David gegen Goliath an der Wall Street? | Von Ernst Wolff

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

In der vergangenen Woche kam es an der Wall Street zu Turbulenzen, die weltweit große Aufmerksamkeit erregten. Einzelne Aktienkurse schossen auf Rekordwerte, stürzten kurze Zeit später ab und sorgten anschließend für Kursschwankungen in nie gekanntem Ausmaß.

Die Mainstream-Medien verbreiteten umgehend folgende Version der Ereignisse: Große Gruppen von Kleinanlegern hätten sich über Trading Apps wie Robinhood und WallStreetBets zusammengetan, gierige Hedgefonds durch gezielte Aktienkäufe in die Enge getrieben und den Marktgiganten damit den Fehdehandschuh hingeworfen.

Die Crowd gegen das Großkapital – das klingt nach einer hollywoodreifen Auseinandersetzung zwischen David und Goliath und lässt die Menschen aufhorchen. Doch leider hat diese Darstellung der Ereignisse mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Es handelt sich nämlich um ein abgekartetes Spiel, bei dem Davids bitteres Ende vorprogrammiert ist.

Schauen wir uns die Vorgänge einmal genauer an:

In den vergangenen Jahren sind immer mehr provisionsfreie Trading Apps auf den Markt gekommen, die es vor allem jungen Leuten sehr einfach machen, online mit Aktien zu handeln. Dieser Trend hat sich im vergangenen Jahr erheblich verstärkt. Während des Lockdowns haben viele junge, zum Teil arbeitslose Menschen zu spekulieren begonnen. Dadurch ist ein Markt entstanden, der allein in den USA inzwischen die Eine-Billion-Dollar-Grenze überschritten hat.

Da die meisten dieser Neulinge, Neotrader genannt, vom Spekulationsgeschäft so gut wie keine Ahnung haben, stellen die Anbieter Plattformen bereit, auf denen der einzelne User nachsehen kann, wie seine Mitstreiter traden. So kommt es häufig zu einer Art Schwarmbildung, die den Kurs einzelner Aktien in die Höhe treibt.

Das nimmt wegen der Naivität der Beteiligten bisweilen bizarre Züge an.

So sind zum Beispiel die Aktien des US-Autovermieters Hertz nach dessen Insolvenz im vergangenen Sommer plötzlich um fast 1500 Prozent gestiegen, weil sich ein Schwarm von RobinHood-Tradern darauf gestürzt hatte.

In der vergangenen Woche konnte man nun ein ähnliches Phänomen beobachten, das allerdings erheblich größere Auswirkungen hatte und daher hohe Wellen schlug: Trader von WallStreetBets und RobinHood trieben die Aktienkurse der Unternehmen GameStop und AMC in aberwitzige Höhen.

Beide Firmen sind zwar nicht insolvent, stecken aber in großen Schwierigkeiten: GameStop ist eine strauchelnde Einzelhandelskette für Videospiele und Equipment, deren Geschäft seit Jahren immer schlechter läuft, und bei AMC handelt es sich um einen Kinobetreiber, der wegen der Pandemie-Maßnahmen tief in den roten Zahlen steckt.

Dass dieser Aktion erheblich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als dem Fall Hertz hat seinen Grund: Mächtige Hedgefonds hatten zuvor mit hohen Summen auf sinkende Kurse beider Unternehmen gewettet und gerieten durch die plötzlichen Kursanstiege in Turbulenzen. Einer von ihnen, Melvin Capital, geriet so sehr ins Trudeln, dass zwei andere, nämlich Citadel und Point72Asset Management, die im Falle der Zahlungsunfähigkeit von Melvin Capital mit in den Abgrund gerissen worden wären, ihn durch den Einsatz von 2,75 Milliarden Dollar retten mussten.

Sowohl RobinHood als auch WallStreetBets erließen daraufhin Handelsbeschränkungen, die den Kursanstieg der Aktien nicht nur bremsten, sondern zu kräftigen Kursverlusten führten. Das half den Leerverkäufern, schadete aber gleichzeitig den Neotradern und erzeugte im Netz einen Shitstorm gegen die Betreiber von RobinHood und WallStreetBets.

Dieser aber verpuffte schnell, da sich der Kurs nach und nach wieder erholte und die Handelsbeschränkungen zumindest teilweise wieder aufgehoben wurden, und schlug anschließend ins Gegenteil um: Seit vergangenem Freitag melden sich immer neue Interessenten bei den Plattformen an, um ebenfalls zu traden, da sie den Mainstream-Medien ganz offensichtlich die Version vom Kampf David gegen Goliath abnehmen und gern mit zu denen zählen wollen, die den ungeliebten Goliath besiegen werden und dabei auch noch viel Geld einstreichen können.

Ganz offensichtlich geht damit ein vom digital-finanziellen Komplex im Hintergrund gefasster Plan auf, dessen Ziel darin besteht, noch mehr Geld in diese Plattformen fließen zu lassen, um die Finanzmärkte weiter zu befeuern. Dass hier Amateure abgezockte Wallstreet-Profis beinahe zu Fall gebracht hätten, erweist sich nämlich bei näherem Hinsehen als ein kompletter Unsinn.

Zum einen sollte niemand glauben, die Wall Street sei so dumm, die Masse der mittlerweile mehr als 15 Millionen Trader von RobinHood und WallStreetBets unbeobachtet gewähren zu lassen, ohne deren Plattformen ständig zu beobachten und zu manipulieren. Zum anderen muss man sich nur die geschäftlichen Verbindungen im Hintergrund ansehen, um zu wissen, dass es zwischen den Betreibern der Plattformen und den Hedgefonds enge Verbindungen gibt. So zählt der Hedgefonds Citadel, der Melvin Capital zu Hilfe gekommen ist, zu den Kunden von RobinHood und dürfte wohl kaum daran interessiert sein, die ertragreiche Geldquelle versiegen zu lassen.

Darüber hinaus sollte man wissen, dass die größten Anteilseigner von GameStop mit insgesamt 26 Prozent BlackRock und Fidelity sind, also zwei Vermögenverwaltungen, die mehr als zehn Billionen Dollar ultrareicher Investoren verwalten, und denen der Kursanstieg satte Gewinne eingebracht hat.

Im Übrigen sollte man alle RobinHooder daran erinnern, dass die Betreiber ihrer Plattform erst vor wenigen Wochen von der US-Börsenaufsicht SEC zur Zahlung einer Strafe von 65 Millionen Dollar verurteilt wurden, weil sie ihre Kunden jahrelang belogen und betrogen hatten, indem sie die Kundenorders von ihren Brokern nicht zu den bestmöglichen Kursen ausführen ließen und sich die so entstehenden Kursspannen zum Nachteil ihrer Kunden mit ihnen teilten.

Aber welches größere Spiel wird hier gespielt?

Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick auf die jüngere Entwicklung des globalen Finanzsektors werfen. Das System wird seit der Krise von 2007/08 nur durch ständig neue Geldinjektionen bei gleichzeitigen Zinssenkungen am Leben erhalten. Da die Zinsen mittlerweile bei Null angekommen sind, bleibt also nur noch ein Mittel: immer neue Geldinjektionen.

Diese wurden bisher in Form von sogenannten „Rettungspaketen“ durch die Zentralbanken in den Geldkreislauf eingespeist. Seit vergangenem Jahr aber ist das anders. Wegen der weltweit grassierenden Krankheit haben die Staaten immer größere Hilfszahlungen an Normalbürger geleistet, in den USA zum Beispiel Schecks in Höhe von 600 Dollar pro Woche ausgegeben.

Gleichzeitig haben große Geldgeber Werbekampagnen für die neuen Trading-Plattformen gesponsert, so dass ein großer Teil dieses Geldes in die Spekulation geflossen ist und die Finanzmärkte angetrieben hat. Diese Entwicklung soll in den USA in diesem Jahr sogar noch weiter angeheizt werden: Derzeit wird von wöchentlichen Zahlungen in Höhe von 2000 Dollar an insgesamt fast 100 Millionen US-Bürger gesprochen.

Was genau bedeutet das alles?

Ganz einfach: Die Trading-Plattformen wie RobinHood und WallStreetBets sind keinesfalls dazu da, um die Großen im Geschäft in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Ganz im Gegenteil: Ihre Aufgabe besteht darin, das vom Staat im Interesse des digital-finanziellen Komplexes erzeugte Geld aufzusaugen und es in das Finanzcasino zu leiten, also genau das Becken, in dem die Haifische des digital-finanziellen Komplexes bereits auf ihre Beute warten.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildquelle: rblfmr / shutterstock

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Die Bücher „Ernst Wolff erklärt das globale Finanzsystem“ und „Weltmacht IWF “ von Ernst Wolff werden in diesem Zusammenhang empfohlen.

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