Niveauregulierung – eine Kolumne (24)

von Bernhard Loyen.

Das heutige Thema heißt  – zweierlei Maß oder die simplen Mechanismen des berühmten Blickwinkels.

Berlin im Jahre 2007. Eine dreiköpfige Familie befindet sich in ihrer Wohnung. Es hämmert an der Tür. Behelmte und bewaffnete Polizisten stürmen die Wohnung. Sichern die Räume, trennen die Familie. Der Vater wird auf den Boden geworfen, jemand kniet auf ihm. Es wird geschrien, gebrüllt. Der Familienvater wird mit Handschellen abgeführt und über Umwege dem Haftrichter des Bundesgerichtshofes im entfernten Karlsruhe zugeführt. Per Hubschrauber, wie ein Schwerverbrecher. Der Vorwurf lautet – Verstoß gegen §129a, dem Antiterrorgesetz aus den bundesrepublikanischen 70er Jahren – Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Berlin im Jahre 2016. Ein anerkannter Stadtsoziologe wird als Staatssekretär für Wohnen in den neuen Berliner Senat nominiert, für/über die Partei Die Linke. Sehr schnell macht sich helle Aufregung breit. Der Mann hat eine Biografie, die vor allem der sog. Hauptstadtpresse ausgesprochen sauer aufstößt. Sie ist empört. DDR Geborener und dazu auch noch bei der Staatssicherheit in Festanstellung gewesen.

In beiden Fällen heißt der Mann, die Person – Andrej Holm.

Seit Dezember 2016 wird wieder mal die Stasi – Sau durch das Berliner Dorf getrieben. Fachliche Kompetenz, jahrelange wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, berufliche Qualifikation und internationale Anerkennung wird durch eine Tatsache torpediert und pulverisiert – STASI Vergangenheit. Der Beißreflex funktioniert routiniert. Es sind alle dabei – Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Taz, der rbb, der Deutschlandfunk und natürlich Hubertus Knabe (Direktor der Stasi – Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen). Andrej Holm befindet sich im klassischen Spießrutenlauf der Rechtfertigung, des Aderlasses[1], [2], [3], [4], [5]

Ich habe mir diverse Artikel & Interviews mit und ohne Herrn Holm durchgelesen. Das Thema Stasi Vergangenheit war nicht mein Interesse, sondern die Tatsache der Ereignisse aus dem Jahre 2007. Würde diese Erfahrung des Herrn Holm mit in die Interviews einfließen? Sozusagen, als bittere Ironie einer Biografie. 1989 einem Geheimdienst dienen zu wollen, um 18 Jahre später selber Opfer eines Geheimdienstes zu werden. Dem war nicht so – dazu später mehr.

Der Vorwurf im Jahre 2007 lautete Benutzung von Fachbegriffen (wie Gentrifizierung, Prekarisierung), in Tateinheit mit politischem Engagement. Der §129a griff durch die Existenz einer Gruppierung mit dem Namen Militante Gruppe (MG)[6]. Kurzerhand wurde Holm dieser Gruppierung (bestehend bis dato aus drei Personen) zugeordnet und erlebte damit das Horrorszenario der staatlichen Vollüberwachung. Für ihn ein Schock Erlebnis, wie er in einem Fernsehbeitrag formuliert. Das sehr aufschlussreiche Video aus dem Jahre 2007, immerhin eine rbb Produktion, kann man sich noch heute anschauen[7]. Titel – Mein Leben als Terrorist.

Man erfährt – Holm saß nach der Verhaftung drei Wochen in Einzelhaft, mit einer Stunde Freigang am Tag. Im Rahmen der Ermittlungen zu seiner Person wurde das komplette Programm der Totalüberwachung gefahren, d.h. alle Telefonate und Mails mit dem erweiterten persönlichen Umfeld von ihm und seiner Familie wurden ausgeleuchtet. Dies entsprach der Erfassung und Speicherung von Daten mehrerer hundert Personen, Bürger. Kameraüberwachung und Peilsender über Wochen und Monate. Holm erfährt breite Solidarität, da er schon damals ein anerkannter Stadtsoziologe war[8]. Eine online Petition sammelte über 2000 Unterschriften für die Freilassung. Am Ende bekam die Anwältin Einsicht in 29(!) Aktenordner. Er wurde nach drei Wochen entlassen und wurde von allen Punkten frei gesprochen[9].

Die Aktenordner Information habe ich aus einem Artikel der Zeit vom 17.August 2007[10]. Eine eindeutige Rückendeckung für Holm. Der Titel lautete – Aufgebauschte Beweise. Am 10.Dezember 2016 klang die Holm Problematik für die Zeit anders – Stasi Probleme für Rot-Rot-Grün. Der Autor Stefan Kruse nahm sich vier Seiten Zeit, um  die Biografie von Andrej Holm vermeintlich besser zu verstehen. Von seiner Seite gab es 41 Fragen und Antworten an Holm. Davon betraf genau eine die prägenden Erlebnisse aus dem Jahre 2007. Eine. Wie in den meisten anderen Artikeln der Zeitungen wurde viel gemutmaßt, gewertet und verurteilt. Wieso, weshalb, warum, hätte, wäre, müsste, sollte, könnte.

Ich hätte es journalistisch, auch menschlich wesentlich interessanter empfunden beide Punkte dieser Biografie zu verbinden. Keiner der aktuellen Zeitungsbeiträge geht länger auf das Jahr 2007 ein. Mir stellt sich nur eine Frage – warum nicht?

In beiden Fällen geht es um Geheimdienste. Wie wir im Falle A.Holm aus dem  Jahre 2007 erfahren, gibt es in diesem Land staatliche Repression, Überwachung, Nötigung. Es gibt geheimdienstliche Kontrolle und Unterwanderung oppositioneller Gruppierungen. Nein, hier soll ein Mensch bewusst abgestraft werden. Natürlich, ganz nebenbei, auch ein passender Angriff auf die aktuelle Koalition gestartet werden. Zum Abschluss des rbb Beitrags aus dem Jahre 2007[7] heißt es – “…ist das verhältnismäßig? …wer terrorisiert hier eigentlich wen?”

Diese Frage stelle ich mir die letzten Wochen auch. Aufgrund der Ereignisse aus dem Jahre 2007, hätte Andrej Holm eine andere Vorgehensweise verdient. Der Auftrag lautet aber seit 1989 fortdauernd – alles wo DDR und Stasi draufsteht muss pulverisiert werden. Das heißt ggf. auch Biografien, also Menschen. Damit lenkt man u.a. hervorragend von den hiesigen gegenwärtigen Tatsachen und Zuständen ab.

Wer das alles als Äpfel und Birnen abtut, also Stasi & BND/Verfassungsschutz, wer nur DDR-bashing bevorzugt, sollte in Ruhe den Blog von Holms Lebensgefährtin studieren[11] – aufschlussreich, sehr aufschlussreich, über das Land in dem wir heute leben.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

 


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