Von Bernhard Loyen.
Ich habe ein neues Wort gelernt – Erstarrungstendenzen. Dieses Wort fiel im Zusammenhang mit einer sehr sehenswerten Dokumentation des SWR. Thema – Armut in Deutschland[1]. Statistik – aktuell sind 16.5 Millionen Menschen dieses Landes von Armut bedroht. Anders formuliert bedeutet das, jeder fünfte Bürger. Es gibt geschätzt ca. 350.000 Obdachlose. Tendenz steigend.
Warum fällt dieses von der Gesellschaft und speziell von der Politik verdrängte Thema wieder in den öffentlichen Fokus? Hauptverantwortlich für den Abbau von sozialen Grundrechten, wie das Recht auf bezahlbare Wohnungen, unbefristete Anstellungen bei realistischer Entlohnung, freie bis bezahlbare Krankenversicherung, Altersvorsorge,….ist das momentan herrschende System. Nennen wir es schlicht beim Namen – Kapitalismus. Willige und unterstützende Helfershelfer sind und bleiben die Damen & Herren der gewählten Volksparteien. Der Fernsehbeitrag formuliert den klaren Satz – Armut ist den Politikern eine fremde Welt, von der sie nichts wissen wollen.
Sicherlich muss man differenzieren, zwischen dem lokalen Bezirkspolitiker, der im Bestfalle noch Kontakt zur Basis und seinen Bürger sucht und findet. Alles ab Bundestagsebene aufwärts, speziell in den Spitzengremien und medialen Selbstdarstellern der jeweiligen Landes- bis Bundesregierung muss man schlicht unterstellen – sie bewegen sich weit weit weg von der bundesrepublikanischen Realität. Inzwischen herrscht in großen Teilen der Gesellschaft ein monatlicher K(r)ampf des schlichten Daseins.
Der SWR Beitrag erklärt dies sehr anschaulich am Beispiel des Transportgewerbes, d.h. den Zustellern des immer mehr explodierenden und aggressiven online Marktes. Man spricht von moderner Sklaverei. Für 1.400 € brutto werden 12 – 14 Stunden Schichten abverlangt, teilweise bei Subunternehmen in voller Eigenverantwortung (für das Auto, Versicherung, Gesundheit,…). Tägliche Normalität bedeutet für die Fahrer, pro offizielle Schicht von 8 Stunden müssen 100+ Pakete zugestellt werden. Ich kenne DHL-Fahrer, die in der Weihnachtszeit bis zu 250/300 Pakete im Wagen haben. Beschönigend werden diese Arbeitgeber dann die schwarzen Schafe der Branche genannt. Politik und Gewerkschaften wissen dies, man duldet es.
Nun findet sich eine neue Gruppe Mitmenschen, die von diesen Verbrechern (so möchte ich sie nennen) sofort ins Visier genommen wurden – die willige und abhängige Gruppe von Flüchtlingen. Auch sie abhängig von dem Kreislauf – ohne Wohnung keine Arbeit, ohne Arbeit keine Wohnung und Krankenversicherung. Seit Jahren wurden Osteuropäer gefunden und ausgebeutet. Nun sind neue Opfer, willige & billige Arbeitskraft zu Tausenden ins Land gekommen. Flüchtlinge. Wir sprechen dann bei gleichen Rahmenbedingungen von einem Monatslohn von 500 – 800 €.
Prof. Dr. Stefan Sell[2], Professor der Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Koblenz, bemerkt in dem Beitrag – die sozialen Spannungen werden steigen. Zwischen den Armen und den Ärmsten. Natürlich bedeutet dies auch zwischen Deutschen, Migranten und Flüchtlingen. Die Dokumentation zeigt auch dazu Beispiele, wie eine bedenkliche Stimmung in diesen Gesellschaftskreisen nicht mehr köchelt. Sie brodelt. Es gäbe Erstarrungstendenzen im Kampf gegen die Armut. Dies bringt unmittelbar mit sich – Armut wird sichtbar. Die neuen Parallelgesellschaften heißen also Arm und Ärmer und, dies sei doch bitte erwähnt – Reichtum.
Unvorstellbare Vermögen sind exorbitant gestiegen, in Deutschland, Europa, weltweit. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sind in festen Händen, den Fesseln, vermögender Bürger, Firmen & Konsortien, die aber nicht teilen wollen. Nein, sie wollen noch mehr, viel mehr.
Wer könnte, müsste reagieren. Wer kann Druck ausüben, um ALG 2er, Hartz4er, Lohnaufstocker (die Normalität heißt inzwischen Zweit- und Dritt-Job), Mittel- und Obdachlose zu entlasten. Ihnen zumindest ein kleines, bescheidenes Dasein zu ermöglichen?
Die Politik, sie ganz allein. So wurde unser Gesellschaftssystem anno 1949 ins Leben gerufen. Wer ist aber der potenzielle Wähler, den sie momentan in Augenschein nehmen. Der Politik geht es schon lange nicht mehr um soziale und/oder solidarische Inhalte, daher sind arme und bedürftige Menschen für sie uninteressant. Ihre Zielgruppe hat Geld und Macht. Das sind ihre wahren Freunde und Wegbegleiter.
Die immer wiederkehrende Diskussion, der ungleichen Behandlung des Normalbürgers, noch Mittelschicht genannt, und der stetig steigenden Gruppe von Armutsbürgern zu der kleinen überschaubaren Gruppe der Reichen und Neureichen. Wo wird geklotzt, von Seiten des Politikers. Nicht im sozialen Wohnungsbau, nicht auf dem aggressiven Niedriglohn Arbeitsmarkt – nein, man(n) hilft gerne denen, die es auch einfordern, bzw., erwarten – den Unternehmen, den wahren Stützen dieses Landes. Nennen wir sie Bertelsmann, Quandt, Albrecht (Aldi), Deutsche Bank, Siemens[3]….und gerade ganz frisch das Unternehmen Tengelmann.
Im Ranking der 500 größten Familienunternehmen Deutschlands der Zeitschrift Wirtschaftsblatt nimmt das Unternehmen den zehnten Platz ein[4].
Man entnahm der Presse, für das Unternehmen rentiere sich nicht mehr ihr Lebensmittelzweig Kaisers-Tengelmann. Man hat ja noch Obi, Kik, netto Markendiscount. Also abstoßen an EDEKA. Mitarbeiter schnurz, Bedenken schnurz, Kritik schnurz – man kennt die richtigen Leute, in diesem Falle Herrn Gabriel von der SPD[5]. Ulrich Schneider, Geschäftsführer – Der Paritätische Gesamtverband – bringt es zum Ende der Dokumentation schlicht auf den Punkt.
….Die Politik weiß sehr gut, wenn sie wirklich Armut bekämpfen wollte, müsste sie in Deutschland tatsächlich umverteilen. Müsste den Reichen nehmen. Sie müsste Erbschaftssteuer erhöhen. Sie müsste Vermögenssteuer einführen….und damit einer Klientel weh tun, die ihr anscheinend sehr wichtig ist. Das will sie nicht und deswegen leugnet sie Armut….Punkt, besser Ausrufezeichen.
Mehr muss man nicht dazu sagen.
Quellen:
[1] – http://swrmediathek.de/player.htm?show=2765e400-ea8f-11e5-9a86-0026b975e0ea
[2] – https://idw-online.de/de/news?print=1&id=646772
[3] – https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_500_reichsten_Deutschen
[4] – https://de.wikipedia.org/wiki/Tengelmann_%28Unternehmen%29
[5] – http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-03/edeka-tengelmann-fusion-chef-monopolkommission-ruecktritt
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.
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