Die Rache Gottes
von Ulrich Gellermann.
Wenn es denn einen Gott gibt, dann hat der offenkundig ein langes, gründliches und rächendes Gedächtnis. Dieses Erinnerungsvermögen geht den deutschen Medien völlig ab. Zum Tod von Helmut Kohl fällt denen nur süßliches Gequatsche ein: Der Kanzler der Einheit soll er sein, ein großer Europäer sei er gewesen, gar ein Glücksfall für die Deutschen. Annehmend, dass es keinen Gott gibt, wird Kohl eher als ein Unfall notiert werden müssen. Aber in der Rechnung der Geschichte, auf deren Konto Millionen toter Russen, Juden, Völker aller Art stehen, wäre er als Rache an den deutschen Verursachern dieser Opfer durchaus geeignet.
Als in Russland ein Mann an die Spitze der kommunistischen Partei geriet, der den intellektuellen und ökonomischen Verfall der Sowjetunion aufhalten wollte, zeigten sich auch die personellen Mittel der Kommunisten am Ende. Mit Michael Gorbatschow fand sich ein freundlicher Herr ein, der seine Aufgabe als Konkursverwalter im Wesentlichen in der Preisgabe der internationalen Machtpositionen der Sowjetunion begriff. Parallel glaubten die Bewohner der DDR für einen ziemlich kurzen Moment, dass Reisefreiheit der wichtigste Teil der Freiheit sei und Reisen mit einer westlichen Währung kostenfrei wären. Dieser Irrtum befreite viele Menschen in der DDR von Arbeit und kostete sie ihr Volksvermögen. Diese Sorte von Einheit erklärte Helmut Kohl als von ihm persönlich hergestellt und sammelte die Krümel ein, die vom großen sowjetischen Kuchen unter den Tisch fielen.
Auch in West-Europa galt die Bewegungsfreiheit als schönste Eigenschaft der Selbstbestimmung. Von A nach B zu reisen ohne den Ausweis zeigen zu müssen, war immer das populärste Argument für die Europäische Union. Kohl hatte auch hier die Gunst der Stunde begriffen, als er auch noch den lästigen Umtausch der D-Mark in fremde Währungen abschaffen ließ. Wer Helmut Kohl, den Kanzler des Euro, als Befreier von ausländischem Kleingeld feiern wollte, der hätte Grund genug: Vorbei die Zeit, als nach den Reisen noch Lira, Gulden oder Francs die Taschen ausbeulten. So wie das Kleingeld schwand, schwand auch die Souveränität europäischer Nationen. Nicht mal in Deutschland, dem Gewinner-Land der westeuropäischen Vereinigung, weiß man noch, wo gerade welche Gesetze gegen wen beschlossen werden. Zumeist ist der wichtige Vorgang gerade nach Brüssel unterwegs. Der metaphorische Ort Brüssel wurde bereits im sicher berühmtesten deutschen Roman, der Feuerzangenbowle, exakt definiert: „Da stellen wir uns mal ganz dumm, Brüssel ist ein großer schwarzer Raum mit zwei Löchern. Durch das eine kommt das Steuergeld rein, und das andere kriegen wir später“.
Im Feuerschein der von sozialdemokratischen Kanzlern verantworteten Bundeswehr-Einsätzen im Ausland, erglänzt das Denkmal des Herrn Kohl als Friedens-Kanzler. Zu gern wird unterschlagen, dass es die letzte Regierung Kohl war, die gegen die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens für eine Zerschlagung Jugoslawiens plädierte und mit einer vorschnellen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens den nationalistischen Brandsatz in das kokelnde jugoslawische Haus warf. Dieser deutsche Akt der Zerteilung des jugoslawischen Fells bei lebendigem Leib eines Vielvölkerstaates mündete folgerichtig im NATO-Krieg gegen Jugoslawien und dem ersten Bundeswehreinsatz im Ausland nach dem letzten Welt-Krieg.
Unter den vielen Verdienstkränzen, die sich in diesen Tagen auf dem Grab Helmut Kohls türmen, fehlt die Anerkennung seiner Verdienste um die Abschaffung des Ehrenwortes. Denn im Ergebnis der CDU-Spendenaffäre, als in den schwarzen Kassen der CDU zwei Millionen Mark verschwunden waren, die ziemlich eindeutig die Lieferung von Fuchs-Spürpanzern nach Saudi-Arabien schmieren sollten, gab Kohl dem deutschen Volk und wer es sonst noch wissen wollte sein Ehrenwort: Er wisse nicht wer denn die Spender dieser Millionen gewesen seien. Dass in den Nachrufen auf den früheren Kanzler diese Groß-Betrügerei als Marginalie erscheint, wirft ein grelles Licht auf die deutschen Medien: Immer gern bereit, Korruption und ihre Hintermänner in Deutschland zu verschweigen, aber gern und ausführlich über Fake-News in Nachbars Garten zu reden.
Unter den vielen schweren Verfehlungen gegen die Deutschen will keiner der Nachrufenden die schwerste nennen: Helmut Kohl hat uns Angela Merkel beschert, die Fortsetzung des schwarzen Riesen mit anderen Mitteln aber ähnlichen Methoden: Wo Kohl den pfälzischen Biedermann spielte, da führte Merkel die sparsame Hausfrau auf, wo Kohl mit seinen „blühenden Landschaften“ dem Potemkinschen Dorf zur Wiederauferstehung verhalf, da gelang es Angela Merkel mit diesem Satz „Ich freue mich, dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten“ dem US-Western der 50er Jahre zu einem Comeback auf der Menschenrechts-Rampe zu verhelfen. Doch während Helmut Kohl wohl endgültig von der politischen Bühnen abgetreten ist, wird Angela Merkel leider weiter auf dem Berliner Spielplan stehen: Kein barmherziger Vorhang ist in Sicht.
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(Bundesarchiv, B 145 Bild-F054631-0013 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0)
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