Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
1993 war es, als Eric Bihl sich vor dem Fernseher dermaßen empörte, dass er spontan von München nach Hamburg reiste, um mir die Leviten zu lesen. Was trieb den 29jährigen dazu? Mein Roman „GO!-Die Ökodiktatur“ war gerade erschienen. Bihl hatte mich kurz darauf in einer Talkshow auf Pro7 gesehen, in der ich mit dem Physiker, Zukunftsforscher und ehemaligem Direktor der Freien Universität Berlin, Prof. Rolf Kreibich in der Sendung „Zwei gegen Zwei“ diskutierte. Thema: „Zukunft, Untergang oder Herausforderung.“ Meine Position war unmissverständlich und gipfelte in dem Fazit: „Machen wir uns nichts vor, der Drops ist gelutscht!“
Das konnte Bihl nicht unwidersprochen hinnehmen. Er war gerade dabei, jede Menge Alternativen auszugraben, die von kapitalen Interessen verhindert wurden. Alternativen für alle Lebensbereiche: Nahrung, Mobilität, Behausung, Kleidung und Energie. Sie seien sofort anwendbar, so Bihl. Sein Motto: „Eine bessere Welt beginnt, wenn wir anfangen zu handeln!“ Diesen Optimismus teilte ich nicht und das gab ich ihm auch deutlich zu verstehen.
Vier Jahre hörten wir nichts voneinander, dann fand ich ein Päckchen in der Post. Es enthielt ein Buch mit einem Titel so umständlich, wie ein Buchtitel nur umständlich sein kann: »Equilibrismus – Neue Konzepte statt Reformen für eine Welt im Gleichgewicht«. Mit einem Geleitwort von Sir Peter Ustinov. Aha. Und einem Vorwort von Daniel Goeudevert, der als VW-Vorsitzender den Umweltschutzgedanken in die Automobilindustrie eingebracht hatte. Nicht schlecht. Und wer waren die Autoren? Volker Freystedt (sagte mir nichts) und Eric Bihl! Der Junge aus München! Er hatte sein Versprechen wahr gemacht und zusammen mit seinem Co-Autor ein fantastisches Werk vorgelegt, ein sozio-ökologisches Wirtschaftskonzept, das seinesgleichen suchte.
Ich gestehe, dass ich beeindruckt war. Von Bihls Hartnäckigkeit ebenso wie von der Idee, die hinter dem Projekt stand. Denn mein umtriebiger Besucher von damals hatte inzwischen einen Verein gegründet, den Equilibrismus e.V.
„Das Konzept des Equilibrismus strebt nach einem Ausgleich zwischen Ökologie, Ökonomie, Politik, Sozialem und Kulturellem,“
schreibt Sir Peter.
„In einer Zeit, in der ausschließlich ökonomisches Denken um sich greift und die Wirtschaft auf globaler Ebene omnipotent wird, ist dieses Ziel dringlicher denn je.“
Welche Anstrengungen der Equilibrismus e.V. in den 27 Jahren seines Bestehens unternommen hat und immer noch unternimmt, darüber gibt seine Website[1] ausreichend Auskunft. Sie lässt einen schnell erahnen, mit welcher Intensität und Sorgfalt Bihl sein Projekt vorantreibt. Allein die Namen der Persönlichkeiten, die dem Equilibrismus von Anfang an zum Erfolg verhelfen wollten, rauben einem den Atem. Unter den Unterstützern befanden sich neben Sir Peter und Daniel Goeudevert so prominente Namen wie Lord Yehudi Menuhin (weltberühmter Musiker und im Vorstand des World Federalist Movement), Thor Heyerdahl (Anthropologe und Umweltaktivist), Herbert Gruhl (Politiker und Autor), Dennis L. Meadows (»Die Grenzen des Wachstums«), Helmut Creutz (Geldreformer, Architekt und Schriftsteller), Jean Ziegler (UN-Sonderberichterstatter, »Recht auf Nahrung«, Globalisierungskritiker), Helmy Abouleisch (ägyptische Entwicklungsinitiative).
Sir Peter Ustinov war es schließlich, der vorschlug, ein breiteres Publikum zu bedienen, da ein Sachbuch nur begrenzte Wirkung habe. Es sollte zunächst ein Roman entstehen, danach ein Film und zum Schluss ein Modellversuch, der beweisen könnte, dass das von Bihl und Freystedt entwickelte Konzept tatsächlich alltagskompatibel ist. Die beiden begaben sich auf die Suche nach einem Autor. Frank Schätzing war im Gespräch, Andreas Eschbach auch. Warum sie sich ausgerechnet für einen erwiesenen „Untergangspropheten“ wie mich entschieden, bleibt ihr Geheimnis. Ich fühlte mich geehrt und überfordert zugleich. Wo hatte es das schon mal gegeben, auf der Basis eines Sachbuches einen Roman, nein, eine ganze Trilogie zu schreiben? Naja, es hat funktioniert und Spaß gemacht hat es auch, wobei Eric und ich uns in einem jahrelangen Tauziehen befanden. Während er mich mit Fakten und Informationen nur so zuschüttete, musste ich darauf achten, darin nicht zu ersticken. Meine Aufgabe war es ja, das equilibrilistische Gedankengut in einer gut lesbaren Geschichte sinnlich erfahrbar zu machen. Hat sich gelohnt, die Trilogie ist ein veritabler Longseller geworden, was wieder einmal beweist, dass die Menschen sich sehr wohl nach einem Paradigmenwechsel sehnen.
Das Mantra des Equilibrismus (was so viel wie Gleichgewicht oder Balance bedeutet) lautet:
„Wir haben es nicht mit Fehlern im System zu tun, sondern mit einem fehlerhaften System.“
Herumdoktern an den Symptomen bringt uns nicht weiter, so Bihl, wir müssen eine radikale Kehrtwendung vollziehen. Man muss das Neue als komplexe Einheit darstellen, um die Zustimmung der Menschen zu bekommen. Um seine Botschaft auch dem Letzten klarzumachen, zitiert er auf seinen Vorträgen immer wieder einen sehr schlüssigen Satz von Albert Einstein:
„Wir können Probleme nicht mit den Denkmustern lösen, die zu ihnen geführt haben!“
Einleuchtend, oder? Aber der Optimismus jener, die noch daran glauben, dass die Menschheit zur Besinnung kommen wird, schwindet rasant. Angesichts dieser Aussichten und auf der Grundlage eigener, jahrelanger Bemühungen und vergeblicher Aufklärungsversuche, die der Equilibrismus seit seiner Gründung unternommen hat, wollten Bihl und ich schon einen kleinen Abgesang schreiben: „Dumm gelaufen – eine Entschuldigung an die nächste Generation“. Bisher haben wir uns zurückgehalten. Eric Bihl will die Hoffnung einfach nicht aufgeben, dass Wirtschaft und Politik angesichts des drohenden kollektiven Untergangs doch noch zur Besinnung kommen werden. Das Exposé zu „Dumm gelaufen“ aber ist geschrieben, hier einige Sätze daraus:
„Warum waren wir nicht in der Lage, trotz der über Jahrzehnte hinweg ergangenen Warnsignale erfolgreich gegenzusteuern? Warum ließen wir es zu, dass unseren Kindern und Enkelkindern nichts als soziales Chaos und verbrannte Erde hinterlassen wird? Was sind unsere größten Unterlassungssünden und wie sind sie zu erklären? Sind sie überhaupt zu erklären? Fazit: das Phänomen der kollektiven Unvernunft kann wohl nur als Teil eines evolutionären Plans erklärt werden, den kein Sterblicher je verstehen wird …“
Ich habe noch nie einen Menschen wie Eric Bihl erlebt, der trotz aller Negativinformationen, die auf uns einprasseln, so unbeirrt an dem Glauben festhält, dass der Mensch hilfreich ist und gut … und solidarisch … und empathisch … und fantasievoll … und talentiert … und willens. Seit Eric in mein Leben getreten ist, ist der Schatten auf meiner Seele verschwunden, dafür danke ich sehr.
Am 19. Juni 1799 schrieb der fünfzigjährige Goethe an Schiller einen Brief, der mit den folgenden Sätzen begann:
„Mir wird, ich gestehe es gern, jeder Zeitverlust immer bedenklicher, denn ich gehe mit wunderlichen Projekten um. Aber die Verhältnisse nach außen machen unsere Existenz und rauben sie zugleich und doch muss man sehen, wie man so durchkommt; denn sich wie Wieland es getan hat, gänzlich zu isolieren, ist auch nicht ratsam.“
Quellen und Anmerkungen
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: petrmalinak / shutterstock
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Wir müssen noch etwas tiefer gehen, sich mit dem Menschenbild beschäftigen reicht nicht aus. Es muß das Weltbild sein, das uns schon in frühester Kindheit prägt, es muß hinterfragt werden. Dann können wir entdecken, daß Anthropozentrismus und das damit verbundene Patriarchat die kranke Weltvorstellung sind. Wir müssen zurückfinden in ein Leben verbunden mit allen anderen Lebensformen, ohne Hierarchien.
Realismus ist der Weg aus der Krise. Doch einzig Realisten führen zu einer weiteren Krise, es bedarf der Optimisten und Pessimisten, um die Realisten auf den richtigen Weg zu bringen. Es zeigt sich, dass jedes Denken seinen Sinn hat.
Danke für den Beitrag!
Mir war das alles völlig neu, aber das erwähnte Menschenbild ist vielleicht einer von den Faktoren, die uns letztlich retten werden (das wir als Spezies noch nicht am Ende sind, da bin ich sicher). Manchmal formt das Bild auch ein wenig die Realität und bildet sie nicht nur ab.