Von Wolfgang Bittner.
Die Eröffnungsrede auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die von wachen Zeitgenossen „Münchner Kriegskonferenz“ genannt wird, hielt am 14. Februar 2020 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Wie nicht anders zu erwarten, trat er gleich zu Anfang für Deutschlands „außenpolitische Verantwortung“ ein, die sich „konkret bewähren“ müsse.(1) Gegen wen? Nicht nur in Steinmeiers Fokus stehen Russland und China.
Nachdem er – unvermeidlich – in Demut auf die deutsche Schuld und auf Auschwitz hingewiesen hatte, kam Steinmeier unverzüglich auf die „zunehmend destruktive Dynamik der Weltpolitik“ zu sprechen, deren Spuren sich „bis in die endlosen, opferreichen Kriege im Mittleren Osten und in Libyen verfolgen“ ließen. Während diese Kriege offenbar vom Himmel gefallen sind, lastete Steinmeier dann die „destruktive Dynamik“ dem Hauptfeind an: „Russland … hat nicht nur ohne Rücksicht auf das Völkerrecht die Krim annektiert. Es hat militärische Gewalt und die gewaltsame Verschiebung von Grenzen auf dem europäischen Kontinent wieder zum Mittel der Politik gemacht. Unsicherheit und Unberechenbarkeit, Konfrontation und Verlust von Vertrauen sind die Folge.“(2)
Und dann China, das natürlich ebenfalls dem Ziel einer „internationalen Zusammenarbeit zur Schaffung einer friedlicheren Welt“ entgegensteht, indem es „im Zuge seines eindrucksvollen Aufstiegs“ das Völkerrecht nur selektiv akzeptiere, „wo es den eigenen Interessen nicht zuwiderläuft“: „Sein Vorgehen im Südchinesischen Meer verstört die Nachbarn in der Region. Sein Vorgehen gegen Minderheiten im eigenen Land verstört uns alle.“ Dass die USA den gesamten Orient in Brand gesteckt, die Ukraine destabilisiert und Südamerika im Visier haben, verstörte von den sich gegenseitig ihre Friedfertigkeit bestätigenden westlichen Teilnehmern dieser Kriegskonferenz niemanden.
Schließlich kam Steinmeier zu den Vereinigten Staaten von Amerika: Nach wie vor „unser engster Verbündeter“, allerdings seit 2017 unter Trump, den Steinmeier schon Ende 2016 auf Seiten der kriegslüsternen Hillary Clinton einen Hassprediger genannt hat (was in der Berliner Politikerkaste legitim und kein Antiamerikanismus war). Die USA – so dieser Bundespräsident – „erteilen unter der jetzigen Regierung selbst der Idee einer internationalen Gemeinschaft eine Absage“ und stellten ihre eigenen Interessen über die aller anderen. Dass der inzwischen auf Linie gebrachte, zeitweise offensichtlich psychisch gestörte Trump ursprünglich gegen weitere Interventionskriege und für Frieden mit Russland war, ist lange vergessen, ebenso wie die völkerrechtswidrigen Kriege seiner Vorgänger.
Scheinheilig und widersprüchlich
In Wirklichkeit ist Steinmeier aber ein Humanist und Friedensfreund, so empfindet er sich. Denn er forderte, „unser elementares Verständnis von der Würde eines jeden Menschen zu verteidigen und für unsere offenen Gesellschaften zu kämpfen“, für „das normative Projekt einer Welt, das die Würde des Menschen zum Maßstab staatlichen Handelns macht“. Dabei berief er sich auf die Präambel der Charta der Vereinten Nationen, wonach Krieg geächtet ist.
Das klang gut und wäre eine echte Perspektive, würde die deutsche Regierung diese Charta respektieren. Doch das ist bekanntlich nicht der Fall, wie sich bereits 1999 bei der Teilnahme an dem Angriffskrieg gegen die Republik Jugoslawien gezeigt hat. Auch am Krieg gegen Syrien sowie an Sanktionen gegen Venezuela, Iran, Russland usw. ist Deutschland im Gefolge der USA beteiligt. Was sich der deutsche Bundespräsident Steinmeier, der sich – wie schon sein erhabener Vorgänger Gauck – mit ideologischer Verve in die aktuelle Politik einbringt, in München herausgenommen hat, ist also Schall und Rauch.
Die amerikanischen Hardliner
Da wurden die Vertreter der USA deutlich konkreter. Vizepräsident Mike Pence erklärte unter dem Beifall der Konferenzteilnehmer: „Amerika führt wieder einmal auf der Weltbühne.“(3) Präsident Trump habe die stärksten Streitkräfte in der Welt noch stärker gemacht, die Modernisierung des Atomwaffenarsenals veranlasst und die europäischen Staaten dazu gebracht, ihre Militärausgaben zu erhöhen. Nach Pence erwarten die USA, dass sämtliche NATO-Bündnispartner das Zweiprozentziel bis 2024 erreichen und 20 Prozent der Verteidigungsausgaben in Beschaffung investieren. Der Westen werde „niemals gebrochen“, betonte Pence abschließend, und dass „unsere Werte überdauern“ und „unsere Zivilisation triumphiert“.
Dem stimmte US-Außenminister Mike Pompeo in seiner Rede mit den Worten zu: „Der Westen gewinnt, zusammen gewinnen wir.“(4) Er unterstrich noch einmal die „Führungsrolle Amerikas in der freien Welt“ und rief die westlichen Partner zur Geschlossenheit auf. „Achtung der Souveränität anderer Länder, das ist das Geheimnis und zugleich der Grundstein unseres Erfolges“, so Pompeo, „aber es gibt immer noch Länder, die unsere Souveränität bedrohen.“ Russland zum Beispiel missachte die territoriale Integrität anderer Staaten, aber auch China und der Iran seien aggressiv.
Wie schon mehrmals zuvor, wandte sich Pompeo gegen die Verwendung chinesischer Huawei-Technologie sowie gegen die Fertigstellung der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, wodurch Deutschland in Abhängigkeit von Russland geriete. Ausdrücklich rügte er Steinmeiers Unterstellung, die USA erteilten der internationalen Gemeinschaft eine Absage (allerdings war die Rede von der „Idee einer internationalen Gemeinschaft“ gewesen).
Da mochte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht zurückstehen. Russland bedränge europäische Staaten, sagte sie. Deutschland bleibe „der nuklearen Teilhabe der NATO verpflichtet, deren Schutzschirm für uns ein wesentliches Element europäischer Sicherheit ist“. Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, ihre Ausrüstung und Kampfkraft, werde spürbar verbessert, der Verteidigungshaushalt kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes erhöht. Kramp-Karrenbauer bekräftigte, Deutschland werde „mehr leisten“ und sich beispielsweise in der Sahelzone und in der Straße von Hormus mehr einbringen.(5)
Maas für eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion
Den Ausführungen Steinmeiers zur wesentlichen Frage eines Zusammengehens mit den USA entsprechen die von Heiko Maas, der am selben Tag in München sagte: „Wir müssen mehr tun.“(6) Und er fügte sogleich hinzu, Deutschland habe damit ja bereits angefangen, zum Beispiel fast drei Milliarden Euro in die Stabilität der Sahel-Zone investiert, außerdem sei Deutschland in Afghanistan der zweitgrößte Truppensteller. Aber die internationale Zusammenarbeit stecke „seit Jahren in einer beispiellosen Rezession“. Neu sei nicht etwa der Aufstieg Chinas, den man beobachte, oder die „schrumpfende strategische Bedeutung Europas nach dem Kalten Krieg“. Vielmehr gehe „die Ära der omnipräsenten amerikanischen Weltpolizisten für alle sichtbar zu Ende …, weil sich das Engagement der Verantwortlichen im Weißen Haus für die von den USA geschaffene Weltordnung verändert hat“.
In Übereinstimmung mit den Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron plädierte Maas für „den Aufbau einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion – als starken, europäischen Pfeiler der NATO“. Europa werde seine Stärken künftig ausspielen müssen und Deutschland sei bereit, dabei eine tragende Rolle zu spielen. Maas: „Um es klar zu sagen: Deutschland ist bereit sich stärker zu engagieren, auch militärisch.“
Lawrow wirbt für Abrüstung und Verständigung
Demgegenüber plädierte der russische Außenminister Sergej Lawrow, dem am 15. Februar lediglich sieben Minuten Redezeit zur Verfügung standen, für Abrüstung und Diplomatie.(7). Er sprach von einer „Barbarisierung der internationalen Beziehungen“ wie auch von der „Unberechenbarkeit“ der Situation in Europa, und er kritisierte die riesigen Militärmanöver an den russischen Grenzen. Man müsse im Westen damit aufhören, das Schreckgespenst der russischen Bedrohung heraufzubeschwören und sich darauf besinnen „was uns verbindet“. Das sei der Grundsatz der gleichen Sicherheit. Man dürfe es nicht zulassen, dass unter der Flagge der Multilateralisierung Regeln gebrochen und Sekretariate internationaler Organisationen privatisiert würden, wie zum Beispiel in der Organisation für das Verbot chemischer Waffen.
Lawrow forderte, die Grundsätze der UN-Charta zu befolgen, einschließlich der souveränen Gleichheit von Staaten und der Nichteinmischung. Er kam schließlich auf die Initiative des russischen Präsidenten Putin zu sprechen, „einen großen europäischen Partnerschaftsraum zu gestalten“, der offen wäre für alle Staaten „unseres immensen Kontinents“. Und zum Schluss warnte Lawrow, ein Nuklearkrieg könne aus einem konventionellen Krieg erwachsen und der konventionelle Krieg erwachse aus Politik. Er rief die Teilnehmer der Konferenz auf, für den Frieden einzustehen.
Conclusio
Wer die Zeichen der Zeit zu deuten versteht, kann sich – insbesondere aufgrund der Ausführungen der US-Hardliner Pence und Pompeo – trotz aller Beschwichtigungen nicht der Vermutung entziehen, dass die USA auf eine Konfrontation mit China abzielen, während die westeuropäischen Staaten mit der NATO in Stellung gegen Russland gebracht werden sollen. Wozu sonst diese ungeheuren Aufwendungen für Aufrüstung.
Es scheint so, als stehe die Katastrophenuhr, die von manchen auch Atomkriegsuhr oder Weltuntergangsuhr genannt wird, kurz vor zwölf. Und die führenden Politiker Deutschlands beteiligen sich an diesem Katastrophenaufbau zum Schaden des eigenen Landes, das für die USA Brückenkopf und Frontstaat ist, anstatt ohne Wenn und Aber für Abrüstung und Verständigung mit Russland und China einzutreten. Es ist davon auszugehen, dass sie wissen was sie anrichten. Sie sollten dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Von Wolfgang Bittner erschien 2017 „Die Eroberung Europas durch die USA – Eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“ und im September 2019 „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“.
Siehe auch KenFM im Gespräch: https://kenfm.de/wolfgang-bittner/
Quellen:
(1) Vgl. http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/02/200214-MueSiKo.html?nn=9042544. Nachzuhören auf www.youtube.com/watch?v=Eufl3veTGfE.
(2) Zur Krim-„Annexion“: Wolfgang Bittner, Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise, Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen 2019, S. 217-224.
(3) Zit. wie https://www.youtube.com/watch?v=zoGI7jMwNk0
(4) Zit. wie https://www.youtube.com/watch?v=yDY0FsUNKWo
(5) Zit. wie https://www.youtube.com/watch?v=gctNIp-EYo0
(6) Vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-muesiko/2306680
(7) Zit. wie https://www.youtube.com/watch?v=6wi8esJi81M
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildquelle: MSC / shutterstock
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