Von Bernhard Trautvetter.
Wenn man Wasser jeden Tag um ein Grad erhitzt, mag das 99 Tage gut gehen. Am hundertsten explodiert der Kessel, wenn man nicht rechtzeitig umsteuert.
Auf Europa und die weltweiten Spannungen bezogen passt dieses Bild für die Gefahr eines großen Krieges, den die Nato-Einrichtung Joint Air Power Competence Centre in ihrer 2014er Jahreskonferenz “Future Vector” für möglich erklärte, indem sie im Manuskript dieses Titels formulierte, es sei anzuzweifeln, dass es keinen großen Krieg (major war) mehr in Europa gäbe. (http://nrw.vvn-bda.de/texte/1518_japcc_jw.htm)
Man erklärte Spannungsgebiete an der russischen Westgrenze als mögliche Ausgangspunkte für diese Eskalation. (Kalkar 2014, Manuskript “Part I”, S. 141)
Ähnliches liest man in immer wieder anderen Färbungen in Texten aus Nato-Kreisen, wie dem fiktionalen aber eben doch konkret warnend gemeinten Buch »2017: War With Russia« des ehemaligen obersten kommandierende General der NATO-Truppen Europa, General im Ruhestand Sir Richard Shirreff.
Angela Merkel mahnte im Lowy-Instituts in Sydney laut Spiegel vom 17.11.2014: “zu besonderer Aufmerksamkeit, was den russischen Kurs gegenüber Staaten wie Moldawien und Georgien betrifft. Auch bei Serbien und den Westbalkanstaaten müsse man »genau hinsehen«.”
Angela Merkel warnte in dieser Rede vor einem “großen Flächenbrand”. Was dieser Flächenbrand für eine Form annehmen kann, das offenbarte eine Pressekonferenz des Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen im Mai 2014: Im Ausklang antwortete er eher beiläufig auf eine spontan aufgeworfene Frage eines Reporters “Ja, wir haben auf Bitten der Ukraine eine kleine Gruppe ziviler Experten in die Ukraine entsandt, um den Behörden zu helfen, die Sicherheit ihrer zivilen Nuklearanlagen zu verstärken.” Die Nato unterstützte dabei die illegal ins Amt gekommene Yatsenyuk-‘Übergangsregierung’, wohl wissend, dass der Krieg, der ins nuklear verseuchte Areal übergeht, ein nicht zu verantwortendes Risiko bedeutet.
Da wundert es nicht, wie verklausuliert ausweichend Frau von der Leyen im Stern vom 28.7.2016 auf eine sehr besorgte und ziemlich deutliche Interview-Frage antwortete: “Dass man die baltischen Staaten … nicht mit konventionellen Waffen verteidigen kann, stört Sie nicht?” Nicht-konventionelle Waffen sind nukleare Potentiale.
Man könnte sagen, sie argumentiert geschickt, um nichts zu sagen, das sonst Aufsehen erregt. Aber beim Risiko eines nuklearen Infernos gibt es nur noch die Aufgabe, dieses zu verhindern anstatt mehr oder weniger unmissverständlich zu warnen oder zu drohen, ein Angriff würde die stärkste Macht der Erde herausfordern. Wie leicht ein Angriff herbeigelogen werden kann, wissen wir nicht erst seit Kaiser Wilhelm oder Adolf Hitler, wir kennen das auch aus dem Vietnamkrieg, in dem ein US-Schiff angegriffen wurde, woraufhin die US-Army den Bombenkrieg gegen Nordvietnam begann. Dass der Angriff zu Legitimationszwecken fingiert worden war, erfuhren wir Jahre später durch den Whistle-Blower Daniel Elsberg in den Pentagon Papers. Bushs Ausflüchte vor dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak stellen also alles andere als ein Unikat dar. Oder die Manipulation von Bürgerkriegs-Szenen, die als Massaker-Fotos aus Jugoslawien missbraucht wurden, damit >Bild< mit der Schlagzeile aufmachen konnte: Darum sind wir für Krieg.
Leider scheint Frau von der Leyen die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann zur Atomkriegsgefahr von 1958 im Bundestag nicht zu kennen, sonst wäre sie vielleicht außerstande gewesen, so vielsagend nichtssagend alles offen zu lassen: “Die neuen sogenannten Waffen sind die prinzipielle Außerkraftsetzung allen Kriegsrechts, sind das Ende aller Errungenschaften abendländischer Kultur. … Ich frage Sie: Können Sie es verantworten, daß unser aller Selbstmord …ins Augen gefaßt wird?”
Es gibt in der Nato Kräfte, die warnende bzw. eher de-eskalierende Worte finden, wie Frank Walter Steinmeiers Warnung vor einem Säbelrasseln. Es gibt auch Dokumente, wie die Rand-Studie vom 3.2.2016, die warnt, selbst eine erfolgreiche Gegenoffensive in den Baltischen Staaten würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit blutig, teuer und von unvorhersehbaren sowie mittelfristig dramatischen Konsequenzen begleitet werden. (Reinforcing Deterrence on NATO’s Eastern Flank. Wargaming the Defense of the Baltics)
Bei Rand geht es in der Konsequenz nicht um die eine de-eskalierende Friedenspolitik, sondern um eine Verstärkung der militärischen Kapazitäten für die so genannte Abschreckung.
Genau das ist auch zu befürchten, wenn das Kalkarer Joint Air Power Competence Centre vom 4. bis zum 6. Oktober eine Konferenz zum Thema “Handlungsfähigkeit in einem (auch durch gegnerische Handlungen) geschädigten Umfeld” in der Messe Essen durchführt. Man will vorbereitet sein, Handeln zu können, wenn der Moment kommt, wie es teils explizit in den Unterlagen heißt.
Die Friedensbewegung ruft dagegen für den 3. Oktober zu einer kombinierten Friedensdemonstration und -Kundgebung in Kalkar und nachmittags in Essen auf: http://demo-kalkar.de/
Und dann am 8. Oktober zur Friedensdemonstration in der Bundeshauptstadt Berlin unter dem Motto “Die Waffen nieder” und ‘Kooperation statt Nato-Konfrontation’ + ‘Abrüstung statt Sozialabbau’:
Wir sehen uns hoffentlich. Und nicht nur dann…
In Bonn sangen die dreihunderttausend vor dreieinhalb Jahrzehnten: “Wir wollen wie das Wasser sein, das weiche Wasser bricht den Stein”
Es bringt neues Leben in uns und in die Welt.
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