Endspiel des Kolonialismus? | Von Jochen Mitschka

Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.

Human Rights Watch: Israel begeht Kriegsverbrechen! OxFam: Israel begeht Kriegsverbrechen! Amnesty International: Israel begeht Kriegsverbrechen! OCHA: Israel begeht Kriegsverbrechen! UN-Sonderberichterstatter über die Nahrungsmittelsituation: Israel begeht Kriegsverbrechen! Andere Sonderberichterstatter: Israel begeht Kriegsverbrechen! Der IGH: Der Fall eines Völkermordes ist plausibel! Der IStGH Chefermittler: Israel begeht Kriegsverbrechen, deshalb beantragen wir Haftbefehle! Mehrere israelische Menschenrechtsorganisationen: Israel begeht Kriegsverbrechen! Die Bundesregierung Deutschlands (sinngemäß): Kann gar nicht sein, Israel ist ein höchst demokratischer Staat, der sich nur verteidigt!

Ich sage nicht, nur weil so viele etwas sagen, dass das richtig ist. Seit Corona wissen wir, wie wichtig es ist, dass man seinen eigenen gesunden Menschenverstand benutzt, und sich selbst eine Meinung bildet. Deshalb ist es nicht per se falsch, wenn eine oder mehrere Regierungen, wie gerade die Kolonialländer, gegen den Strom schwimmen. Aber wenn man historische Fakten ignoriert und einen quasi live im Fernsehen übertragenen Völkermord ignoriert, hat das nichts mit „gesundem Menschenverstand“ zu tun, sondern mit einem Geist des Kolonialismus und Rassismus, der angeblich längst beerdigt wurde. Da wird Kindern verboten, sich im Karneval als Indianer zu verkleiden, was keine Beleidigung, sondern eine Erinnerung an eine Kultur ist, aber zehntausende von Kindern, darunter unzählige Babys, verstümmelt durch israelische Bomben, sei „Verteidigung“?

Ist das nun das letzte Endspiel des Kolonialismus? Man hatte ja schon des Öfteren geglaubt, dass er überwunden worden sei. Aber stattdessen, bei genauem Hinsehen, hatte er nur sein Äußeres verändert. Gerade wird es wieder in Afrika deutlich sichtbar(21). So ähnlich wie das Ende der Sklaverei zwar das Ende der Verantwortung des Sklavenhalters für seine „Investition“ in Sklaven bedeutete, aber ihm letztlich noch mehr Profit ermöglichte. Denn nun waren die Sklaven gezwungen sich selbst um ihre Gesundheit zu sorgen, mussten das zum Überleben Notwendige vom Sklavenhalter kaufen, der sich nun stolz als „liberaler Demokrat“ gab, der zwar Löhne zahlte, aber nur, wenn ein Arbeiter auch arbeitete. Der „Arbeitnehmer“, der dann gezwungen war, nach der Arbeit das Geld für Lebensmittel und Miete der Hütte auszugeben. Das Risiko, krank oder arbeitsunfähig zu werden, lag nur beim Arbeiter, der aber kein Sklave mehr war. Er lebte in einer Hütte, aus der er vertrieben wurde, wenn er nicht mehr in der Lage war zu arbeiten, um Geld für die Miete zu verdienen.

So ähnlich muss man auch die erste Welle der „Beendigung“ des Kolonialismus sehen. Die Kolonien wurden zwar, meist erst nach blutigen Befreiungskriegen, unabhängig, aber nach kürzester Zeit hatten die Kolonisten örtliche Eliten mit Zuckerbrot und Peitsche gefunden, welche die Länder im Interesse der ehemaligen Kolonialstaaten verwalteten. Und wenn doch durch Revolutionen Veränderungen drohten, wurden die Protagonisten dieser Veränderung ermordet. Die blutige Spur führt von Patrice Lumumba bis Thomas Sankara. In der Folge werden ehemalige Kolonialländer heute nicht nur durch Marionetten, sondern auch durch Kredite, „militärische Kooperationen“, Konzerne und „NGO“s, und nicht zuletzt durch den „Franc de la Coopération Financière en Afrique“, die durch Paris kontrollierte Währung vieler ehemaliger Kolonialstaaten, kontrolliert.

Der Haftbefehl

Als der Brite Karim Khan zum Chefermittler des IStGH gemacht wurde, war die allgemeine Annahme, dass dies ein klarer Hinweis auf die Macht des Kolonialismus sei. Und tatsächlich war Khan bemüht, sich den „richtigen“ Mächten anzudienen, wie man an der einseitigen Ermittlung zulasten Russlands sah, und den vielen Kontakten mit israelischen Offiziellen. Darüber war hier bereits berichtet worden. Er war allgemein als „Freund“ Israels angesehen worden, und Israel hatte seine Ernennung damals begrüßt.

Aber auch Khan konnte einfach nicht mehr länger schweigen. Die Beweislage ist erschlagend, nicht mehr vom Tisch zu wischen. Gaza hat endgültig den Schleier der politischen und medialen Verdunklung des wahren Charakters des Zionismus zerrissen. Er konnte nicht anders, als einen Haftbefehl auch gegen Netanjahu zu beantragen. Und offensichtlich erstaunte ihn dann die offene Aussage von Politikern, welche er in Interviews geäußert hatte, die ihm sagten, dass das Gericht doch nicht gegen die „guten“ westlichen Länder, sondern gegen afrikanische Diktatoren gegründet worden sei. Und wenn man weiß, dass der israelische Mossad tausende von Morden außerhalb des eigenen Landes beging, um „Israel zu verteidigen“, wusste man, was Netanjahu meinte, wenn er sinngemäß erklärte, dass er sich keine Sorgen mache, zu reisen, aber Khan vorsichtig sein sollte.

Aber das eskalierte zu noch viel offeneren Drohungen durch die USA. Zuerst drohte der mächtige Senator Lindsey Graham, dann der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson.

„Amerika sollte den IStGH bestrafen und (Chefankläger) Karim Khan wieder auf seinen Platz verweisen. Wenn dem IStGH erlaubt wird, Israels Führer zu bedrohen, wissen wir, dass Amerika der Nächste sein wird. (…) Wenn der ICC mit seinem absurden Haftbefehl oder Antrag weitermacht, wird dies ein noch größeres internationales Problem sein.“ (1)

Schon relativ früh war gedroht worden, dass die USA sich aus UN-Gremien zurückziehen könne, was u.a. zu Hungernöten führen könnte(3).

Am 25. Mai wurden dann in Israel Tonaufnahmen veröffentlicht, welche Besuche von Khan bei Israelischen Familien, welche Opfer am 7. Oktober beklagten, dokumentierten. An dem Tag waren bereits über 15.000 Palästinenser in Gaza getötet worden, Hundertausende ohne Wohnungen. Er hat sich demnach nur mit israelischen Opferangehörigen getroffen, nicht mit palästinensischen, und nur denen gegenüber ausführlich Mitgefühl ausgedrückt. Details im Anhang(14).

Die Zerstörung der Erzählung

Über Jahrzehnte war die Erzählung „Israel verteidigt sich nur“ in westlichen Ländern gepflegt und gehegt worden. Nicht zuletzt durch die Lobbyorganisationen Israels, die einzige ausländische Lobbyorganisation in den USA, die nicht der strikten Überwachung unterworfen ist, welche für andere ausländische Interessenvertreter gilt.

Die Sonderberichterstatterin der UN für die Menschenrechtssituation in den besetzten Gebieten Palästinas, Francesca Albanese, hat diese Sonderbehandlung, auch durch die Medien, eindrucksvoll zusammengefasst:

„Die Medien haben sich entschieden, nicht die richtige Sprache zu verwenden, und haben eine Art Kokon geschaffen, in dem Israel nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann. Eine noch nie dagewesene Reinwaschung der Sprache, wenn es um Israel geht. Damit meine ich, dass es uns freisteht, die Menschenrechtsbilanz der Vereinigten Staaten oder europäischer Länder zu kritisieren. Im Fall von Israel ist dies nicht möglich. Denn sobald man das tut, wird der Vorwurf des Antisemitismus erhoben. Und die Gefahr ist, dass die ständige Verquickung dessen, was Israel tut, mit der gesamten jüdischen Bevölkerung auf der Welt, die Juden bedroht, und zwar sie in erster Linie. Der Punkt ist, dass unsere Regierungen, internationale Verpflichtungen haben, aber was tun sie? Sie haben das israelische Narrativ verstärkt. Wir haben den IDF-Sprecher und andere Militärs ihre Version der Geschichte erzählen lassen. Es ist durch verschiedene Untersuchungskommissionen anlässlich von Kriegen bewiesen, dass Israel oft irreführende Informationen verbreitet und lügt. Es wurden Stimmen zum Schweigen gebracht, wie die von Ihnen erwähnte Journalistin (Antoinette) Lattouf in Australien. Es gibt Menschen, die wegen ihrer Haltung zu Gerechtigkeit und Menschenrechten verleumdet und verunglimpft werden. Und zum Schweigen bringen bedeutet auch, dass man alternativen Stimmen keinen Raum gibt und ihre Glaubwürdigkeit verringert….“ (2)

Die Macht, welche sich in solchen Aktionen äußert, sollte den letzten Internet-Benutzer aufwecken. Und wenn das nicht reicht, dann vielleicht die Gewalt und Misshandlung von anti-zionistischen jüdischen Menschen, die zunehmend in Israel brutal behandelt werden(13).

Und noch eine US-Militärbasis

Und schon wieder eine US-Militärbasis? Natürlich muss die USA die Gelegenheit nutzen, um noch eine Militärbasis im Nahen Osten zu errichten, auch weil ja der Schützling Israel sich sonst nicht mehr gegen die gefährlichen Palästinenser verteidigen kann, muss man zynisch feststellen. Und so meint ein Video:

„Das US-Imperium beendet den Bau ihrer Pier in Gaza und wie erwartet und vorausgesagt ist sie nicht für humanitäre Hilfe, sondern für eine militärische Besatzung. Sie tun dies, weil sie die Schrift auf der Wand sehen, wie Israel an allen militärischen Fronten verliert. Sie tun dies nicht, weil sie Israel so lieben, und nicht weil Israel Amerika kontrolliert, sondern weil Israel entscheidend für den Imperialismus der USA in Westasien ist. Ohne Israel verliert das US-Imperium seine Fähigkeit, Militärmacht in die Region zu projizieren, wodurch sie ihren Status als Reservewährung mit dem Petrodollar verlieren. Und ohne den Petrodollar verliert das US-Imperium die Fähigkeit Geld zu drucken und unendlich Geld zu borgen, um seine Kriege überall zu finanzieren. ….“(5)

Die Pier wurde übrigens inzwischen vom Meer zerstört, nachdem Baumaterial und Waffen angelandet worden waren.

Das Urteil

Und dann berichtete der IGH über sein Urteil auf Grund des Antrages von Südafrika im Fall des plausiblen Völkermordes durch Israel in Gaza. Mit 13:2 Richterstimmen hat der Internationale Gerichtshof beschlossen, eine Verfügung gegen Israel zu erlassen, die das Land zum sofortigen Waffenstillstand in Gaza auffordert. Das Urteil geht jetzt an den UN-Sicherheitsrat, weil das Gericht selbst keine Möglichkeit hat, den Beschluss durchzusetzen. Nur der UN-Sicherheitsrat kann Maßnahmen ergreifen, um Israel dazu zu zwingen, dem Beschluss zu folgen. Und wir dürfen uns auf ein erneutes VETO der USA dagegen vorbereiten.

Der Beschluss (6) benutzt eine ungewöhnlich klare Sprache für das Gericht. Israel wird aufgefordert

„die Militäroffensive und alle anderen Maßnahmen im Gouvernement Rafah unverzüglich einzustellen, die der palästinensischen Gruppe im Gazastreifen Lebensbedingungen auferlegen könnten, die ihre physische Zerstörung ganz oder teilweise herbeiführen könnten.“

Außerdem fordert das Gericht

„die Rafah-Kreuzung offen zu halten, um die Voraussetzung für die ungehinderte Lieferung von dringend benötigten lebensnotwendigen Hilfen und humanitäre Hilfe zu ermöglichen.“

Außerdem muss Israel „wirksame Maßnahmen ergreifen zur Gewährleistung des ungehinderten Zugangs zum Gazastreifen für jedwede Untersuchungskommission, Erkundungsmission oder eines anderen Untersuchungsgremiums, die von den zuständigen Organen der Vereinten Nationen mit der Untersuchung des Vorwurfs des Völkermords beauftragt sind.“

Darüber hinaus kann man in dem Urteil lesen:

„Nach wochenlangen verstärkten militärischen Bombardierungen von Rafah, wohin mehr als eine Million Palästinenser aufgrund israelischer Evakuierungsbefehle, die mehr als drei Viertel des gesamten Gazastreifens betrafen, geflohen waren, wurden am 6. Mai 2024 fast 100.000 Palästinenser von Israel aufgefordert, den östlichen Teil von Rafah zu evakuieren und vor einer geplanten Militäroffensive in die Gebiete Al-Mawasi und Khan Younis umzusiedeln. Die militärische Bodenoffensive in Rafah, die Israel am 7. Mai 2024 begonnen hat, ist immer noch im Gange, noch nicht abgeschlossen und hat zu neuen Evakuierungsanordnungen geführt. Infolgedessen wurden nach Angaben der Vereinten Nationen bis zum 18. Mai 2024 fast 800.000 Menschen aus Rafah vertrieben.“(7)

Als ob Israel auf den Gerichtsbeschluss antworten wollte, verstärkte Israel seine Bombardierung von Gaza noch einmal(8). Und natürlich werden die USA ihr Veto gegen jedwede Sanktionen einlegen, welche Israel zwingen könnten, dem Urteil des Gerichts zu folgen. Und leider gibt es auch keine Möglichkeit, ein solches Veto durch eine Abstimmung in der UN-Generalversammlung zu „überstimmen“. Mit anderen Worten, die Kolonialländer haben bei der Nachkriegsordnung darauf geachtet, dass sie weiter ihre Macht behielten, Verbrechen weltweit zu begehen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Bei den Angriffskriegen der NATO-Länder in der Vergangenheit war die Weltgemeinschaft noch zu schwach. Egal ob es um den Irak, um Libyen, Syrien oder andere Länder ging, und natürlich hatte man das Vorgehen immer als „humanitäre“ Aktion bezeichnet, und nie offiziell Völkermord angekündigt, wie Israel dieses Mal. Und die Zeit hat sich geändert.

Die Nachkriegsordnung bricht nun vor unseren Augen zusammen. In Zeitlupe versteht sich, aber sicher. Alles was immer über Recht und Ordnung, über Völkerrecht und Menschenrechte erzählt wurde, wird durch Israel als Lüge bewiesen.

Und wenn zugelassen wird, dass ein Staat einen plausiblen Völkermord begeht, und gegen das entsprechende Urteil ein Veto der USA im Sicherheitsrat ausreicht, um den Staat zu immunisieren, entblößt sich die UN als Werkzeug des Post-Kolonialismus. Was die UN im 21. Jahrhundert als nicht geeignet beweist, um den geänderten Ansprüchen der Weltbevölkerung von Selbstbestimmung gerecht zu werden und den neuen Machtverhältnissen Rechnung zu tragen. Und die USA wird endgültig und für alle sichtbar zu einem blutigen Weltdiktator.

Das Urteil enthält ausdrücklich auch den Hinweis auf das Kriegsverbrechen des Hungererzeugens. Und was lesen wir am 25. Mai? Israel hält weiter an seinem Konzept fest, und Nahrungsmittel für Gaza verderben an der Grenze, weil Israel die Hilfe nicht nach Gaza lässt.(9)

„Lebensmittel, die aus Ägypten in den Gazastreifen gelangen sollten, haben zu verrotten begonnen, da der Grenzübergang nach dem israelischen Angriff auf Rafah für Hilfslieferungen geschlossen bleibt, wie Reuters am 25. Mai berichtete. Lastwagen mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsgütern sitzen auf der Straße zwischen dem Grenzübergang Rafah und der ägyptischen Stadt al-Arish, 45 km westlich, fest.  Laut einem UN-Dokument, das Reuters vorliegt, warteten am 16. Mai mehr als 2.000 Hilfstransporter auf die Einfahrt in den Gazastreifen, davon 1.574 mit Lebensmitteln. Aber es ist bereits zu spät, um einen Teil der Lebensmittel zu retten. (…)

(…)Seit Beginn der israelischen Offensive in Rafah am 7. Mai sind nur etwas mehr als 900 Lastwagenladungen mit Lebensmitteln und Hilfsgütern in den Gazastreifen gelangt, während nach Angaben der Vereinten Nationen täglich mindestens 500 Lastwagen benötigt werden, um eine Hungersnot abzuwenden.“(9)

Derweil bereitet sich Israel auf einen „diplomatischen Zermürbungskrieg“ nach dem IGH-Urteil zu Gaza vor. Wie ein Haaretz Artikel erklärt, führt Israel nun einen 3-Fronten-Krieg gegen schlechte PR, die UN und Gerichte. Israel behauptet, dass „die physische Zerstörung“ doch gar nicht das Ziel gewesen sei. Die Regierung Israels atme erleichtert auf, mein Haaretz, weil die Richter nicht angeordnet hatten, dass Israel sofort alle Kampfhandlungen im Gazastreifen einstellen muss. Was der IDF einen großen Handlungsspielraum für die Fortsetzung der Operationen geben würde.(15)

Wir sehen hier, wie die Mächtigen dieser Welt mit Worten spielen, und jeweils zu ihrem Nutzen wenden. Während der Normalbürger davon ausgeht, dass ein Waffenstillstand bedeutet, dass man sofort das Bombardieren aufhört, scheint das in Israel anders gewertet zu werden, wohl eher so wie ein ehemaliger deutscher Generalbundesanwalt, der sich weigerte, gegen die Bundesregierung wegen Verstoß gegen den damals noch gültigen Strafrechtsparagrafen 80 zu ermitteln, weil sinngemäß „Teilnahme“ an einem Angriffskrieg ja nicht durch das Grundgesetzverbot abgedeckt sei, sondern nur die „Planung“. Denn offensichtlich gab es für ihn eine Teilnahme ohne jede vorausgehende Planung.

Die Vernichtung der Kultur und Geschichte

Während Israel also fortfährt und versucht, nicht nur die Palästinenser zu vertreiben oder notfalls zu töten, die Geschichte Palästinas zu vernichten, nicht nur in Gaza, während Israel zerstört oder stiehlt, oder Soldaten Bücher verbrennen, eben alles vernichten, was auf die Kultur Palästinas hinweist, ist gerade ein neues Buch erschienen, das versucht, dagegen zu halten. Die spanische Fotografin Sandra Barrilaro und der Journalist Teresa Aranguren haben das Projekt „Against Erasure: A Photographic Memory of Palestine Before The Nakba“ (11)(Gegen das Auslöschen: Eine fotografische Erinnerung an Palästina vor der Nakba) realisiert, um zu verhindern, dass in Vergessenheit gerät, was vor der Zerstörung Palästinas schon vor der ersten Nakba 1948 in dem damals reichen Land vorhanden war.

„‚In diesen Fotografien bieten Zeit und Tragödie eine weitere Bedeutungsebene. Die Schnappschüsse, die wir entdeckten, erfüllten uns mit Staunen, Bewunderung, Zärtlichkeit und Wut – für eine verlorene Welt, für ein Volk, das aus seinem Leben und seinem Land vertrieben wurde. Eine Gesellschaft, die durch das Trauma der Vertreibung erschüttert wurde und nie wieder dieselbe sein wird‘, fügt sie hinzu.“(10)

Es gibt wohl, neben den Massakern und Kriegsverbrechen, nichts Unerträglicheres, als mitzuerleben, wie die Geschichte und die Kultur eines Volkes vernichtet werden. Darüber hinaus gibt das Buch mit den vielen Bildern einen Eindruck davon, welches ungeheures Verbrechen schon 1948 begangen wurde. Ein Verbrechen, das seitdem immer weiter ungehindert fortgesetzt werden konnte, und gerade in einen plausiblen Völkermord kulminiert.

Sanktionen

Nach dem Urteil des IGH sind individuelle Sanktionen von Staaten, auch ohne ein Votum des Sicherheitsrates legitim. Anders übrigens als die Sanktionen, welche das Imperium und seine Entourage regelmäßig verhängen. Und so forderte am 25. Mai die Sonderberichterstatterin der UN die Staaten genau dazu, Sanktionen gegen Israel zu verhängen(12).

„‘Israel hat seine Angriffe auf die Stadt Rafah im südlichen Gazastreifen verstärkt, nachdem der Internationale Gerichtshof es aufgefordert hatte, seine Operationen in der Stadt einzustellen‘, erklärte sie auf ihrem X-Account. ‚Die Nachrichten, die ich von den belagerten Menschen in der Stadt Rafah erhalte, sind entsetzlich. Israel wird diesen Wahnsinn nicht beenden, bis wir ihn beenden.‘“(12)

Sie hatte Recht, am 27. Mai wurde bekannt, dass Israel Palästinenser aufforderte in ein „sicheres“ Gebiet zu gehen, nur um sie vermutlich dort leichter abschlachten zu können. Denn über 50 Zivilisten verbrannten dann unter den Zelten und Bomben genau in diesem „sicheren“ Gebiet(20).

Die Aufforderung wird so wie viele andere wieder weitgehend ignoriert verhallen. Und weil wieder so viele Politiker schuldig sind, wird es auch keine Aufarbeitung dieser Beihilfe zu Mord und Völkermord geben. Dass sich etwas ändert, dafür können nur Graswurzelbewegungen, ein Widerstand gegen die herrschenden Kolonialmächte innerhalb derselben sorgen.

Und Eile ist geboten. Es werden die Vernichtungsträume der Israelis immer deutlicher sichtbar. Wenn ein israelischer DJ auf TikTok einen Clip hochlädt, in dem er die Melodie zum Völkermordgesang „mag dein Dorf brennen“ (may your village burn) spielt, und die ganze Menge begeistert mitsingt und dazu tanzt(16). Und gleichzeitig sollte der Unterschied zwischen der Religion Judaismus und der weltlichen Ideologie des Zionismus durch zunehmende Gewalt gegen anti-zionistische Juden in Israel(17) jedem bewusst werden. Aber Zensur ist überwältigend, selbst auf X / Twitter wurde kurzzeitig eine jüdische Seite wegen antizionistischer Aussagen geschlossen(4).

Fazit

Nachdem der Guardian am 28. Mai veröffentlichte, dass die frühere IStGH-Anklägerin unverblümt mit dem Tode bedroht wurde(19), kollabiert die Nachkriegsordnung unter ihren eigenen Lügen. Was aber zunächst nur Chaos, Gewalt und Opfer bedeutet. Erst wenn eine neue, faire Weltordnung, ohne den bestimmenden Einfluss der Kolonialstaaten errichtet wurde, werden die Länder der Welt, die so lange unter dem Kolonialismus litten, aufatmen können. Die große Frage ist, wie groß die Kriege und die Not noch werden müssen, bevor eine solche Transition der Macht von einigen Wenigen auf die Gemeinschaft aller Länder, organisiert in einer multipolaren Welt, stattfinden kann. Eine Welt wird hoffentlich aus der „Asche“ der imperialen Ansprüche hervorkommen, in der Kriege durch für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarungen ersetzt werden. Eine Welt, in der es keine Besiegten gibt, sondern nur noch Gewinner. Das wird aber erst möglich sein, wenn die Dominanz der imperialen Kolonialländer nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch gebrochen ist.

Hinweise und Quellen

 

Der Autor twittert zu Tagesthemen unter https://x.com/jochen_mitschka

(1) https://x.com/CensoredMen/status/1793846209066787262

(2) https://x.com/timand2037/status/1792287671374540891

(3) Verrückt. @SecBlinken erklärte den arabischen Amerikanern, dass die USA die Mittel der UNO streichen würden, wenn die UNO für einen palästinensischen Staat stimmen würde. Dann gab er das ominöse Beispiel, dass das Welternährungsprogramm seine Mittel verlieren würde und Menschen auf der ganzen Welt verhungern würden – wenn die Palästinenser einen Staat hätten. Wir befinden uns bereits im 3. Weltkrieg, und die USA sind der Feind aller Staaten. Bitte, @SecBlinken , streichen Sie die Finanzierung der UNO, damit wir die globale, auf Recht basierende Ordnung aus Washingtons blutigen Händen zurückerobern können, und das UNO-Hauptquartier nach Eurasien verlegen, wo „friedliche Entwicklung“ die Priorität ist, nicht endloser Krieg und US-„Regeln“. https://x.com/snarwani/status/1793205814867427542

(4) https://x.com/TorahJudaism/status/1793158061583966462
„…Obwohl kein Regelverstoß vorlag, wurde das Konto unter dem Vorwand der Anti-Israel-Stimmung geschlossen. Wir appellieren an den lieben @elonmusk. Wie kann ein Jude antisemitisch sein? Seit wann ist der Zionismus die Religion der Juden? Wie wird der Widerstand gegen den Zionismus zum Antisemitismus? Wie können Elon Musk und die @X Tausende von antizionistischen Juden auf der ganzen Welt als antisemitisch brandmarken? Die Religion der Juden ist das Judentum, die Religion der Juden ist nicht der Zionismus. Gegen den Zionismus zu sein, ist kein Antisemitismus.“

(5) https://x.com/timand2037/status/1793628920832786486

(6) https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20240524-pre-01-00-en.pdf

(7) Ebd

(8) https://x.com/SuppressedNws/status/1794052092434284905

(9) https://thecradle.co/articles-id/25087

(10) https://www.middleeasteye.net/discover/against-erasure-what-photobook-about-palestine-teaches-us-about-nakba

„‘Obwohl ich mit großartigen Fotosammlungen aus der Zeit vor 1948 vertraut bin, wie Walid Khalidis ‚Before Their Diaspora‘ oder dem Werk des gelehrten Elias Sanbar, The Palestinians, beschloss ich zusammen mit der Journalistin Teresa Aranguren, der lebendigen Erinnerung eines Volkes ein Sandkorn hinzuzufügen; dem Palästina, das vor der Katastrophe, der Nakba, existierte‘, schreibt Sandra Barrilaro in ihrer Einleitung.“

(11) https://www.haymarketbooks.org/books/2325-against-erasure

(12) https://english.palinfo.com/news/2024/05/25/319497/

(13) https://x.com/jochen_mitschka/status/1794651105315672298

(14) https://x.com/i/status/1794272212830032293
„Karim Khan erwähnt das Gemetzel im Gazastreifen mit keinem Wort (nur humanitäre Hilfe) und sagt, dass es ‚keine Gleichwertigkeit‘ zwischen der IDF und der Hamas gibt (die er wiederholt verurteilt und sich mehrfach auf den IS beruft). Er weinte, als er die Aussagen der Israelis hörte und verbrachte eine halbe Stunde damit, Israel und den Opfern des 7. Oktobers sein Mitgefühl auszusprechen, forderte sie aber auf, ‚nicht zu hassen‘. Trotz alledem nennt Israel ihn jetzt einen der ‘größten Antisemiten der Neuzeit‘, sobald er Netanjahu und die Hamas angegriffen hat…“

(15) https://www.haaretz.com/israel-news/2024-05-26/ty-article/.premium/israel-prepares-for-diplomatic-war-of-attrition-following-icj-ruling-on-gaza/0000018f-b3b7-dfc6-a3ef-b7ffb5e70000

(16) https://x.com/laestasista/status/1794748292128989639

(17) https://x.com/jochen_mitschka/status/1794756103630471414

(18) https://x.com/jochen_mitschka/status/1794997354623361527

(19) https://x.com/muhammadshehad2/status/1795357968524792155 https://www.theguardian.com/world/article/2024/may/28/israeli-spy-chief-icc-prosecutor-war-crimes-inquiry

Der frühere Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad soll eine Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in einer Reihe von geheimen Treffen bedroht haben, in denen er versuchte, sie unter Druck zu setzen, damit sie eine Kriegsverbrecheruntersuchung aufgibt, wie der Guardian enthüllt.

Yossi Cohens geheime Kontakte mit der damaligen Anklägerin des IStGH, Fatou Bensouda, fanden in den Jahren vor ihrer Entscheidung statt, eine formelle Untersuchung von mutmaßlichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den besetzten palästinensischen Gebieten einzuleiten.

Diese 2021 eingeleitete Untersuchung erreichte letzte Woche ihren Höhepunkt, als Bensoudas Nachfolger Karim Khan ankündigte, dass er einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu wegen des Verhaltens des Landes im Gaza-Krieg beantragen werde.

Die Entscheidung des Anklägers, bei der Vorverfahrenskammer des IStGH Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant sowie drei Hamas-Führer zu beantragen, ist ein Ergebnis, das Israels militärisches und politisches Establishment schon lange befürchtet hat.

Siehe auch: Spionage, Hackerangriffe und Einschüchterung: Israels neunjähriger „Krieg“ gegen den ICC enthüllt: https://www.theguardian.com/world/article/2024/may/28/spying-hacking-intimidation-israel-war-icc-exposed

(20) Während die Tagesschau noch sinniert, ob man die Bombardierung, bzw. einen Völkermord evt. durch das Vorhandensein eines möglichen Waffenlagers der Hamas rechtfertigen könnte https://x.com/tagesschau/status/1795508618361479485 , meint Netanjahu, dass der Anschlag ein „tragischer Fehler“ gewesen sei. https://x.com/JZarif/status/1795519315124302052

(21) https://korybko.substack.com/p/congos-polish-spy-scandal-is-worth

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Bildquelle: Shabtay / shutterstock

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