Von Kaveh Ahangar.
In den letzten Jahren wurde vor allem von Leuten aus dem Mahnwachen- und „verschwörungstheoretischen“ Spektrum sowie von rechten Kräften, die aber nicht als solche wahrgenommen werden wollen, immer wieder behauptet, dass die Unterscheidung zwischen links und rechts keinen Sinn mache, da sie die Menschen lediglich spalten würde und sie so dem Teile-und-Herrsche-Prinzip zum Opfer fielen. Es stimmt natürlich, dass die Aufteilung in links und rechts innerhalb der heutigen politischen Parteienlandschaft wenig Sinn macht, da in Deutschland alle Parteien außer DIE LINKE eine neoliberale Politik verfolgen und sowohl die Grünen als auch die SPD sich spätestens seit Ende der 90er Jahre von den Restbeständen linker Ideen und Praktiken verabschiedet haben. Dennoch ist die Forderung das links-rechts-Schema aufzulösen, meines Erachtens nicht nur grundlegend falsch, sondern auch gefährlich, da sie den Rechten in die Hände spielt.
Sowohl die Rechten als auch die Liberalen und die Linken sind äußerst heterogen, und es gibt bedeutende Unterschiede innerhalb ein und derselben Strömung. Die Kategorien links und rechts – die ihren Ursprung in der Sitzordnung der französischen Nationalversammlung von 1789 haben* – erfuhren im Laufe der Geschichte verschiedene Bedeutungswandlungen. Hinzu kommt, dass es innerhalb jeder politischen Strömung auch linke und rechte Flügel gibt. Darüber hinaus gibt es trotz unterschiedlicher Wertevorstellungen manchmal auch gewisse Überlappungen zwischen linken und rechten Regierungen. Z.B. gibt es historisch gesehen methodische Überschneidungen bei den Praktiken der Gewalt-, Herrschafts- und Machtausübung. In der Tat gibt es bekanntlich sowohl linke als auch rechte Diktaturen, die Dissident*innen einsperren und foltern. Im Gegensatz zu faschistischen Regimen, in denen man allein schon wegen der ethnischen Herkunft oder Religion brutaler Willkür ausgesetzt ist, kann man in „realexistierenden“ sozialistischen Diktaturen staatlichen Repressionen in der Regel entgehen, wenn man das Spiel mitspielt, keine Kritik übt und sich anpasst. Rassismus und andere Formen der Diskriminierung sind zwar auch in „realexistierenden“ sozialistischen Staaten anzutreffen, aber im Gegensatz zu faschistischen Regimen widersprechen sie der Staatsdoktrin und dem emanzipatorischen Selbstverständnis dieser Staaten.
Dennoch gibt es grundsätzlich ganz klare Differenzen, die deutlich machen, warum rechte und auch liberale Weltanschauungen in letzter Instanz anti-emanzipatorischer Natur sind. Tatsächlich wird man nicht viele liberale und noch weniger rechte Personen finden – und ich meine damit nicht nur Faschisten und Rechtsradikale, sondern auch Konservative – die in ihrer Denke keine diskriminierenden Elemente aufweisen oder gar die Emanzipation aller unterdrückten Gruppen und Individuen einfordern würden. Natürlich gibt es auch Linke, die diskriminierende Denkmuster aufweisen. Mit den Ideen des Sozialismus, Kommunismus und Anarchismus hat dies allerdings nichts zutun. Wie menschlich sich Linke und Rechte im Alltag verhalten, steht zwar auf einem anderen Blatt. Den Kampf für eine progressive, postkapitalistische Gesellschaft kann man von rechten Kräften allerdings nicht erwarten.
Rechte und Liberale haben ein Menschenbild, das gesellschaftliche Ungleichheit als notwendig voraussetzt und mit unterschiedlichen Fähigkeiten begründet, die biologisch und/oder kulturell bedingt seien, was wiederum die unterschiedlichen Leistungsergebnisse erklären soll. Dabei werden strukturelle Benachteiligungen, die systemischer und institutioneller Natur sind, in der Regel ausgeblendet. Das Wesen der bestehenden Macht- und Herrschaftsstrukturen bleibt also unangetastet. Im Gegensatz zum Konservatismus der Rechten und dem Marktfundamentalismus der Liberalen, stehen linke Ideologien entweder für die Reform oder Umwälzung bestehender Verhältnisse, um die Voraussetzungen zu schaffen, welche Emanzipation erst möglich machen. Es handelt sich dabei um unterschiedliche Formen der Unterdrückung, von denen sich die subalternen Klassen befreien wollen. Die Lohnarbeiter*innen kämpfen gegen die Ausbeutung und Unterjochung durch das Kapital und dessen Handlanger in der Politik. Die Feminist*innen gegen die Unterdrückung durch patriarchale Strukturen. Die Länder des globalen Südens gegen den Neokolonialismus des Westens, insbesondere gegen die Hegemonie und den Imperialismus der USA, aber auch gegen den russischen und chinesischen Imperialismus. Nicht-Weiße gegen die Dominanz und den Rassismus der weißen Machteliten. Asylsuchende fordern Staatsbürgerrechte ein. Staatsbürger*innen demonstrieren gegen Repression, für die Durchsetzung ihrer Bürgerrechte und für mehr Demokratie und Mitbestimmung. LGBTQs, Menschen mit Behinderung, Umweltaktivist*innen, Tierrechtler*innen, religiöse Minderheiten, Atheist*innen usw. gehen für ihre Belange und Rechte auf die Straße. All diese Kämpfe zählen zu den unterschiedlichen Schlachtfeldern der radikalen Linken, Sozialist*innen, Kommunist*innen und Anarchist*innen. Kurz, die Ausgebeuteten, Unterprivilegierten und Unterdrückten fordern ein menschenwürdiges Leben ein und Linke haben sich historisch gesehen immer schon am stärksten für die Schwachen eingesetzt. Denn wie Marx schon richtig erkannte, sollte es darum gehen, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“
Rechte Ideologien und ihre Vertreter*innen sind gewöhnlich weder für direkte Demokratie noch für die Überwindung des Kapitalismus. Ein Teil der Rechten versucht, die neoliberale Agenda aufrechtzuerhalten, indem er die Arbeitnehmer-, Staatsbürger- und Verbraucherrechte abbaut und die Kluft zwischen Arm und Reich durch Privatisierungen, Entlassungen, Lohnkürzungen und Finanzspekulationen in die Höhe treibt, während ein anderer Teil sich auf Kosten von Asylsuchenden und Migranten mehr Souveränität gegenüber den USA und einen starken Nationalstaat zurückwünscht. Neokonservative Kräfte wiederum reden einen Kampf der Kulturen herbei, um ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen durch kriegerische Interventionen durchzusetzen. Rechte Kritik am Wirtschaftssystem geht in der Regel über Zinskritik und personalisierte Kapitalismuskritik nicht hinaus. Linke dagegen machen sich grundsätzlich für die internationale Solidarität stark und bekämpfen die oben beschriebene Politik.
Trotz erheblicher ideologischer Unterschiede zwischen antideutschen und rechtskonservativen oder rechtspopulistischen Strömungen, auf die ich hier aus Platzgründen nicht eingehen kann, streben sie eine Neudefinition politischer Kategorien an. Rassist*innen wie Jürgen Elsässer und kleinbürgerliche Antideutsche profitieren von der Auflösung einer klassischen Definition von links und rechts sowie der traditionellen Einteilung in diese – im wahrsten Sinne des Wortes – antagonistische politische Lager. Denn Erstere beabsichtigen dadurch ihre Macht zu erweitern, indem sie die etablierten Parteien und Ideologien für obsolet erklären. Antideutsche wiederum streben eine Neudefinition dieser Kategorien an, indem sie personalisierte Kapitalismuskritik, Klassenkampf und Antizionismus mit Begriffen behaften, die traditionell den Rechten vorbehalten waren, während eine pro-US- und pro-Israel-Haltung ihr angeblich aufgeklärtes und säkulares Weltbild widerspiegeln soll. Sie neigen also wie ihre neokonservativen Pendants dazu, einen Kampf der Kulturen zwischen „Islamfaschisten“ und einer „aufgeklärten bürgerlichen Gesellschaft“ zu zeichnen. Die Antisemitismuskeule ist dabei vielleicht das beste Beispiel dafür, wie Antideutsche versuchen nicht nur rechte, sondern auch emanzipatorische Kräfte mundtot zu machen und Linke als Rechte zu diffamieren, weil sie die Scharia, den Faschismus und erneute Pogrome gegen Jüd*innen fürchten. Dafür nehmen sie die zunehmende Faschisierung des rassistischen israelischen Kolonialstaates und die Unterdrückung und Ermordung von Millionen von Menschen durch das staatsterroristische US-Regime billigend in Kauf.
Nur eine Linke, die den Klassenkampf mit direkter Demokratie und der Einhaltung universeller Menschenrechte aller Unterdrückten in Einklang bringt sowie die abstrakte und konkrete Kapitalismuskritik dialektisch zusammen denkt, hat es auch verdient, im Namen der Emanzipation zu sprechen und zu handeln. Denn sonst ist sie keine glaubwürdige und vertrauenserweckende Alternative zu den Rechten, Liberalen und verfeindeten linken Strömungen, die sie kritisiert und bekämpft.
*Für die Begriffsgeschichte von links und rechts empfehle ich @Ingar Solty’s Beitrag im „Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus“: https://www.academia.edu/12119547/Links_rechts_Left_Right_
Quelle: https://www.facebook.com/kavehtracks/posts/1122142987818529?fref=nf&pnref=story.unseen-section
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Danke an den Autor für das Recht der Zweitverwertung.
Dieser Artikel erschien zuerst bei: Kaveh Ahangar auf Facebook.
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