Nora Lexotte – Die Frau, die nicht brannte

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Was sagt Ihnen die Überschrift? Nicht viel vermutlich. Sie macht aber neugierig, oder? Für Schreiber, erst recht für Bücherschreiber zählt es zum Schwierigsten, ihre Arbeit unter eine originelle Überschrift oder einen passenden Titel zu stellen. Häufig findet im Kopf des Autors ein regelrechter Kampf zwischen den Angeboten statt, wobei die zündende Idee auf sich warten lässt. Das Ergebnis ist meist ein Kompromiss, der mehr Leser kostet, als es einem lieb sein kann. Andererseits passiert es gelegentlich, dass die Zauberformel, die in den Text hineinziehen soll, einem spontan ins Gehirn gehämmert wird – von wem auch immer. Ich habe aufgehört, darüber zu spekulieren, welche Instanz für die genialen Darreichungen verantwortlich ist. Wir Autoren sind es nicht, soviel steht fest. Es gibt kein Copyright auf wundersame Wortplastiken, die einem vermeintlich unaussprechlichen Gefühl Gestalt verleihen, um das isoliert Sterbliche ins unendliche Leben hinüberzuführen, wie Kafka sagt.

Alles, was sich unterhalb dieser mystischen Ebene ausdrückt, ist Geschwätz. Ich sage bewusst nicht dummes Geschwätz, denn auch ich muss aufpassen, im Mahlstrom der Worte nicht geschreddert zu werden. Worte sind, wenn sie nicht dem Reich der Poesie entstammen, Versteller: Sichtblenden vor der Wahrheit. Sie kreieren und befördern die Missstände, an denen unsere erkaltete Gesellschaft krankt und in der ein dauerhafter Frieden keine Option zu sein scheint. Die Menschheit ist in der Sprachverwirrung des Guten und Bösen (Nietzsche) auf Grund gelaufen. Ihre Spiritualität hat sie dabei zuvor als Ballast über Bord geworfen.

Aber ich schweife ab. Ich wollte einen Einblick in die Überschriftenschmiede eines Autors geben und verrenne mich. Zeit, die Notbremse zu ziehen. Wie ich auf Nora Lexotte gekommen bin verrate ich später. Zunächst einige Beispiele gelungener Headlines. Ich war Heft-Redakteur bei Merian, als unserer Republik fünf neue Bundesländer in den Schoß fielen. Die Chefredaktion unter Manfred Bissiger schaltete schnell: Ein Schuber mit Sonderheften über die neuen Länder musste her. Ich war für Mecklenburg-Vorpommern zuständig. Sämtliche Artikel waren pünktlich geliefert worden und bereits redigiert. Für das Aufmacherfoto hatte die Bildredaktion das Motiv einer Broilerbude gewählt, vor der sieben DDR-Bürger im Halbdunkel vor ihren Mopeds herumlungerten. Auf dem Dach der Bude prangte eine imposante rote Leuchtschrift, die das Astwerk der umliegenden Bäume tränkte und den angeschlagenen Kiosk so gut kleidete, wie ein Zylinder den Kopf eines Kumpels unter Tage: „Coca-Cola”. Zack, da war sie, die Überschrift, die für Furore und Lacher sorgen sollte: „Der Osten bleibt rot!“ Genial. Wie gesagt, das war nicht auf meinem Mist gewachsen, ich habe es nur aufgehoben.

Ein anderes Beispiel. Es stammt aus dem San Francisco-Heft von Merian. San Francisco, einst das ehemalige Zentrum der Flower-Power-Bewegung, war 1990 durch das Aids-Virus zutiefst erschüttert. Die Stadt war wie gelähmt. Ich griff diese Stimmung mit nur zwei Worten auf, die man sofort mit der Stadt in Verbindung bringen konnte: „Trauer-Power“.

Die Schilderung der Intifada im Israel-Heft hieß bei mir „Krieg der Steine“ und meine Reportage über den Redlight-Distrikt in Amsterdam nannte ich in Anlehnung an den Bunuel-Film „Dieses obskure Objekt der Begierde“ eben „Im obskuren Distrikt der Begierde“. Auch dieser Titel erfüllte eine wichtige Voraussetzung: Wortspiele solcher Art müssen einen Wiedererkennungseffekt auslösen, sie müssen sozusagen ihre Herkunft freilegen.

Was ist nun mit Nora Lexotte, die diesem Text den Namen gibt? Nora Lexotte ist mir im Traum erschienen. Sie war mit anderen Frauen in einen Käfig gesperrt und musste zusehen, wie die Bürger eines mittelalterlichen Dorfes zum Scheiterhaufen drängten, auf dem die „Hexen“ verbrannt werden sollten. Nora wurde als Erste aus dem Käfig gezerrt und an den Pfahl gebunden. Der Pope hielt ihr das Kreuz so lange unter die Nase, bis er selbst fast in Flammen stand. Nora Lexotte (der Name war von ihm zuvor verlesen worden) aber stand unbeschadet aufrecht. Als das Feuer vollständig erloschen war, stocherte sie mit dem Fuß verächtlich in der Glut herum und rief: „Wir brennen nicht auf Eure Weise!“ Was zur Folge hatte, dass die Menge, inklusive des Popen, in Panik auseinanderstob und in die Wälder floh. Die „Hexen“ nahmen das Dorf nun in ihren Besitz. Dort blieben sie unter sich, denn die Angst der ehemaligen Bewohner saß tief und verhinderte jeden Gedanken an eine Rückkehr …

Nora Lexotte. Woher kommt der Name? Wieso erschien sie mir so ostentativ im Traum? Was hatte ich wann mit ihr zu tun? Müßig darüber nachzudenken. Ich habe ihrer hier gedacht, vielleicht freut sie das.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Kiselev Andrey Valerevich / shutterstock

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Nora Lexotte – Die Frau, die nicht brannte

  1. Zitat: "San Francisco, einst das ehemalige Zentrum der Flower-Power-Bewegung, war 1990 durch das Aids-Virus zutiefst erschüttert."
    Ich denke hier sollte man eher formulieren: "….1990 durch den medialen Hype über ein vorgebliches und sogenanntes AIDS-Virus zutiefst…"
    Ein Journalist sollte über die Medien-gemachten und gewollten Virus-Hypes und deren Hintergründe Bescheid wissen.

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