Ein Beitrag von Wolfgang Effenberger.
Anfang November 2021 sagte in Minsk der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu vor hohen Militärs der verbündeten Staaten Russland und Weißrussland:
„An den westlichen Grenzen unserer Staatenunion bauen die USA und andere Nato-Mitglieder aktiv ihr Angriffspotenzial auf.“
Die USA würden nicht nachlassen, anderen Ländern politisch, wirtschaftlich und militärisch ihren Willen aufzuzwingen:
„Diese Handlungen untergraben die strategische Stabilität in der Region und zwingen Russland, Gegenmaßnahmen zur Verteidigung zu ergreifen, auch an seiner Westflanke.“(1)
Das ist das Motiv Moskaus, annähernd 100.000 Soldaten an der Westgrenze Russlands zu stationieren.
In dieser NATO-Karte fehlen Hinweise auf die bisher in der Ukraine angelandeten US-Kriegsgüter und die in der Ukraine tätigen US-Militärberater.
Ohne diese für Russland bedrohliche Entwicklung zu berücksichtigen, tönt das westliche Kriegskonzert täglich lauter und schneller.
Als der Chef der deutschen Marine, Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach, in Indien Verständnis für Putin äußerte, musste er umgehend seinen Hut nehmen. Das wurde zwar vom ukrainischen Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, begrüßt, aber nicht für ausreichend befunden. Aus den Äußerungen des Marine-Chefs spreche
“deutsche Arroganz und Größenwahn, mit denen einer der hochrangigsten Köpfe der Bundeswehr von einer heiligen Allianz mit Kriegsverbrecher Putin und einem deutsch-russischen modernen Kreuzzug gegen China träumt“.(2)
Dass der ukrainische Botschafter in Deutschland Putin unwidersprochen einen Kriegsverbrecher nennen darf, ist mehr als befremdlich. Hier hätte Außenministerin Annalena Baerbock unverzüglich einschreiten müssen. Der Botschafter legte sogar noch nach und forderte von Deutschland
„dringend 100.000 Helme und Schutzwesten für die Freiwilligen, die sich gerade für die Landwehr melden, um ihre Heimat zusammen mit den Streitkräften zu verteidigen“.(3)
Daraufhin kündigte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen für die Ukraine ein neues „Nothilfepaket“ von 1,2 Milliarden Euro an. Seit dem Regime-Change 2014 hat die EU bereits 17 Milliarden Euro an Geldgeschenken und Darlehen an die Ukraine überwiesen.(4)
Ist Putin für die Eskalation verantwortlich?
Um diese Frage nachhaltig zu beantworten, hilft ein Blick in die Rede von Michail Sergejewitsch Gorbatschow, die er anlässlich der Verleihung des Franz-Josef-Strauss-Preises am 10. Dezember 2011 in München gehalten hat:
„…Wir sind schon wieder in einem Wettrüsten verfangen. Es geht tatsächlich um ein neues Wettrüsten. Wir haben dabei nicht nur mit der Militarisierung der Wirtschaft, sondern auch mit der des Bewusstseins zu tun. Wir sind krank, wir alle haben es nötig, behandelt und geheilt zu werden. … Wenn jemand auf eine militärische Lösung von Problemen setzt, dann ist es ein Fehler. Ich habe den Eindruck, dass wir uns gewiss noch nicht aus der alten Krise herausgearbeitet haben, indes zeichnen sich Merkmale einer neuen Krise am Horizont ab. … Es ist gut, dass es keine Berliner Mauer mehr gibt. Aber es entstehen leider schon wieder neue Spaltungslinien…. Anfangs war ich der Ansicht, dass unsere Politiker in Russland auf die europäische Raketenabwehr und deren geplante Stationierung in Europa übermäßig scharf reagieren. Nun frage ich mich heute immer wieder nach dem Sinn des ganzen Vorhabens. Denn es sieht danach aus, dass das Raketenabwehrsystem der USA als ein Verteidigungsschild gegen Russland angedacht worden sei. Alles Gegenteilige mutet nur als Geschwafel und Rauchschleier zur Verdeckung der Wahrheit an. Die russische Regierung hat schließlich erklärt: „Wir stationieren auch entsprechende Verteidigungs- und Abwehrmittel, und wir sind bereit, Waffen einzusetzen, die unsere Sicherheit gewährleisten.“ Und was heißt das unterm Strich? Das heißt, dass die Möglichkeit eines neuen Krieges nicht auszuschließen sei. Stehen Russland und die USA einander feindlich gegenüber, wird die ganze Sache über den Rahmen eines lokalen Konflikts unausweichlich hinauswachsen.“
Beschwörend gemahnte Gorbatschow die Politiker in ganz Europa einschließlich in Mittel- und Osteuropa, an ihre Pflicht, „eine neue Konfrontation unter keinen Umständen zuzulassen.“
Nur zwei Jahre nach Gorbatschows mahnenden Worten fingierten die USA den blutigen Regime-Change in der Ukraine und installierten eine proamerikanische Regierung, deren Präsident Zelensky am 26. Februar 2021 ein Dekret zur „Entbesetzung“ der Ukraine verabschiedete und damit der Eskalationsschraube einen weiteren Stoß versetzte.(5)
Nach dem Scheitern der Sicherheitsgespräche in der letzten Woche wird nicht nur die Angst vor einer Invasion Russlands in die Ukraine geschürt und plakativ der Abzug von Botschaftsangehörigen aus Kiew angekündigt, sondern Russland zusätzlich beschuldigt, einen pro-russischen Führer in der Ukraine installieren zu wollen. Das bekräftigte US-Außenminister Blinken. Dazu nahm er auch Bezug auf die Warnung aus London, wonach Russland angeblich massiv politischen Einfluss in der Ukraine nehme und eine pro-russische Führung in Kiew etablieren wolle.
„Derartiges Vorgehen sei Teil eines russischen “Werkzeugkastens”.“(6)
Das ist natürlich genau das, was Washington im Jahr 2014 getan hat. Washington stürzte im Rahmen des inszenierten Maidan-Putsches die gewählte Regierung und setzte eine Washingtoner Marionette ein, die an der Grenze zu Russland eine feindselige Regierung installierte. (7)An dieser Stelle sei an die verschiedenen Strafexpeditionen der USA gegen Mexiko erinnert. Die USA selbst würden feindliche Regierungen im Norden und Süden sicherlich nicht tolerieren.
Seit der Auflösung der Sowjetunion und der Warschauer Vertragsorganisation im Jahr 1991 haben sich die USA permanent völkerrechtswidriger Kriege und Regime-Changes bedient, um ihre Weltherrschaftsphantasien umzusetzen. In der Folge breiteten sich Chaos, Leid und Zerstörung aus, Millionen Menschen wurden entwurzelt und zur Flucht getrieben. Weiter unterhalten die USA in 80 Ländern ca. 800 Militärbasen. Unter anderem die US-Base in Ramstein – Dreh und Angelpunkt für alle kriegerischen Aktivitäten in Nordafrika, Nah- und Mittelost –, Camp Bondsteel im Kosovo, die US-Basen in Südkorea und Japan, auf Kuba, den Philippinen und im Pazifik (Guam) sowie eine Vielzahl in Südamerika. Sie dienen vor allem regionaler Hegemonie und Kontrolle sowie der Ressourcensicherung.
Im Vergleich zu denen der USA wirken die russischen Auslandsmilitärbasen zwergenhaft: sechs in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, zwei in Syrien sowie eine in Vietnam. Und China verfügt bisher nur über eine Basis in Dschibuti.(8)
Der ehemalige UN-Experte für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung, Alfred de Zaya, rüttelte in seinem Artikel
“Von Vietnam nach Afghanistan: Die USA lassen Wüsten zurück und nennen es Frieden”
auf und ging mit den US-Strategen scharf ins Gericht. Für ihn hätten die USA gar nicht erst in Afghanistan – wie auch nicht in Vietnam, Laos, Kambodscha, Grenada, Nicaragua, Libyen oder Syrien einmarschieren dürfen. Seiner Meinung nach,
„haben die USA Afghanistan gründlich destabilisiert, und es ist nicht ausgeschlossen, dass der Konflikt nun in einen Bürgerkrieg ausartet – eine anhaltende Tragödie für das leidgeprüfte afghanische Volk“(9).
Die USA seien nie wirklich am «nation building», sondern nur an Geopolitik interessiert gewesen. Sie wollen die Region kontrollieren und nur Klientelregierungen, keine unabhängigen Nationen. Für de Zaya brauchen die USA den permanenten Krieg, „um die unersättliche Militärmaschinerie zu füttern, die Billionen-Dollar-Budgets erfordert. Es wäre besser, unsere Steuergelder für Konfliktprävention, Gesundheitsvorsorge, Bildung usw. zu verwenden.“(10) De Zaya wünscht sich, dass der Internationale Strafgerichtshof eine ehrliche Untersuchung der Verbrechen der USA und der Nato durchführt.
Für US-Präsident Joe Biden sei ein russischer Einmarsch in die Ukraine
„die größte Invasion seit dem Zweiten Weltkrieg“(11).
Nun, im US-geführten Krieg gegen den Irak 2003 kamen ca. 300.000 Soldaten der „Koalition der Willigen“ zum Einsatz.
Auf Nachfrage fügte Biden hinzu, es sei nach wie vor unklar, ob Putin tatsächlich einen Angriff plane.
“Ich werde vollkommen ehrlich mit Ihnen sein: Es ist ein bisschen wie im Kaffeesatz lesen.”(12)
Nun, man muss nicht im Kaffeesatz lesen, um die Absicht der US-Strategen zu erkennen. Um Russland wirksam wirtschaftlich strangulieren zu können, muss – wie so oft erfolgreich praktiziert (Tonkin-Vorfall in Vietnam, angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak…) – ein Grund konstruriert werden. Da brauchen die USA wiederum nur in eines ihrer vielen Drehbücher zu schauen. Die Bevölkerung der beiden separatistischen Volksrepubliken in Donezk und Luhansk muss seit 8 Jahren Artillerieüberfälle der ukrainischen Regierungstruppe über sich ergehen lassen. Und der Westen schaut zu und verweigert die internationale Anerkennung. Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo 2008 – die serbische Provinz war nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen den Protest Serbiens abgetrennt worden – erhielt der Kosovo unverzüglich durch die USA, Frankreich und Deutschland die Anerkennung. Bis heute erkennen die EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien, Rumänien, Zypern, Griechenland, die Slowakei und Spanien einen unabhängigen Kosovo nicht an, da sie überzeugt sind, dass mit der Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung gegen Prinzipien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Vereinten Nationen verstoßen wird.(13)
Die Zahl der im Bürgerkrieg seit 2014 getöteten Zivilisten wird von Darja Morosowa, Menschenrechtsbeauftragte der Volksrepublik Donezk, auf 9.000 geschätzt, wobei sie teilweise auch Angehörige der Volksmiliz zu den Zivilisten zählte. Die offiziellen Schätzungen der UNO zur Anzahl der Opfer des Bürgerkriegs liegen bei 13.000, darunter 5.000 Zivilisten.(14)
Wie kann die „westliche Wertegemeinschaft“ die Bevölkerung in Donezk und Luhansk so leiden lassen? Und warum wird der prorussischen Bevölkerungsmehrheit auf der Krim, im Donezk und in Luhansk das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten?
Quellen und Anmerkungen
1) https://www.welt.de/politik/ausland/article159210844/Russland-will-an-der-Westgrenze-aufruesten.html
8) https://www.nachdenkseiten.de/?p=79984
9) Zitiert aus Zeit-Fragen vom 24. August 2021 Nr. 19/20, Seite 1
10) Ebd.
12) https://observatorial.com/news/world/40182/biden-threatens-sanctions-aimed-directly-at-putin/
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Volodymyr Horbovyy / shutterstock.com
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https://www.podchaser.com/podcasts/gold-goats-n-guns-podcast-723292/episodes/episode-93-alex-krainer-and-th-127227001
Wenn Maulhelden und Pokerspieler keine Roten Linien akzeptieren, dann heißt das nicht, dass diese tatsächlich überschritten werden. Es liegt jetzt an der Nato und den Oberkommandierenden der Nato die nächst höhere Eskalationsstufe zu betreten.
Brainstorming, Option:
Die Vertreter der prowestlichen Ukrainer und die Vertreter der abspalterischen Ukrainer schließen Frieden und bilden eine Art große Koalition/Allianz, die von der NATO und Russland logistisch unterstützt wird und die eine gemischte Volksarmee aufstellt, die das Land vor Bürgerkrieg und vor Anarchie schützt. Kein Bürger würde sich trauen, sich einer solch großen Allianz entgegen zu stellen. Den Rückhalt in der Bevölkerung könnte sich eine solche Allianz mit dem Argument sichern, dass andernfalls zu Bürgerkrieg und Anarchie andauern und die Menschen sterben können und verarmen. Den allermeisten Menschen wird Sicherheit ihres Lebens und ihrer Gesundheit und Wohlstand wichtiger sein als eine Abspaltung.
Ich glaube übrigens, dass weder Herr Biden noch Herr Putin Krieg in der Ukraine möchten. Hätte Putin in die Ostukraine einmarschieren wollen, so hätte er nicht 9 Jahre gezögert. Und Herr Biden ist aus Afghanistan rausgegangen. Auch Herr Soros wollte dort keinen Krieg, sondern eine gesellschaftliche Veränderung, insbesondere die Minderheiten unterstützen. Es bringt jetzt auch nichts, nach einem Schuldigen zu suchen, sondern wir müssen überlegen, wie die Ukrainer möglichst heil ohne weiteres Blutvergießen wieder aus der Situation wieder heraus kommen.
Eine Mitursache ist, dass die Ukraine das Armenhaus Europas ist.
Wenn Menschen nicht so viel und so hart arbeiten müssten, wären sie auch empathischer und würden sich weniger bekriegen.