Glatt gelutscht: Sonneborn! Zweiter Weltkrieg von Russen begonnen

Von Uli Gellermann.

Seit Jahr und Tag gaben sich Konservative und Rechte große Mühe, die Geschichte umzuschreiben. Mit dem Trick-Begriff „Totalitarismus“ setzten sie das Nazi- mit dem Sowjet-Regime gleich und schoben so der Sowjetunion zumindest eine Mitschuld am 2. Weltkrieg zu. Diese Geschichtsfälschungsfigur fand nun ihren Höhepunkt in einer Entschließung des EU-Parlamentes, das tatsächlich diesen Satz absonderte: „ … dass die unmittelbare Folge des Molotow-Ribbentrop-Pakts, auf den am 28. September 1939 der Grenz- und Freundschaftsvertrag zwischen den Nazis und den Sowjets folgte, darin bestand, dass zuerst Hitlers Truppen und zwei Wochen darauf Stalins Truppen in die Republik Polen einmarschierten . . . und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs den Weg bereiteten“. Der Molotow-Ribbentrop-Pakt, gemeinhin Hitler-Stalin-Pakt genannt, ist der Dreh- und Angelpunkt einer Gleichsetzungs-Ideologie, die eine vorgebliche Schuld der Russen konstruiert. Seit dem Kalten Krieg wird mit diesem Konstrukt das Feindbild des bösen Russen an die Wand gemalt.

Solche historischen Fakten wie der Überfall auf Polen durch deutsche Truppen mussten bei der Entschließung ebenso unter den Tisch fallen wie die Millionen Toten, die von den sowjetischen Völkern im Kampf gegen Hitler-Deutschland zu beklagen waren. Auch dass der Überfall der deutschen Wehrmacht im Oktober 1938 auf dieTschechoslowakei mit freundlicher Duldung der westlichen Mächte Frankreich und Großbritannien trotz deren Garantien im Münchner Abkommen der eigentliche Auftakt des 2. Weltkriegs war, konnte das EU-Parlament keinen Moment von seiner Geschichtsblindheit heilen. Großbritanniens und Frankreichs höfliche Zurückhaltung haben Hitler fraglos zu weiteren Raubzügen animiert. Der alte Anti-Sowjetische Reflex, längst in die aktuelle Russo-Phobie überführt, ist einfach zu wichtig für das Aufpolieren jenes Feindbildes, mit dem sich damals wie heute die NATO-Hochrüstung begründen lässt. Noch ist der NATO-Zwei-Prozent-Beschluss nicht in allen EU-Ländern umgesetzt. Da muss noch eine Hass-Schippe nachgelegt werden.

Nach der Besetzung der Tschechoslowakei, im Frühjahr und Sommer 1939, als die Ausweitung des Hitler-Kriegs vor der Tür stand, begannen Verhandlungen zwischen England und Frankreich einerseits und der Sowjetunion anderseits. Im März 1939 begonnen dauerten sie etwa vier Monate. Gegenstand war ein mögliches Militärbündnis der Mächte gegen Nazi-Deutschland. Den Regierungen war klar, dass der Krieg mit Deutschland vor der Tür stand. Der Vorschlag der Sowjets sah deshalb vor, dass die Sowjetunion, England und Frankreich sich gegenseitig verpflichten sollten, einander unverzüglich jeden, auch militärischen, Beistand zu leisten, falls gegen einen dieser Staaten eine Aggression unternommen werden würde. Der britische Gegenvorschlag sah nur eine einseitige Verpflichtung der Sowjetunion vor. Sie sollte sich zur Hilfeleistung an England und Frankreich verpflichten, die ihrerseits der Sowjetunion gegenüber absolut keinerlei Verpflichtungen übernehmen wollten. Lloyd George, zeitweilig britischer Premier, schrieb im Sommer 1939 in der französischen Zeitung „Ce Soir“: „Neville Chamberlain (brit. Premier), Halifax (brit. Außenminister) und John Simon (brit. Finanzminister) wünschen kein Übereinkommen mit Rußland.” Um nicht isoliert und unvorbereitet in einen Krieg mit Hitler-Deutschland zu geraten, gewann die Sowjetunion durch den Molotow-Ribbentrop-Pakt zumindest Zeit zur Vorbereitung auf einen unvermeidlichen Krieg.

Der EU-Feindbild-Entschließung stimmten aus Deutschland – neben den obligatorischen Totalitarismus-Theorie-Verfechtern von CDU und SPD – auch Ska Keller und Sven Giegold von den Grünen und Martin Sonneborn, der Erfinder der Spaßpartei DIE PARTEI, zu. Bei den GRÜNEN, deren ideologische Gründung von maoistischen Funktionären und ihrer Russophobie beeinflusst wurde, erstaunt die flotte Bereitschaft zur düsteren Ausstattung eines Russlandfeindbildes kaum. Bei Sonneborn erklärt sich sein mangelndes Geschichtsbewusstsein aus seinem Besuch der katholischen Ursulaschule, einem katholischen Privatgymnasium in Osnabrück. Das war in einer Zeit, als katholische Einrichtungen noch garantierte Wähler-Reservoire der CDU waren. Da wurden komplizierte historische Zusammenhänge gern zugunsten klerikaler Vereinfachung brutal umgeformt. Der Martin hat einfach nichts anderes gelernt.

Sonneborn galt lange Zeit als ein Querdenker mit Ecken und Kanten. Die paar Kanten sind offenkundig durch die EU-Parlamentszeit glattgelutscht: Auch Spaß-Opposition ist anstrengend, und auf Dauer sehnt der Mensch sich doch nach dem Mainstream, aus dem er angeblich ausgestiegen ist. Bei dieser Reise heim ins Reich der Bürgerlichkeit helfen 160.000 Euro EU-Diäten jährlich sehr. Am schnellsten bekommt man sein Rückkehrer-Ticket, wenn man sich gegen die Russen wendet. Das freut die aus den 50er Jahren übrig gebliebenen Kalten Krieger und die Rüstungsindustrie. Die Rüstungslobby braucht immer Feindbilder, die den Verteidigungs-Etat begründen und so den Umsatz erhöhen. Von einem Satiriker wie Sonneborn hätte man witzigere Schreckgespenster erwartet: Der „Iwan“ ist seit Hitler als Klischee in Gebrauch und sehr abgenutzt. Sonneborn könnte sich, der Originalität halber, doch dem gefährlichen monegassischen Feind und seiner 116 Mann starken „Compagnie des Carabiniers du Prince“ widmen.

Ein Satz der EU-Entschließung ist besonders pikant; mit ihm wird erinnert, „dass EU-Mitgliedstaaten das kommunistische Regime gesetzlich zu einem ‚kriminellen Regime‘ und die Kommunistische Partei zu einer ‚kriminellen Organisation‘ erklärt“ hätten. Augenscheinlich kommt hier der Wunsch einiger baltischer Staaten und Polen zum Ausdruck. Aber vielleicht ist diese Formulierung doch dem Komiker Sonneborn zu verdanken, der einfach mal erleben möchte, wie die Volksrepublik China und ihre führende kommunistische Partei auf diese interessante Formulierung reagieren wird. Sicher wird Martin, der Lustige, im Konfliktfall mit einem fröhlichen „April! April!“ antworten: So geht die neue EU-Außenpolitik.

Bildquelle:  Markus Wissmann/shutterstock

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Dieser Artikel erschien am . September 2019 auf dem Blog Rationalgalerie.

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Glatt gelutscht: Sonneborn! Zweiter Weltkrieg von Russen begonnen

  1. Ralle002 sagt:

    Man muss sich schon sehr ausführlich mit der gesamten Materie beschäftigen, um es hinterher sagen zu können, wer die wahren Schuldigen am Zweiten Weltkrieg waren.

    Spiegel, 17.03.1997
    SCHWEIZ
    Hitlers beflissene Hehler

    Wintersonnenwende, Nov.-Dez. 2000
    Stalins geheime Kriegspläne
    Warum Hitler in die Sowjetunion einmarschierte

    Handelsblatt, 01.01.2006
    GROSSBRITANNIEN
    Dokumente enthüllen geheime Churchill-Pläne

    Welt, 13.03.2008
    Churchill soll Hitler zum Krieg angestachelt haben

    Morgenpost, 31.05.2008
    Warum Stalin Hitlers Ehrenwort glaubte

    Spiegel, 21.08.2009
    Hitler-Stalin-Pakt
    Bündnis des Bösen

    Welt, 01.09.2009
    Putins Russland glättet die sowjetische Geschichte

    Youtube-Videos, Gerd Schultze-Rhonhof
    Die wahren Schuldigen am Zweiten Weltkrieg
    Der Krieg, der viele Väter hatte

    SZ, 17. Mai 2010
    "Churchill, Hitler und der unnötige Krieg"
    Hitler? Harmlos!

    Welt, 02.01.2013
    Goebbels' Propagandaschlacht gegen Roosevelt

    Welt, 30.08.2014
    Warum Hitler Polen im September 1939 angriff

    Welt, 31.08.2014
    SENDER GLEIWITZ
    Ein schlechtes Hörspiel eröffnete den Weltkrieg

    Cicero, 20. Mai 2014
    JUDENFEIND LUTHER
    Die dunkle Seite des Reformators

    Welt, 14.12.2014
    GROSSBRITANNIEN
    War Churchill etwa ein Hitler-Versteher?

    nrhz, 24.12.2014
    BIZ: Zentrum einer weltweiten Verschwörung des reaktionären Finanzkapitals
    Wie der Weltkrieg der Nazis finanziert wurde

    NZZ, 24.01.2015
    Der Gegenspieler Hitlers
    Als Winston Churchill 1965 mit 90 Jahren starb, zollten ihm Millionen von Menschen am Staatsbegräbnis
    Tribut. Er war es, der 1940 klarmachte, dass Hitler eine besiegbare Grösse sei.

    AG-Friedensforschung, 21. Mai 2015
    Churchills dritter Weltkrieg
    Wie der britische Regierungschef 1945 mit Soldaten der deutschen Wehrmacht die Sowjetunion angreifen wollte

    Welt, 17.12.2015
    „Fall Barbarossa“ begann wie ein Sandkastenspiel

    Welt, 04.04.2016
    ZWEITER WELTKRIEG
    Churchills Plan führte zur griechischen Katastrophe

    SZ, 5. Juli 2016
    Zweiter Weltkrieg in der Sowjetunion:
    Hitler und Stalin – die Verblendeten

    diepresse.com, 19.12.2016
    Das Raubgold der Nazis: Hitlers Hehler saßen in Bern

    Welt, 19.01.2017
    FEUERSTURM 1945
    Warum die Alliierten Dresden bombardierten

    Focus, 31.01.2017
    Goebbels Sekretärin stirbt mit 106 Jahren: Vor ihrem Tod sprach sie eine Warnung aus

    Welt, 13.12.2017
    NANKING 1937
    Warum japanische Soldaten Hunderttausende Chinesen massakrierten

    Michael Mannheimer, 26. Januar 2019
    Der zweite Weltkrieg: Nicht Hitlers, sondern Churchills Krieg

    rt deutsch, 08.07.2019
    Russischer Militärhistoriker zum "Hitler-Stalin-Pakt": "Das Wort 'Freundschaft' war falsch"

    Spiegel, 10.01.1962
    FREIMAURER
    Im Labyrinth der Logen
    …..Auch Churchill, Eisenhower…..gelten in der Internationale der Freimaurer als "Brüder".

    Zeitenschrift Nr. 62
    Geheimnisvolle Antarktis

    studybuddhism.com
    Die Beziehung der Nazis zu Shambala und Tibet

    Wikipedia
    Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe

    Vril-Gesellschaft; Thule-Gesellschaft

    YouTube-Video
    Der Mann, der die CIA erfand
    Markus Kompa

    chris-intel-corner.blogspot.com, May 23, 2012
    Allen Dulles and the compromise of OSS codes in WWII

    Welt, 20.11.2015
    NS-KRIEGSVERBRECHER
    So veränderten die Nürnberger Prozesse das Recht

    FAZ, 17.05.2019
    Keks-Konzern in Erklärungsnot :
    Bahlsen-Brüder waren in der NSDAP

    Zeit, 31. Juli 2012
    Als das Volk für Hitler die Demokratie abwählte

    Welt, 29.06.2019
    „RÖHM-PUTSCH“ 1934
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    berchtesgadener-anzeiger.de, 25.01.2018
    Grab von Hitlers Ideengeber Dietrich Eckard wird aufrechterhalten

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