Warum fiebersenkende Maßnahmen kaum Sinn machen, wenn Herz, Nieren und Lungen weiter zerstört werden.
Ein Kommentar von Mathias Bröckers.
Kaum eine Debatte wird derzeit emotionaler geführt als die um den Klimawandel. Aktivisten von »Fridays For Future«“ und »„Extinction Rebellion«“ stehen Skeptiker und Leugner gegenüber, die die Gefahren von CO₂ und der Erderwärmung für überschätzt halten oder für nicht einmal vorhanden. Zwar schmilzt Grönland wieder zu Grünland, aber wächst nicht anderswo gerade wieder das Packeis? Und gab es nicht vor 250 Millionen Jahren Unmengen CO₂ in der Atmosphäre und einen rapiden Anstieg der globalen Temperatur und im Mittelalter, wo sie gar nicht hingehört, eine kleine Eiszeit? Und war die Erde nicht schon immer klimatischen Zyklen, Veränderungen der kosmischen Strahlung und des Sonnenmagnetfelds ausgesetzt, die dann zu Dürreperioden, Hitzewellen oder Überflutungen führten? Und wenn nachgewiesenermaßen simpler Wasserdampf zu 80 Prozent für den Treibhauseffekt verantwortlich ist, wie können da Stoffe wie CO₂ oder Methan, die nicht einmal ein Prozent der Atmosphäre ausmachen, eine entscheidende Rolle spielen? Und wenn die Klimaforscher an ihren Kurven, die menschengemachte CO₂-Emissionen als Ursache für den Temperaturanstieg aufzeigen, ein wenig herumgeschraubt haben, ist das nicht ein Beweis, dass diese Klimamodelle falsch sein müssen? Werden wir nicht nach Strich und Faden verschaukelt von Wissenschaftlern, die nicht die wahren Fakten aufzeigen und erklären, sondern einer politischen Agenda folgen? Oder die in einem Gruppendenken verhaftet sind, das durch Forschungsförderung und Schwerpunktsetzung bei Publikationen sowie durch politischen Druck nur die herrschende Lehrmeinung bestätigt, aber mit echter Wissenschaft nichts mehr zu tun hat?
Den Gegenpol zu solchen kritischen, skeptischen Fragen bilden die Gutachten des Weltklimarats (IPCC) und die von den meisten Forschern weltweit unterstützten Klimamodelle, die bei einem weiteren CO₂-Anstieg in der Atmosphäre stark steigende globale Durchschnittstemperaturen und fatale Folgen nicht nur für küstennahe Regionen der Erde vorhersagen. Dazu gehören extreme Hitzewellen, Dürre, Ernteausfälle, Flüchtlingsströme und – in letzter Konsequenz – das Ende der Zivilisation. Doch Panikmacher, Apokalyptiker und Fatalisten lügen sich in Sachen CO₂ genauso in die Tasche wie die Skeptiker und Leugner einer menschengemachten Erderwärmung. Wir haben also »Klimalügner« auf beiden Seiten, die blind geworden sind für die Wirklichkeit.
Denn weder ist der anthropogene CO₂-Ausstoß harmlos, noch ist er der einzige Faktor, der bekämpft werden muss, um den Planeten zu retten. Deshalb ist das fröhliche »Weiter so!« mit fossiler Energie, das die Skeptiker und Leugner vertreten, genauso falsch wie der panische Blick auf die »Parts per Million« (ppm) Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre und die Horrorszenarien, die bei einem weiteren Anstieg drohen. Richtig und entscheidend ist vielmehr: Auf diesem Planeten findet ein großes Sterben statt – die weltweite Zerstörung von Ökosystemen – und es ist unstrittig, dass Menschen dafür verantwortlich sind. Der Streit über menschengemachten CO₂-Zuwachs ist ein Nebenkriegsschauplatz, der im Zuge der Klimadebatte zum einzigen Schlachtfeld geworden ist, während das große Sterben der Wälder, der Meere, der Böden, der Feuchtgebiete und die Vernichtung der Tier- und Pflanzenarten als sekundär gilt. Wer glaubt, dass dieses Problem mit einer Reduktion anthropogener Treibhausgase gelöst werden kann, macht sich etwas vor. Denn fiebersenkende Maßnahmen machen kaum Sinn, wenn Herz, Nieren und Lungen weiter zerstört werden.
Das heißt: Auch wenn die Erderwärmung nicht CO₂-bedingt sein sollte, müssen wir dringend etwas tun – und wenn menschengemachtes CO₂ die Ursache ist, erst recht. Nur was wir nicht mehr tun sollten, ist, diese nutzlose Debatte weiterführen. Stattdessen müssen wir an den Lösungen arbeiten. Und die können nicht darin bestehen, das Problem zu monetarisieren, aus dem Handel mit Verschmutzungsrechten ein Finanzprodukt zu machen und das Heil in CO₂-Steuern zu suchen, denn das kann allenfalls die Symptome kurieren, nicht aber die Krankheit heilen. Was nottut ist ein grundlegender Systemwechsel und der kann nicht mit denselben Methoden erreicht werden, die die Zerstörung angerichtet hat.
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Das Ende – von der heiteren Hoffnungslosigkeit im Angesicht der ökologischen Katastrophe war der Titel eines literarischen Essays von Gregory Fuller, der angesichts des dramatischen Artensterbens, der Wirkungslosigkeit der Klimaschutzabkommen und den irreparablen Schäden der globalen Umweltzerstörung bereits 1993 zu dem Schluss kam: Es ist zu spät. Als er ein Vierteljahrhundert später für eine zweite Auflage recherchierte, erschrak er »über das Tempo, in dem der Planet zugrunde gerichtet wird. Anfang der 1990er-Jahre hatte ich in meiner damaligen Naivität an einen prozessualen Zeitraum von vielen Jahrhunderten für die Endkatastrophe gedacht. Nun wurde mir klar, das Zerstörungstempo hat sich potenziert. In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts werden wir uns bereits, viel früher als ich jemals vermutet hätte, am Anfang der Endphase befinden. Unsere Kinder und Enkel werden es ausbaden.«
Diese potenzierte Beschleunigung gibt Anlass zu apokalyptischer Hoffnungslosigkeit. Angesichts dieser Katastrophe heiter zu bleiben, zivilen Ungehorsam und Mitgefühl zu üben, weiter Freude und Begeisterung für Schönes zu empfinden und nicht zu verzweifeln, ist ein freundlicher und durchaus weiser Rat. Mir aber, als Freund des Galgenhumors, ein bisschen zu wenig. Denn das Wissen, die Lösungen, die Ansätze, wie wir die Zukunft retten und den Planeten bewohnbar halten können, liegen vor. Es nicht einmal versucht zu haben, sie umzusetzen, keine Anstrengung unternommen zu haben, Leid zu verringern und Dinge zu verbessern, scheint mir verantwortungslos und wäre überaus tragisch. Denn es könnte funktionieren. Wir können die Erde zu einem besseren Platz und die Menschen zu besseren Erdbewohnern machen. Wenn auch nicht sofort zu voll bewussten, aktiven Erdlingen, die nach den Schulstreiks fürs Klima am Freitag auch an den anderen Wochentagen zum Generalstreik für Gaia aufrufen; montags für die Ozeane, dienstags für den Boden, mittwochs für die Pflanzen, donnerstags für die Tiere, freitags für die Atmosphäre und am Wochenende für das Leben insgesamt. Wie lange müsste solch ein Generalstreik laufen, um die Billionäre, die Feudalherren der Welt, zum Einlenken zu zwingen? Ich vermute: Nicht allzu lange, auch wenn der Forderungskatalog der Erdlinge lang ist und teuer wird – aber Geld ist mehr als genug da. Zumal außer den Schätzen der Feudalherren künftig auch öffentliche Gelder sinnvoller eingesetzt werden. Mit den zwei Prozent vom BIP etwa, wie sie für einen »hirntoten« Verein wie die NATO aufgewendet werden sollen, können die Erdlinge schon eine ganze Menge anfangen, dank des gigantischen Budgets des Pentagon – Heimat des größten institutionellen Umweltzerstörers überhaupt, mit einem CO₂-Ausstoß wie ganz Schweden – mit diesen zwei Prozent würde »Gods Own Country« im Nu geradezu paradiesisch aufblühen. »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin« lautete eine friedensbewegte Hippie-Utopie, die sich bis dato nur insoweit bewahrheitet, als Krieg mittlerweile per Drohne ferngesteuert wird. Angesichts der Tatsache, dass die Lösungen und das Geld vorhanden sind, den Treibhauseffekt zu kontern und die Mitweltzerstörung zu stoppen, stehen wir jetzt vor einem umgekehrten Paradox: »Stell dir vor, es geht, und keiner kriegt’s hin.«
Also kein Grund zur Hoffnungslosigkeit, eher Motivation, es noch einmal zu versuchen. Das geht, wenn wir uns – mit Albert Camus – Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen und bedenken, dass die domestizierten Primaten, bei all ihrer Ungeschicklichkeit und Dummheit, ja auch über eine wunderbare Kreativität und Erfindungsgabe verfügen, dank derer sie mittlerweile in der Lage wären, aus dem von Mangel und Knappheit geprägten Planeten ein Paradies zu machen: mit einem gigantischen Atomkraftwerk am Himmel, das (für die nächsten circa zwei Milliarden Jahre) kostenlos freie Energie liefert, mit (noch) fruchtbaren Böden, (noch) leidlich sauberem Wasser und einer (noch) gerade ausreichenden Vielfalt von Pflanzen und Tieren, sodass die Erde auch eine größere Menschenbevölkerung ernähren könnte als die derzeit lebende – sofern sich diese Bevölkerung an die Spielregeln hält. Deren wichtigste Regel, die auf diesem Planeten gilt, seit sich das erste Leben ausbreitete, lautet: Aus Parasiten müssen Symbionten werden. Entscheidend ist die Gesundheit des ganzen Planeten und nicht irgendeiner einzelnen Art von Organismus, entscheidend für die Regulierung des Gesamtsystems ist die Vielfalt des organischen Lebens. Wer sich nur parasitär, auf Kosten dieser Vielfalt ausbreitet, wird zwangsläufig untergehen.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Alexandros Michailidis / shutterstock
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