Die absteigende Hegemonialmacht USA gegen die aufsteigende Regionalmacht Iran

von Petra Wild.

Seit dem Amtsantritt der Trump-Administration betreiben die USA eine deutlich aggressivere Außenpolitik gegenüber dem Iran.  Bereits während seines Wahlkampfes hatte Donald Trump den Iran dämonisiert und das Atomabkommen mit ihm als „schlechtesten Deal aller Zeiten“ bezeichnet.

Am 13. Oktober weigerte sich US-Präsident Donald Trump erstmals gegenüber dem Kongress, die alle drei Monate erforderliche Bestätigung abzugeben, dass der Iran sich an das 2015 abgeschlossene Atomabkommen halte. Da die Internationale Atomenergiebehörde IAEA kontinuierlich bestätigt, dass der Iran alle seine Verpflichtungen erfüllt, rückte Trump das Raketenprogramm und die regionale Rolle des Irans in den Vordergrund, die gegen den Geist des Abkommens verstießen. Der Kongress hat nun zwei Monate Zeit, über neue Sanktionen zu entscheiden.

Trump fordert eine Neuverhandlung des Abkommens sowie die Inspektion iranischer Rüstungsbetriebe. Beides wird vom Iran kategorisch abgelehnt.

Unterstützung finden die USA vor allem bei ihrem engsten regionalen Verbündeten Israel, das Grund hat über die gewachsene Stärke des Iran besorgt zu sein. Am 19. Oktober machten beide Staaten die  Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum Thema Nahost zu einer Bühne der Stimmungsmache gegen den Iran. Sie beschuldigen den Iran, „den Terrorismus“ zu unterstützen und die Region zu destabilisieren. Es sind dieselben Vorwürfen, die seit dem Sturz des Schahs 1979 von beiden Staaten kontinuierlich gegen die Islamische Republik erhoben werden.

Dabei spielen der Iran, die Hizbollah und andere schiitische Milizen eine Hauptrolle im Krieg gegen den „Islamischen Staat,“ die lokalen Ableger von al-Qaeda und andere wahhabitische Gruppen im Irak und Syrien.

Die langandauernde Feindseligkeit der USA gegen den Iran  

Seit dem Sturz des Schahs 1979 haben die USA mit den unterschiedlichsten Mitteln versucht, die Islamische Republik zu Fall zu bringen. Sie unterstützten den Krieg des Irak gegen den Iran 1980-1988, vernichteten in einem direkten Angriff 1988 ein Viertel der iranischen Marine, unterstützten bewaffnete Gruppen im Iran, unternahmen Cyberattacken und verhängten Sanktionen. Immer wieder drohten sie mit Krieg. In den 2000er Jahren war der Anlass dazu das iranische Atomprogramm, das sie um jeden Preis verhindern wollten. Der Iran hat es mit einer klugen Mischung aus Zurückweichen und Herausforderung vermocht, an seiner Politik festzuhalten, ohne dafür den Preis eines militärischen Angriffs zahlen zu müssen. Kontinuierlich hat er seine politische und militärische Stärke ausgebaut. Dass es trotz der kriegerischen Rhetorik der USA und Israels in den 2000er Jahren nicht zum Krieg gegen den Iran kam, lag daran, dass der Iran schon zu stark geworden war, so dass ein Krieg als zu riskant eingeschätzt wurde. Nur deswegen ließen sich die USA auf eine diplomatische Lösung des Atomstreits ein. 2015 unterzeichneten die P5-Staaten (die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates plus die BRD) in Wien ein Atomabkommen mit dem Iran. Dieses sieht vor, dass der Iran sein Atomprogramm massiv zurückfährt und im Gegenzug dazu die Sanktionen aufgehoben werden.

Die größte Quelle der Destabilisierung der Region sind die USA und ihre engsten Verbündeten Israel und Saudi-Arabien 

Es ist wahr, dass die arabische Region extrem instabil ist, aber das ist nicht die Folge der iranischen Politik, sondern der US-amerikanischen. Noam Chomsky bezeichnete den US-Krieg gegen den Irak 2003 zu Recht als den größten destabilisierenden Faktor in der arabischen Welt. „Dank dieser Invasion,“  schrieb Chomsky, „wurden 100.000de getötet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht; barbarische Akte der Folter wurden begangen – die Iraker haben die Zerstörung mit der Mongoleninvasion im 13. Jahrhundert verglichen – und machte den Irak, einer Umfrage von WIN/Gallup zufolge, zum unglücklichsten Land der Welt.  Derweil wurde ein konfessionalistischer Konflikt entfacht, der die Region zerreißt und die Basis schuf für das Monstrum ISIS. Und all das wird ‚Stabilisierung‘ genannt.“[1]

Auch die engsten regionalen Verbündeten der USA tragen zur Destabilisierung der Region bei. Israel hat in den letzten 11 Jahren vier Kriege gegen den Libanon (2006) und den Gaza-Streifen geführt (2008/9, 2012, 2014).

Saudi-Arabien ist nicht nur die ideologische Inspiration wahhabitischer Terrororganisationen, sondern hat diese auch materiell und finanziell unterstützt. Durch seine konfessionalistische Rhetorik fördert es einen konstruierten sunnitisch-schiitischen Konflikt in der muslimischen Welt. Weltweit finanziert es zudem extreme salafistische Strömungen. Seit März 2015 führt Saudi-Arabien einen brutalen Krieg gegen den benachbarten Jemen, um den 2014 gestürzten pro-saudischen Präsidenten wieder einzusetzen. Dem Krieg fielen bisher Zehntausende von Menschen zum Opfer, größtenteils Zivilisten. Saudi-Arabien und sein Verbündeter die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) bombardieren mit Unterstützung der USA und Großbritannien wahllos die Zivilbevölkerung und haben eine Blockade verhängt, die dazu geführt hat, dass 17 Millionen Menschen hungern. Kriegsbedingt ist außerdem die Cholera ausgebrochen, die von Oxfam als die größte Cholera-Epidemie seit dem Ende des 2. Weltkrieges bezeichnet wird.[2]

Die Houthis, die von Trump als Aggressoren und Deckmantel für die iranischen Revolutionsgarden bezeichnet werden, sind im Gegenteil – neben anderen Kräften – die Verteidiger des Landes.

Die absteigenden Hegemonialmacht USA gegen die aufsteigende Regionalmacht Iran

Bei dem Vorwurf, der Iran destabilisiere die Region, geht es in Wirklichkeit darum, dass die USA und ihre regionalen Verbündeten gegenüber dem Iran und dessen Verbündeten ins Hintertreffen geraten sind. Die USA verlieren zunehmend an Einfluss in der arabischen Welt, deren „vitale Bedeutung“ für die USA ein Prinzip amerikanischer Außenpolitik seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist. Der Iran hingegen ist mittlerweile zu einer Regionalmacht aufgestiegen, die maßgeblich dazu beiträgt, die US-Hegemonie in der Region zu untergraben.

Die Erfahrung der Kriege der USA in der  arabischen und weiteren muslimischen Welt seit Beginn der 2000er Jahre hat gezeigt, dass die Zeiten, in denen sie ihre Interessen ohne weiteres mit Gewalt durchsetzen konnten, vorbei sind.[3] Es gibt mittlerweile eine starke, gut organisierte, militärisch ausgebildete und ausgerüstete Achse des Widerstands gegen die US-Dominanz und den zionistischen Siedlerkolonialismus, die im Kern aus dem Iran, Syrien, der Hizbollah, den Houthis und irakischen Milizen besteht.

Die Versuche der USA, die arabische Welt unter ihre vollständige Kontrolle zu bringen und ihren Interessen gemäß neu zu ordnen, sind in den vergangenen 20 Jahren zweimal gescheitert.

Der erste Versuch der Neuordnung der Region begann Anfang der 2000er Jahre. Innerhalb von fünf  Jahren sollten in sieben Ländern die Regierungen gestürzt und durch pro-amerikanische ersetzt werden.[4] Der Irak-Krieg von 2003 war der Auftakt dazu. Doch das „Greater Middle East“_Projekt scheiterte an der ungeheuren Stärke des irakischen Widerstands gegen die US-Besatzung Mitte der 2000er Jahre sowie dem Sieg der Hizbollah im Krieg mit Israel im Sommer 2006, der als Vorbereitung für einen Krieg gegen den Iran verstanden worden war.

Der zweite Versuch begann mit direkt nach dem Ausbruch der arabischen Aufstände Ende 2010/Anfang 2011. Die USA und andere westliche sowie arabische Staaten versuchten, die Aufstände in den unliebsamen Ländern Syrien und Libyen, die als genuine Erhebungen gegen repressive Regime begonnen hatten, umzudrehen und für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Auch das scheiterte. Statt innerhalb weniger Monate zu fallen, wie US-Strategen es erwartet hatten, vermochte sich das syrische Regime durch sechs Jahre Krieg hindurch zu halten. Statt zum Sturz des Regimes, führte der  Verlauf des Krieges in Syrien zu einer Schwächung der USA und ihrer regionalen Verbündeten und zu einer Stärkung der Achse des Widerstands.

Die Kräfteverhältnisse in der Region haben sich verändert. Neben den USA – unangefochtene Hegemonialmacht in den 1990er und 2000er Jahren – gibt es nun mehrere Mächte, die um die Neuordnung der Region und ihren Platz darin kämpfen. Zur neu aufgestiegenen Regionalmacht Iran kommt Russland hinzu, das durch sein militärischen Eingreifen in Syrien eine neue Machtposition in der arabischen Welt gewonnen hat.

Dass der Einfluss Russlands zunimmt und der der USA abnimmt, zeigte sich zuletzt daran, dass der saudische König Salman im Oktober nach Moskau reiste, um die Beziehungen zu Russland zu verstärken. Das Königreich Saudi-Arabien war sieben Jahrzehnte lang aufs Engste mit den USA verbündet, die die Sicherheit des Königshauses nach innen und außen garantierten. Mittlerweile hat Saudi-Arabien Zweifel an der Fähigkeit der USA, die Führungsmacht in der Region zu bleiben. Wie berichtet wurde, beabsichtigt Saudi-Arabien das russische S400-Abwehrsystem zu kaufen – der erste Erwerb eines nicht-westlichen Waffensystems in über einem Jahrzehnt – und große Investitionen in Russland zu tätigen.[5]

Die absteigende Hegemonialmacht USA versucht, dem zunehmende Machtverlust durch Eindämmung des Irans Einhalt zu gebieten. Es zeichnet sich bereits ab, dass der Iran, weiteren Eskalationen der USA nicht tatenlos zusehen wird. Bereits in der Vergangenheit hat es mit einer Tit- for-tat-Strategie an einigen Punkten für ein Zurückweichen der USA gesorgt. So rückte die US-Administration wiederholt von der Ankündigung ab, die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) zur terroristischen Organisation zu erklären. Als das Anfang Oktober erneut angekündigt wurde, erklärte der Kommandant der Iranischen Revolutionsgraden Muhammad Ali Jafari am 8. Oktober: „Wenn die Meldung zutrifft über die Dummheit der amerikanischen Regierung, die Revolutionsgarden als terroristische Gruppe zu betrachten, dann werden die Revolutionsgarden die amerikanische Armee in der ganzen Welt, besonders im Nahen Osten,  als so etwas wie Daesh („Islamischer Staat“) betrachten.“[6]

Das war eine deutliche Warnung an die Adresse der USA und die bislang offensivste Drohung in der Geschichte des seit vier Jahrzehnten andauernden Konflikts zwischen dem Iran und den USA. Jafari riet den USA auch, für diesen Fall, seine Truppen aus dem Gebiet, das in der 2000 km-Reichweite iranischer Raketen stationiert sind, abzuziehen. Falls die USA weitere Sanktionen verhängen, wird der Iran im Gegenzug sein Raketenprogramm intensivieren und je nachdem auch sein Atomprogramm wieder aufnehmen.

Eine derart eskalierende Dynamik könnte zu einer militärischen Konfrontation führen, die nicht auf den Iran beschränkt bleiben würde.[7]

Dass die USA daraus als Gewinner hervorgehen würden, ist mehr als unwahrscheinlich. Ein verlorener Krieg würde den Niedergang der Weltmacht USA beschleunigen.

Quellen

[1]: Kelly, Kathy, Wrongful Rhetoric and Trump’s Strategy on Iran, Counterpunch, 17.10.2017
[2]: Aljazeera, Yemen’s Cholera Epidemic is worst on Record: Oxfam, 21.7.2017
[3]: Vgl. Walt, Stephen W., The End of the American Empire, Informationclearinghouse, 26.20.2011
[4]: Conason, Joe, “Seven Countries in five Years”, Salon, 12.10.2007
[5]: Abedin, Mahan, Saudi Arabia’s Outreach to Moscow underlines Loss of US Influence, Middle East Eye, 11.10.2017
[6]: Shahidsaless, Shahir, Trump’s Iran Policy might result in another War in the Middle East, Middle East Eye, 10.10.2017
[7]: ebenda

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Petra Wild ist Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Widerstand und Revolution in der arabischen Welt. Sie ist Autorin der Bücher „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ (Wien, 2013) und „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas“ (Wien, 2015)

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