Der BRICS-Gipfel in Johannesburg – Strategischer Wendepunkt? | Von Wolfgang Effenberger

Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger. 

Vom 22. bis 24. August 2023 waren in Sandton, Südafrika, zum XV. BRICS-Gipfel die Staats- und Regierungschefs der Föderativen Republik Brasilien, der Russischen Föderation, der Republik Indien, der Volksrepublik China und der Republik Südafrika zusammen gekommen. Thema: “BRICS und Afrika: Partnerschaft für gegenseitiges beschleunigtes Wachstum, nachhaltige Entwicklung und integrativen Multilateralismus”. Vorsitz: Südafrika.(1)

Neben 34 Ländern hatten der Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union sowie die Vorsitzenden und Geschäftsführer der regionalen Wirtschaftsgemeinschaften Afrikas ihre Teilnahme am Treffen zugesagt.

Anwesend war auch Dilma Rousseff, die Vorsitzende der New Development Bank. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Politikerin war selbst ab 1. Januar 2011 Präsidentin von Brasilien, wurde 2016 durch einen parlamentarischen Staatsstreich gestürzt und im März 2023 auf Vorschlag des erneuten brasilianischen Staatschefs Luiz Inácio Lula da Silva zur Leiterin der Entwicklungsbank der BRICS-Gruppe ernannt. In der ersten Amtszeit Lulas war Rousseff Energieministerin, später Kabinettschefin.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte Interesse an einer Teilnahme am BRICS-Gipfel bekundet, jedoch keine Einladung erhalten. Ehemalige Kolonialherren und westliche Industriemächte seien nicht erwünscht, hieß es vom südafrikanischen Gastgeber.(2)

Parallel zum Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im BRICS-Format fanden der “BRICS-Plus-Dialog” (Lateinamerika, Bolivien, Kuba und Venezuela) sowie der “BRICS-Africa-Outreach” statt. Diese Veranstaltungen bezogen Nationen aus dem Globalen Süden und dem afrikanischen Kontinent ein. In diesen Gremien wurden Ideen

“zur Stärkung von Partnerschaften von beiderseitigem Nutzen für Wachstum, Entwicklung, Frieden und integrativen Multilateralismus in einer multipolaren Welt”

entwickelt und ausgetauscht. Insgesamt haben am BRICS-Gipfel in Johannesburg mehr als 1.500 Personen teilgenommen. Es soll vor allem über Investitionsanreize, die Zusammenarbeit zwischen Südafrika, afrikanischen Ländern und BRICS-Mitgliedern sowie über die Stärkung des Multilateralismus diskutiert worden sein. Auch den Themen „Ent-Dollarisierung des internationalen Finanzsystems“ sowie der „Aufnahme neuer Mitglieder“ wurde viel Zeit eingeräumt.(3) Nach Meinung des russischen Außenministers Sergej Lawrow sollten gleichgesinnte Länder aufgenommen werden,

„die an eine multipolare Weltordnung und an die Notwendigkeit von mehr Demokratie und Gerechtigkeit in den internationalen Beziehungen glauben: Wir brauchen diejenigen, die sich für eine größere Rolle des globalen Südens in der Weltordnungspolitik einsetzen!“.(4)

Von 23 beitrittswilligen Staaten hatten die beiden afrikanische Länder Ägypten und Äthiopien, der lateinamerikanische Staat Argentinien und – mit Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie Saudi-Arabien – drei Länder aus dem Nahen Osten diese Kriterien durchweg erfüllt.

„Sie werden ab dem 1. Januar 2024 in der Lage sein, einen vollen Beitrag zu unseren Bemühungen innerhalb der BRICS zu leisten“,

sagte der russische Außenminister Sergei Lawrow zur Begrüßung.

Die spektakulären Implikationen dieses Zuwachses sind nicht auf den ersten Blick zu erfassen: Mit dem Beitritt von Argentinien haben sich die portugiesisch- und die spanischsprechenden Lateinamerikaner, mit dem von Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien Sunniten und Schiiten vereint – die die USA seit dem ersten Golfkrieg (1980-88) erfolgreich gegeneinander aufgehetzt haben. Damit stehen dem Westen (und Japan) alle anderen Zivilisationen gegenüber.  Nach der Einteilung von Samuel Huntington wäre das der russisch-orthodoxe, der konfuzianisch-chinesische und der islamische Kulturkreis sowie Indien und Schwarzafrika.(5) Zu Äthiopien ist anzumerken, dass es nie eine Kolonie war.

Die Regierungen von Bolivien und Venezuela machten bekannt, dass sie ebenfalls schon um Aufnahme in das Bündnis BRICS+ gebeten haben. (6)

China gilt als treibende Kraft der BRICS-Erweiterung. Peking hofft in diesem Zuge auf eine “gerechtere und vernünftigere Weltwirtschaftsordnung”, so besagt ein Kommentar in der chinesischen Staatszeitung Global Times. Auch die in Shanghai ansässige BRICS-Entwicklungsbank hat sich bereits erweitert, zuletzt durften Uruguay, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bangladesch beitreten.

Auf dem BRICS-Gipfel im Herbst 2024 in Kasan (Russland) wird die Welt aller Voraussicht nach eine zusätzliche Erweiterungswelle erleben. Spätestens seit Johannesburg sind die BRICS eine ernsthafte Herausforderung für den Globalen Westen. Nach Aufnahme der neuen 6 Staaten wird das gemeinsame BIP der BRICS-Staaten 37 Prozent des weltweiten BIP betragen, so der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Die Vereinigung entspricht 46 Prozent der Weltbevölkerung.

Mit der Erweiterung der „BRICS 5“ zu „BRICS 11“ etabliert sich neben den bisher tonangebenden G7-Staaten ein wirtschaftlich stärkerer Verband mit einer vielfach größeren Bevölkerung. Damit wird sich die rasch voranschreitende Abkehr von der unipolaren Welt und ihrer regelbasierten Ordnung konsolidieren und auch den Glauben vieler weiterer Länder an die Möglichkeit einer multilateralen Weltordnung stärken.(8)

Die BRICS-Staaten setzen sich für die Anerkennung einer Weltordnung jenseits der Vormachtstellung der G7-Länder ein. Dafür wollen sie sich von nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Organisationen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) lösen.

“Wir können die Gier des Neokolonialismus nicht akzeptieren, der unter dem Deckmantel von Schutzrichtlinien Handelsbarrieren und diskriminierende Maßnahmen verhängt”,

sagte der brasilianische Präsident Lula und betonte, dass sich die BRICS-Staaten daher für einen gerechteren Welthandel einsetzen würden.(9) Weiter hob er hervor, dass sich die BRICS-Gruppe nicht gegen andere richte. Vielmehr gehe es um eine bessere Organisation des Globalen Südens, schrieb er am ersten Tag des Gipfels auf der Plattform X (früher Twitter).

„Die BRICS sind kein Gegenpol zu den G7, den G20 oder sonst Irgendjemandem. Wir als der Globale Süden wollen uns organisieren. Wir sind wichtig in der globalen Debatte und sitzen gleichberechtigt mit der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten am Verhandlungstisch.“(10)

Lula gehört zu den Hauptbefürwortern der Schaffung einer eigenen Handelswährung zwischen den BRICS-Staaten und weiteren Ländern, um die Verwendung des US-Dollars im Handel mit den Mitgliedsstaaten zu vermeiden. Er verglich die Politik des IWF mit dem System, das von Portugal während der Kolonialzeit zur wirtschaftlichen Unterwerfung der Bevölkerung eingesetzt wurde. In die gleiche Kerbe schlug auch Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Er forderte eine grundlegende Reform globaler Finanzinstitutionen. Aktuell profitieren vor allem westliche Industriemächte von einem Protektionismus, der faires Wachstum in der Weltwirtschaft untergrabe, so Ramaphosa. Finanzinstitutionen sollten agiler auf die Herausforderungen von Entwicklungsländern reagieren können.(11) In der Dominanz des US-Dollars im globalen Finanzsystem sehen viele afrikanische Staatsoberhäupter ein strukturelles Hindernis für das Wirtschaftswachstum ihrer Länder. Die Zinserhöhungen in den USA und die Stärkung des Dollar gegenüber fast allen wichtigen Währungen, als Folge des Kriegs in der Ukraine, haben die Bedienung von Schulden verteuert und die Kosten für die Einfuhr von Dollar-Waren zusätzlich erhöht.(12)

Auf der abschließenden Pressekonferenz am 24. August 2023 ging der russische Außenminister Sergej Lawrow näher auf den Begriff “gemeinsame Rechnungseinheit” ein, den der brasilianische Präsident Lula da Silva auf einer Plenarsitzung verwendete. Seine Antwort war kurz und präzise:

„Niemand spricht derzeit über eine ,gemeinsame Währung‘. Im Moment konzentriert sich die ganze Aufmerksamkeit auf den gegenseitigen Handel, auf wirtschaftliche Projekte und Investitionen. Diese Dinge sollten unabhängig von dem von den USA und ihren westlichen Verbündeten kontrollierten System sein. Sie sollten nicht von Dollar, Euro oder Yen abhängen.“(13)

Die plausible Begründung Lawrows:

„Diese Länder haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, ihren Status als Emittent von Reservewährungen zu missbrauchen, um ihre Ziele unter Missachtung aller Regeln des freien Marktes, des internationalen Handels und der WTO zu erreichen.“(14)

Anschließend wies Lawrow darauf hin, dass die BRICS-Staaten bereits vor langer Zeit nach der Gründung der Neuen Entwicklungsbank ein weiteres Projekt mit der Bezeichnung “Pool von Reservewährungen” betreiben.

„Dies ist ein Vorspiel zu den Schritten, die wir jetzt unternehmen wollen, um die Verwendung nationaler Währungen zu erleichtern und vor allem ein alternatives Zahlungssystem zu schaffen. Die Finanzminister und Zentralbankgouverneure unserer Länder wurden beauftragt, die Einzelheiten dieses Plans auszuarbeiten. Sie werden eine Arbeitsgruppe einsetzen und bis zum nächsten Gipfel in Kasan Empfehlungen für die Staatschefs aus-arbeiten.“(15)

Zu den  Gesprächen über die Erweiterung der BRICS, samt den Kriterien für die Aufnahme neuer Länder in die Gruppe, gewährte Lawrow einen ersten Einblick:

„Wir hatten eine recht lebhafte Diskussion über dieses Thema. Ich kann nicht sagen, dass es überhaupt keine Probleme gab, aber alle beteiligten Länder waren entschlossen, eine Entscheidung über die Aufnahme neuer Länder in unsere Gruppe zu treffen. Natürlich haben wir uns auf die Kriterien und Verfahren gestützt, die für unsere Partnerländer genehmigt wurden. Das Gewicht, der Bekanntheitsgrad und die Bedeutung der Kandidaten sowie ihr internationales Ansehen waren für uns die wichtigsten Faktoren.“(16)

Für Lawrow sind die BRICS-Staaten mehr als nur ein Wirtschaftsclub. Er verweist auf die politische Erklärung der BRICS, in der die klare Forderung nach einer Demokratisierung der internationalen Beziehungen und einer Stärkung der Rolle des globalen Südens in den globalen Governance-Mechanismen klar zum Ausdruck gebracht werden und darin bekräftigt wird, dass sich die BRICS-Staaten an das Völkerrecht und die UN-Charta in ihrer Gesamtheit sowie an die darin enthaltenen, miteinander verbundenen Normen und Grundsätze halten werden – eine klare Absage an die regelbasierte Ordnung. In diesem Sinn soll in der nächsten Phase der Erweiterung eine zusätzliche Kategorie von Partnern definiert werden, mit denen eine Vision von der Zukunft der internationalen Beziehungen, die auf der Förderung objektiver Multipolaritätstendenzen beruht, weiterentwickelt werden kann. In den neuen Zentren des Wachstums, des finanziellen und politischen Einflusses sollen nicht einfach blindlings die westlichen Anweisungen erfüllt werden. Auch soll nicht dem Beispiel von Ländern gefolgt werden, die nicht in der Lage sind, ihre kolonialen Gewohnheiten aufzugeben und immer noch versuchen, auf Kosten anderer zu prosperieren.

Nach dem BRICS-Gipfel von Johannesburg steht die sogenannte “Westliche Welt” vor großen Herausforderungen. Sie wäre gut beraten, wenn sie zu den Grundlagen des Völkerrechts, zur UN-Charta in ihrer Gesamtheit sowie den darin enthaltenen, miteinander verbundenen Normen und Grundsätzen zurückzufinden. Frieden könnte geschaffen werden, wenn der Westen damit beginnt, die in der Präambel der UN-Charta von 1945 festgehaltene Forderung nach „Befreiung der Menschheit von der Geißel des Krieges“ endlich umzusetzen.

Die Entwicklung der BRICS lässt große Teile der Welt hoffen, vor allem, wenn man bedenkt, dass vor 15 Jahren kaum jemand diese Entwicklung für möglich gehalten hätte.

Am 16. Mai 2008 hatten sich im russischen Jekaterinburg Brasiliens Außenminister Celso Amorim, Russlands Außenminister Sergej Lawrow, Indiens Außenminister Prasad Mukherjee und Chinas Außenminister Yang Jiechi getroffen und ein gemeinsames Kommuniqué verfasst. Darin brachten die Minister ihre Einigkeit zum Ausdruck,

„dass es das Gebot unserer Zeit ist, ein demokratischeres internationales System aufzubauen, das auf Rechtsstaatlichkeit und multilateraler Diplomatie beruht. Sie bekräftigten die Verpflichtung der BRICS-Länder, miteinander und mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten, um die internationale Sicherheit und Stabilität zu stärken und gleiche Entwicklungschancen für alle Länder zu gewährleisten.“(17)

Weiter bekräftigen die vier Außenminister,

„dass die moderne Weltordnung auf der Herrschaft des Völkerrechts und der Stärkung des Multilateralismus beruhen sollte, wobei die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle spielen. Sie bekräftigten die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der Organisation mit dem Ziel, ihre Effizienz zu steigern, damit sie wirksamer auf die globalen Herausforderungen der Gegenwart reagieren kann.“(18) Weiters stellten die vier Minister fest, „dass eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft auf lange Sicht sowie die Bewältigung der drängenden globalen Herausforderungen unserer Zeit, wie Armut, Hunger und Krankheit, nur unter Berücksichtigung der Interessen aller Länder und im Rahmen eines fairen Weltwirtschaftssystems erreicht werden können.“(19)

Die Außenminister Russlands und Chinas bekräftigten, dass ihre Länder dem Status Indiens und Brasiliens in internationalen Angelegenheiten große Bedeutung beimessen, deren wichtige Rolle anerkennen und die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der Organisation verstehen.

Nur ein Jahr später, am 16. Juni 2009 und ein Dreivierteljahr nach der weltweiten Finanzkrise, fand dann ebenfalls in Jekaterinburg der erste BRIC-Gipfel (parallel zum Gipfel der Shanghai-Staaten) statt. Auf der Tagesordnung standen neben der Suche nach neuen Wegen zur Überwindung der globalen Krise die Reform der internationalen Finanzinstitute und die zukünftige Rolle des US-Dollar als globale Leitwährung. Zugleich diente das Treffen der Abstimmung der BRIC-Positionen für den G8-Gipfel (acht große Industriestaaten)(20) im Juli 2009, an dem nur Russland geladen war. Brasilien, Indien und China gehörten im Gegensatz zu Italien und Kanada nicht zum erlauchten Kreis.

Der Shanghai-Organisation (SCO) gehörten 2009 neben Russland, China, Indien und Pakistan auch die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Afghanistan, der Iran und die Mongolei hatten Beobachterstatus (Belarus und Sri Lanka erhielten ihn in Jekaterinburg). Als regionales Bündnis konstituierte sich die SCO, als sich die NATO im Rahmen der Antiterror-Operation in Afghanistan Zugriff auf Basen in Zentralasien verschaffte. Die Mitglieder und Beobachter der SCO wollten sich ebenfalls aktiver in die Kontrolle der internationalen Finanzsysteme einbringen und Maßnahmen zur Stabilisierung der Weltwirtschaft ergreifen. In der Abschluss-Deklaration der SCO wurde selbstbewusst hervorgehoben, dass sich das Prinzip einer Welt mit mehreren Schwerkraftzentren endgültig durchgesetzt habe.(21)

Tagungsgebäude des ersten BRIC-Gipfels am 16. Juni 2000 in Jekaterinburg (früheres Swerdlowsk)

Beachtlich und visionär schrieb damals Rainer Rupp: “BRIC-Gipfel in Jekaterinburg demonstriert wachsendes Selbstbewusstsein der Mitgliedstaaten. Ungelöst ist das Problem der Abhängigkeit vom US-Dollar”. Eingangs stellte Rupp fest, dass der gewachsene ökonomische und politische Einfluss der vier wichtig­sten, nicht dem „Westen“ zuzurechnenden Staaten nicht länger ignoriert werden kann:

„Der Anteil der BRIC-Gruppe an der weltweiten Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt BIP) liegt derzeit bei 15 Prozent. Bereits 2001 hatte die US-Großbank Goldman Sachs in einer Analyse prognostiziert, dass diese Vierergruppe bis 2050 die Wirtschaftskraft der G-7-Länder überholt haben werde. Nicht wenige Beobachter sehen daher in dem Gipfel in der russischen Stadt am Ural – die zu Zeiten der UdSSR Swerdlowsk hieß – ein weiteres Indiz für die Entstehung einer neuen Weltordnung.“(22)

Rupp konnte in den BRIC-Staaten keine politische Einheit erkennen, da sie die von den USA ausgegangene Weltwirtschaftskrise lediglich zusammengetrieben hätte. Nun seien sie bestrebt, sich von den unheilvollen Entwicklungen abzukoppeln und gemeinsam besser ihre ökonomischen Interessen gegenüber dem Westen durchzusetzen. Zugleich würden sie versuchen, ihre Positionen mit denen der restlichen G-20-Länder zu koordinieren, um öffentlichkeitswirksam als Interessenvertreter der Dritten Welt gegenüber den neoliberalen westlichen Industrienationen aufzutreten.

Im dringlichsten Problem der BRIC-Gruppe kam für Rupp jedoch die Quadratur des Kreises zum Tragen. Auf den Punkt gebracht lautet es:

„Wie kommen wir vom ungeliebten US-Dollar weg, ohne ihn zu destabilisieren?“

Rupp stellte fest: Die vier Exportüberschussländer haben in den vergangenen Jahren 42 Prozent der weltweiten Devisenreserven angehäuft. Dies sind etwa drei Billionen Dollar, wovon China knapp die Hälfte hält. Die Zukunft des US-Fiat-Geldes als Weltreservewährung liegt also in den Händen der BRIC. Sollten jedoch die BRIC-Länder angesichts der astronomischen Verschuldung der US-Regierung ihre Dollarbestände verkaufen und ihre Devisenreserven umstrukturieren, würden weltweit alle Dollarhalter zur Kasse drängen. Als Resultat sieht Rupp einen rapiden Verfall des Dollars und damit die gleichzeitige Entwertung der verbleibenden BRIC-Dollarreserven, was zugleich die westlichen Exportmärkte wegbrechen lassen dürfte.

Vor diesem Hintergrund sähen viele arrogante US-Experten die BRIC-Länder als Gefangene des Dollars. Ihnen würde bei Strafe ihres eigenen Untergangs nichts anderes übrig bleiben, als die US-Währung zu stützen und weiter zu kaufen, so Rupp: „Wie zur Bestätigung haben die Vier im Mai [2009] von ihren Exportüberschüssen wieder mehr Dollar gekauft und ihre Reserven um weitere 60 Milliarden erhöht. Zur Beruhigung der globalen Devisenmärkte, die mit Misstrauen den Gipfel beobachteten, erklärte der Wirtschaftsberater des russischen Präsidenten, Arkadi Dworkowitsch, in Jekaterinburg, Moskau sei nicht an Kurseinbrüchen des US-Dollars interessiert: »Am wenigsten brauchen wir heute Erschütterungen auf den Währungsmärkten. Keiner will den Dollar zum Sturz bringen. Auch der russische Finanzminister Alexej Kudrin hatte am Samstag verkündet, der Dollar bleibe auch weiterhin eine verlässliche Reservewährung.“(23) Doch im gleichen Atemzug bemühte sich Präsidentenberater Dworkowitsch, Dollar-Alternativen zu finden. Russland könne künftig seine Staatsreserven auch in Wertpapiere der BRIC-Staaten investieren. 2009 schloss der erste BRIC-Gipfel mit der Forderung auf ein diversifiziertes Weltwährungssystem sowie mehr Mitspracherechte bei IWF und UN ab.

Seit 2009 treffen sich jährlich Vertreter der BRIC-Mitgliedsstaaten, aber auch weitere Nationen (Südafrika stieß erst 2010 dazu). Ziel der Treffen der inzwischen fünf und bald elf Länder ist es, ihre Position insbesondere gegenüber den USA und der EU zu stärken. Der sogenannte Westen oder vielmehr der – im Gegensatz zum Globalen Süden – Globale Norden, wäre gut beraten, den Aufbau einer neuen gerechten Weltwirtschaftsordnung zu unterstützen. Wie in Niger, Mali, Burkina Faso deutlich wird, ist die Zeit des Kolonialismus und die Zeit der Kriege um Ressourcen oder geopolitische Vorteile endgültig vorbei. Diese Einsicht hat sich nur in Washington noch nicht durchgesetzt.

So wird in der US-National Defense Strategy (Nationale Verteidigungsstrategie der USA) vom 27. Oktober 2022 von den Streitkräften der Abbau der wachsenden multidisziplinären Bedrohung durch China sowie die Abschreckung der von Russland ausgehenden Bedrohung von Europa verlangt. Zur Umsetzung dieser Prioritäten gehören:

  • Integrierte Abschreckung,
  • Kampagnenführung [Propaganda] und der
  • Aufbau eines dauerhaften [militärischen] Vorteils.

Allein das Streben nach “Aufbau eines dauerhaften Vorteils” zerstört die Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens und steht damit im Widerspruch zum Grundgedanken der UN-Charta. Sie entspricht Washingtons regelbasierter Ordnung und führt sie vor als Hybris und als Zeugnis dessen, dass der wertebasierte Westen sich noch immer nicht vom imperialen Gewalt-Mantra zu lösen weiß.

Quellen und Anmerkungen

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022)

1) https://www.gov.za/sites/default/files/speech_docs/Jhb%20II%20Declaration%2024%20August%202023.pdf

2) https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationale-politik/id_100228602/brics-gipfel-in-suedafrika-so-wollen-china-und-russland-die-welt-neu-ordnen.html

3) https://amerika21.de/2023/08/265522/brics-gipfel-johannesburg-bewegt-welt

4) https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1901537/

5) Im angelsächsischen Sprachraum ist es nicht üblich zwischen Kulturen und Zivilisationen zu unterscheiden siehe dazu Huntington, Samuel P.: The clash of civilizations? Foreign Affairs; Summer 1993; 72, 3; pg. 22.-49;

Huntington, Samuel P.: The Clash of Civilizations and the Remaking of World Order. New York 1996: Simon andSchuster.

6) https://amerika21.de/2023/08/265279/34-laender-beim-kommenden-brics-gipfel

7) Die Kaufkraftparität kurz KKP oder im Englischen auch PPP (purchasing power parity) abgekürzt stammt aus der Makroökonomik und beschreibt die Situation in der zwei Währungen die gleiche Kaufkraft besitzen, man also den gleichen Warenkorb erwerben kann. Wenn das der Fall ist, dann ist der reale Wechselkurs gleich 1; https://studyflix.de/wirtschaft/kaufkraftparitat-1496

8) https://www.anti-spiegel.ru/2023/sechs-neue-mitglieder-und-ein-neues-finanzsystem

9) https://web.de/magazine/politik/brics-staaten-ringen-erweiterung-38553922

10) https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/brics-gipfel-treffen-100.html

11) https://www.rnd.de/politik/brics-staaten-ablehnung-des-westens-ist-der-kitt-der-sie-zusammenhaelt-7UHXGCXYUZCOHPNBIA5MNVFW3E.html

12) https://amerika21.de/2023/08/265522/brics-gipfel-johannesburg-bewegt-welt

13) https://www.mid.ru/en/foreign_policy/news/1901537/

14) Ebda.

15) Ebda.

16) Ebda.

17) https://www.mid.ru/ru/detail-material-page/1709351/?lang=en

18) Ebda.

19) Ebda.

20) (USA, Italien, Japan, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland sowie Russland)

21) http://www.ag-friedensforschung.de/themen/SOZ/gipfel2009.html

22) Ebda.

23) Ebda.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Fly Of Swallow Studio / shutterstock

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Kommentare (7)

7 Kommentare zu: “Der BRICS-Gipfel in Johannesburg – Strategischer Wendepunkt? | Von Wolfgang Effenberger

  1. Zara Trusta sagt:

    Das objektiv umfassendste was hier zum Thema BRICS je erschienen ist.
    Warum wurde hier nicht der Schluss gezogen .. Deutschland sollte alles daran setzen da beizutreten.
    Offenbar kein Interesse der langen Geschichte angelsächsischer Intrigen, die das Land gerade wieder einmal verlieren lässt , einmal eine Ende zu setzen.

  2. Poseidon 1 sagt:

    Der exzeptionalistische Schaeferhund treibt und beisst die Herde zusammen.
    Die weltweiten Probleme lassen sich nur gemeinsam lösen.
    Di Ki wird ein "Token" ausgeben und dabei die Herrschenden disqualifizieren bis die Menschheitsfamilie gelernt hat sich zum Wohle aller selbst in Liebe zu beherrschen.

    https://youtu.be/uM2z60kDdZo?si=jEeuPiYOmxfqbtjN

    • Observator sagt:

      Die Exzeptionalisten gehören ja nicht zur Menschheitsfamilie. Deswegen sind sie ja Exzeptionalisten.
      Also nix da mit Liebe und so…
      Keiner der US-Präsidenten hat bis jetzt übermäßig Liebe ausgestrahlt… Und da gibt's noch das Pentagon und all die anderen. Auch nicht gerade von Liebe beherrscht.
      Naja…

    • Poseidon 1 sagt:

      Nee zur Zeit gehören sie nicht zur Herde.
      Sie haben ja die bedeutungsvolle Rolle der Hunde uebernommen.
      Aber das kann sich auch jeden Moment ändern.

  3. Observator sagt:

    So lange irgendwas, egal was, auf "Abschreckung", (militärischen) Vorteil, "Dominanz" und dergleichen beruht, wird's nie was.
    "Gerechter(er) (Welt)handel" ist an und für sich ein sinnloses Wortgebilde. Wenn ein Handel nicht gerecht ist, ist er auch keiner.
    Wie ich des Öfteren hier sagte, reicht es eigentlich aus, die "Regeln" oder Prinzipien, die im Privaten gelten, auch international einzuhalten und anzuwenden. Anstand, Respekt und Ehrlichkeit – mehr braucht man nicht.
    Der beidseitige Vorteil ist eine natürliche, eigentlich intrinsische, Folge davon.
    Der Klempner bekommt von mir Geld für seine Leistung. Die Entlohnung haben wir vorher verhandelt.
    Sein Vorteil – er kann mit meinem Geld einen Teil seines Lebensunterhalts bestreiten.
    Mein Vorteil – ich kann mein Leben auch glücklich mit einem wieder freien Abfluss genießen.
    Ob es um Rohstoffe, Technologie oder sonstwas geht und die Partner international sind, wo liegt da der Unterschied?
    Nur wenn es den "Exzeptionalismus" nicht gäbe…

    • Ursprung sagt:

      #Observator:
      "So lange irgendwas, egal was, auf "Abschreckung", (militärischen) Vorteil, "Dominanz" und dergleichen beruht, wird's nie was"

      Stimme Ihnen vollkommen zu. Gleiches gilt fuer mein Plardoyer zu meinem "Demokratie-Gemeinwohl". Aus identischen Gruenden.
      Die Antagonisten zu Exzeptionalismus und Hierarchie sind m.E. beides: Gemeinwohl und Demokratie.
      Mehr noch: Exzeptionalismus UND Hierarchie seien zugleich eine Art ins Krankhafte entgleiste Hirnunterfunktion nach Gerald Huether, der diesen Funktionsmamgel als nicht ausgeuebte Entfaltungsmoeglichkeit des Hirntieres Mensch versteht.
      Die aber jedezeit wieder per professioneller Anleitung und peinlichster Vermeidung jeden Hierarcherie-Ruches wieder getriggert werden koennte.

      Wir Menschen haben, so meine Interpretation und die vieler Praehistoriker erst in juengster Zeit, zwischen etwa vor 8 T Jahren bis etwa 1930 (in den letzten Sumatra-Hochtaelern) die 350 T Jahre waehrende erfolgreiche Tradition verloren, vielmals taeglich zwischen individueller Egopraegung und Gemeinwohl die passende Trennlinie zu ziehen.
      Mit dem Resultat, in heutiger Geistes-Verwirrung nicht mehr sofort erkennen zu koennen, was noch zur existenziellen Individualsicherung dient und was dem Gemeinwohl abtraeglich waere.

      Anders formuliert:
      unser eingebauter Kompass ist aus seiner Funktion geraten, anzuzeigen wo das toedliche Schadprogramm Exzeptionalismus und Hierarchie greift und diese Irrtuemer im taeglichen Leben dringend und permanent zu meiden.
      An sich eine der leichtesten Uebungen, auf welche alle unsere Hirne leicht anspringen koennten, da alle aus gleichem universiellem Naturgesetz erwachsen sind.

    • Observator sagt:

      "Gemeinwohl und Demokratie."

      Dies ist in ganz kleinen Gemeinschaften sicherlich möglich. Meistens auch stark religiös geprägt.
      Amish People, Mennoniten und ähnlich.
      Wobei, auch hier gibt es eine gewisse Hierarchie, (die Ältesten), die aber "echt demokratisch" anerkannt und angenommen wird.
      Wie in einem anderen Post erwähnt, ist mir keine völlig hierarchielose Gesellschaftsform bekannt. Auch nicht bei Naturvölkern. "Die Ältesten" werden um Rat oder um deren Urteil gebeten.
      Das ist auch kein Akt der "Unterwerfung" sondern basiert auf Akzeptanz und Vertrauen. Die Ältesten sind weise und erfahren und deren Rat, Urteil oder Meinung werden geschätzt. Hat auch mit Tradition zu tun.
      Diese Art des Zusammenlebens ist in "westlich" geprägten und vor allem in zahlenmäßig sehr großen Gesellschaften nicht nur nicht vorstellbar sondern schlicht nicht möglich.
      Trotzdem sind Respekt und Anstand, auch auf internationalem Niveau, wichtige Merkmale und Elemente eines zivilisierten Umgangs miteinander.

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