Mordechai Vanunu und Israels Weltuntergangsdrohung „Samson Option“

Von Dirk Pohlmann.

Zwei Ereignisse der letzten Wochen verdeutlichen, dass es auch für die deutsche Öffentlichkeit dringend nötig ist, sich mit Israel als Nuklearmacht zu beschäftigen und eine Diskussion darüber zu beginnen, welche Rolle Deutschland beim israelischen Nuklearprogramm gehabt hat, derzeit hat und in Zukunft haben soll. Eine Diskussion, die in den etablierten Medien kaum oder gar keine Chancen hat. Wäre es anders, wäre dieser Kommentar nicht der erste, sondern einer unter vielen.

Die beiden Ereignisse sind die erneute Anklage gegen Mordechai Vanunu und die Ernennung des rechtsextremen Avigdor Liebermann zum Verteidigungsminister in der rechtslastigen Regierung Benjamin Netanyahus.

Nach 18 Jahren Gefängnis, davon mehr als 10 Jahren in Einzelhaft, ist der 1986 vom israelischen Geheimdienst gewaltsam entführte, 2004 aus der Haft entlassene und seitdem mit einer drakonischen Kontaktsperre belegte Whistleblower Mordechai Vanunu erneut von der israelischen Staatsanwaltschaft angeklagt worden. Vanunu hatte 1986 der „Sunday Times“ in einem Interview dargelegt und mit Fotos bewiesen, dass Israel in Dimona Atomwaffen herstellte.

Jetzt wird ihm vorgeworfen
• ohne Erlaubnis der israelischen Behörden 2013 mit zwei US-Staatsbürgern gesprochen zu haben
• im September 2015 einem israelischen Sender ein TV-Interview gegeben zu haben und
• seine Wohnung innerhalb eines Hauses gewechselt zu haben ohne die Polizei darüber zu informieren.

Das klingt nach Kafka, weil es kafkaesk ist. Zum Gesamteindruck gehört, dass laut Google kein deutsches „Qualitätsmedium“ und auch kein öffentlich-rechtlicher TV Sender über den erneut anstehenden Prozess gegen Vanunu berichtet hat.

Mordechai Vanunu hatte 9 Jahre als Techniker in der geheimen israelischen Nuklearanlage Dimona gearbeitet, die offiziell als Textilfabrik bezeichnet wurde. Er stammte aus einer marokkanischen Einwandererfamilie und war mit den Verhältnissen in Israel zunehmend unzufrieden. Vanunu begann sich für Politik und Philosophie zu interessieren, für das Schicksal der Palästinenser – er war ein Suchender geworden. Und er hatte eine Entscheidung getroffen: Er wollte nicht mehr an der Produktion von Massenvernichtungsmitteln mitarbeiten. Vanunu beschloss Israel zu verlassen.

Sein Vergehen im Jahr 1986, wegen dem er von der israelischen Staatsanwaltschaft ursprünglich mit der Todesstrafe bedroht wurde, die bis dahin ein einziges Mal, nämlich gegen den NS Massenmörder Adolf Eichmann verhängt worden war, bestand darin, dass er eine vom Staat Israel als geheim deklarierte Wahrheit ausgesprochen und mit Fotos bewiesen hatte: Israel besaß und besitzt mehrere hundert Atomwaffen. Das wurde von Israel als Hochverrat und Spionage bezeichnet. (Nähere Einzelheiten und einen Überblick über das Thema bietet mein Arte-Dokumentarfilm „Israel und die Bombe – ein radioaktives Tabu“ dessen meistgeklickte Versionen gerade wieder flächendeckend in YouTube gelöscht werden, obwohl Arte keine Löschung von Filmen von YouTube fordert.)

Vanunu hatte seine Informationen über die mehrstöckige unterirdische Anlage Dimona, sowie einige Beweisfotos, die er heimlich geschossen hatte, dem Chefreporter der britischen „Sunday Times“ übergeben, dem Physiker Peter Hounam. Vanunu hatte sorgfältig darauf geachtet, keine militärisch wichtigen Details preiszugeben – es sollte ihm nichts nützen.

Noch vor der Zeitungs-Veröffentlichung, die weltweit Aufsehen erregte, wurde Mordechai Vanunu von „Cindy“, einer jungen Frau, so geschickt becirct, dass er glaubte, er habe sie aus eigenem Antrieb angesprochen und zu einem weiteren Treffen überredet. Peter Hounams Warnung, dass es sich bei seiner attraktiven Bekanntschaft „Cindy“ um eine „Honigfalle“, also eine Mossad-Agentin handeln könne, wollte Vanunu nicht ernst nehmen. Die junge Frau lockte Vanunu mit romantischen Versprechungen nach Rom, wo er von zwei Mossad-Agenten zusammengeschlagen, betäubt und schließlich nach Israel verschleppt wurde.

In Israel wurde Vanunu dann kurz darauf wegen Spionage vor ein Geheim-Gericht gestellt, denn sowohl die Entführung als auch der Prozess gegen ihn sollten geheim gehalten werden. Der Staat Israel log und behauptete, nichts über den Verbleib Vanununs zu wissen. Es gelang Vanunu aber, die Weltöffentlichkeit über seine Verhaftung zu informieren, indem er sich einige Worte auf die Handfläche schrieb: „Vanunu M was hijacked in Rome ITL 30.9.86 came to Rome by BA Fly 504“ und sie gegen eine Autoscheibe drückte, als Foto-Reporter den rabiaten Abtransport von Vanunu fotografierten.

Zum Hochverrats-Prozess gegen Vanunu flog Peter Hounam nach Israel, um dort entlastend für den Whistleblower auszusagen, denn Vanunu hatte eindeutig aus Gewissensgründen, nicht als Spion gehandelt und keine Honorare für seine Information erhalten.

Hounam flog aber auch für die BBC nach Israel, um über den Prozess und seine Hintergründe zu berichten. Es war ihm zuvor gelungen, durch geschickte Recherchen herauszufinden, wer die Frau war, die Vanunu nach Rom gelockt hatte: die amerikanisch-israelische Staatsbürgerin; Agentin und Frau eines israelischen Geheimdienstoffiziers Cheryl Bentov. Hounam hatte sie in Israel aufgespürt und mit seinen Rechercheergebnissen konfrontiert.

Aber während des Prozesses wurde auch Hounam von Shin Beth Geheimdienstlern gewaltsam aus seinem Hotel entführt und in ein Verlies geworfen, dessen Wände mit Kot, Sperma und Blut beschmiert waren. Ihm wurde gesagt, dass er sein geheimes Gefängnis nie wieder verlassen werde. Die israelische Zensurbehörde verhängte auch über Hounams Verhaftung eine Nachrichtensperre. Zum Glück hatte eine Mitarbeiterin von Amnesty International Hounams Entführung beobachtet. Unter internationalem Druck wurde der Journalist am folgenden Tag freigelassen.

Vernunftbegabte Zeitgenossen fragen sich jetzt vielleicht, warum Israel die Existenz seiner etwa 300 bis 400 Nuklearwaffen, von Mini-Wasserstoffbomben über Megatonnensprengköpfe bis zu menschenversaftenden Neutronenbomben mit allen Mitteln geheim halten will, wo doch die ganze Welt weiß, dass es Atommacht ist? Die israelischen Atomwaffen wurden als „das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Welt“ bezeichnet. Welchen Zweck dienen also diese rabiaten Geheimdienst-Methoden?

Die Antwort ist, dass Israel beides will: dass die ganze Welt einerseits über die Existenz seines Atomwaffenarsenal Bescheid weiß, ohne dass es andererseits offiziell zugeben muss, sie zu besitzen. So kann es seine Atomwaffen als politisches Druckmittel benutzen, muss aber keine internationalen Abkommen unterschreiben und unterliegt auch keinerlei Kontrolle durch die internationale Gemeinschaft. Diese Strategie hat einen Namen: Amimut – Undurchschaubarkeit.

Das sie aufgeht, ist ursächlich von Israels einzigartiger, symbiotischer Allianz mit den USA abhängig.

Käme etwa der Iran auf die Idee, eine Amimut-Strategie zu verfolgen, wäre das eine Schnapsidee und von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Der Iran, der anders als Israel noch nie einen anderen Staat angegriffen hat, würde mit Waffengewalt daran gehindert werden, Atommacht zu werden. Jeder Versuch der Geheimhaltung eines Atomwaffenprogramms wäre ein Kriegsgrund, und der Iran wurde durch Sanktionen dazu gezwungen, internationalen Kontrollgruppen überall im Land Zugang zu gewähren.

Dabei hat sich Israel in den 50er und 60er Jahren in etwa so verhalten, wie es dem Iran jetzt unterstellt. Es hat über sein Atomwaffenprogramm auf Nachfrage stets gelogen, seine Regierungen beteuerten, dass niemand vorhabe, eine Bombe zu bauen, es gehe nur um die friedliche Nutzung der Kernenergie, um die Wüste erblühen zu lassen. Israel konnte sich dabei auf ein faktisches oder bewusstes Übersehen seiner Aktivitäten durch die USA verlassen. Der einzige US Präsident, der ernsthaft verhindern wollte, dass Israel Atommacht werden würde, war John F. Kennedy. Israels Präsident Ben Gurion hatte Kennedy deswegen kurz vor seinem eigenen Rücktritt wegen des Atomkonflikts in einem Brief geschrieben, dass Kennedys Politik eine Gefahr für die Existenz Israels sei.

Nach der Ermordung Kennedys änderte sich der Kurs der USA unter Präsident Lyndon B. Johnson um 180 Grad. Im Vorfeld des Sechs-Tage-Krieges und dem absehbaren Status als Atommacht änderten die USA auch ihre Haltung im Nahen Osten. Sie gaben ihre bisherige Politik der guten Beziehungen zu allen Seiten auf und positionierten sich an der Seite Israels gegen die arabischen Staaten.

Unmittelbar nachdem Israel seine ersten beiden Atombomben fertiggestellt hatte, startete es seinen Angriff auf die arabischen Nachbarn – von Israel als Präventivkrieg gegen Staaten bezeichnet, die es vernichten wollten. Diese Version wird seitdem von Israel, den USA und seinen westlichen Verbündeten vertreten. Sie ist vertretbar, es gibt verschiedene Ansichten dazu. Was nicht vertretbar ist: dass bei der Beurteilung des Sechs-Tage-Krieges stets verschwiegen wird, dass Israel unmittelbar vor dem Angriff zur Atommacht wurde. Das durch das Verschweigen dieser eminent wichtigen Wahrheit entstehende historische Verzerrung ist außerdem ein gutes Beispiel, warum Israel die Existenz seiner Nuklearwaffen nicht offiziell bestätigen will, welche Vorteile die Amimut-Strategie für Israel bringt, nämlich: politische und militärische Macht ohne Verantwortlichkeit aber einer Verschleierung der Tatsachen.

Bei der Gründung des Staates Israel 1948 hatten sich die USA noch auf eine vorsichtig neutrale Rolle im Nahen Osten festgelegt, weil Israel anfangs von kommunistischen Staaten wie der CSSR mit Waffenlieferungen unterstützt wurde und es sich die USA nicht mit den Arabern verderben wollten. Damals sah es eine Zeitlang so aus, als ob der Staat der zionistischen Kibbuzim auf dem Weg ins sozialistische Lager wäre.

Aber als Atommacht im Nahen Osten wurde Israel zum strategischen Verbündeten der USA gegen die Sowjetunion und die USA zum Verbündeten Israels gegen die sowjetisch unterstützten Araber.

Außerdem lieferte die russische jüdische Intelligenz, die in der Sowjetunion in wichtige Rüstungsprogramme eingebunden war, über ihren Sehnsuchtsort Israel der CIA-Gegenspionage unter James Jesus Angleton wesentliche Geheimdienstinformationen aus dem hermetisch abgeriegelten Riesenreich. Angleton hatte sehr gute Beziehungen zu Israel. Er hatte ab 1951 mitgeholfen, den Mossad aufzubauen. Im Gegenzug für die Spionagekanäle in die UdSSR begann USA ab Mitte der 60er Jahre Israel mit modernsten Waffen, Geld und Zugang zu Geheiminformationen zu versorgen. Es gibt in Israel ein Denkmal für James Jesus Angleton. Es ist weltweit einmalig, dass ein Geheimdienstchef eines fremden Landes auf diese Weise geehrt wird.

Heute steht Israel unter dem Schutz der USA und genießt beispiellose Vorrechte und eine finanzielle Unterstützung von über 3 Milliarden Dollar pro Jahr, etwa ein Drittel der weltweiten Hilfszahlungen der USA. Das Geld wird in Israel fast ausschließlich für das Militär verwendet. Kein Präsidentschaftskandidat der USA (außer Bernie Sanders!) kommt ohne Ergebenheitsadressen an die Israelis aus. Die Unterstützung der Militärmacht Israels ist in der politischen Klasse unstrittig – obwohl Israel sogar Atomwaffen weiterverbreitete, als es im Kalten Krieg mit dem Apartheitsstaat Südafrika auf vielen Gebieten kollaborierte. Rechtslastige israelische Militärs hatten damals bei der Niederschlagung von Aufständen der schwarzen Bevölkerung mitgewirkt. (Während gleichzeitig linke südafrikanische Juden für ein Ende der Apartheid eintraten und schwarzafrikanische Aktivisten unterstützen.) Der Staat Israel hat Südafrika beim Bau von Raketen und bei dessen Nuklearprogramm unterstützt, es hat dem Apartheitsregime entweder zu einsetzbaren Atomsprengköpfen verholfen oder ihnen fertige israelische verkauft. Das rassistische Regime in Südafrika war im Kalten Krieg De-Facto-Verbündeter der USA. Die US Geheimdienste waren über die gemeinsamen Unternehmungen der Südafrikaner und Israelis informiert und griffen nicht ein – im Gegenteil.

Israels Atomwaffenstrategie ist nach dem biblischen Samson benannt, der durch Selbstmord seine Feinde mit in den Tod riss. Dieser Bezug auf einen Selbstmordattentäter ist um so beunruhigender, als Israel neben see-, luft- und landgestützten Kurz und Mittelstreckenwaffen auch dreistufige Interkontinentalraketen besitzt – um damit welche Feinde abzuschrecken?

Es gibt Äußerungen von jüdischen Amerikanern, die damit gedroht haben, dass ein Untergang Israels zum nuklearen Weltuntergang würde. So etwa der amerikanische Autor Ron Rosenbaum, der 2012 schrieb, dass nach einem zweiten Holocaust Moskau, die europäischen Hauptstädte und die heiligen Städten des Islam nuklear vernichtet würden. Er stellte klar: „Die Abwesenheit jeder Verhältnismäßigkeit“ sei das „Wesen der Samson-Option.“ Der Amerikaner Prof. Dr. David Perlmutter schrieb 2002: „Was wäre eine gerechtere Strafe für die Judenhasser der Welt, als ihnen für ihre jahrtausende-währenden Massaker den nuklearen Winter zu bereiten? Oder wenn wir die spöttischen europäischen Staatsmänner und Friedensaktivisten einlüden, uns in die Öfen zu folgen?“ Der israelische Dichter und Holocaust-Überlebende Itamar Yaoz-Kest schrieb 2012 in seiner Antwort an Günther Grass “Recht auf Leben: ein Gedicht-Brief an den deutschen Autor”: “Und doch, es gibt ein Recht, das uns Juden reserviert ist (falls tatsächlich irgendein Mensch auf der Erde dieses Recht hat): zerstört zu werden und die müde und saturierte Welt mit in die Nicht-Existenz zu nehmen, mitsamt ihrer seltsamen Büchereien und herzverwirrenden Lieder, einfach so, nachdem wir in die Gräber gefahren sind, während der Boden radioaktive Strahlen in alle vier Winde sendet.. Ja, wir haben dieses Recht! Und es ist auch mein Recht!“

Nicht nur der Journalist der Jerusalem Post Gil Ronen verstand das als Drohung, bei „der Vernichtung der Feinde Israels wohl auch der gesamten Erde irreparable Schäden zuzufügen“.

Weil Israel offiziell keine Atomwaffen besitzt, muss es diese todesverliebten Äußerungen nicht dementieren. Ein Beispiel, wie nützlich die auf den ersten Blick seltsame Amimut Strategie ist. Die obszönen Drohungen stehen im Raum, sie können Wirksamkeit entfalten, sie können aber auch jederzeit in vertraulichen Gesprächen oder von ausländischen Freunden öffentlich als absurd bezeichnet werden. Mehr noch: wer sie kritisch benennt, kann wirksam mit medialer Ausgrenzung und seinem Karriereende bedroht werden, dafür sorgen eifrige Publizisten, oft aus eigenem Antrieb, die sich an ihrer destruktiven Macht erfreuen.

Grotesk wird diese Situation angesichts der Berufung von Avigdor Liebermann zum israelischen Verteidigungsminister. Der Mann stünde, auf deutsche Verhältnisse übertragen, rechts von Pegida und AfD, er propagiert rechtsradikale und rassistische Positionen. So tritt er unter anderem für einen rein jüdischen Staat und die Deportation der arabischstämmigen Israelis ein und hat im Wahlkampf 2015 gesagt: „Bei denen, die gegen uns sind, kann man nichts machen, wir müssen eine Axt nehmen und ihnen den Kopf abhacken. Andernfalls überleben wir hier nicht“. Unter Liebermann, der ein strikter Vertreter der Todesstrafe ist, würde Mordechai Vanunu wohl nicht mehr leben.

Rechtsradikale, fundamentalistische Israelis, deren parlamentarisches Sprachrohr Liebermann ist, haben 2015 in Arutz Sheva, den „Nationalen Nachrichten“, dazu aufgerufen, Iran und Deutschland nuklear zu vernichten, weil nur so die Zerstörung Israels verhindert werden könne. Arutz Sheva ist keine Untergrund-Webseite. Arutz Sheva gilt als die Stimme der Siedlerbewegung, bezeichnet sich als „das größte Talk Radio Programm des mittleren Ostens“, veröffentlicht im Internet in hebräischer, englischer und russischer Sprache und die Printausgabe ist die Nr. 3 der israelischen Zeitungen. In dem Aufruf zur atomaren Vernichtung Deutschlands und Irans berufen sich die Kommentatoren auf das alte Testament, genauer den darin genannten Stamm „Amalek“, das personifizierte Böse, den sie mit Iran und Deutschland gleichgesetzten. 20 bis 30 Bomben „würden ausreichen, um den Job erledigen“. Die Vision eines Atomkrieges aus religiösen Motiven ist also kein islamistisches Monopol.

Amimut bedeutet Machtprojektion ohne Verantwortlichkeit und Kontrolle, bei gleichzeitiger Ausschaltung von öffentlichen Kritikern der Strategie. De facto auch in Deutschland, wo sich niemand in den Qualitätsmedien zu fragen scheint, was es bedeutet, wenn Kopf-Ab-Liebermann die Kontrolle über die israelischen Nuklearwaffen erhält.

Wir wissen über die Befehlskette, die Einsatzvoraussetzungen, die Nuklearstrategie der Israelis: NICHTS. Wir bauen aber als Waffen-Discounter zum Freundschaftspreis U-Boote, die Israels Atomwaffen zum Einsatz tragen. Wahrscheinlich als Zweitschlagskapazität zur Abschreckung, vielleicht aber auch um „Amalek“, d.h. uns selbst auszulöschen.

Angesichts von Angela Merkels Sätzen 2008 in der Knesset, nämlich dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson ist, wäre es interessant zu erfahren, ob das Existenzrecht Deutschlands auch Teil der israelischen Außenpolitik ist. Angesichts der jetzt eingetretenen Situation ist ein weiteres Herumlavieren im Ungewissen untragbar.

Ein Streit Deutschland gegen Israel wäre dem Ernst der Lage nicht angemessen. Es wäre deshalb hilfreich, wenn sich die linken und fortschrittlichen Kräfte in Israel (z.B. Haaretz), Europa und USA, auch unter den amerikanischen Juden (wo sie in Wirklichkeit, trotz AIPAC, eine Mehrheit darstellen! Und Bernie Sanders ist das beste Beispiel, was möglich ist!) und in Deutschland klar positionieren: zu Gunsten einer Politik, die ein Ende von Israels Amimut Strategie fordert, eine Offenlegung der Einsatzstrategie und Aufklärung darüber, ob die Samson Strategie den Weltuntergang beinhaltet. So wäre für alle Seiten klar, dass es um einen politischen Konflikt geht, und nicht um einen Konflikt eines Staates gegen einen anderen.

Eine Allianz der Vernünftigen sollte eine Politik fordern, die Israels Existenz garantiert und sichert – und den weltweiten Atomwaffenverzicht fordert.

Das wird nicht einfach, denn In Israel muss jeder, der öffentlich auch nur die Existenz der israelischen Nuklearwaffen bestätigt, mit harten Strafen rechnen. Als der Kriegsheld Yitzhak Yaakov, General der israelischen Streitkräfte im Sechs-Tage-Krieg in seinen Memoiren von dem großen Projekt schrieb, an dem er als Leiter der Technikentwicklung der israelischen Streitkräfte mitgearbeitet hatte, gemeint war natürlich das Atomwaffenprogramm, wurde er 27 Jahre nach dem Ende seines Militärdienstes festgenommen. Der seit 20 Jahren in New York lebende israelische und amerikanische Staatsbürger war in seine Heimat geflogen, um seinen 75. Geburtstag zu feiern, als er 2001 von einer Spezialabteilung des Verteidigungsministeriums wegen Hochverrats festgenommen wurde. Auch sein Verfahren, dass mit 2 Jahren Gefängnis endete und ihn finanziell ruinierte, unterlag in Israel einer Nachrichtensperre.

Erstaunlicherweise halten sich auch die US-Politik und die Medien weitestgehend an das Sprechverbot über israelische Atomwaffen. Ex-Präsident Jimmy Carter, der es durchbrach, wurde dafür in den US-„Qualitätsmedien“ abgekanzelt und zur persona non grata. Es ist also auch nicht sinnvoll, wenn in deutschen Talkshows israelische Staatsbürger oder solche mit doppelter Staatsbürgerschaft zu diesem Thema befragt werden, zumindest, ohne die Schweigesanktion zu benennen.

Deutschland hat 6 hochmoderne U-Boote als Nuklearwaffenträger für die israelischen Streitkräfte hergestellt, wovon Israel etwa die Hälfte bezahlt hat, der Rest ist ein Geschenk der deutschen Regierungen an Israel. Um die Feststellung der Tatsache, dass es sich um Nuklearwaffenträger handelt, drücken sich die deutschen Regierungen aller Couleur seit gut 20 Jahren herum. Dass Deutschland sich damit an der nuklearen Machtprojektion in einem Krisengebiet beteiligt, wird weder in den Medien noch im Parlament kritisch diskutiert. Auch in Deutschland gibt es ein Schweigekartell zum Thema israelische Nuklearwaffen, wenn auch aus anderen Gründen.

Tatsächlich ist das israelische Atomwaffenprogramm eine direkte Folge des nazideutschen Versuchs, die Juden auszurotten. Weil während des Holocaust keine Macht das Schicksal der verfolgten und von Mord bedrohten Juden zu seiner Sache machte, auch nicht England oder die USA. Weil es im 2. Weltkrieg trotz flehentlicher Bitten jüdischer Organisationen kaum Versuche für wirksame Hilfe oder gar Rettung der Flüchtlinge gab, übernahm der neugegründete israelische Staat die Verantwortung für Leben und Sicherheit von Juden in aller Welt. Die Staatsführung um Ben Gurion prägte den Lehrsatz, dass in Zukunft nur Juden für die Sicherheit von Juden verantwortlich sein dürften: Israelis. Der Subtext lautete: weil sie sich angesichts der Durchführung eines angekündigten Genozids auf niemanden verlassen konnten.

Die Atombombe sollte deshalb die Lebensversicherung Israels werden. Niemand würde versuchen, so das Kalkül der Staatsführung, die Israelis ins Meer zu treiben, wie es arabische Staatsführer angedroht hatten, wenn Israel mit einem atomaren Gegenschlag drohen könnte.

Das ist soweit alles nachvollziehbar. Es ist auch richtig, dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die Existenz und Sicherheit Israels trägt. Genau wie für Sicherheit und Existenz der Sinti und Roma, der Russen und anderer Völker, die von Nazi-Deutschland mit einem rassistischen Vernichtungskrieg überzogen wurden.

Warum haben die Siegermächte nach dem Krieg nicht einen Teil Deutschlands und Österreichs als Staatsgebiet für die europäischen Juden abgetrennt? Israel auf dem Boden der Staaten zu errichten, die die Juden vernichten wollten, wäre gerecht gewesen. Aber dass die Palästinenser mit der Parole: „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ aus ihrer Heimat vertrieben wurden, machte sie zu leidtragenden Kollateralschäden bei der Sühne eines Verbrechens, dass sie nicht begangen haben. Das ist der Fluch der bösen Tat, der neue Unschuldige traf.

Es gibt aber wohl außer dem Holocaust noch einen weiteren Grund für das deutsche Schweigen zu Israels Atomwaffen. Es gibt viele Indizien, dass die Adenauer Republik in den 50er und 60er Jahren nicht nur eine Aussöhnung mit den Juden durch ihre „Wiedergutmachungspolitik“ anstrebte, sondern auch einen gemeinsamen Besitz von Nuklearwaffen. Die Chance dazu war eine Zusammenarbeit mit Frankreich und Israel. Deutschland hat Israel mehrere hundert Millionen DM für eine „nukleare Entsalzungsanlage“ bereitgestellt, deren Entsalzungsteil nie Wirklichkeit wurde.

Der Hintergrund: Adenauer und DeGaulle vertrauten beide nicht darauf, dass die USA Washington für Berlin und Paris opfern würden. DeGaulle wollte Adenauer zu einer nuklearen Allianz außerhalb der NATO überreden. Beide wollten eigenständig mit Atomschlägen drohen können. So wie Israel sahen sie eigene Atomwaffen als Lebensversicherung an. Es gab also eine Interessenkongruenz der drei Staaten.

Die Atommacht Frankreich hat Israel letztlich zur Atombombe verholfen. Dass Frankreich Atommacht wurde, haben die USA mit größtem Widerwillen zur Kenntnis genommen. Dass Israel den Status als Atommacht anstrebte, hat letztlich nur Kennedy wirksam behindert. Aber Deutschland als Atommacht, das war weder für Kennedy noch irgendjemand sonst in den USA politisch und strategisch akzeptabel. Die USA haben es wirksam verhindert, auch mit Hilfe ihrer fünften Kolonne in Deutschland: dem BND, als umbenannte Organisation Gehlen eine ehemalige CIA-Abteilung, die immer Dependance blieb. Gehlens Geheimdienst war nicht Teil der im Aufbau befindlichen Demokratie, sondern ein tendenziell putschistisches Machtinstrument mit Hegemonanbindung.

So kam es, dass aus der Allianz der drei Emporkömmlinge nur zwei Atommächte wurden: Frankreich und Israel.

Die israelische Lehre aus dem Holocaust heißt: nie wieder Opfer. Die deutsche Lehre heißt: nie wieder Täter. Aber sie sollte auch heißen: Unsere Aufgabe ist Frieden, Vermittlung und Deeskalation, wann immer es möglich ist, und es ist eigentlich immer möglich.

Das Schicksal von Mordechai Vanunu, der verfolgt wurde und verfolgt wird, weil er die Wahrheit gesagt hat, ist eine Probe aufs Exempel, was wir Deutsche gelernt haben. Vanunu war und ist keine Bedrohung für die Existenz oder die Sicherheit Israels. Er ist auch kein Atomspion, wie immer in deutschen Zeitungen zu lesen ist. Er hat sein Land nicht verraten, im Gegenteil, wie Edward Snowden hat er als Abtrünniger die Ehre und Seele seines Landes bewahrt.

Vanunu war allenfalls eine Bedrohung für ein machiavellistisches Machtkalkül, dessen Nutzung keines Staates würdig ist. Wie Edward Snowden ist Mordechai Vanunu ein Gewissenstäter, ein Whistleblower, der ein schweres Schicksal auf sich genommen hat.

Deutschland, die Kulturnation auf Bewährung, die Juden, aber auch Whistleblower wie Hans und Sophie Scholl ermordet hat, sollte sich ihrer Verantwortung für den Frieden stellen, öffentlich darüber streiten, was das Richtige ist – und es dann tun. Nach vielen bitteren Jahren, die er opfern musste, hat Mordechai Vanunu ein friedliches, freies Leben als Mensch unter Menschen in Norwegen mehr als verdient.

Israel sollte sich endlich zu seinen Nuklearwaffen bekennen, seine Strategien und Verantwortlichkeiten offenlegen und dann daran mitwirken, Nuklearwaffen abzuschaffen. Auch israelische Nuklearwaffen sind ein Wahnsinn, die Vernichtungsdrohungen gegen die gesamte Welt sind obszön und verachtenswert. Die konventionelle, strategische Überlegenheit der Israelis ist heute so groß, dass sie eine atomare Absicherung nicht wirklich brauchen.

Eine weitere Lieferung von U-Booten an Israel, das an seiner Amimut-Strategie unter einem Verteidigungsminister Avigdor Liebermann festhält, ist inakzeptabel.

Vor allem: der atomare Wahnsinn wird auch den israelischen Kindern kein Leben in Frieden ermöglichen. Nur Frieden kann Frieden ermöglichen. In ihn müssen wir investieren: Willen, Geld, Ideen -und Wahrheit.

Foto: Mordechai Vanunu (2009), Eileen Fleming (CC BY-SA 3.0)

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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