Infektionsschutzmaßnahmen stehen über dem Kindeswohl | Von Bernhard Loyen

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Am Dienstag dieser Woche saß ich in der Aula eines Berliner Gymnasiums. Elternabend. Alle anwesenden Erwachsenen, sowie die beiden Lehrkräfte mussten die Alltagsmaske während der gesamten Zeit tragen. Bevor es um das frisch gestartete Schuljahr ging, dem zurückliegenden Verlust, also den Rückständen von verpasstem Lehrstoff während des Schul-Lockdowns, wollte erstmal geklärt werden, wie es sich mit den PCR-Tests verhält.

Dieses Gymnasium profiliert sich sehr gerne. Digital vermeintlich ganz weit vorne, was man jedoch während der Home-Schooling Wochen nicht wirklich bemerkte, nun also die Teilnahme an freiwilligen PCR-Testungen. Die Lehrkräfte erläuterten auf Nachfrage, das Unternehmen sei ihnen empfohlen worden, da die Tests kostenlos verteilt würden. Es fallen keinerlei Kosten für Schule und Eltern an.

Die Information an die Eltern vor Beginn des Schulstarts lautete, Zitat:

Wir möchten an dieser Stelle explizit noch einmal die Freiwilligkeit betonen, unter der dieses Angebot läuft. Gleichzeitig sehen wir die Teilnahme als einen wesentlichen Beitrag, Verantwortung für seine Mitmenschen zu übernehmen!

Das ist schon geschickt formuliert, besonders in der notwendigen Diskussion mit dem Kind. Wer also nicht daran teilnimmt, übernimmt keine Verantwortung für seine Mitmenschen? Könnte gerade ein Kind es so verstehen…sollen? Es war der entscheidende Satz, dass mein Sohn nun teilnimmt, teilnehmen wollte, wie auch seine Kumpels. Die gesamte Oberstufe.

Wie es mit dem Aufklärungsniveau ausschaut, zeigte die Antwort des Lehrers auf die Frage, wer denn die Testergebnisse der nun über Wochen laufenden Studie übermitteln würde. Dies erfolge nach Information durch das Unternehmen, ggf. über das zuständige Gesundheitsamt, die würden dann – Achtung – mitteilen, ob das Kind krank sei. Er meinte natürlich, ob es positiv getestet wurde. Hat einer protestiert, die Formulierung klar gestellt, den Arm gehoben? Nein. Wer die Tests durchführt? Natürlich die Kinder selber, keine Angestellten der Firma.

Ein Elternteil echauffierte sich über den Verstoß gegen das Infektionsschutz-Gesetz, keine Handdesinfektion vor der Veranstaltung zur Verfügung gestellt und man säße viel zu enge beieinander. Elternabende 2020.

Warum ich nicht den Arm gehoben habe? Wir leben in schwierigen Zeiten. Mein Sohn wird noch einige Zeit an diesem Gymnasium verbringen. Ich hatte noch ein frisches Erlebnis im mentalen Nacken.

Bei einem Straßengespräch mit einem nun ehemaligen guten Bekannten den Tag zuvor, hatte ich meine Irritation geäußert, bei der Abholung eines Schulbuches vor neue Herausforderungen gestellt worden zu sein. Bei Bezahlung per bevorzugter, also erwünschter Kreditkarte, wurde mir seitens der Buchhandlung ein Döschen hingestellt. Der Inhalt, mit dem Hinweisschild frisch desinfiziert, kleine Glasstäbchen. Damit sollte ich die Pin-Nummer eingeben. Vor lauter Erstaunen stellte ich das Stäbchen wieder zurück in das Döschen.

Da erntete ich zwei erste böse Blicke. Beim Erzählen der Geschichte den dritten verständnislosen Blick, kombiniert mit der spontanen Entfernung des erbosten Bekannten. Insgesamt die vierte Begegnung dieser Art in den letzten Wochen. Da kommen langsam Zweifel auf. Darf, will ich mich noch klar positionieren oder erwäge ich taktische Entscheidungen? Wann belaste ich mich, die Bekanntschaft/Freundschaft, wann die Familie, die Kinder?

Am 15. August begann wieder die Schule in Berlin, verbunden mit den Einschulungen der diesjährigen Erstklässler. In der „Alten Normalität“ war es Standard, dass sogenannte Schuleingangsuntersuchungen durchgeführt werden. Bei den Schuleingangsuntersuchungen beurteilen Ärztinnen und Ärzte der Gesundheitsämter, ob ein Kind die körperlichen und sozialen Voraussetzungen für den Schulalltag erfüllt. Nun vermeldete die Tagesschau am 19.08., Zitat:

Corona-Krise in Deutschland. Viele Kinder ohne Untersuchung eingeschult. Wegen der Corona-Pandemie sind in diesem Jahr viele Erstklässler ohne die eigentlich obligatorische Untersuchung eingeschult worden. Grund ist die Überlastung der Gesundheitsämter. (1)

Corona ist unbesiegbar, unaufhaltsam. Dringt in jede Fuge der Gesellschaft. Schafft alles und jeden oder wie Jens Spahn am 11.08. sehr beeindruckend formulierte, Zitat: Das Virus nutzt jede Chance (2).

Mit dem Schulbeginn war für restdenkende Eltern, aber vor allem für viele Kinder die größte Herausforderung das Tragen der Alltagsmaske auf dem Weg in die Schule, auf dem Gelände der Schule, in den Gängen der Schule und je nach Radikalität der jeweiligen Verordnungen auch während des Unterrichts. Für meine beiden schon älteren Kinder ist es nach eigenen Aussagen okay. Machbar. Man habe sich daran gewöhnt. Die Maske gehöre zum Leben nun mal jetzt dazu. Die „Neue Normalität“ ist bei ihnen inzwischen Alltag.

Ich habe aber auch mit Eltern von Erstklässlern gesprochen, deren Kinder dermaßen überfordert sind mit der Situation der Alltagsmaske, das jeder Schultag für sie ein tränenreicher Tag wird. Das Kind möchte nicht in die Schule. Der Lappen im Gesicht eine Tortur für das junge Dasein. Die Freude auf die Schule mutwillig genommen.

Ein Schulleiter in Rathenow, Brandenburg konnte und wollte diese Erfahrungen nicht mehr ertragen. In einem Brief an die Eltern hatte sich daraufhin der Schulleiter gegen die Maskenpflicht an seiner Grundschule gewandt und eigenständig die Vorgaben als beendet ausgerufen (3). Er bezeichnete die Maskenpflicht als „schädlich” für die Kinder. Nun war das zuständige Bildungsministerium am Zug und reagierte nicht überraschend mit einer umgehenden Suspendierung des Schulleiters. Das Land Brandenburg hatte Anfang August eine Maskenpflicht an den Schulen verordnet (4).

Es erfolgte eine umgehende Solidaritäts-Demo seitens Eltern und Kindern, an der rund 90 Personen teilnahmen. Der Berliner Tagesspiegel weiß zu berichten, Zitat: Weil er die Maskenpflicht ablehnt. Rechte und Verschwörungstheoretiker solidarisieren sich mit Brandenburger Schulleiter (5). Woher weiß das die Hauptstadtpostille? Zitat: „Der Großteil waren Kinder, Angehörige, Großeltern“, sagt Hardy Krüger, ein freier Journalist aus Rathenow, der vor Ort war und als ein Kenner der rechten Szene in der Region gilt. Dabei seien auch der Chef der Stadt-AfD Ralf Maasch gewesen, sowie Verschwörungstheoretiker, die bei Hygienedemos in Rathenow dabei gewesen seien.

Das Ganze gekrönt von dem Info-Sahnebonbon, Zitat: Der Vorgang lässt Rechte jubeln – wie auch Xavier Naidoo. Die Diskreditierung der solidarischen Eltern, des Lehrers siegt über die Diskussion, hinsichtlich dem so elementaren Kindeswohl. Der vermeintlichen Notwendigkeit dieser Kindesnötigung. Man schüttelt nur noch den Kopf.

Der aktuelle Schul-Spagat am Beispiel Brandenburg klingt final so, Zitat: Der Städte- und Gemeindebund appellierte derweil an die Eltern im Land, ihre Kinder für den Schulbesuch mit Masken auszurüsten. Es gebe eine größere Zahl von Eltern, die sich der Maskenpflicht für ihre Kinder verweigerten, sagte Vizepräsident Thomas Zenker am Montag. “Nach der Verordnung müssten wir die Kinder ohne Masken nach Hause schicken”, mahnte er. “Weil wir das aber nicht wollen, haben Schulträger bereits Masken für diese Schüler besorgt.“(6).

Es ist von Seiten der Politik, aber auch über die weiterhin irritierend hohe Zahl sich krisenidentifizierender Erwachsender, also Eltern zu beobachten, das Kindeswohl wird massiv aus den Augen verloren. Schul- und Kitaschließungen sowie Kontaktbeschränkungen sind für die gesunde Entwicklung junger Menschen von schwerwiegendem Nachteil.

Am 14.08. warnt das Ärzteblatt, Zitat: Coronakrise verursacht vermehrt seelische Beschwerden bei jungen Kindern (7). Die Coronakrise hat einer Umfrage unter Kinderärzten zufolge bei vielen Kindern zu seelischen Beschwerden geführt. Dies sei insbesondere bei Kindern ab dem sechsten Lebensjahr zu beobachten. Unfassbare 89% der befragten Ärzte stellen in jüngster Zeit besorgniserregende Fakten, wie Verhaltensveränderungen, Antriebslosigkeit, Reizbarkeit oder Angststörun­gen fest.

Dazu kämen forcierte, also bekannte Negativ-Erfahrungen, wie Konflikt und -Angstkrisen auf Seiten der Eltern. Für viele jungen Menschen jedoch eine neue Erfahrung, die zusätzlich die strapazierten Seelen belasten. Die Studie Homeschooling und Gesundheit 2020“ der pronova BKK, für die 150 niedergelassene Kinderärzte und Kinderärztinnen befragt wurden, kommt zu bedenklichen Erkenntnissen (8). Zitat:

Eine Mehrheit der Pädiaterinnen und Pädiater spricht von einer Zunahme seelischer Leiden bei jungen Patienten infolge der Corona-Einschränkungen. 68 % rechnen mit Corona-bedingten Traumata bei Heranwachsenden. „Kindern und Jugendlichen wurde ihr gewohnter Alltag genommen, vertraute Strukturen brachen weg. Für viele eine einschneidende Erfahrung, die sie noch lange beschäftigen wird“, sagt Gerd Herold, Beratungsarzt bei der pronova BKK. 

Gibt es Möglichkeiten sich dem Irrsinn entgegenzustellen? Ja, in Kiel klagten Eltern gegen Maskenpflicht an der Schule (9) und bekamen Recht zugesprochen.

Zitat: „Nachdem Eltern Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht haben, muss die Tori-Jensen-Schule die Maskenpflicht für Schüler aufheben. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin heißt es in dem Beschluss,…

Die Eltern hatten gegen das Tragen der sogenannten Mund-Nasen-Bedeckung auch während des Unterrichts geklagt. Das Kindeswohl stand bei ihnen an erster Stelle. Zur Begründung des Gerichts heißt es, Zitat:

Mögen die allgemeinen im Hygienekonzept der Antragsgegnerin geregelten Maßnahmen (Einbahnprinzip, regelmäßiges Lüften, Reinigung der Oberflächen in den Fachräumen nach dem Unterricht) keine Verwaltungsakte sein. sondern schulintern Verfahrensweisen zur Infektionshygiene…festlegen, gilt dies nicht für die Regelung zur Mund-Nasen-Bedeckung im Unterricht. Denn die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im Unterricht und damit u.U. für acht Stunden und länger weist eine erhebliche Intensität auf, die im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtsrelevant ist und schon aus diesem Grund Verwaltungsaktsqualität hat (9).

Die Statthaftigkeit richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO zur Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes. Dies ist vorliegend der Fall…Nach unserer Auffassung ist die Allgemeinverfügung zum Tragen einer Maske während des Unterrichts in diesem Punkt rechtswidrig. Die Allgemeinverfügung darf daher bis auf weiteres in diesem Punkt nicht ohne weiteres durch den Schulleiter oder den Lehrkörper vollstreckt werden (10).

Die Vehemenz, gerade aus der Welt der Erwachsenen, in der Diskussion, die Definitionshoheiten zum Thema Corona-Schutzmaßnahmen gerade auch gegenüber Kindern und Jugendlichen, muss ausgebremst werden. Das Kindeswohl muss oberste Priorität erhalten, darstellen.

Wie perfide diese Gesamtdiskussion geführt wird, zeigt exemplarisch eine aktuelle Empfehlung aus der Politik. Die Regierungspostille SPIEGEL weiß am 19.08. zu berichten, Zitat: Corona-Hygiene im Bundestag. Abgeordnete sollen ab September Masken tragen. Bundestagspräsident Schäuble empfiehlt den Abgeordneten “dringend”, in allen Parlamentsgebäuden Masken zu tragen. Die Regelung soll nach der Sommerpause in Kraft treten. 

Es sticht das Wort Empfehlung ins Auge. Der Bürger wird genötigt, ihm werden Bußgelder angedroht. Der Erwachsene fliegt aus dem Zug, das Kind etwaig von der Schule, aber den Damen und Herren Politikern, wird eine Empfehlung ausgesprochen.

Im Ergebnis sei er, Schäuble, zu dem Schluss gekommen, “das Tragen von Masken in allen Liegenschaften des Deutschen Bundestags ab dem 1. September 2020 dringend zu empfehlen“. Zu einer Maskenpflicht wollte sich Schäuble offenbar nicht durchringen.

Interessant und aufschlussreich. Etwaig nicht zumutbar, zu belastend für die schwere Arbeit in den Plenarräumen? Der politische Teint in Gefahr? Müssen die Bürger das erkennen, verstehen, ja sogar akzeptieren, dieses zweierlei Maß?

Dazu dann doch dezente Bedenken seitens des Bundestagspräsidenten, Zitat: “Nicht zuletzt wegen der Vorbildfunktion gegenüber der Öffentlichkeit” habe er die Frage prüfen lassen, ob auch im Bundestag auf eine “verstärkte Nutzung von Masken gedrängt werden sollte“ (11). Eine Frage prüfen lassen, heißt vorsichtig anklopfen. Er möchte nicht stören in der Parallelwelt.

Die Wohlfühl-Oase Bundestag müsste sich auf Ebene der Normalbürger begeben. Wird es hausinterne Proteste geben? Widerstand, Gegenstimmen? Ich werde mal eine Anfrage an den Bundestags-Kindergarten stellen, wie sie die Thematik behandeln, ggf. die Diskrepanz zum Fußvolk erläutern.

Deutschland zeig dein Gesicht, heißt ein Lied, welches mir zugeschickt wurde. Nicht verwunderlich, kein Interpret der sogenannten 1.Liga musikschaffender Künstler in diesem Land. Die gesamte Kulturszene, sogenannte Identifikations-Personen, Prominente, Influencer hüllen sich seit Monaten in Schweigen. Kein Protestsong, kein Wut-Theaterstück. Kein Aufruf zum gefährdeten Kindeswohl. Schweigen, Identifikation, Duldung.

Das Lied wurde von Alex Olivari komponiert (12). Über Musik und Geschmack kann man streiten. Der Text schlicht, jedoch verständlich und klar auf den Punkt gebracht, Zitat:

Deutschland zeig Dein Gesicht. Wach endlich auf und kämpf für dein Recht.

Lass Deine Kinder wieder frei, Lass sie wieder atmen, spielen und schreien.

Deutschland zeig dein Gesicht, am 29.08. in Berlin. Für unsere Kinder, deren Zukunft ohne Masken im Gesicht. Mit Berührungen, Umarmungen, Raufen, Bolzen. Ohne Bevormundungen und Angst.

Träume ermöglichen. Mit Freude am Leben.

Dieser Irrsinn muss ein Ende finden.

Quellen:

  1. https://www.tagesschau.de/inland/corona-einschulung-untersuchung-101.html
  2. https://twitter.com/jensspahn/status/1293196311085355010
  3. https://www.welt.de/politik/deutschland/article213731074/Corona-Rathenow-Schulleiter-gegen-Maskenpflicht-Demo-nach-Entlassung.html
  4. https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/08/brandenburg-schulen-maskenpflicht-gaenge-ernst.html
  5. https://www.tagesspiegel.de/berlin/weil-er-die-maskenpflicht-ablehnt-rechte-und-verschwoerungstheoretiker-solidarisieren-sich-mit-brandenburger-schulleiter/26102562.html
  6. https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/08/brandenburg-rathenow-schulleiter-suspendierung-demonstration-protest.html
  7. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/115647/Coronakrise-verursacht-vermehrt-seelische-Beschwerden-bei-jungen-Kindern
  8. https://www.pronovabkk.de/presse/pressemitteilungen/corona-krise-mehrheit-der-kinderaerzte-gegen-schulschliessung.html
  9. https://opposition24.com/schule-muss-maskenpflicht-aufheben-eltern-setzen-sich-vor-gericht-durch/
  10. https://opposition24.com/maskenpflicht-eltern-reichen-klage-ein-und-erstatten-strafanzeige/
  11. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-hygiene-im-bundestag-abgeordnete-sollen-ab-september-masken-tragen-a-a029a07a-0ad9-434c-86e6-6862ae3605d3

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Danke an den  Autoren  für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:    ambrozinio/ shutterstock

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