Eine milliardenschwere PR-Kampagne bemüht sich um die Vertuschung des Genozids im Jemen.
Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
von Rubikons Weltredaktion.
Die humanitäre Krise im Jemen bekommt in den Medien nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Deshalb veröffentlichen wir hier einen schon etwas älteren Text zum „YCHO“, dem Plan zur „umfassenden humanitären Hilfe im Jemen“, der genau das eben nicht ist. Dan Glazebrook untersucht darin die Rolle des „Jemen-Quartetts“ – Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, die USA und Großbritannien – in dieser schlimmsten humanitären Katastrophe seit Mitte des letzten Jahrhunderts.
Die 1,5-Milliarden-Dollar-Kampagne zur Vertuschung des Völkermordes im Jemen
von Dan Glazebrook.
Hungersnot, Cholera, Diphtherie
„Die Situation im Jemen, heute, in diesem Moment“, erklärte UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock im April gegenüber Al Jazeera, „sieht für die dortige Bevölkerung wie die Apokalypse aus.“
Man geht davon aus, dass im letzten Jahr im Jemen 150.000 Menschen verhungert sind – alle zehn Minuten starb ein Kind an Hunger oder vermeidbaren Erkrankungen, alle zwei Minuten geriet ein Kind in den Zustand extremer Mangelernährung. Das Land erlebt die weltweit schlimmste Cholera-Epidemie seit Beginn der Aufzeichnungen – eine Million haben sich bereits angesteckt – und laut Lowcock wird sich auch die neu aufgetretene Diphtherie-Epidemie „wie ein Buschfeuer ausbreiten. (…) Wenn sich die Umstände nicht ändern“, schloss er, „werden wir die furchtbarste humanitäre Katastrophe der letzten 50 Jahre erleben.“
Die Rolle der von Saudi-Arabien angeführten Koalition – Chaos und Vernichtung
Der Grund dafür ist wohlbekannt: die Bombardierung und Blockade des Landes durch die von den Saudis angeführte Koalition – mit der vollen Unterstützung der USA und Großbritanniens – hat mehr als 50 Prozent der Gesundheitsinfrastruktur des Landes zerstört, zielte auf Wasserentsalzungsanlagen, dezimierte Transportrouten und brachte den Import lebenswichtiger Güter zum Erliegen – während die Regierung, statt all diese Strukturen wiederherzustellen, landesweit die Entlohnung der Mehrheit aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingestellt hat.
Dies hat zur Folge, dass Müll nicht mehr abtransportiert wird, Kläranlagen zusammenbrechen und eine Krise im öffentlichen Gesundheitswesen ausgebrochen ist. Weitere acht Millionen Menschen wurden von sauberem Wasser abgeschnitten, als die von den Saudis angeführte Koalition letzten November alle Ölimporte blockierte, was zur Schließung von Pumpstationen führte. Shane Stevenson, Oxfams Landesdirektor im Jemen, merkte damals an, dass „die Menschen im Jemen schon durch Hunger in die Unterwerfung gezwungen werden – wenn die Blockade nicht bald aufgehoben wird, wird ihnen auch noch das Trinkwasser genommen werden. Millionen von Menschen in einem Land, das bereits die weltweit größte Cholera-Epidemie erlebt und am Rande einer Hungersnot steht, das saubere Wasser wegzunehmen, wäre ein Akt äußerster Barbarei.“
Seitdem haben sich die Dinge weiter verschlimmert. Ende Januar wurden Treibstoffimporte über den wichtigsten Hafen des Landes, Hudaida, noch immer blockiert, was zu einem weiteren Anstieg der Cholerafälle führte. Am 23. Januar berichtete die UN, dass 22,2 Millionen Jemeniten humanitäre Unterstützung benötigen – 3,4 Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Davon waren acht Millionen kurz vor dem Verhungern – eine Million mehr als 2017.
Das ist nicht wirklich überraschend, wurden doch die Bombardierungen sowie die Blockade in den letzten Monaten intensiviert. Ende letzten Jahres wurden fast einen Monat lang alle Importe über den Hafen in Hudaida, über den normalerweise 70 Prozent aller Importe ins Land gelangen, durch die Koalition blockiert.
Zudem sind seit dem Tod des früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh am 4. Dezember letzten Jahres die Luftangriffe verstärkt worden – mit nun fast täglichen Massakern. Am 9. Februar berichtete die UN, dass wegen „aufflammender Gewalt“ innerhalb von zehn Wochen 85.000 Menschen vertrieben worden waren – vor allem an der Küste des Roten Meeres, wo die Koalition einen neuen Angriff zur Einnahme des strategisch wichtigen Hafens von Hudaida startete.
Mit dem Start einer neuen Phase der Angriffe in Hudaida war abzusehen, dass der Krieg gegen die Bevölkerung Jemens weiter eskalieren würde. Seit Beginn dieser neuen Phase im letzten Dezember hatten die Koalition und ihre jemenitischen Agenten mehrere Kleinstädte und Dörfer in der Provinz eingenommen und sich darauf vorbereitet, die Stadt selbst anzugreifen. Am 20. Februar berichtete die Zeitung „The National“ aus den Emiraten von „einer Verlegung weiterer Streitkräfte nach Hudaida, da dort in den folgenden Tagen eine neue Front durch Generalmajor Tariq Mohammed Abdullah eröffnet werde“, einem Neffen des verstorbenen früheren Präsidenten Ali Abdullah Saleh.
Dieser Angriff würde den wichtigsten Hafen des Landes, das nahezu vollständig von Importen abhängig ist, für Monate außer Betrieb setzen und somit Millionen zum Tode verurteilen. „Wenn dieser Angriff durchgeführt wird“, sagte Oxfams Vorstandsvorsitzender Mark Goldring gegenüber der Presse, als eine ähnliche Attacke früher im selben Jahr vorgeschlagen worden war, „wird dies einen vorsätzlichen Zusammenbruch der Lieferung lebensnotwendiger Güter darstellen. Die von den Saudis angeführte Koalition wird dann nicht nur humanitäres Völkerrecht brechen, sondern sich der Verursachung einer so gut wie sicheren Hungersnot schuldig machen.“ Seine Kollegin Suze Vanmeggan fügte hinzu, dass „jeder Angriff gegen Hudaida das Potential hat, eine bereits alarmierende Krise in ein völliges Horror-Szenario zu verwandeln – und ich übertreibe hier nicht.“
Das „Jemen-Quartett“: Koordinierung der Strategien der Hauptaggressoren
Es besteht kein Zweifel daran, dass die britischen und US-amerikanischen Aufpasser diese Eskalation abgesegnet haben. Ende 2016 wurde das „Jemen-Quartett“ gebildet, dem die USA, Großbritannien, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate angehören und das die Strategie der vier Hauptaggressoren des Konfliktes koordiniert.
Im Jahre 2017 trafen sich die Mitglieder nur gelegentlich, gegen Ende des Jahres jedoch wurden die Treffen häufiger und fanden auf höherer Regierungsebene statt. Ende November 2017, kurz vor Beginn der Offensive in der Hudaida Provinz, lud Boris Johnson zu einem Treffen des Quartetts in London, während sich Theresa May gleichzeitig mit König Salman in Riad traf – wahrscheinlich um ihre Genehmigung zur Durchführung dieser neuen Runde von Verheerungen für die belagerte jemenitische Bevölkerung zu erteilen.
Die vier Parteien trafen sich zwei Wochen später sowie am 23. Januar 2018 erneut – wieder auf Betreiben Johnsons. An diesen Treffen nahm erstmals auch Rex Tillerson teil. Das „ökonomische Quartett“, an dessen Treffen auch Funktionäre des IWF und der Weltbank teilnahmen, versammelte sich am 02. Februar 2018 in Saudi-Arabien, während sich Johnson und Tillerson erneut mit ihren Amtskollegen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten am 15. Februar in Bonn trafen, um die Lage im Jemen zu besprechen.
Selbstverständlich wird auf solchen Treffen nicht das Klein-Klein der strategischen Kriegsführung organisiert – das übernehmen die Beamten in den Militär- und Nachrichtendiensten. Der Zweck solcher Runden auf hoher Ebene ist eher, dass jede beteiligte Partei den anderen demonstriert, bei allen strategischen Planungen den Segen der jeweiligen Regierungen auf höchster Stufe zu haben. Dass sich das „Quartett“ nur wenige Tage vor der Ankündigung getroffen hatte, dass ein lang geplanter Angriff auf Hudaida bevorstand, spricht Bände über die Komplizenschaft der USA und Großbritanniens in diesem neuen vorsätzlichen Kriegsverbrechen.
„Umfassende humanitäre Hilfe im Jemen…”
Diese militärischen und humanitären „Entwicklungen“ (wenn man so ein Wort überhaupt auf die vorsätzliche Zerstörung des Lebensstandards eines Landes anwenden kann) bilden die Kulisse für die Ankündigung der Saudi-geführten Koalition am 22. Januar, eine „beispiellose Hilfsaktion für die Bevölkerung Jemens“ durchführen zu wollen.
Der YCHO-Plan – “Yemen Comprehensive Humanitarian Operations” („Umfassende Humanitäre Hilfe im Jemen“) – ist ein neues „Hilfs“-Programm mit dem vorgeblichen Ziel, „Hilfs-Defizite anzugehen und gleichzeitig Kapazitäten für eine langfristige Verbesserung humanitärer Hilfen und des Imports von Handelswaren in den Jemen zu schaffen“, hauptsächlich durch eine Steigerung der „Kapazitäten von Häfen im Jemen, humanitäre sowie kommerzielle Importe aufzunehmen“ – und dies alles mit kolossalen 1,5 Milliarden an Hilfszahlungen. Was sollte daran auch falsch sein?
…und warum der Hilfsplan kein Hilfsplan ist…
Das Problem ist hier nicht nur, dass es laut Schätzungen der UN etwa doppelt so viel an Mitteln bedürfte, um den durch die von Saudi-Koalition verursachten Bedarf zu decken. Das tatsächliche Problem ist, dass dieser Plan in Wirklichkeit die Importe, von denen der Jemen so ganz und gar abhängt, nicht steigern, sondern sogar weiter reduzieren wird. Der Grund dafür ist, dass die viel gepriesenen „Verbesserungen der Hafenkapazitäten“ nur auf jene Häfen zutreffen werden, die von der Koalition kontrolliert werden.
Ausgeschlossen sind damit die Häfen außerhalb ihrer Kontrolle, wie Hudaida und Saleef, obwohl sie zusammen etwa 80 Prozent der Importe in den Jemen umschlagen. Für diese unabdingbar wichtigen Häfen sieht der Plan ausdrücklich eine Verminderung der Importe vor und zwar um etwa 200 Tonnen pro Monat im Vergleich zu Mitte 2017.
Ja, Sie haben richtig gehört: Die Frachtgutmengen von Mitte 2017, als täglich 130 Kinder wegen der bereits bestehenden Import-Einschränkungen an Mangelernährung und anderen vermeidbaren Krankheiten starben, sollen nun weiter erheblich verringert werden.
…sondern nur die Interessen der Koalition bedient…
Dieser Plan ist nichts weniger als eine Systematisierung der Hungerpolitik, derer die Saudis wegen ihrer Schließung der Häfen von Hudaida und Saleef vom UN-Expertengremium für den Jemen beschuldigt wurden.
Der abschließende Bericht dieses Expertenteams merkte damals an, dass alle Häfen Jemens nach einem Raketenangriff der Huthi auf den Flughafen in Riad geschlossen worden waren. Während jedoch koalitions-kontrollierte Häfen schnell wieder geöffnet wurden, blieben jene von Hudaida und Saleef über Wochen geschlossen. „Dies führte dazu“, so das Gremium, „dass die Androhung einer Hungersnot als Kriegsinstrument eingesetzt wurde.“
Heute sieht der Plan für „Umfassende Hilfsleistungen“ vor, dass ein vorsätzliches Aushungern der Menschen in von den Huthi kontrollierten Gebieten (in denen der Großteil der Bevölkerung lebt) dauerhaft „großzügigen“ Hilfsleitungen für koalitions-kontrollierte Gebiete gegenüberstehen soll. Diese „Methoden der Barbarei“ haben die Briten bereits im Burenkrieg angewandt – als von den Buren kontrollierte Gebiete einer Politik der verbrannten Erde unterworfen wurden, im Zuge derer Farmen angezündet und Viehbestände massakriert wurden. In den Kolonialkriegen Großbritanniens in Malaya (heute West-Malaysien, Anmerkung der Übersetzerin), Kenia und sogar im Jemen wurden diese Methoden in den 1950er und 1960er Jahren wiederbelebt. Kein Wunder, dass Großbritannien heute so tief in die Angelegenheit verwickelt ist.
Eine solche Strategie kann man in der heutigen Zeit jedoch nicht mehr so leicht verkaufen. Den Saudis jedenfalls scheint das klar zu sein – wahrscheinlich haben sie deswegen eine ganze Riege der berüchtigtsten PR-Agenturen der Welt eingestellt, die ihnen dabei unter die Arme greifen sollen.
Gezielte Tatsachenverdrehung
Bemerkenswerte Recherchen der Nachrichtenagentur IRIN ergaben, dass „die Pressmitteilung, in der den Journalisten der YCHO-Plan angekündigt wurde, weder von der Koalition selbst herausgegeben wurde noch von saudischen Verantwortlichen für Hilfsleistungen – sie kam direkt von einer britischen Werbeagentur, zusammen mit der Einladung, den Jemen zu besuchen.“ Besagte Agentur ist Pagefield Global Counsel, eine der Folgefirmen des in Ungnade gefallenen PR-Riesen Bell Pottinger, von dem man 20 Mitarbeiter übernommen hatte.
Die Untersuchung hat auch ergeben, dass die Powerpoint-Präsentation zur Vorstellung des YCHO-Plans vor hohen UN-Beamten von Nicholas Nahas fabriziert wurde, einem Angestellten von Booz Allen Hamilton, einer US-amerikanischen Unternehmensberatung, die schon lange direkte Verbindungen zum US-Staat unterhält – unter anderem durch eine Beteiligung an den illegalen Massenüberwachungsprogrammen SWIFT und PRISM. Booz Allen Hamilton präsentiert laut IRIN gegenwärtig „35 Stellenangebote in Riad auf ihrer Website – unter anderem für ‚militärische Planer‘ mit folgender Stellenbeschreibung: ,Das Ausführen militärischer und planerischer Beratungstätigkeit sowie die Bereitstellung von Expertise für die Koordination gemeinsamer Operationen zur Gefahrenbekämpfung durch Koalitionsländer sowie Unterstützung beim Resourceneinsatz für Operationen.‘“
Ein anderes PR-Unternehmen, das am „Schönfärben“ des YCHO beteiligt ist und schon lange auf der Gehaltsliste der Saudis steht, heißt Qorvis MSLGROUP. Laut IRIN hat Qorvis „in den zwölf Monaten vor September 2017 Einkünfte von mehr als sechs Millionen Dollar durch die saudi-arabische Botschaft verbucht“.
Diese Meister der Meinungsmache waren richtig fleißig: Ihre Ausarbeitungen zum YCHO gelangten in „die Büros großer internationaler Nichtregierungsorganisationen in Großbritannien sowie zu Mitgliedern des britischen Parlaments“ und YCHO-Konten wurden bei Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und GMail eingerichtet.
Der Twitter-Account von YCHO hat etwa 10.000 Follower. Laut der Untersuchung haben jedoch „fast die Hälfte dieser Follower selbst weniger als 10 Follower und etwa 1000 Konten wurden 2016 an ein und demselben Tag eingerichtet. Das weist darauf hin, dass eine beträchtliche Anzahl von Bots oder Fakes die Beliebtheit des YCHO übertreibt“.
„All dies“, folgert IRIN, „hat den Verdacht erhärtet, dass der Plan weniger darauf abzielt, den Menschen im Jemen wirklich zu helfen, als vielmehr das Thema ,Hudaida‘ zu beschönigen und Saudi-Arabiens beschädigtes Image wieder aufzuwerten oder zumindest ein wenig von beidem.“
Man könnte meinen, dass eine Strategie, die darauf ausgelegt ist, die weltweit am stärksten unter Hunger leidende Bevölkerung weiter auszuhungern, schwer zu verkaufen ist. Aber Geld regiert nicht nur – es bringt auch zum Schweigen. Und 1,5 Milliarden sind eine Menge Geld.
Auch die UN hat einen „Humanitären Hilfsplan“ für den Jemen erarbeitet
Der UN-eigene „Humanitäre Hilfsplan“ für den Jemen, am 20. Januar und somit zwei Tage vor dem YCHO-Plan erlassen, hatte angemerkt, dass „der Hafen von Hudaida, auf den 70 bis 80 Prozent der Handelsimporte des Jemen entfallen, eine entscheidende Lebensader ist – selbst jetzt, da er seit August 2015 aufgrund eines Luftangriffs nur noch mit verminderter Kapazität arbeitet“. Nur „die Ausweitung der Blockade der Häfen von Hudaida und Saleef am 6. November gefährdet diese lebenswichtige Versorgung der Jemeniten“.
Und weiter: „Nur eine dauerhafte Einfuhr lebensnotwendiger Güter kann eine Verschlimmerung der Katastrophe abwenden“. Und trotzdem hat die klamme UN, konfrontiert mit dramatischen Budget-Kürzungen vonseiten der Trump-Regierung und weil sie möglicherweise den Cash-Flow aus Saudi-Arabien und den Emiraten nicht gefährden will, die Ankündigung des YCHO-Plans offiziell gutgeheißen, obwohl in dieser ganz klar der Wille zur Verschärfung der Blockade der Häfen von Hudaida und Saleef zum Ausdruck kommt – welche die UN nur Tage vorher verurteilt hatte.
Kritik am „YCHO“ durch NGOs und Hilfswerke
Glücklicherweise haben sich die Hilfsorganisationen offenbar nicht täuschen lassen. In einer gemeinsamen Stellungnahme einiger internationalen Nichtregierungsorganisationen zum YCHO, darunter Oxfam und Save the Children, erklärten diese:
„Wir sind noch immer besorgt darüber, dass die Blockade der Häfen am Roten Meer nicht zur Gänze aufgehoben wurde wie auch darüber, dass nicht genügend Treibstoff die Häfen erreicht. Das hat zu einem Anstieg der Preise für Güter des Grundbedarfs im ganzen Land geführt. In der Folge leiden Familien an vermeidbaren Krankheiten und einer Hungersnot, weil sie sich weder Nahrungsmittel noch sauberes Wasser leisten können. Am Hafen von Hudaida kommt ein Großteil der Landesimporte an und ist unersetzbar. Es ist wichtig, dass die Kriegsparteien sich dazu verpflichten, den Hafen von Hudaida offen und funktionsfähig zu halten, einschließlich eines ungehinderten Zuganges für humanitäre Hilfe und kommerzielle Waren.“
Caroline Anning von Save the Children erklärte, dass der Plan „ein Trugschluss ist – es wird damit geworben, dass die Blockade rund um den Hudaida-Hafen vollkommen aufgehoben wurde; was aber tatsächlich vor sich geht, ist eine Blockade der Einfuhr von Treibstoff, die einen wirklich furchtbaren Domino-Effekt im ganzen Land nach sich zieht. (…) Wenn sie nun versuchen, die Lieferung wesentlicher Handelsgüter über andere Häfen wie Aden, Jazan und Saudi-Arabien laufen zu lassen und den Hafen von Hudaida abschotten, könnte dies auch sehr problematisch sein – es würde auch bedeuten, dass wieder eine der Kriegsparteien die Kontrolle über Lieferungswege besitzt (…) die Verbesserung des humanitären Zugangs ist wirklich wichtig und genau das war immer eine riesengroße Herausforderung. In Wirklichkeit wird aber auch das den humanitären Konflikt im Jemen nicht lösen. Wir erleben einen Anstieg der Gewalt, landesweite Luftangriffe in den vergangenen Monaten, tägliche Ermordung von Zivilisten, den dauernden Beschuss lebenswichtiger Infrastruktur wie zum Beispiel Krankenhäuser. Während all dies geschieht und die Wirtschaft zusammenbricht und Löhne im öffentlichen Sektor nicht gezahlt werden, wird die humanitäre Krise weitergehen“.
Und die vernichtende Erwiderung des International Rescue Committee (IRC), veröffentlicht unter dem Titel “Yemen: Saudi ‘aid’ plan is war tactic” („Jemen: Saudis „Hilfs“-Plan ist Kriegstaktik“), ist es wert, wörtlich zitiert zu werden:
„Der YCHO-Plan, der am 22. Januar 2018 vorgestellt wurde, ist weder umfassend, noch lässt er klare, gemeinsam vertretene humanitäre Schwerpunkte erkennen (…) Indem er versucht, die Kontrolle über Zugänge und Transitpunkte zu festigen, politisiert der YCHO Hilfsleistungen. Statt einen Plan zu unterstützen, der ohne breite Beteiligung humanitärer Akteure entstanden ist, sollten die von den Saudis angeführte Koalition und ihre Unterstützer, vor allem die USA und Großbritannien, an der Umsetzung des bereits existierenden UN-Plans für humanitäre Hilfe arbeiten.“*
„Schon der Name ist irreführend: der Plan ist weder umfassend noch besonders humanitär“, sagt Amanda Catanzano, Seniorchefin für Strategie und Interessenvertretung beim International Rescue Committee. „Die von Saudi-Arabien angeführte Koalition bietet ihre finanzielle Hilfe bei der Beseitigung einer Krise an, die sie selbst mitgeschaffen hat. Die akute Krise im Jemen erfordert mehr als einen sich offensichtlich auf Logistik beschränkenden Plan mit humanitären Hilfsleistungen, die nichts als symbolische Gesten sind.“
Das IRC listet auch eine Anzahl von „Warnsignalen“ zu dem Plan auf – zuallererst die Tatsache, dass er die Blockade nicht beenden wird. „Wäre es den Saudis ernst mit der Bekämpfung der humanitären Krise, wäre der sinnvollste Schritt, die Blockade dauerhaft aufzuheben. Was sie und die Völkergemeinschaft umgehend tun sollten.“ Zudem, so das IRC, „gefährdet der YCHO den humanitären Zugang in höchstem Maße und bedroht damit das Leben von weiteren Millionen Zivilisten. Der Plan würde den Mittelpunkt der Reaktionen vom Hudaida-Hafen zu dem in Aden verlagern und als zusätzliche Alternativen die Kapazitäten der anderen südlichen Häfen in Mokha und Mukalla vergrößern. Der Ausbau zusätzlicher Häfen im Jemen ist begrüßenswert und löblich – aber nicht auf Kosten des Zugangs zu Häfen am Roten Meer wie Hudaida und Salif. Die südlichen Häfen sind weder ausgerüstet noch befinden sie sich an geeigneter Stelle um Menschen in Not helfen zu können: Es mangelt ihnen an der grundlegenden Infrastruktur und der Kapazität der nördlichen Häfen, über die 80 Prozent der Importe laufen, und humanitäre Hilfeleister müssten 70 Checkpoints zwischen Sanaa und Aden durchlaufen, was die Lieferungen erschweren und die Preise in die Höhe treiben würde“.
Das ICR merkt auch an, dass es gerade die Saudi-geführte Koalition und ihre jemenitischen Handlanger sind, die eine Politik der Lohnkürzungen im öffentlichen Sektor eingeführt haben, die die gegenwärtige Katastrophe im Gesundheitswesen verursacht haben: „Der akute Mangel im Jemen ist genauso ein Ziel der Blockade wie die Abwesenheit von öffentlichen Dienstleistungen. Die Saudi-Koalition finanziert die Kriegsanstrengungen auf Kosten echten Regierens und Erbringens von Dienstleistungen. Die vage Klausel zur ,wirtschaftlichen Stabilisierung‘ im YCHO-Plan geht die Wiederherstellung von öffentlichen Dienstleistungen nicht an. Die Geldmittel sollten zur Wiedereinsetzung grundlegender staatlicher Dienstleistungen sowie zur Bezahlung von Beamten eingesetzt werden“. Abschließend stellt das ICR fest:
„Eine sinnvolle Reaktion auf die weltweit größte humanitäre Krise erfordert mehr Zugang – nicht weniger. Bestenfalls würde dieser Plan den Zugang vermindern und neue Unzulänglichkeiten schaffen, die zu einer Verlangsamung der Hilfsleistungen führen und den bedürftigsten Jemeniten – einschließlich der acht Millionen, denen unmittelbar der Hungertod droht – die dringend benötigte Hilfe vorenthalten würden. (…) Im schlimmsten Fall würde er humanitäre Hilfsleistungen auf gefährliche Art politisch instrumentalisieren, da er einer der Konfliktparteien viel zu viel Kontrolle über die Hilfsleistungen zugestehen würde“.
Letztendlich geht es im YCHO-Plan darum, die Blockade zu verschärfen und gleichzeitig den Zugang zu Hilfsleistungen in den Händen der Aggressoren zu monopolisieren, das Ganze hübsch verpackt als große humanitäre Bemühungen – und erst in dem Moment demaskiert, als die Koalition einen Angriff auf die lebenswichtige Versorgung des Landes lanciert, der zu einer „völligen Horror-Show“ und „nahezu sicheren Hungersnot“ führen wird.
In den kranken Hirnen von Männern wie Mohammad bin Salman, Rex Tillerson und Boris Johnson – für die sogar die Auslöschung eines gesamten Volkes offensichtlich ein ehrenhaftes Anliegen beim Verfolgen ihres Zieles der Eindämmung des Iran ist – gilt heute genau das als humanitäre Gesinnung.
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Redaktionelle Anmerkung [Rubikon]: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The 1.5 Billion Campaign to Whitewash Genocide in Yemen“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
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Bildhinweis: Iran, Fatima Masumeh Schrein in Ghom
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Dieser Beitrag erschien am 01.08.2018 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.
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