Der Weg zum inneren und äußeren Frieden führt über die Heilung individueller und gesellschaftlicher Traumata.
Ein Meinungsbeitrag von Imke Querengässer.
Ich bin davon überzeugt, dass das Thema Trauma bei der Selbsterkenntnis eine immens große Rolle spielt — und damit auch dabei, wie wir in unsere Kraft kommen können. Die Beschäftigung mit individuellem und gesellschaftlichem Traumata und somit auch die Option der Heilung ist — aus meiner Sicht — ein überaus ergiebiger Ansatz zur Lösung so vieler zwischenmenschlicher, sozialer, gesellschaftlicher und gesundheitlicher Probleme unserer Zeit.
Mit dem Wort „Trauma“ verbinden die meisten Menschen einen dramatischen Einschnitt, etwas, das uns überwältigt, zum Beispiel ein schwerer Unfall, der plötzliche Tod eines geliebten Menschen oder Ähnliches. Diese Art von Trauma wird als sogenanntes Schocktrauma bezeichnet.
Die Art Trauma, um die es mir in diesem Text geht, ist eine andere — mir geht es um das Thema Bindungs- und Entwicklungstrauma. Man kann Trauma als etwas definieren, das unsere Bewältigungsmechanismen übersteigt, etwas, das zu groß ist, um es adäquat zu verarbeiten. Viele Traumatherapeuten gehen davon aus, dass wir nahezu alle von traumatischen Ereignissen und deren Folgen betroffen sind und es hier für jeden Einzelnen unfassbar viel Potential zu Erkenntnis und Heilung gibt.
Erstaunlicherweise kommt das Thema Bindungs- und Entwicklungstrauma so gut wie gar nicht in der öffentlichen Wahrnehmung vor. Und auch viele Psychotherapeuten haben kein Hintergrundwissen zu diesem Thema und somit auch keine Erfahrung in Bezug auf die Möglichkeiten der Hilfe zur Heilung.
Mir erscheint der Gedanke, dies könne politisch gewollt sein durch die Erfahrungen der letzten Jahre nicht mehr vollkommen abwegig: Würde uns das Wissen um dieses Thema und seine individuelle und gesellschaftliche Aufarbeitung doch mehr und mehr in unsere Kraft bringen und reifen lassen — und uns dadurch weniger manipulierbar machen.
Warum bin ich der Ansicht, dass das Thema Trauma von immenser Bedeutung ist? Ich möchte ein Beispiel geben: Zur Zeit meiner Geburt war es gang und gäbe, einer Mutter nach der Geburt ihr neugeborenes Baby wegzunehmen, es in einen Raum mit anderen Neugeborenen zu legen und nur zu den Stillzeiten, also alle paar Stunden, wieder zur Mutter zu geben. Jeder sollte sich nun klarmachen, was es für ein Säugetier, das der Mensch ja ist, und für ein extrem bindungsorientiertes Wesen wie uns Menschen bedeutet, als komplett hilfloses Neugeborenes von der Mutter getrennt zu sein.
Es ist ein absolut lebensbedrohlicher Zustand, mit dem das kleine Lebewesen in einen unfassbaren Stresszustand gerät —die Mutter natürlich auch. Aber sie kann sich mit ihrem Verstand die furchtbare Situation „schönreden“ — von den Ärzten empfohlen, besser für Mutter und Kind und so weiter. Dieses Vorgehen ist unmenschlich und grausam. Ich mache hier niemandem einen Vorwurf, es war damals „Stand der Wissenschaft“ — aber es sollte jedem ganz klar sein, was da passiert. Ein Nervensystem, das zu 100 Prozent davon abhängig ist, von einer erwachsenen Bezugsperson ko-reguliert zu werden, das also jemanden braucht, um sich zu regulieren, weil es dazu alleine nicht in der Lage ist, wird mit seiner Not vollkommen alleine gelassen.
Dies ist ein zutiefst traumatisches Erlebnis — und das besonders Perfide daran ist, dass es ein so hilfloses Lebewesen trifft, das nicht einmal die Möglichkeit hat, sich diese absurde Situation über seinen Verstand zu erklären. Dies hat unfassbar weitreichende Folgen: Die Überwältigung des Nervensystems und die fehlende Koregulation führen dazu, dass sich die gemachte Erfahrung tief in das Nervensystem einbrennt. Und zwar so tief, dass es den Erwachsenen, der diese Erfahrung als Baby gemacht hat, sein Leben lang begleiten wird, wenn er sich dieser Verletzung nicht empathisch zuwendet.
Es liegt mir sehr am Herzen, Menschen für den Gedanken zu öffnen, dass Dinge, die ihnen in der Kindheit geschehen sind, ihr Leben immer noch gewaltig beeinflussen können. Mir geht es hierbei nicht um Schuldzuweisungen — häufig höre ich, wenn ich das Thema anspreche: „Ach, und jetzt sollen also die Eltern an allem schuld sein.“ Es geht um das Gegenteil — es geht darum, endlich Verantwortung zu übernehmen, seinen wahren Wesenskern ins Licht zu bringen und erwachsen zu werden.
Damit meine ich, anders als das Kind, das von einem empathischen Erwachsenen abhängig war, der ihm in stresserfüllten Situationen zur Seite stand, ihn also „ko-regulierte“, wir lernen können und müssen, uns heute selber zu regulieren.
So viele von uns sind permanent auf der Suche nach etwas im Außen, was ihnen hilft, die möglicherweise sehr alten Gefühle von Angst, Ohnmacht, Verzweiflung, Trauer et cetera aushalten zu können oder nicht fühlen zu müssen.
Häufig fehlte ihnen als Kinder eben jemand, der sie immer empathisch koregulieren konnte — hier kommt das Thema Transgenerationales Trauma ins Spiel. Dadurch haben sie nie gelernt, heftige Gefühle anzunehmen und adäquat zu transformieren. Ein großer Schritt zu Selbsterkenntnis, zum Erwachsenwerden und zum Frieden mit sich selbst — und damit auch zum Frieden mit anderen — ist es, sich darauf einzulassen, zu beginnen, Gefühle, die wir als schlecht, nicht gewollt et cetera etikettieren, voll und ganz zu fühlen und anzunehmen.
Ich möchte ein konkretes Beispiel geben: Jemand schreibt unter das Interview von Walter van Rossum mit mir, das bei LinkedIn geteilt wurde: „Haha, die Schwurbler unter sich“, mit drei Emojis, die vor Lachen Tränen in den Augen haben. Ich bin heute in der Lage, das sofort eintretende Gefühl — fast, als ob mir jemand in den Bauch tritt — von Minderwertigkeit und in der Folge Wut auf den Schreibenden auszuhalten und mich auch nicht mehr so stark dafür zu verurteilen, dass ich wegen so eines mikroskopisch kleinen Vorfalls extrem starke Gefühle entwickle.
Ich kann erkennen, dass hier eine sehr alte Wunde getroffen wurde und bin — zwar nicht immer, aber immer öfter — in der Lage, zu sehen, dass hier ein kleines Mädchen reagiert. Und ich kann Verständnis für meine Reaktion haben. So habe ich die Möglichkeit, reguliert zu handeln und nicht aus meiner alten Verletzung heraus unbewusst genauso herabwürdigend zu reagieren wie der Kommentierende und ihn möglicherweise ebenfalls verbal zu erniedrigen.
Vielleicht bin ich sogar in der Lage, zu sehen, dass er nicht die Reife hat, seine eigenen Verletzungen nicht mehr im Außen triggern zu lassen und im Außen abzureagieren. Aus meiner Sicht muss niemand, der in sich ruht, sich seinen Schattenseiten zugewandt und sein wahres Wesen erkannt hat, jemand anderen herabwürdigen, um sich selbst besser zu fühlen. So kann ich seinen Kommentar einfach stehen lassen und meine starken Gefühle direkt transformieren. Früher hätte ich sie unbewusst weggedrückt. Sie hätten jedoch tief in meinem Inneren weitergewirkt und ich hätte dann später wahrscheinlich zu viel Schokolade gegessen und versucht, mich auf diversen, ungesunden Wegen abzulenken, um sie nicht fühlen zu müssen.
Ich bin fest davon überzeugt — wenn wir in der Lage sind, uns unseren alten Verletzungen, den lebensbestimmenden Glaubenssätzen, die so oft nicht unsere eigenen sind, all unseren Gefühlen voll und ganz zuzuwenden, werden wir unendlich viel dazu beitragen, mehr Frieden in diese Welt zu bringen.
Erkennen wir unsere Ablenkungsstrategien, unsere Krücken, die vermeintlichen Regulationsmechnanismen wie Essen, Alkohol, exzessives Arbeiten oder Sport, soziale Medien et cetera und beginnen wir jetzt, nicht weiter Pflaster auf unsere Wunden zu kleben, sondern uns von Innen zu heilen. Wer weiter in das Thema einsteigen möchte, findet viel Hilfreiches unter anderem bei Prof. Franz Ruppert, Dr. Hans Joachim Maaz, Dr. Franz Renngli, Dami Charf, Michaela Huber und Verena König.
Ich bin dankbar für jeden, der sich auf den Weg macht — jeder Einzelne von Euch macht einen Unterschied!
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 4. Juni 2024 auf manova.news.
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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Matva / shutterstock
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Was bewegt eine Tierärztin, über Traumatisierungen zu schreiben?
Zunächst, danke für das Aufnehmen des Themas. Auch ich halte es für wichtig. Vielleicht sind in diesem Zusammenhang ein paar Einordnungen wichtig.
Man kann sich in der Regel nicht ohne Hilfe von einem Trauma heilen, wenn es schon länger verankert ist. Es braucht also Psychotherapie oder sogar eine spezielle Traumatherapie.
Ich selbst bin diesen Weg gegangen, habe zunächst normale belastende Familien- und Kindheitsthemen bearbeitet und bin dann durch Biografie-Arbeit erst auf ein Bindungstrauma gestoßen, das ich mit zwei Jahren erlitt, das also nicht bewusst war. Das habe ich mit Bonding nach Casriel heilen können. Immer habe ich mir die Therapeuten und die Methoden selbst ausgesucht und selbst bezahlt und die volle Verantwortung für meine Prozesse übernommen, also nie mit Schuldzuweisungen gearbeitet, Prozesse als Projektionen erkannt und zurück genommen.
Dann ging es aber eigentlich erst richtig los, mit einem Ebenenwechsel bis hin zum Aufspüren karmischer Belastungen, die sich als Körpererinnerungen zeigten und zu denen dann nach und nach auch Bilder aufstiegen, was im Erleben eine Heilung brachte.
Die Aufarbeitung psychischer Belastungen erfolgt schichtweise von leichteren zu immer tieferen und gravierenderen Themen. Es braucht Zeit und Geduld und Belastbarkeit dafür. Das sollte man nicht unterschätzen.
Der Prozess ging weiter mit Selbsterfahrungsgruppen unter Anleitung geschulter Psychologen und dem Einstieg in Symbolsysteme und Deutungen mit Hilfe von Archetypen, immer selbstverantwortlich und selbst bezahlt.
Dann kommt man an einen Punkt, wo die Heilarbeit in Schattenarbeit über geht. Da ist es sehr hilfreich, die dicksten Brocken schon mal weg geräumt zu haben. Hier geht es dann schon nicht mehr um Heilung, sondern um Heiligung, um Ganzwerdung und Widmung der Arbeit im Sinne eines höheren Zieles.
Man stelle sich die Frage, was denn erkannt werden soll, wenn man sich selbst erkennt, genauer eigentlich DAS Selbst, denn es gibt nur eines für alle Menschen.
Dieser kurze Abriss mag verdeutlichen, dass es am Anfang vielleicht darum gehen mag, ein angenehmeres Leben mit weniger Symptomen zu haben, im Laufe der Entwicklung aber eine Motivumkehr erfolgt. Man betritt ab einem bestimmten Punkt geradezu zwangsläufig einen geistigen Pfad, dem zu folgen einem so wichtig wird, dass Wohlergehen, Reichtum, Erfolg oder Ruhm einem eher verdächtig vorkommen, als erstrebenswert.
Der Mensch heilt sich nicht, um besser in die Welt zu passen, sondern um aus ihr heraus wachsen zu können.
Der Zeithorizont dürfte bei Jahrzehnten liegen, eher noch bei Inkarnationen, der Aufwand an Zeit und Geld und geistiger Arbeit einen erheblichen Teil des Lebens einnehmen.
Aber nichts wird erreicht, geht man nicht los.
Vielen Dank fürs Teilen, Nevyn ! In `Ein Kurs in Wundern`, den ich noch einmal seit kurzem ganz neu von vorne lese und übe, fand ich "Erkenne Dich in dem EINEN LICHT, in dem das Wunder, das Du bist, vollkommen klar ist".
Vielen Dank, Frau Querengässer ! Klar, konkret, kurz, herzlich und ohne Schuldverteilen das Aufzeigen der möglichen und notwendigen Selbstverantwortung. Klasse 🥰