lauterbach-Auftritt stirbt mitunter ein Stück Freiheit.
„Lauterbach warnt vor vierter Welle. ‚Werden nicht zur Normalität zurückkehren‘“. „Lauterbach warnt: EM ist ‚Brandbeschleuniger für die Delta-Variante.“ „Lauterbach warnt Ungeimpfte vor Delta-Variante.“ „Lauterbach warnt vor einem ‚perfekten Sturm für den Herbst.‘“ „Lauterbach warnt vor vierter Welle durch Reiserückkehrer und Mutationen.“ Dies ist nur ein kurzer Ausschnitt aus dem „Warn“-Lebenswerk des SPD-Politikers.
Der Kebekus-Clip will offenbar erreichen, dass wir Lauterbach liebgewinnen. „Der Sommer wird gut, aber mit Einschränkungen“. Die offen zur Schau gestellte Lebenslust soll letztlich die Impffreude von noch Zögerlichen ankurbeln. Panikmache, die für die Menschen mit Grundrechtsentzug verbunden ist, ist aber kein Kavaliersdelikt.
Pöbelei gegen Reitschuster und Schweiger
Erstaunlich ist, wie professionell derartige Lieder gemacht sind. Unter dem Aspekt popmusikalischer Eingängigkeit ist das meiste, was man im Radio hört, schwächer. Wie schon bei Jan Böhmermanns ästhetisch ausgefeilter Musical-Parodie „Jana aus Kassel“ scheint die geballte Kreativität deutscher Musikproduktion derzeit in eine neue Form der Bespaßung zu fließen: das eingebettete Propagandakabarett.
Und das ausgerechnet in einem Moment, in dem die Kultur in Deutschland — speziell die politisch und künstlerisch oft sperrigere Livekultur der „Nische“ — daniederliegt. Da wird von den Etablierten mit Vorliebe auf Schwächere eingetreten, die ohnehin schon am Boden liegen, weil sie sich unbeholfen benommen haben. Andererseits werden Regierungsoffizielle schamlos hofiert, da man es wohl nicht mehr für nötig hält, zumindest den Anschein künstlerischer Unabhängigkeit zu wahren.
Dass eine Produktion mit Kebekus zum Thema Corona keineswegs als „harmlos“ einzuschätzen ist, zeigt ein weiterer Auszug aus ihrer Sendung „Die Carolin Kebekus Show“, die von Boris Reitschuster dokumentiert wird. In diesem Clip meldet eine Ansagerin — Jana Fischer — im seriösen Nachrichtensprecherinnen-Tonfall, die Sendung habe sich beim letzten Mal dem Thema „Arschlöcher“ gewidmet.
Dabei wird ein geschmackloses Foto gezeigt, auf dem ein menschliches Gesicht zwischen den Pobacken einer unbekannten Person hervorlugt. „Leider ist uns dabei ein schwerer Fehler unterlaufen, den wir außerordentlich bedauern“, fährt Fischer fort. „Wir haben Til Schweiger vergessen.“ Der Schauspieler habe „überdeutlich auf seine charakterliche Fragwürdigkeit aufmerksam gemacht.“
Sein Verbrechen: Er postete auf Instagramm ein Foto von sich und dem „rechtspopulistischen Publizisten und Fakenews-Verbreiter Boris Reitschuster.“ Schweiger habe Reitschuster als „meinen Helden“ bezeichnet. „Damit erfüllt Schweiger nach unserer Auffassung sämtliche Arschloch-Kriterien“. Auf die Frage, warum Reitschuster angeblich „rechts“ ist, wird nicht näher eingegangen. „Selbst Propaganda kann man ja talentiert machen. Da war selbst die DDR-Propaganda teilweise geschickter“, ist Reitschusters Kommentar.
Offenbar scheuen Gegner der Corona-Opposition selbst vor den plumpsten Diffamierungen und vor groben, justiziablen Beleidigungen nicht mehr zurück. Bezahlen muss das Ganze der TV-Gebührenzahler. Jana Fischer wird im Netz mehrfach mit der Berufsbezeichnung „Kabarettistin“ genannt. Das ist Kabarett heute. Da hat sich seit der Zeit von Dieter Hildebrandt doch einiges verändert. Fischer ist offenbar Hardcore-Anhängerin des Corona-Mainstream, wie eine weitere Äußerung von ihr in der ARD Audiothek dokumentiert:
„Jana Fischer stellt sich die Grundsatzfrage nach Intelligenz und Vernunft der Menschheit. Ein Beispiel: Menschen sind klug genug, eine App zu entwickeln, die vor Corona-Infektionen warnen soll. Andere wiederum zu dumm, sich einen Stofflappen vor den Mund zu hängen, der vor Corona schützt. Schlussfolgerung: Die Menschheit leidet unter einer Art ‚Vernunftlernschwäche‘.“
Auch hier also die offene Beleidigung. Wenn jemand die Maske nicht gern über Mund und Nase zieht, muss der Betreffende „dumm“ sein.
Dies steht durchaus in der Tradition von Formulierungen wie „Covidioten“, die die Vorsitzende einer staatstragenden Partei, Saskia Esken, verwenden durfte, ohne dass ihr deswegen viel Gegenwind entgegenblies. Der Kabarettist Christian Springer bezeichnete in einem schon zu Beginn der Corona- Krise veröffentlichten Video den Querdenker-Begründer Michael Ballweg als einen „Faschist im T-Shirt und kurzen Sommerhosen“.
Offenbar fürchten Gegner der Corona-Opposition in ihrem Rechtgläubigkeits-Furor weder juristische Folgen noch den Eindruck der Maßlosigkeit und mangelnden Fairness, der sich bei sensibleren Beobachtern einstellen kann. Sie wissen sich in ihrer Peer-Group von einem breiten Konsens getragen, dahingehend, dass „Querdenker“ — und alle, die im weiteren Sinn unter diesem Begriff zusammengefasst werden — Freiwild sind, auf das man beliebig eindreschen darf.
Weckers „Teufelspakt“
Auch uns — speziell zwei Magazine, für die ich arbeite — hat es natürlich getroffen. In einem Bericht über Konstantin Weckers neue CD „Utopia“ schreibt Michael Zirnstein in der online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung, anknüpfend an Weckers neues Lied „Faust“:
„Bei seiner Suche nach dem Innersten (der Welt) ist Wecker aber keinen Pakt mit dem Teufel eingegangen. Er hat ihn ausgetrieben. Er habe sich von seinem Aufklärungsportal ‚Hinter den Schlagzeilen‘, gegründet im Irakkrieg, trennen müssen, weil sich dort dubiose Artikel eingeschlichen hätten, auch für ‚Rubikon‘, das ‚Online-Magazin für die kritische Masse‘, schreibe er nichts mehr, seit dort Verschwörungsmurks auftauchte.“
Man führe sich das einmal vor Augen: Nicht der Rubikon und „Hinter den Schlagzeilen“ sind einen Teufelspakt eingegangen, nein: Sie repräsentieren selbst jenen Teufel, dem Wecker tapfer widerstanden hat. Es mag ja sein, dass das Herbeizitieren des Gottseibeiuns nicht die Idee des Liedermachers war, sondern die des eifrigen SZ-Journalisten.
Auf jeden Fall ist damit aber eine Grenze überschritten worden. Corona-Andersdenkende, die sich auf Freiheit und Grundrechte berufen, werden mit einer Entmenschlichungsvokabel belegt, werden in die Nähe des absolut Bösen gerückt.
Die vorübergehende Verbindung Konstantin Weckers zu den „dubiosen“ Magazinen gleicht im holzschnittartigen Weltbild des Schreibers einer dämonischen Besetzung; erst der vollzogene Exorzismus versetzt den Gefährdeten wieder in den Zustand seiner ursprünglichen Reinheit zurück. Peinlich genug, aber es ist leider nicht auszuschließen, dass derartige Diffamierungsrhetorik bei Lesern, die von der Süddeutschen schon vorab gegen die Corona-Opposition in Stellung gebracht worden waren, verfängt.
Die Diktatur-Zündler
Die oben genannte Zeitung hatte ja schon im Februar 2021 mit dem Artikel „Mehr Diktatur wagen“, geschrieben von Thomas Brussig, etwas tatsächlich sehr Dubioses fabriziert. Das Werk ist leider nur noch im SZ-Abo online zu lesen, sein Inhalt lässt sich auf der Basis der „Sekundärliteratur“ aber noch rekonstruieren. Das Erstaunlichste an diesem Vorgang ist, dass er so wenig Aufsehen erregt hat. Bestimmte Kreise und Personen versuchen die Diktatur mittlerweile als ernst zu nehmende Option gleichsam spielerisch einzuführen und testen damit aus, wie viel oder wenig Entrüstung sie ernten.
Winfried Kretschmann forderte unlängst, der Staat solle im Pandemiefall auch mit „nicht verhältnismäßig harten Maßnahmen“ reagieren. „Wir sollten also einmal grundsätzlich erwägen, ob wir nicht das Regime ändern müssen, sodass harte Eingriffe in die Bürgerfreiheiten möglich werden, um die Pandemie schnell in den Griff zu bekommen.“ Kretschmann bekam dafür auch Gegenwind, eigentlich aber hätte bei einem Aufruf zum Verfassungsbruch sein Rücktritt die unabwendbare Folge sein müssen. Die Stuttgarter Zeitung stellte den Vorschlag ihren Leserinnen und Lesern noch leutselig zur Abstimmung und bestätigte damit die Diskussionswürdigkeit eines solchen Marsches in eine andere Republik.
„Wie eine träge Herde Kühe schauen wir kurz auf und grasen dann gemütlich weiter“, sang Herbert Grönemeyer — heute selbst kein passionierter Kritiker der Corona-Maßnahmen. In Max Frischs Stück „Biedermann und die Brandstifter“ sagt einer der ungebetenen Gäste, die sich im Haus des Normalbürgers Biedermann eingenistet haben, unverblümt: „Wir sind Brandstifter“. Der Gastgeber reagiert nicht. Er hält die Bemerkung für einen Witz, oder er denkt, so schlimm werde es schon nicht kommen. Weiter heißt es in Frischs Stück:
„Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität. Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“
„Baby, lass uns impfen!“
Dass es beim Niveau der Verunglimpfungen von Corona-Andersdenkenden offenbar keine Untergrenze gibt, zeigt dieses Video, in dem ein unbekannter Meister Alex Olivaris Klassiker „Deutschland zeig dein Gesicht“ covert.
Hier heißt es „Deutschland, zeig deinen Pass“. „Ein kleiner Pieks, und die Sorgen sind vorbei“, weiß der Protagonist, der maßnahmenkritische Demonstrationen für Vorläufer eines heraufdämmernden neuen Nationalsozialismus hält („Lichtspaziergänge machen sie heute. Und Fackelzüge morgen (…)“).
Einige Regierungskritiker wie Boris Reitschuster und Michael Ballweg werden mit einer roten, aus ihrem Mund kommenden Schlangenzunge gezeigt. Offenbar hält der Sänger sie für Reptiloide. Aber Verschwörungstheoretiker sind immer die anderen. Wie im erwähnten Artikel der Süddeutschen Zeitung wird auch hier mit dem diffamierenden Klischeebild teuflischer Verführung gearbeitet. Man muss aber der Fairness halber hier sagen, dass das Filmchen nicht von einem großen Medium oder einer wichtigen Institution der herrschenden Corona-Politik stammt, sondern ganz offensichtlich von einem Laien.
Anders sieht das bei einen Impf-Motivationsfilm der Österreichischen Gesundheitskasse aus. Hüpfend und grinsend bewegt sich darin ein smarter Schlipsträger zwischen sterilen Hochhausfassaden. Dazu erklingt mit computerverzerrter Stimme ein seichter Popsong: „Baby, lass uns impfen, du und ich wir zwei. Lass uns hier verschwinden, endlich sind wir frei.“
Den Propagandisten des „Durchimpfens“ ist offenbar kein Mittel mehr zu peinlich, um ihre Botschaft unter die Leute zu bringen. Und auch die menschenrechtswidrige Botschaft wird nicht gescheut: Nur wer sich die Spritze gibt, bekommt Freiheiten zurück, die ihm zuvor gestohlen worden waren.
Man würde es eher für eine Parodie halten, wäre nicht klar, dass es offenbar ernst gemeint ist. Ein Klischee allerdings erwies sich als unzutreffend: die Annahme, dass die Bürgerinnen und Bürger so dumm wären, sich das alles bieten zu lassen. Hunderte wütender Protestanrufe erreichten die Gesundheitskasse nach Ausstrahlung des Spots. 46.000 Menschen haben das Werk „gedisliket“, nur 800 „geliket“. Ein Votum von seltener Klarheit.
Wenn das Virus nicht mehr „mitspielt“
Leider lässt sich nicht jeder der propagandistischen Vorstöße der Impflobby so leicht erkennen und deaktivieren wir dieser. Jens Spahn warnt vor einem „Sorgenherbst“, Karl Lauterbach warnt ohnehin auf Autopilot, und Angela Merkel warnte noch am 21. Juni, die Inzidenz sei zwar derzeit recht erfreulich, jedoch immer noch dreimal so hoch wie letztes Jahr. Diese Zahl ist mittlerweile überholt. Am 27. Juni 2020 wurden 422 Corona-Fälle gemeldet, am 27. Juni 2021 nur noch 336. Diese Zahl ist umso bemerkenswerter, als im Juni 2021 ungefähr doppelt so viele Tests durchgeführt wurden wie im Vorjahr. (Als Beispiel: am 21. Juni 2020: 54.976 Tests, am 20. Juni 2021: 101.166 Tests, Quelle: Our World in Data.)
Während aber per Gesetz genauestens differenziert wird, welche Maßnahmen oberhalb einer Inzidenz von 50 „notwendig“ sind und welche unterhalb dieser Schwelle entfallen, gibt es seitens der Politik keinerlei Automatismus für Inzidenzzahlen unter 20, unter 10 oder — was in vielen Gemeinden mittlerweile schon Realität ist — unter 5. Es wird „Business as usual“ praktiziert.
Ich habe bei einer Bahnfahrt kürzlich erlebt, wie ein Zugführer die Maskenpflicht per Lautsprecherdurchsage nicht nur mit unverminderter Inbrunst einforderte, sondern seine Passagiere auch noch offen verhöhnte: „Benutzen Sie Ihre Masken nicht als Halstuch oder Picknickdecke, sondern ziehen Sie sie, wie es vorgeschrieben ist, über Mund und Nase“.
Auf der beliebten Seite „So ist die Lage in Ihrem Landkreis“ wurde mittlerweile schon der Farbcode geändert, um wenigstens noch einige Gemeinden bedrohlich in Dunkelblau (10 bis 19,9) oder gar Orange (10 bis 34,9) hervorleuchten zu lassen. Inzwischen breitet sich aber eine andere Farbe aus: Weiß. Sie signalisiert Landkreise mit einer Inzidenz von 0,0.
In ein paar Wochen werde ich einen von ihnen aufsuchen: den Landkreis Regen. Wenn man dort in die Tageszeitung schaut, wird man jedoch mit Sicherheit auch Warnungen der Art lesen können, dass sich der Anteil der Delta-Variante binnen einer Woche verdoppelt habe. Auch wenn ganz Deutschland zur Null-Region geworden wäre, könnte ein Beherbergungsbetrieb noch immer von seinem Gast einen positiven Test fordern, denn die Zahl Null fällt in die Kategorie „Inzidenz bis einschließlich 50“, für die in jedem Bundesland bestimmte Einschränkungen gelten.
Die Protagonisten des Systems Corona scheuen sich längst nicht mehr, sich wie ihre eigene Karikatur zu benehmen. So mancher „Verschwörungstheoretiker“ — mich eingeschlossen — mutmaßte im letzten Herbst, dass die Politik bis weit ins Jahr 2021 hinein alles unternehmen würde, um die Menschen in Atem zu halten, sie auf keinen Fall freizulassen. Speziell von der Maskenpflicht werden sich die Mächtigen nicht so leicht trennen. Zu wichtig scheint die Maske als Unterdrückungs- und Gleichschaltungssymbol oder — um es für die Akteure etwas wohlwollender auszudrücken — als stetige Erinnerung an die Existenz der Bedrohung, die uns alle zur „Vorsicht“ mahnt.
Kampfansage an die Freiheit
Das „böse Gerücht“, dass eine wirkliche Aufhebung aller Maßnahmen gar nicht geplant ist, bestätigte nun die Kanzlerin höchstselbst bei einer Befragung im Bundestag am 23. Juni. Auf die Frage eines AfD-Abgeordneten, die darauf abzielte, ob wir uns nun auf kontinuierlich einander abwechselnde Virus-Varianten und Lockdowns einzustellen hätten, antwortete Merkel:
„Also, dass verschiedene Varianten auftauchen können, damit müssen wir rechnen, solange nicht die gesamte Weltbevölkerung geimpft ist.“
Das ist eine offene Kampfansage an die Freiheit. Denn selbst wenn Impfungen die erwünschte Wirkung hätten — die Kontrolle über die ganze Welt hat selbst die deutsche Kanzlerin nicht inne.
Merkel verlangt also etwas Unmögliches als Vorbedingung für die Wiedererlangung einer Freiheit, die bis vor kurzem für uns noch selbstverständlich war.
Solange noch in irgendeinem Land — seien es Staaten der USA, Russland oder Neuseeland — Viren gefunden werden und Menschen ungeimpft bleiben, stehen in Deutschland laut Merkel die Grundrechte zur Disposition.
Hinzu kommt: In weitgehend durchgeimpften Ländern nimmt Corona teilweise wieder zu. Zum Beispiel in Israel, wo 55 Prozent der Menschen vollständig geimpft sind und die Corona-Zahlen jetzt wieder steigen. Die vor kurzem ausgesetzte Maskenpflicht in Innenräumen gelte jetzt wieder, meldet euronews sollen 12 vollständig geimpfte Menschen an der „Delta-Variante“ gestorben sein. Nehmen wir also an, alle Menschen in Deutschland wären demnächst gegen die Alpha- bis Delta-Variante vollständig geimpft — wären dann nicht Todesfälle aufgrund der Epsilon-Variante sehr wahrscheinlich und müssten Masken- und Testpflicht nicht vorsichtshalber bestehen bleiben?
Volkszorn gegen „Impfverweigerer“
Die Kanzlerin hat offenbar keinen Plan, wie wir „da rauskommen“ und auch kein gesteigertes Interesse daran. Eigentlich sollten die Corona-Fälle in Ländern mit hoher Impfquote auch die Impfbefürworter an ihrem Konzept irrewerden lassen. Regelmäßige Impfupdates werden ja jetzt schon ins Auge gefasst. Jedes davon ist aber mit der Gefahr von Nebenwirkungen verbunden und könnte das Immunsystem schädigen, wobei sich die Effekte mit jedem Pieks summieren. Im Fall, dass Impfungen weniger gut „funktionieren“, als es sich deren Befürworter wünschen, wird man propagandistisch die Ungeimpften verantwortlich machen. Ein Argument, das sich schon jetzt andeutet.
Ein Beitrag aus der Schweiz, der ohne weiteres auf Deutschland übertragen werden kann, entwirft folgendes Szenario: Das Virus wird sich unter Ungeimpften weiterverbreiten. Daher müssten Maskenpflicht und Hygienemaßnahmen bis auf weiteres aufrecht erhalten bleiben — auch für Geimpfte.
Dies könnte den Volkszorn gegen „Impfverweigerer“ anstacheln — Menschen also, die trotz aller tief verwurzelten Bravheit langsam genug haben von den Maßnahmen. „Wegen denen muss ich weiter Maske tragen.“ Schuld an den Grundrechtsverletzungen wären demnach nicht die Täter, sondern jene Opfer, die sich dagegen zu wehren versuchen. Die Menschen stehen somit vor einem unlösbaren Dilemma: „Wenn ihr euch impfen lasst, nehmen wir euch eure Rechte, weil neue Virusvarianten und die Impfverweigerer uns dazu zwingen. Wenn Ihr euch nicht impfen lasst, nehmen wir euch eure Rechte sowieso.“
Egal welche Strophen wir singen, der Refrain wird immer Unfreiheit sein.
Der einzige Ausweg besteht also weiterhin in einem umfassenden Bewusstseinswandel und wachsendem Widerstand gegen die strangulierende Systemlogik der Corona-Aufbauscher. Hier ist leider festzustellen, dass viele nach müdem Start auch jetzt noch nicht aufwachen, sich lieber noch einmal im Bett umdrehen und eine Runde weiterschlafen. Im Winter gab es kaum Widerstand, weil die Corona-Zahlen noch zu eindrucksvoll wirkten; jetzt gibt es kaum Widerstand, weil die Menschen ja fast alles wieder „dürfen“.
Widerstand ist unbequem, weshalb Menschen jedes Narrativ, das ihnen hilft, diesen zu vermeiden, willig ergreifen. Selbst der Restaurantaufenthalt, ohne zur Nachverfolgung seine Adresse abzugeben, ist ja wieder vielfach möglich. Man schleicht einfach ohne Maske zum Tisch und freut sich, dass niemand geschimpft hat.
Den Rest erledigt dann bis zum Herbst eh die Impfung. Man selber wird ein Leben führen können, wie es von Carolin Kebekus imaginiert wird. Und die Ungeimpften — selber schuld. Als sie die Ungeimpften ausgrenzten und ihrer Rechte beraubten, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Ungeimpfter.
Wie das alles enden kann
Und natürlich werden sich Fußball-Feierwütige, „trotz Delta-Variante“ tollkühn ins Ausland Verreisende und andere Party-People missbilligende Kommentare von Regierungsmitgliedern und ihren Medien-Herolden anhören müssen. Alles, was im Geruch übermäßiger Lebensfreude steht eben. Und natürlich könnte man sich da auch ein bisschen mehr zurückhalten, um das Virus in einer gemeinsamen letzten Kraftanstrengung zu besiegen. Aber das größte Sommermärchen ist eben die Annahme, es werde ab jetzt alles gut, wir könnten uns die Gnade der Regierenden quasi durch Wohlverhalten erschleimen und bekämen dann unsere alte Normalität zurück.
Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Vielleicht wissen das die Party-People zumindest intuitiv sehr genau und nutzen deshalb das Gelegenheitsfenster, um noch für ein paar gesegnete Sommernächte ihre relative Freiheit zu genießen.
Wollte die Regierung eine wirklich freiwillige und besonnene Kooperation der Bürger, müsste sie erst einmal aufhören, zu manipulieren und uns von oben herab zu behandeln, müsste sie glaubwürdig machen, dass sie ernsthaft daran interessiert ist, die volle Freiheit wiederherzustellen.
Wenn das alles aufhören soll, dann werden wir das nicht schaffen, indem wir es den Mächtigen möglichst bequem machen, vom Fernsehsessel aus über die Querdenker schimpfen und uns selbst für diesen „antifaschistischen“ Widerstandsakt beglückwünschen. Wir werden es nicht schaffen, indem wir in Massen zu den Impfzentren drängen, die Maske vorsichtshalber auch auf dem Weg vom Auto zum Supermarkteingang aufsetzen und im Herbst CDU oder Grüne wählen.
Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir ungemütlich werden.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Artikel erschien zuerst am 3. Juli 2021 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.
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