Der Fall Simon Rosenthal – Wieder kritische Kunst unter Volksverhetzungsverdacht

Ein Meinungsbeitrag von Eugen Zentner. 

Vor wenigen Wochen wurde der Autor CJ Hopkins in Berlin vom Kammergericht schuldig gesprochen. Sein Vergehen bestand darin, Fotomontagen mit Hakenkreuzen auf Masken getwittert zu haben, um das autoritäre Regierungshandeln während der Corona-Zeit zu kritisieren. NS-Kennzeichen sind in Deutschland jedoch verboten, wenn auch nicht für regierungstreue Periodika wie Der Spiegel oder Stern, die mit ihnen ungestraft hantieren können, solange sie sich gegen die AfD und Andersdenkende richten. Immerhin konnte zunächst auch Hopkins vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten einen Erfolg feiern. Von einer Verharmlosung des Nationalsozialismus könne nicht die Rede sein; die Gegnerschaft des Autors dazu sei klar erkennbar, hieß es in dem Urteil. Freispruch. Doch dieser wurde vom Kammergericht aufgehoben.  

Ein ähnliches Schicksal steht dem Bamberger Künstler Simon Rosenthal bevor. Wie Hopkins flatterte ihm im November 2022 ein Strafbefehl mit dem gleichen Vorwurf ins Haus. 50 Tagessätze à 65 € respektive 3.250 Euro – wegen einer Digitalcollage, mit der der Künstler angeblich Volksverhetzung betrieben haben soll. Rosenthal jedoch kritisierte mit seinem Werk ebenfalls den neuen autoritären Geist, der seiner Meinung nach in der Corona-Zeit an Deutschlands finsterste Zeiten erinnerte. Der Künstler aus Bamberg ist ein wacher, politisch engagierter Vertreter seiner Zunft, einer, der gesellschaftliche Missstände in seinen Werken thematisiert – pointiert und wenn es sein muss provokativ. Stilistisch bewegt er sich im Niemandsland, immer auf der Suche nach neun Ausdrucksformen. Im Laufe seines über 20-jährigen Schaffens sind Werke unterschiedlichster Art entstanden: Plastiken, Zeichnungen, Gemälde, Digitalcollagen. Seit 2019 produziert er überwiegend konzeptionelle Kunst. Dabei werden alle Medien verwendet. Die Technik steht im Dienst einer Aussage, die Idee als subjektive Weltwahrnehmung zieht die jeweilige Form des Kunstwerks nach. 

Als die Corona-Politik begann, wurde das Bedürfnis nach Ausdruck besonders groß. Rosenthal sah sofort, dass es sich nicht vorrangig um eine Gesundheitskrise handelte, sondern um einen „Synergien-Cluster“ im Rahmen des globalen Kapitalismus. Den Menschen sollte etwas verkauft werden. Das glücksverheißende Produkt bekamen sie schon bald präsentiert: den neu entwickelten mRNA-Impfstoff. Fortan wurde dieser als das Must-have angepriesen, an dem keiner vorbeigehen durfte. Das Vakzin war allgegenwärtig – in den Einkaufspassagen, in den Arztpraxen und vor allem in den Medien. Also suchte Rosenthal nach einer Metapher auf diese Marketing-Kampagne, nach einem Symbol, das weltweit so bekannt ist, wie es die Vakzin-Ampulle später sein würde.  

Er fand es ihn dem ikonischen Chanel-Flakon, dem am meisten verkauften Parfümfläschchen der Welt. In seiner ersten Arbeit füllte Rosenthal es mit giftgrüner Farbe, um auf eine der frühen Thesen zum Ursprung des Erregers hinzuweisen. Es handle sich um ein Laborvirus, lautete sie. Das Flakon nimmt darauf kreativ Bezug: Statt „Chanel No. 19“ heißt es „No. 19 Covid“. Darunter steht „Duft der Distanz und „Wuhan“, in chinesischen Schriftzeichen. Diesem Kunstwerk mit dem Titel „Chinavirus“ folgten Anfertigungen sogenannter Ländermutanten, Glasfläschchen mit indignierten Varianten aus Russland, Brasilien oder Indien. Nach und nach entstand eine ganze Flakon-Serie, die Rosenthal zusammen mit anderen kritischen Werken rund um das Corona-Thema von Oktober bis Ende November 2022 in der Wuppertaler Galerie Friedrich + Ebert präsentierte.  

Diese als „Sezession“ betitelte Ausstellung wurde überschattet von jenem Strafbefehl. Auslöser war die Parfümflasche „German Mutant“. Sie trug die die Aufschrift „O Covid“, in Frakturlettern das Wort „Berlin“ und schließlich den Satz „Impfen macht frei“. Mit der Arbeit bezog sich Rosenthal auf einen Tweet des CSU-Landtagsabgeordneten Thomas Huber vom 20. August 2021. „Wir sind auf einem guten Weg! Jetzt dürfen wir nur nicht unvorsichtig werden!“, lautete die Kurznachricht. Versehen war sie mit dem Hashtag #ImpfenMachtFrei. Zuvor hatte bereits Bayerns Ministerpräsident Markus Söder diese Wendung in abgewandelter Form gebraucht: „Impfen ist der Weg zur Freiheit“. Mit seinem Kunstwerk machte Rosenthal also auf den pervertierten Umgang mit dem Begriff Freiheit aufmerksam und kritisierte eine gewisse Geschichtsvergessenheit. In der Broschüre zur Ausstellung wird Rosenthal so zitiert:

„Wenn alle Zeichen in der Öffentlichkeit und Politik versammelt sind, die ich aufgrund meiner schulischen und universitären Bildung als Indikationen eines aufziehenden, totalitären Regimes erkennen muss – ist es dann nicht meine Pflicht, kraft der Noch-Gültigkeit des Grundrechtes der Kunstfreiheit – darauf hinzuweisen, dass die Gesellschaft auf einem solchen Weg ist, was sie scheinbar nicht erkennt oder verdrängt? Und ist nicht jene deutsche Geschichte des dritten Reiches das ewig gültige Eichmaß für eine solch unheilvolle Entwicklung, an das man hier erinnern muss, um der immer drastischeren, kollektiven Dynamik ein Memento entgegenzusetzen?“ 

Die Staatsanwaltschaft war für derlei Erklärungen nicht empfänglich. Sie sah in Rosenthals Kunstwerk einen klaren Ausdruck der Volksverhetzung. Dementsprechend dick trug sie im Strafbefehl auf:

„Die Phrase ‚Impfen macht frei‘ ist angelehnt an die Wendung ‚Arbeit macht frei‘. Diese wurde, wie Sie wussten, als zynische Toraufschrift an den meisten nationalsozialistischen Konzentrationslagern verwendet, u. a. in Auschwitz. Die Konzentrationslager, insbesondere das Lager in Auschwitz, stehen stellvertretend für die Verfolgung von Minderheiten während der nationalsozialistischen Diktatur, vor allem aber für die systematische und staatlich organisierte Deportation, Inhaftierung und Ermordung der europäischen Juden (Holocaust). Deshalb wird die Wendung ‚Arbeit macht frei‘ gemeinhin als Chiffre und Synonym für den Holocaust verstanden.“ 

Rosenthal legte gegen den Strafbefehl Widerspruch ein und hörte erst einmal zwei Jahre nichts. Also widmete er sich neuen Projekten. Eines trägt den wieder bewusst provokativen Titel „Heimatfront“ und ist inspiriert von der Grabenkunst aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als Soldaten in den Schützengräben aus Granathülsen Vasen und andere Gegenstände schufen. Ziel dieser Arbeit war es, den Krieg zu verdrängen. Rosenthal greift diesen Aspekt auf, wandelt ihn jedoch vor dem Horizont des Ukraine-Konflikts so um, dass seine Werke den Betrachtern die Kriegsmechanismen bewusst machen sollen, bevor Europa in einem nach wie vor möglichen Dritten Weltkrieg versinkt. „Heimatfront“ beschäftigt sich also mit der Frage, wie über kognitive Kriegsführung die Zivilbevölkerung in die Kriegsvorbereitung einbezogen wird, und unternimmt den Versuch einer Immunisierung durch Aufklärung. Der Begriff „Heimatfront“ wird somit umgedeutet in den Kampf um die geistige Heimat des Künstlers – die des Humanismus.  

Die Ausstellung von Rosenthals „Grabenkunst“ hat erst kürzlich ihre Tore geöffnet und ist bis zum 17. November in der Wuppertaler Galerie Friedrich + Ebert zu sehen. Während die Besucher dort behelmte Styropor-Köpfe, Batik, Zeitungscollagen und Lichtkunst betrachten, bereitet sich der Künstler auf den 29. Oktober vor. Mittlerweile hat er ein weiteres juristisches Schreiben bekommen und ist wegen jenes inkriminierten Flakon-Kunstwerks zur Hauptverhandlung beim Amtsgericht Bamberg vorgeladen worden. Dort wird es sich zeigen, ob der Richter genauso entscheidet wie im Falle CJ Hopkins – oder die eigentliche Botschaft erkennt.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Matryoha / shutterstock

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