von Jürgen Cain Külbel.
Bald verlangte das FBI nach mehr Informationen, die Steele regelmäßig lieferte. Das FBI leitete Ermittlungen gegen Trump ein.
Das 35-seitige Dossier, mit Rechtschreibfehlern übersät, ist mit vielerlei unbegründeten und fabrizierten Behauptungen gespickt; beispielsweise soll Trump Prostituierten in der Präsidentensuite eines Moskauer Hotels zugesehen haben wie sie eine “Golden-Shower-Show” (Urinieren) durchführten. Trump bezeichnete das Dossier als „Schwindel“. Tatsächlich ist das Dossier eines der Schlüsselelemente in der sogenannten Russlandgate-Affäre, die die politischen Klassen in den USA umtreibt. Craig Murry vermerkt dazu lapidar: „Das Außergewöhnliche dabei ist, dass das Dossier offensichtlicher Unsinn ist, den jeder mit einem professionellen Hintergrund komplett zerstören kann. Steeles Motiv war, wie das von Skripal, seine Geheimnisse zu verkaufen, einfach Geld reinzubekommen. Steele ist ein Scharlatan, der eine Reihe von Vorwürfen zusammenbastelte, die entweder äußerst unwahrscheinlich sind, oder einen Zugang auf hohem Niveau benötigen, den er im heutigen Russland nicht bekommen kann, oder beides. Er sagte den Demokraten, was sie hören wollten.“
Kein Wunder, dass sich Steele am 11. Januar 2017, kurz nach Veröffentlichung seines Machwerks, in Windeseile in sein Auto setzte, aus dem Haus in Surrey flüchtete, so in Eile gewesen zu sein schien, dass ihm keine Zeit blieb, die Lichter im Haus auszuschalten. „Er hat Angst um seine Sicherheit“, sagte eine Quelle und fügte hinzu, dass er jetzt im Ausland oder in einem sicheren Haus sein könnte. Ein Nachbar erzählte: „Er hat mich gebeten, auf seine Katze aufzupassen, da er für ein paar Tage weg wäre.“ Er ist noch immer weg.
Untersuchungsfrage: Was ist über Christopher Steele, den ehemaligen MI6-Agenten, heutigen Direktor von Orbis Business Intelligence bekannt?
Ermittlungsergebnisse: Christopher David Steele, am 24. Juni 1964 in Aden geboren, wurde 1986, direkt nach dem Studium der Sozial- und Politwissenschaften an der Universität in Cambridge, vom MI6 rekrutiert. Von 1987 bis 1989 arbeitete er im Londoner Außenministerium, ehe er zwischen 1990 und 1993 als MI6-Agent in Moskau unter „diplomatischem“ Deckmantel in der Botschaft des Vereinigten Königreichs spionierte. Steele war ein sogenannter „interner Reisender“, besuchte russische Städte wie Samara und Kasan, sammelte Nachrichten, rekrutierte. 1993 kehrte er nach London zurück, arbeitete erneut für das Außenministerium, ehe er von 1998 bis 2002 in Paris Spionage betrieb. 2003 wurde Steele als Teil eines MI6-Teams zum Bagram Airfield in Afghanistan entsandt, um dort die Spezialeinheiten über capture-or-kill-Operationen (gefangennehmen oder töten) im Kampf gegen die Taliban zu unterrichten. Zwischen 2006 und 2009 leitete Steele, der fließend russisch spricht, den Russia Desk am Sitz des MI6 in London; er war leitender Offizier unter John Scarlett, dem damaligen Chef des Geheimdienstes. Christopher Steele wurde seinerzeit aber auch als Sachbearbeiter für Alexander Litwinenko ausgewählt; später leitete er auch die britische „Untersuchung“ im Mordfall Litwinenko und machte – entgegen der Indizienlage – Russland als Hauptverdächtigen aus. Litwinenko, wie bereits dargelegt, hatte seinerzeit den russischen Nachrichtendienstler Tscharko an den MI6-Rekrutierer Pablo Miller ausgeliefert. Steele galt bis zu seinem Ausscheiden (?) aus dem Staatsdienst als der Experte für Russland im Geheimdienst.
Untersuchungsfrage: Gab es eine Kooperation zwischen Christopher Steele, Pablo Miller, Sergej Skripal in Sachen Trump-Dossier?
Ermittlungsergebnis: Erstens: Man kannte sich. Was sich vor allem in der Zusammensetzung der Firma Orbis Business Intelligence niederschlug; ex-MI6-Agent Pablo Miller war dort „senior analyst“. Auch in jener Zeit, in der Steele den Russia Desk beim MI6 leitete, muss er zwangsläufig mit seinem russischen Spion Skripals zu tun gehabt haben. Schließlich gingen alle Sachverhalte, die Spionage gegen Russland betrafen, über seinen Tisch – er hatte die Entscheidungsbefugnis. Es ist daher mehr als wahrscheinlich, dass sich alle drei persönlich kennen mussten.
Zur Erstellung des Dossier, so ist bekannt, reaktivierte Steele „sein lange gepflegtes Netzwerk gut vernetzter Quellen“ sowie „Russisch sprechende Mitarbeiter, die Informanten kontaktierten“. Der Autor schließt sich der Meinung von Craig Murray an, einem ehemaligen britischen Diplomaten, der über den Fall Skripal forscht und Quellen im MI6 befragt hat: „Ich weiß nicht mit Sicherheit, ob Pablo Miller dazu beigetragen hat, das Steele-Dossier über Trump zusammenzubasteln, aber es scheint sehr wahrscheinlich, dass auch er für den MI6 in Russland tätig war und für Orbis arbeitete. Und es scheint mir noch wahrscheinlicher, dass Sergei Skripal zum Orbis-Geheimdienst-Dossier über Trump beigetragen hat. Steele und Miller können nicht mehr nach Russland gehen und Quellen führen, und hätten niemals Zugang gehabt, so gut es ihr Dossier auch behauptet, selbst in ihren MI6-Tagen nicht. Das Dossier wurde für riesige Geldbrocken mit allem, was sie zusammenbringen konnten, zusammengebastelt. Wer könnte unter diesen Umständen besser ein wenig untermauernde Plausibilität liefern als ihre alte Quelle Skripal? Skripal war in Großbritannien zur Stelle und angeblich sogar Miller in Salisbury nahe. Er könnte in Form eines geeigneten Kürzels, ein russisches Komitee hier oder der Namen eines russischen Beamten dort, (Infos) angeboten haben, um es so aussehen zu lassen, als würde Steele harte Intelligenz liefern. In der Tat könnte Skripals veraltetes Wissen einige der gröberen Fehler des Dossiers erklären.“ Möglicherweise nutzte Skripal auch seine alte Verbindungen, kontaktierte Leute in Russland oder Exilanten, die er um Zuarbeit bat? Wer weiß?
Obwohl Orbis Business Intelligence die Mitarbeit Skripals an der Trump-Schmuddel-Akte schwach verneinte, wollte man dort nicht sagen beziehungsweise ausschließen, „ob Herr Skripal an verschiedenen Untersuchungen für andere (sic!) interessierte Parteien über den US-Präsidenten beteiligt war“. Geschwurbel vom Feinsten: so Skripal seinem Buddy Pablo Miller zugearbeitet hat, Miller als Angestellter von Orbis Business Intelligence nachher Skripals Informationen Steele zukommen ließ, der sie anschließend in das Dossier gepackt hat, würde ich im Ernstfall die „Mitarbeit“ Skripals auch bestreiten. Frei nach dem Motto: Ich erkläre doch auch keinem, wenn ich im Supermarkt eine Flasche Wein gekauft habe, von wem der Wein abgefüllt wurde oder dass die Flasche durch die Hände der Kassiererin ging. Nein, sie stammt aus dem Supermarkt.
Würdigung der vorhandenen Informationen
Untersuchungsfrage: Welche Motive trieben Skripal um, damals für den MI6 zu spionieren?
Ermittlungsergebnis: Analysiert man Skripals Motive, weshalb er einst Spionage für den MI6 betrieb, wird klar, dass ihn rein private Gründe antrieben. Luzan schrieb: „Ein Spion, der eine Wohnung haben wollte.“ Er gab sich mit recht bescheidenen Sümmchen zufrieden, die es ihm erlaubten, eine Wohnung für seinen Sohn Alexander in Moskau zu kaufen, eine Sommerresidenz im zentralrussischen Twer, ein Auto, dazu kam die Instandsetzung der eigenen Wohnung. Anscheinend, so Luzan, träumte der Oberst nicht von größerem Komfort. Auch die Familie war ihm offenbar wichtig; wie bereits angedeutet: Der MI6 lotste ihn seinerzeit in einen Stripclub, wollte ihn mit einer Nutte beglücken, doch der Oberst des Militärgeheimdienstes nahm die Beine in die Hand, flüchtete in die Arme seiner Frau.
Untersuchungsfrage: Wie stellte sich Skripals familiäre Situation im Jahre 2018 dar?
Ermittlungsergebnis: Zum Zeitpunkt des Giftanschlages am 4. März 2018 war Tochter Yulia nunmehr seine einzige enge familiäre Beziehung. Ehefrau Ljudmila verstarb bereits 2012 in Salisbury an einem Krebsleiden, Sohn Alexander 2017 bei einem Urlaub in St. Petersburg an Nierenversagen. Die Zukunftsaussichten für den 66-jährigen Familienmenschen Skripal sahen nicht rosig aus: Yulia beabsichtigte, in Moskau eine Familie zu gründen; möglicherweise war schon das ein oder andere Kind angedacht. Enkel, die der Familienmensch und einsame Großvater in Großbritannien selten zu Gesicht bekommen würde.
Zudem, darüber war Skripal im Bilde, stand er dem Glück seiner Tochter im Wege. Die Familie ihres Freundes war gegen die Ehe; es wird berichtet, Tatjana Vikeeva, die Mutter von Yulias Freund Stepan, weigerte sich, der Verlobung ihren Segen zu geben und sagte angeblich, sie wolle nicht, dass ihr Sohn die „Tochter eines Verräters“ heiratete. Yulia selbst habe ihrer Freundin Irina mitgeteilt, „die Beziehungen zu seiner Mutter seien angespannt. Die Mutter hat sie nicht akzeptiert, sie hat es nicht verstanden. Die Mutter dachte, wenn Yulia die Tochter des Verräters wäre, würde Yulia auch verraten. Das war das Hauptargument der Mutter gegen Julia“.
Untersuchungsfrage: Welchen „Geschäften“ ging Skripal in Großbritannien nach?
Ermittlungsergebnis: Ende April führte der Autor ein Gespräch mit Valery Morosov, einem Geschäftsmann russischer Abstammung, der in Guildford, Hauptstadt der historischen Grafschaft Surrey in Südostengland, lebt. Morosov ist Mitinhaber des Design- und Bauunternehmens Moskonversprom, das einen Auftrag für den Bau einer der Einrichtungen der Olympischen Spiele 2014 in Sotschi erhielt. Er wohnt seit 2011 in Großbritannien.
Ende Dezember 2017 traf er Sergej Skripal im Russki Magazin (http://www.russianfoodshop.co.uk/), Mercury House, 126a Cornwall Road, London SE1 8TQ, ein Geschäft mitten im Herzen Londons, 50 Meter vom Bahnhof Waterloo entfernt. Auf seinem Blog (https://valerymorozov.com/) beschrieb er die Begegnung in dem Geschäft, das von dem Afghanen „Max“ geführt wird, der fließend Russisch und Englisch spricht:
Skripal: Wo wohnst du?
Morosov: In Surrey.
Skripal: Ich in Salisbury. Ich heiße Sergej. Sergej Skripal.
Morosov: Valery Morosov.
Morosovs Ehefrau Irina: Warum hast du dich entschieden, in Salisbury zu leben?
Skripal: Eine gute ruhige englische Stadt.
Morosov: Ja. Wir waren dort. Eine wunderschöne Stadt, die Kathedrale ist wunderschön und die Tour ist sehr interessant, kostenlos.
Skripal: Ja, sehr gut, ruhig und eine Stunde Zugfahrt nach London. Jeden Monat komme ich nach London, treffe mich mit den Jungs von der Botschaft. Ich habe im Außenministerium gearbeitet.
Morosov: Und was machst du jetzt?
Skripal: Ich bin jetzt im Ruhestand und mache Geschäfte. Es gab ein Geschäft in Spanien, Immobilien, Landwirtschaft, Export, Handel. Kürzlich habe ich mein Geschäft in Spanien verkauft. Ich mache auch Beratung und Analytik. In letzter Zeit ist das Geschäft mit Cyber-Sicherheit gut. Und was machst du?
Morosov: Bauen im Grunde genommen.
Skripal: Komm und besuche mich. Ich lebe alleine. Mit Katze. Meine Frau ist vor ein paar Jahren gestorben. Mein Sohn ist kürzlich gestorben.
Tränen traten ihm in die Augen.
Irina Morosov: Was ist passiert?
Skripal: Ein Unfall. Ich wurde krank.
Irina Morosov: Krebs?
Skripal: Nein. Ein Unfall. Er ging nach Russland, starb dort. Hier sind meine Kontakte.
Er nahm eine Karte aus seiner Tasche und schrieb seinen Namen, Nachnamen und Telefonnummer darauf. Er reichte sie Morosov.
Morosov: Vielen Dank. Wir werden uns treffen und dich anrufen.
Skripal: Komm schon. Mein Geschäft entwickelt sich jetzt, mit den Jungs von der Botschaft, gute Beziehungen …
Valerie Morosov im Gespräch mit dem Autor:
Im Geschäft nahm Mr. Skripal eine Karte aus seiner Tasche, schrieb seinen Namen, Nachnamen und Telefonnummer darauf. Besitzen Sie diese Karte noch? Ist es möglich, ein Foto davon zu machen, es mir zu schicken?
Morosov: Ich habe keine Karte, habe sie nicht gefunden nachdem ich gehört habe, was passiert ist.
Haben Sie Herrn Skripal in Salisbury besucht?
Morosov: Nein. Ich dachte, dass es für mich nicht sicher ist, mit einem ehemaligen russischen Militärgeheimdienstoffizier, der in Großbritannien lebt, in Cyber-Sicherheit und Geheimdienst arbeitet, Kontakt zu haben.
Um genau zu sein: Anfang März haben Sie dem britischen Channel 4 News gesagt: „Jeden Monat geht (Mr. Skripal) zur Botschaft, um Offiziere des militärischen Geheimdienstes zu treffen.“ Das ist keine Kleinigkeit! Aber so wie ich es verstehe, schrieben Sie auf Ihrem Blog, dass Mr. Skripal Ihnen gesagt habe: „Jeden Monat komme ich nach London, treffe mich mit den Jungs von der Botschaft“ und „Mein Geschäft entwickelt sich gerade mit den Jungs von der Botschaft (…)“ Ich kann nicht verstehen, warum er Ihnen zu verstehen gegeben haben sollte, dass er Verbindungen zu militärischen Geheimdienstlern hat, die in der Botschaft arbeiten. Das wäre idiotisch. Welche Aussage ist wahr?
Morosov: Ich war in der sowjetischen Armee, inklusive zwei Jahre in Indien, und arbeitete später in der sowjetischen Botschaft in Indien für drei Jahre zusammen mit Militärs und ich weiß, was es bedeutet, wenn der russische Armeeoffizier sagt, dass er „Jungs von der Botschaft trifft” . Und wie er das erzählt hat.
Konnte jemand das Gespräch im Laden mithören?
Morosov: „Max“ hat alles gehört und war ziemlich überrascht. Er absolvierte das Moskauer Luftfahrt-Institut und spricht Russisch. Skripal besuchte sein Geschäft jedes Mal, wenn er nach London kam. Er besuchte es mit seinem Sohn und seiner Tochter, und Max kannte beide. Er („Max“) sagte später zu mir, dass Skripal sehr stolz auf seinen Sohn war und seine Tochter sehr liebte. Und seine Katze. Wir konnten das sehen. Max sagte auch, dass Skripal häufig ins Ausland flog, hauptsächlich in die USA, in die Ukraine, in den Nahen Osten, Spanien.
Natürlich besteht auch die Möglichkeit, dass Sergej Skripal den „Jungs“ in der russischen Botschaft in London irgendwelche Informationen zukommen ließ. Es besteht auch durchaus die Möglichkeit, dass der russische Geheimdienst „operatives Spielmaterial“ lieferte – Informationen, die dem Gegner bewusst zugespielt werden, mit denen bestimmte politisch-operative Ziele durchgesetzt werden sollen; Material etwa, das Skripal seinen Kumpanen Miller und Steele unterjubelte. Das ist in Geheimdienstkreisen tägliches Brot. Moskau dementierte jedoch, erklärte erstens: Skripal „sei von der britischen Spionageabwehr MI5 angegriffen worden“ und nicht von russischem Nowitschok; und zweitens, so die russische Botschaft im Vereinigten Königreich, weiß man nichts von irgendwelchen Treffen. Überhaupt:
He was actually a British spy, working for MI6 pic.twitter.com/PPAcE8a9vz
— Russian Embassy, UK (@RussianEmbassy) March 8, 2018
Untersuchungsfrage: Plante Skripal nach Russland zurückzukehren?
Ermittlungsergebnis: Am 24. März 2018 erklärte Skripals Schulfreund Vladimir Timoshkov der BBC, Skripal habe bestritten, dass er „ein Verräter“ sei, weil der „Schwur, den er geschworen habe, seinem sozialistischen Mutterland, der Sowjetunion galt, nicht Russland“ und er „vollständige Vergebung“ möchte. Skripal, so Timoshkov, wurde „gemieden“, nachdem er wegen Verrats verurteilt worden war und seine alten Klassenkameraden das Gefühl hatten, das Land betrogen zu haben. Timoshkov sagte der BBC, er habe 2012 mit Skripal, seinem alten Freund, eine halbe Stunde lang telefoniert. Skripal bedauerte, „ein Doppelagent“ zu sein, weil sein Leben „durcheinander“ gekommen war. Angeblich bat er in einem Brief darum, nach Russland zurückkehren zu dürfen, weil er seine Mutter, den Bruder und andere Verwandte sehen wolle. Der Kreml bestreitet, einen Brief von Skripal erhalten zu haben.
Manchmal gibt es tatsächlich Gründe ganz banaler, menschlicher, familiärer Natur. Da lebt ein einsamer alter Mann fern der russischen Heimat in einem kleinen britischen Städtchen und sehnt sich nach Familie und Geborgenheit in seinen letzten Tagen, dem Heimatland, dem Duft der russischen Erde. Die Rückkehr nach Russland ist im Trend. 2016 kehrten nahezu 150.000 russische Staatsbürger, darunter 30.000 aus Ländern der EU, zurück. Grund ist ein Regierungsprogramm, das Russen, die im Ausland leben, ermutigt, in die Heimat zurückzukehren. Ausschlaggebend für viele der Rückkehrer ist auch die zunehmende anti-russische Stimmung in der Europäischen Union, die Vorwürfe der dortigen Regierungen und Mainstream-Medien, Russland sei ein Aggressor, eine Bedrohung für den Westen und die ganze Welt, die gesamte Palette der Russophobie, die das Leben für Russen im europäischen Ausland nahezu unerträglich macht. Das dürfte auch Sergej Skripal nicht entgangen sein.
Ein Gang des ehemaligen Offiziers des GRU nach Canossa wäre nichts Neues. Zaristische Offiziere, die nach der Oktoberrevolution 1917 verhältnismäßig lange in der Emigration lebten, gingen in den dreißiger Jahren als reuige Sünder in die Heimat zurück und erhielten Posten in der Roten Armee. Dass auch Skripal sich sehnte, nach Russland zurückzukehren, dort zu sterben, dass er Moskau möglicherweise ein „Geschenk“ mitbringen könnte als „Ausgleich“ für seine Verbrechen, als Entschuldigung für den Verrat, ist im Bereich des Vorstellbaren. Trotz allem bleibt festzuhalten: für das russische Volk ist und bleibt er immer ein Verräter. So wie es auch die zaristischen Offiziere blieben.
Untersuchungsfrage: Entwickelte sich Sergej Skripal zum Sicherheitsrisiko für Briten und Amerikaner?
Ermittlungsergebnis: Überraschend, wie freizügig und leichtfertig der gelernte Geheimdienstler Skripal mit seinen Statements in der britischen Öffentlichkeit um sich warf. Gleich bei der ersten Begegnung im Dezember 2017 erzählte er Valery Morosov und Ehefrau sowie dem Mithörer „Max“, dass er Beziehungen zu den Jungs in der Botschaft habe. Wem hat er das alles noch erzählt? Damit baute er sich tatsächlich zum Sicherheitsrisiko auf! Es ist davon auszugehen, dass der britischen Inlandsgeheimdienst, wie auch dem MI6, dem er angehörte, über ausreichend Zuträger und Informanten innerhalb der russischen Exil-Gemeinde in Großbritannien verfügt und solcherart Statements nicht verborgen bleiben. Leider konnte der Autor keinen Kontakt zu „Max“ herstellen; ebensowenig wie der BND wollte er irgendwelche Fragen beantworten. Kurzum: Es dürfte nur eine Frage der Zeit gewesen sein, bis den britischen „Behörden“ das lose Mundwerk Skripals aufgefallen ist!
Vor allem auch im Zuge der Telefonüberwachung; schließlich telefonierte Skripal eine halbe Stunde lang mit seinem Freund Vladimir Timoshkov und redete von Rückkehr. Der ehemalige Oberst war offenbar sehr redselig; wer weiß, wem er das alles noch anvertraut hat.
Sputnik Deutschland zitierte den vom Autor interviewten Morosov am 28. März 2018 mit folgender These: „Meine Meinung ist, dass er womöglich in eine internationale, mit Kriminalität verbundene Gruppierung verwickelt war. Natürlich war dort etwas entweder mit der großen Politik verbunden, wo jemand bei der Arbeit an einem Großprojekt betrogen wurde, oder mit Geld. Das ist höchstwahrscheinlich mit politischer Spionage verbunden. Vielleicht ist es zu irgendwelchen inneren Auseinandersetzungen gekommen.“
So Skripal mit Miller und Steele am Trump-Dossier arbeitete, war er tatsächlich in eine „internationale, mit Kriminalität verbundene Gruppierung verwickelt“. Vielleicht dachte Skripal, er könne sich leichter von solcherart Netzwerk lösen; viel leichter beispielsweise als aus der „Anbindung“ an einen staatlichen Geheimdienst; in seinem Falle dem MI6. Wollte er etwa doch zurück nach Russland zu seiner „Restfamilie“? Wollte er ein „Geschenk“ mitbringen als eine Art der Wiedergutmachung, das Informationen enthält über besagtes Dossier, die Netzwerke, die dahinter stehen, die es „erarbeitet“ haben, über ausgelagerte Ex-Geheimdienstkreise, die noch immer den Regierungen des Landes zuarbeiten etc. pp? Fragen über Fragen, die unbeantwortet bleiben müssen, da sie spekulativen Charakters sind.
Wenn ja, und als gegeben vorausgesetzt, dass anglo-amerikanische Geheimdienstkreise respektive die vermutete „internationale, mit Kriminalität verbundene Gruppierung“ hinter Skripals möglicher Zukunftsplanung gestiegen sind, so bleibt ihnen nur eins, um politischen Schaden, gar einen riesigen internationalen Skandal zu vermeiden: ihn außer Gefecht zu setzen. Und nicht nur ihn: Sollte etwa Yulia Skripal der Kurier für erste Informationen sein? Sollte sie die Informationen im Auftrag Skripals nach Moskau bringen, damit dort wohlwollend geprüft werden soll, ob ihm die Gnade der Heimkehr gewährt wird? Für welchen Zeitpunkt hatte eigentlich Yulia ihren Rückflug nach Moskau gebucht oder geplant?
Nun stellt sich ernsthaft die Frage, ob das Attentat auf die Skripal nicht doch eine Operation des MI6 oder ausgelagerter Kräfte war mit dem Ziel zu verhindern, das Kenntnisse über das Trump-Dossier, dessen Fertigung durch wen und wie nach Russland gelangten? Indem man die Personen kalt stellt, stellt man auch deren Wissen kalt.
Geisel der anglo-amerikanischen Geheimdienste?
Wäre das der Fall, erklärt sich, weshalb die Skripals derzeit so ausgeliefert, so abgeschottet von der Welt dahin vegetieren, offenbar alles erdulden müssen, was man ihnen vorschreibt. Kurzum: Sie wären erpressbar. Entweder Knast wegen Spionage, Geheimdienstverrat oder ihr arrangiert euch mit uns! Wäre das so, sind sie schlicht und einfach Geiseln des britischen Staates; etwas, was ansonsten nur Terroristen oder Gangster durchziehen.
Am 8. April berichtete die britische Sunday Times, dass die Vereinigten Staaten Sergej Skripal und seiner Tochter Julia neue Identitäten anbieten, um sie vor weiteren „Mordversuchen“ zu schützen. Über die Zukunft der beiden Anschlagsopfer hätten nämlich bereits Vertreter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 mit Kollegen von der CIA diskutiert. „Ihnen werden neue Identitäten angeboten“, zitierte die Zeitung eine nicht näher genannte Regierungsquelle.
Deutlicher kann die Kooperation zwischen MI6 und CIA in der Sache nicht zum Ausdruck gebracht werden. Fragt sich nur, welches Motiv steckt dahinter? Soll verhindert werden, dass der russische Staat jemals wieder Zugriff auf die beiden erhält, dass investigative Journalisten sie aufspüren, befragen, dass Experten sie untersuchen? Oder sind sie gar in der Hand derer, die sie ermorden wollten? Eine Randnotiz: Brutal, wenn nicht gar pervers, auf welche Art und Weise die britischen Verantwortlichen die Haustiere des Sergej Skripal verrecken ließen; den geliebten Perser-Kater, die Meerschweinchen. Nach dem Tod der Frau, des Sohnes waren sie seine einzigen „Verbündeten“ auf fremden Boden, die er abgöttisch liebte. Wie schnell wurden sie doch eingeäschert. Mag sein, dass es sich hier um Vernichtung und Unterdrückung von Beweismitteln handeln könnte. Es kann aber auch ein Fingerzeig sein, welches Schicksal die Skripals erwarten könnte, so sie nicht brav mitspielen.
Und wer da denkt, die Russen hätten Skripal beseitigt, muss sich nur zweierlei vor Augen führen.
Erstens: Sergej Skripal wäre für den russischen Geheimdienst durchaus eine Person von Interesse gewesen, die harte Informationen über britische Geheimdienst- und von ihm ausgelagerte Operationen (sowie auch über das Trump-Dossier) liefern könnte. Warum sollte man solch eine Quelle ohne Not liquidieren, und dann noch mit solcherart Gift-Bimbamborium – wie in Salisbury geschehen? Was zum zweiten, viel wesentlicheren Gegenargument führt: Die große Strategie der westlichen Geheimdienstlandschaft besteht doch momentan darin, Russland als auch den Verbündeten Syrien als Outlaw innerhalb der Weltgemeinschaft zu denunzieren; die grob gestrickten, andauernd wiederholten Lügen, beide würden international geächtetes Giftgas einsetzen, ist das Allheilmittel der Strategen, das gesteckte Ziel zu erreichen.
Und noch eins: Wenn Steeles Trump-Dossier ein Indikator für die Qualität der Ermittlungsarbeit des MI6 ist, dann: Gute Nacht. Dann erklärt sich auch von selbst, was von der Ermittlungsarbeit Steeles und des MI6 im Mordfall Litwinenko et al zu halten ist. Vielleicht auch im Fall Skripal.
Da war doch noch was? Ja. Steele unterrichtete Spezialkräfte in capture-or-kill-Operationen (gefangennehmen oder töten). Irgendwie vermischt sich im Fall der Skripals beides.
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