Hintergründe zur US-Eskalation in Syrien

von Petra Wild.

Jetzt, da die Konturen ihrer Politik in der arabischen Welt sich deutlicher abzeichnen, zeigt sich, dass die Trump-Administration in die Fußstapfen der Busch- und Obama-Administrationen mit ihren endlosen Kriegen und Verwüstungen in der arabischen Welt tritt. Am 7. April griffen die USA den syrischen Militärflughafen al-Sha’irat in der Nähe von Homs mit 59 Tomahawk-Marschflugkörpern an. Dabei wurden sechs syrische Soldaten und neun Zivilisten, die Hälfte davon Kinder, getötet. Syrischen Angaben zufolge wurden dabei sechs MIG-Flugzeuge zerstört, nach US-Angaben 20% der syrischen Luftwaffe. Dieser Angriff war weder von der UN autorisiert noch basierte er auf gesicherten Erkenntnissen darüber, dass das syrische Regime tatsächlich für den Einsatz von Giftgas am 4. April in Khan Scheikhun verantwortlich war.

Chemiewaffeneinsätze in Syrien: Fakten und Fiktionen

Am 4. April wurden in Khan Scheikhun in der Nähe von Iblib in Nordsyrien, das von der Nusra-Front kontrolliert wird,  mehr als 70 Menschen durch Giftgas getötet, darunter viele Kinder. Die USA und ihre Verbündeten „wussten“ sofort, dass nur die syrische Armee dafür verantwortlich gewesen sein konnte. Russland erklärte, dass das Giftgas bei der Bombardierung eines Waffenlagers von Jihadisten, in dem sich auch Giftgas befand, freigesetzt wurde. Der russische Präsident Putin schloss auch eine fabrizierte Aktion, die als Vorwand für einen militärisches Angriff der USA dienen sollte, nicht aus. Ehemalige Angehörige von US-Nachrichtendiensten und andere Experten haben auf die Unwahrscheinlichkeit, dass das Giftgas von der syrischen Regierung eingesetzt wurde sowie auf die Fehlerhaftigkeit angeblicher Beweise der USA hingewiesen.(1)

Die USA erhoben bereits 2013 mehrfach den Vorwurf des Chemiewaffeneinsatzes gegen die Zivilbevölkerung durch die syrische Regierung, die sich am Ende als falsch herausstellten. Eine UN-Kommission, die einen Chemiewaffeneinsatz vom März 2013 untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass dieser von syrischen Rebellen verübt worden war. Da dieses Ergebnis den am Krieg beteiligten westlichen Staaten nicht gefiel, wurde der Untersuchungsbericht niemals veröffentlicht. Statt dessen stellten die USA und das UK ihre eigenen Untersuchungen ein, die prompt die gewünschten Ergebnisse lieferten.(2) Nach einem Chemiewaffenangriff im Ghouta-Gebiet in der Nähe von Damaskus im August 2013 waren die USA kurz davor, einen militärischen Angriff gegen das Land durchzuführen. Dieser konnte jedoch abgewendet werden, unter anderem weil die syrische Regierung dem Abtransport und der Zerstörung ihrer Chemiewaffenbestände unter internationaler Aufsicht zustimmte und die Chemiewaffen-Konvention unterzeichnete.(3) Wie im Falle des Krieges gegen den Irak 2003 werden trotzdem weiterhin Chemiewaffen als Vorwand für eine Eskalation in Syrien benutzt.

Die Kontinuität der US-Politik in  Syrien

Viele waren überrascht über diesen US-Angriff, steht er doch vollkommen im Widerspruch zu der von Donald Trump während seines Wahlkampfes angekündigten außenpolitischen Stoßrichtung. Er hatte versprochen, von der Regime-change-Politik seiner Vorgänger abzugehen. Stattdessen trat er für die Konzentration auf den Kampf gegen den IS und die Entschärfung der Spannungen mit Russland ein. Dass er jetzt das genaue Gegenteil tut, zeigt nur, dass die Politik der USA nicht allein vom Präsidenten gemacht wird, sondern von den herrschenden Fraktionen in ihrer Gesamtheit. Um diese Politik zu verändern, bedarf es mehr als der Wahl eines neuen Präsidenten. Präsident Obama war im vergangenen Jahr ebenfalls in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Russland in Syrien am Widerstand des Militärs und der Geheimdienste gescheitert.

Auch wenn es Widersprüche innerhalb der herrschenden Fraktionen gibt, so zeigt sich doch eine deutliche Kontinuität der US-Politik in Syrien. Neben ihren Verbündeten Saudi-Arabien, Qatar und der Türkei spielten sie die Hauptrolle bei der Initiierung und Fortsetzung des Krieges in Syrien. Es war die Wiederaufnahme des „Greater Middle East“-Projekts, mit dem die Bush-Administration Mitte der 2000er Jahre so kläglich gescheitert war, mit anderen Mitteln. In ihrem Ziel, das syrische Regime zu stürzen war den USA jedes Mittel recht. Bereits 2013 war dem militärischen Geheimdienst der USA bekannt, dass die Opposition von extremistischen jihadistischen Organisationen dominiert wird. Doch, wie der ehemalige Außenminister John Kerry im Nachhinein zugab, nahmen sie das billigend in Kauf. Sie beabsichtigten den Islamischen Staat (IS) und die zur al-Qaeda gehörenden Nusra-Front für den Sturz des Regimes zu instrumentalisieren.(4) Der engste regionale Verbündete der USA, Israel arbeitet ebenfalls mit der auf den Golan-Höhen operierenden Nusra-Front zusammen. Doch das Kalkül der USA und Israels ging nicht auf. Das syrische Regime konnte nicht zu Fall gebracht werden. Stattdessen intervenierten der Iran, die libanesische Hizbollah und ab September 2015 auch Russland.

Erst nach der Intervention Russlands begannen auch die USA, sich ernsthaft am Kampf gegen den IS zu beteiligen. Sie hatten zwar bereits 2014 mit der Bombardierung von IS-Stellungen im Irak und Syrien begonnen, aber diese waren nur sehr sporadisch und äußerst ineffektiv gewesen. Immer wieder bombardieren sie – und Israel – die syrische Armee, während diese entscheidende Offensiven gegen wahhabitische Organisationen unternimmt, zuletzt im September 2016.

Die USA und ihre Verbündeten sind in Syrien ins Hintertreffen geraten. Russland und der Iran haben die Initiative in der Hand. Sie vermochten, den IS und die anderen wahhabitischen Organisationen in den letzten Monaten massiv zurückzuschlagen. Sie dominierten in der letzten Zeit auch die Friedensverhandlungen.

Jetzt, da die jihadistischen Organisationen offensichtlich in der Defensive sind und die Möglichkeit, dass sie das Regime zu Fall bringen, geschwunden ist, besteht für die USA die Notwendigkeit selbst stärker einzugreifen. Der Luftangriff vom 7. April war der Versuch, wieder in die Offensive zu kommen und die Kräfteverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern.

Nachdem sie bereits zuvor davon abgerückt waren, sprechen US-Politiker und- Militärs jetzt wieder von „Regime Change“ und betonen, dass es für Baschar al-Assad keine Zukunft gebe. Der nationale Sicherheitsberater H.R. McMaster wies darauf hin, dass die USA in Syrien gleichzeitig den Terrorismus bekämpfen und gegen al-Assads Regierung arbeiten könne.(5) Nach dem Luftangriff vom 7. April 2017 erklärte das Weiße Haus, dass es zu weiteren militärische Angriffen bereit sei, wenn wieder Chemiewaffen eingesetzt würden.

Druck auf Russland

Für Russland war die US-Militäraktion ein veritabler Schock. Es hatte sich von der Trump-Administration eine Verbesserung der Beziehungen erwartet, doch stattdessen gibt sich diese nun ausgesprochen feindlich gegenüber Russland. In der US-Administration haben sich diejenigen Kräfte durchgesetzt, die den wachsenden Einfluss Russlands zurückdrängen wollen.

Die US-Administration verlangt von der russischen Regierung, ihre Unterstützung für die syrische Regierung aufzugeben. US-Außenminister Rex Tillerson, der nur wenige Tage nach dem US-Angriff zu Gesprächen nach Moskau reiste, erklärte, dass Russland sich entscheiden müsse zwischen guten Beziehungen zu den USA und der Unterstützung Syriens und seiner regionalen Verbündeten in der „Achse des Widerstands.“

Für den Fall, dass Russland die Unterstützung al-Assads nicht aufgebe, drohen die USA und UK Sanktionen an. Um den Druck zu erhöhen, machen die USA Russland für den nicht bewiesenen Chemiewaffeneinsatz durch die syrischen Regierung mit verantwortlich. Tillerson erklärte, dass Russland seiner Verpflichtung, alle Chemiewaffen aus Syrien zu entfernen nicht nachgekommen und  daher für die Toten von Khan Scheikhun mit verantwortlich sei. Ein hochrangiger US-Politiker ging sogar soweit, anonym gegenüber der Presse zu erklären, dass Washington zu der vorläufigen Erkenntnis gelangt sei, Russland habe im Vorfeld von dem Angriff mit chemischen Waffen gewußt.(6)

Russland reagierte mit aller Schärfe auf die US-Aggression. In einer Erklärung des gemeinsamen Kommandozentrums, das aus Russland, dem Iran und der Hizbollah besteht, wird die US-Aggression gegen Syrien als ein Überschreiten der „roten Linie“ bezeichnet. „Von jetzt an werden wir kraftvoll auf jedweden Aggressor, wer immer er sei und jede Überschreitung der roten Linien antworten und Amerika weiß sehr wohl, dass wir dazu in der Lage sind,“ heißt es in der Erklärung. Außerdem wurde die US-Präsenz im Norden Syriens als „illegale Besatzung“ bezeichnet. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte vor den „schwerwiegenden Konsequenzen“ die eine weitere Militäraktion dieser Art für die regionale und internationale Sicherheit haben würde.(7)

Trump – der Kriegspräsident

Die USA haben seit dem Amtsantritt Donald Trumps ihre militärischen Aktivitäten in mehreren muslimischen Ländern verstärkt. Damit versuchen sie das Terrain und den Einfluss, die sie in den letzten 10 Jahren verloren haben, wieder zurückzugewinnen. Im Jemen führten sie im Monat März 2017 mehr Drohnenangriffe gegen al-Qaeda durch als im gesamten Jahr 2016. Außerdem haben sie die Unterstützung der Golfstaaten in ihrem Kampf gegen die Houthis und ihre Verbündeten verstärkt. Es wurden neue Richtlinien eingeführt, die Bombardierungen aus der Luft einfacher machen, so dass das Risiko, dabei Zivilisten zu töten, sehr viel größer geworden ist. Allein im März wurden im Iraq und Syrien fast 1.300 Zivilisten durch US-Bombardements getötet. Die US-Truppen im Iraq und Syrien wurden verstärkt, gleichzeitig wird die Entsendung von Soldaten ins Ausland nicht mehr öffentlich bekanntgegeben. In Syrien sind mindestens 900 Marines im Einsatz. Das Pentagon plant, ihre Zahl um 1.000 zu erhöhen. Im Iraq sind über 5.000 US-Militärs im Einsatz. Auch nach Afghanistan sollen zum ersten Mal seit 2014 wieder Hunderte von Marines geschickt werden. Das Pentagon plant außerdem, Tausende von US-Soldaten dorthin zu entsenden und fordert von der NATO das gleiche. Afghanistan ist 16 Jahre nach der US/NATO-Invasion noch immer nicht befriedet, die Taliban kontrollieren etwa 40% des Landes. Auch nach Mogadischu wurden Anfang April Angehörige einer US-Spezialeinheit entsandt, um die somalische Regierung bei ihrer Offensive gegen die al-Schabab-Miliz, die Verbindungen zu al-Qaeda hat, zu unterstützen.(8)

Die offensive Kriegspolitik der Bush-Administration in der arabischen Welt und Afghanistan hatte  in den 2000er Jahren zum Desaster für die USA geführt. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das diesmal anders sein wird.

Quellen

(1): Veteran Intelligence Professionals for Sanity, Trump should rethink Syria Escalation, Counterpunch, 12.4.2017; Postol, Theodore A., An Assessment of the White House Intelligence Report about the Nerve Agent Attack in Khan Shaykhun, Syria, Counterpunch, 14.4.2017; Steele, Jonathan, Assad is not mad” enough to use Chemical Weapons: Former UK Ambassador, Middle East Eye, 7.4.2017

(2): BBC, UN’s Del Ponte says Evidence Syria rebels “used Sarin”, 6.5.2013

(3): Veteran Intelligence Professionals for Sanity, Obama warned on Syrian Intelligence, Consortium News, 6.9.2013; Veteran Intelligence for Sanity, A Call for Proof on Syrian Sarin Attack, Common Dreams, 27.12.2015; Hersh, Seymour, The Red Line and the Rat Line, London Review of Books Vol.3 No.8, 17.4.2014; Bendavid, Naftali, Removal of Chemical Weapons from Syria is completed; Spiegel Online, Syriens gefährliche Chemiewaffen sind vernichtet, 19.8.2014

(4): Weiss, Philip, John Kerrys Eingeständnis: “USA unterstützten ISIS in Syrien, Russland kämpfte gegen den Terror,” Inamo, 8.4.2017 unter: https://www.linksnet.de/artikel/47012

(5): Wilhelm, Colin, McMaster: US eager for Regime Change in Syria, Politico Magazine, 9.4.2017; Middle East Eye, Assad’s Backers say US Agrression in Syria crossed “Red Lines”. 9.4.2017

(6): Morello, Carol, Trump Officials tell Russia to drop its Support for Syria’s Assad, Washington Post, 10.4.2017; The New Arab, Tillerson: Russia must choose between Bashar al-Assad and America, 11.4.2017; The New Arab, Russian Officials face Sanctions over Syrian War, 11.4.2017

(7): Middle East Eye, Assad’s Backers say US Aggression in Syria crosses “Red Lines,” 9.4.2017; Aljazeera, Russia, Syria and Iran warn US against further Strikes, 14.4.2017

(8): Hubbard, Ben; Gordon, Michael R., U.S. War Footprint grows in Middle East with no Endgame in Sight, The New York Times, 29.3.2017; Timm, Trevor, It’s not just Syria. Trump is ratcheting up Wars across the World, The Guardian, 10.4.2017; Accorsi, Alessandro, Trump’s War: Eight Ways President has flexed Military Muscle; Middle East Eye, 14.4.2017; The NEw Arab, Dozens of US Troops secretly deployed to Somalia, 14.4.2017

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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