Der Weg zur Kriegspartei ist nicht mehr weit
Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Am 23. Juni 2024 feuerte das ukrainische Militär in den Mittagsstunden des orthodoxen Pfingstfestes (Tag der Heiligen Dreifaltigkeit) fünf von den USA gelieferte Kurzstreckenraketen des Typs ATACMS (Army Tactical Missile System) mit einer Reichweite bis zu 300 Kilometern auf Sewastopol. Hersteller Lockheed Martin beschreibt die Vorteile der Waffe auf seiner Webseite wie folgt: “ATACMS ist ein konventionelles Boden-Boden-Artilleriewaffensystem, das in der Lage ist, Ziele zu bekämpfen, die weit über die Reichweite der vorhandenen Kanonen, Raketen und anderen Flugkörper der Armee hinausgehen“.(1)
Von der Ukraine und den USA orchestrierter Terrorangriff auf Sewastopol
Beim ATACMS-Waffensystem können die Gefechtsköpfe mit Streumunition bestückt werden. Am Ziel werden dann Hunderte sogenannter Bomblets freigesetzt.
Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums wurden 4 von 5 Raketen abgeschossen. Die fünfte Rakete explodierte über Menschen, die sich an diesem Feiertag am Strand erholten und stieß dabei ihre Streumunition aus; laut ARD stürzten Trümmerteile einer fehlgeleiteten Rakete auf den Strand.
Nach offiziellen russischen Angaben wurden am Strand von Sewastopol fünf Zivilisten, darunter drei Kinder, getötet und mehr als 144 Menschen verletzt, darunter 27 Kinder, wovon sich fünf in einem kritischen Zustand befinden. Erschütternde Bilder vom Abtransport der Verletzten gingen um die Welt.
Diese Katastrophe zu relativieren, indem vom Westen der russische Abschuss dieser US-Rakete als ursächlich angesehen wird, ist eine böswillige Verdrehung und soll wohl nur vom Terrorcharakter dieses Angriffs ablenken. Es waren die Ukrainer, die sich für den Einsatz von mit Streumunition bestückten ATACMS-Raketen entschieden haben – und das gegen eine zivile Stadt.
„Das ist ein Terrorakt“(2),
schreibt der ehemalige US-amerikanische Offizier und UN-Waffeninspektor William Scott Ritter, Jr. (*1961 in Gainesville, Florida). Er wurde vor allem aufgrund seiner Tätigkeit als Inspektor der Vereinten Nationen für die UNSCOM-Mission im Irak in den 1990er und frühen 2000er Jahren bekannt.
Für Scott Ritter steht der Angriff vom Dreifaltigkeitstag in der Kontinuität der ukrainischen Aktionen im Lauf der letzten Jahre, wo die Ukraine seit 2014 im Donbass zivile Orte, Städte, Dörfer, Gemeinden bombardiert hat, nur um Tod und Zerstörung über die pro-russische Bevölkerung zu bringen. Seit Mai 2014 hat diese Bevölkerung, die Teil der Ukraine ist, permanent Akte eines ukrainischen Terrorismus erlebt, den die westlichen Medien weitgehend verschwiegen haben.
Da ATACMS-Raketen von den Ukrainern nicht ohne umfangreiche nachrichtendienstliche Unterstützung durch die USA eingesetzt werden können, erkennt Ritter in diesen Angriffen auch einen Terrorakt der Vereinigten Staaten gegen Russland. Erschwerend kommt hinzu, dass Streumunition durch einen von 112 Staaten ratifizierten Vertrag international verboten ist.(3)
Mit Inkrafttreten des zentralen Vertragswerks über die weltweite Ächtung von Streumunition am 1. August 2010 („Oslo-Übereinkommen“) hat sich Deutschland neben weiteren 111 Staaten dazu verpflichtet, auf den Einsatz, die Entwicklung und den Erwerb von Streumunition zu verzichten. Damals wurde die Ächtung der Streuminen vom Internationalen Roten Kreuz, von der Rothalbmond-Bewegung, der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, dem damaligen deutschen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem britischen Amtskollegen David Miliband als Meilenstein der konventionellen Rüstungskontrolle sowie als wichtigstes Abkommen der jüngeren Zeit in der Entwicklung des humanitären Völkerrechts bezeichnet.(4)
Nicht zu den Unterstützern der Konvention zählen unter anderem die Vereinigten Staaten, Russland, die Ukraine, die Volksrepublik China, Israel, Indien, Pakistan und Brasilien, die zu den weltweit wichtigsten Herstellern beziehungsweise Anwendern von Streumunition zählen.(5)
Diese geächtete Munition hat bisher großes Unheil angerichtet: Im Jugoslawienkrieg (1999), im Krieg in Afghanistan (2001-2021) und im Irakkrieg (2003) wurden insgesamt fast 16.000 Stück Streumunition mit geschätzten 2,3 bis 2,5 Millionen Submunitionen verschossen.(6) Im Libanonkrieg (2006) wurden nach Angaben der Vereinten Nationen Streubomben mit insgesamt mehr als vier Millionen Submunitionen durch Israel abgeworfen.(7) Auch an den Schauplätzen der Indochina-Kriege (1946-1954), besonders in Laos und Süd-Vietnam, liegen immer noch gefährliche Streubomben-Blindgänger.
Am 25. November 2015 erklärte Bundesaußenminister Steinmeier anlässlich der Erfolgsmeldung von der Vernichtung von 50.000 Tonnen deutscher Streumunition:
„Streumunition richtet weltweit unermessliches Leid an. Dass mit dem heutigen Tag auch alle deutschen Lagerbestände an Streumunition endgültig vernichtet sind, ist eine gute Nachricht. Weltweit bleiben der Einsatz, die Räumung und die Entsorgung von Streumunition aber weiterhin eine große Herausforderung. Die Bundesregierung wird nicht aufhören, auch andere Länder dabei zu unterstützen, ihre Bestände zu vernichten und explosive Minen und Kampfmittel zu räumen. Unser Ziel ist und bleibt ein weltweites Verbot von Streumunition“.(8)
Und 10 Jahre später mahnte er im ZDF-Sommerinterview 2023 an, Deutschland dürfe in der Streumunitionsfrage “…in der gegenwärtigen Situation der USA nicht in den Arm fallen“.(9)
Dabei ist die Bundesregierung mit der Ratifizierung des Streuminenabkommens dazu verpflichtet, auf Verbündete wie die USA, die Streumunition an die Ukraine liefern und jetzt an dem Raketenangriff direkt beteiligt sind, so einzuwirken, dass jeder Verstoß unterlassen wird.
Der Sinneswechsel des ehemaligen Außenministers und jetzigen Bundespräsidenten Steinmeier scheint ein Beispiel dafür zu sein, dass Deutschland lediglich Befehlsempfänger der USA ist und im Zweifelsfall nicht einmal den Versuch unternimmt, ratifizierte Abkommen gegen den Hegemon durchzusetzen.(10)
Ebenfalls am Dreifaltigkeitstag: Terroranschlag in Dagestan
Am orthodoxen Pfingstfest wurden in der russischen Kaukasusrepublik Dagestan mehrere Terrorangriffe auf Kirchen, eine Synagoge und eine Polizeistation ausgeführt. 15 Menschen wurden getötet, darunter ein Priester. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa äußerte dazu, dass die Ukraine solche orthodoxen Feiertage bewusst für Terrorangriffe auswählt, um ihre Verachtung für alles Russische zu demonstrieren.(11)
Der terroristische ATACMS-Angriff auf Sewastopol und die Terroranschläge in Dagestan scheinen bewusst darauf ausgelegt zu sein, das zivile Leben in der Russischen Föderation zu stören. Außerdem will man eine Spaltung zwischen den muslimischen und nicht-muslimischen Teilen der russischen Gesellschaft erzwingen – eine Strategie, die schon in den Tschetschenien-Kriegen (1994-1996 und 1999-2009) zu beobachten war.
Damals versuchten CIA und andere europäische Geheimdienste, Tschetschenien abzuspalten. Der Versuch scheiterte. Ebenso wird der Einsatz in Dagestan scheitern.
Erfolgreich dagegen waren die Anstrengungen der USA, den Ostblock – vor allem die Sowjetunion und die Organisation der Warschauer Vertragsstaaten – aufzubrechen. US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnete am 2. September 1982 die “National Security Decision Directive 54” – ein Instrument, mit dem der gesamte Sowjetblock subversiv untergraben werden sollte. Ein Satelliten- bzw. Sowjetstaat nach dem anderen wurde mit dem Versprechen amerikanischer Unterstützung zur Ablösung von der Sowjetunion bewegt. Neben destruktiven Operationen („Unterminierung der Militärkapazitäten des Warschauer Pakts“ samt Terroranschlägen) wurden ökonomische Anreize geschaffen, vor allem die Aussicht auf Kredite und kulturell-wissenschaftlichen Austausch.(12) Als Weiterentwicklung dieser Direktive nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung der Organisation der Warschauer Vertragsstaaten dienten die Langzeitstrategiepapiere TRADOC 525-5 vom Oktober 1994 und 525-3-1 („Win in a Complex World 2020-2040“) vom September 2014.
Diese geschichtlichen Zusammenhänge sowie der geheimdienstliche Hintergrund des sogenannten Maidan-Putsches sind den Verantwortlichen im Kreml bekannt. Dementsprechend betrachten viele Menschen in Russland diese Angriffe als Teil einer vom Westen gesteuerten Terrorkampagne – die zeitgleiche Ausführung in Sewastopol und in Dagestan scheint ein deutliches Indiz dafür zu sein. Sie werden als direkte Angriffe auf Russland durch Stellvertreter der Vereinigten Staaten und der NATO wahrgenommen und die Empörung ist nicht nur in Russland groß.
In Sewastopol wurde der Ausnahmezustand verhängt und der Montag zum Tag der Trauer in der Stadt erklärt. Alle Veranstaltungen wurden abgesagt.
Noch am Pfingstsonntag teilte Kremlsprecher Dmitri Peskow mit:
„Die Verantwortung für den vorsätzlichen Raketenangriff auf Zivilisten in Sewastopol liegt in erster Linie bei Washington, das die Waffen an die Ukraine geliefert hat“.(13)
Aber auch das Kiewer Regime, von dessen Territorium aus dieser Angriff erfolgte, trage eine Mitschuld. So würde es sich von selbst verstehen, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen nicht ohne Folgen bleiben kann.
Reaktion der Russischen Föderation auf den Terrorangriff
Die jetzt von den NATO-Staaten erlaubten Angriffe der Ukraine mit westlichen Waffen treffen vor allem Zivilisten. Diese hochkomplexen Waffen kann das ukrainische Militär nur mit Hilfe westlicher Spezialisten einsetzen, welche die Einsätze der ATACMS Raketen vorbereiten, die Zieldaten festlegen und den Einsatz kontrollieren.
Folgerichtig betont das russische Verteidigungsministerium, dass die Amerikaner die Schuld an dieser Tragödie tragen, da ihre Spezialisten die US-Raketen, die an den Stränden der Krim einschlugen, programmiert hatten.
„Nicht nur russische Militärexperten interpretieren diese Einsätze als Eskalation der Ukraine und des Westens in Richtung eines Terrorkrieges, weil die Ukraine an der Front in immer größerem Umfang versagt und militärisch keine Erfolge mehr möglich sind“,
so die Analyse des Dokumentarfilmers Dirk Pohlmann, ehemals erfolgreicher Fernsehautor in den öffentlich-rechtlichen Medien (ZDF, Arte).(14)
Angesichts der bevorstehenden Wahl des US-Präsidenten Anfang November 2024 scheint US-Präsident Biden sehr weit zu gehen – es sieht nicht gerade so aus, als wolle er eine direkte Konfrontation vermeiden. Eine Niederlage der Ukraine wäre auch eine Demütigung der USA vor der internationalen Weltgemeinschaft, die dazu führen würde, dass sich immer mehr, vor allem kleine Staaten zunehmend von den USA abwenden.
Am Montag, dem 24. Juni 2024 bestellte das russische Außenministerium US-Botschafterin Lynne Tracy ein und teilte der Diplomatin mit, dass die USA
„…gemeinsam mit dem Regime in Kiew die Verantwortung für diese Gräuel“ trage. „Die USA, die einen hybriden Krieg gegen Russland führen, sind Konfliktpartei geworden“,
erklärte das Außenministerium am Montag.(15) Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte am Montag der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge:
„Es versteht sich, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in deren Ergebnis russische Zivilisten ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben kann“.(16)
Wie diese genau aussehen könnten, werden wir sehen.
Historisch gesehen, hat die Russische Föderation in der Vergangenheit Provokationen dieser Art absorbiert und sich weitgehend darauf konzentriert, die Ziele der sogenannten “Speziellen Militäroperation” zu erreichen: Die Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine.
Vorerst werden die schrecklichen Bilder vom Transport der Verletzten und vor allem der Kinder nach Moskau propagandistisch genutzt werden, um im Inneren die Gemeinschaft zu stärken und nach außen der Welt zu zeigen, dass Russland von den Amerikanern angegriffen wurde.
Eine direkte Antwort wird aber nicht so ausfallen, wie es sich Hobby-Strategen erwarten. Nein, Russland wird vorerst nicht irgendwo US-Schiffe versenken oder US-Stützpunkte angreifen, denn das würde ja direkt in einen großen Krieg führen. Vorerst wird man die Strategie der Nadelstiche verfolgen: gezielte Angriffe auf Militäranlagen in der Ukraine, in denen US-Soldaten bzw. US-Söldner eingesetzt sind.
Die Einstufung der USA als Konfliktpartei samt Vorwurf der direkten Kriegsbeteiligung wird irgendwann zu einer größeren Reaktion führen.
Am Freitag, dem 28. Juni 2024, hat der russische Präsident Wladimir Putin die Herstellung von Kurz- und Mittelstreckenraketen angeregt: „Es sieht so aus, als müssten wir mit der Produktion dieser Angriffssysteme beginnen“, sagte Putin mit Blick auf Raketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Diese waren bis 2019 durch den INF-Vertrag (engl. Intermediate Range Nuclear Forces Treaty oder Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag) zwischen den USA und der UdSSR/Russland verboten.
Der Vertrag wurde am 8. Dezember 1987 anlässlich des Gipfeltreffens von Washington unterzeichnet und nach Ratifizierung am 1. Juni 1988 während des Gipfeltreffens in Moskau in Kraft gesetzt.
Er wurde auf unbeschränkte Dauer beschlossen, ist jedoch seit dem 2. August 2019 durch den damaligen US-Präsidenten Trump außer Kraft gesetzt worden. Bisher war Putins Strategie wenig emotional. Es ist zu hoffen, dass er auch in der jetzigen Situation einen kühlen Kopf behält.
Reaktion des Pentagons
Weder die USA noch die Ukraine äußerten sich unmittelbar nach dem Raketenangriff auf Sewastopol.
Am 25. Juni 2024 griff US-Verteidigungsminister Lloyd Austin zum Telefon, um sich mit seinem Amtskollegen im Kreml Andrej Beloussow über die Situation in der Ukraine auszutauschen – das erste Telefongespräch zwischen dem Verteidigungsminister Russlands und jenem der USA seit März 2023. Dabei habe Austin betont, dass es angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wichtig sei, die Kommunikation aufrecht zu erhalten, sagte Pentagon-Sprecher Pat Ryder. Weitere Details zum Telefonat nannte er nicht. Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, dass sich beide Seiten über den Krieg ausgetauscht hätten. Beloussow habe dabei im Zusammenhang mit den US-Waffenlieferungen an die Ukraine auf die zunehmende Gefahr einer Eskalation im Land hingewiesen.
Auch andere Fragen seien besprochen worden, Details nannte aber auch die russische Seite nicht.(17) Die Initiative von Lloyd Austin lässt darauf schließen, dass das US-Militär im Gegensatz zu manchen Kriegsfalken in der Demokratischen Partei ebenfalls nicht am äußersten Katastrophenszenario interessiert ist.
Die Terroranschläge und die „Schein-Friedenskonferenz“ von Bürgenstock (Schweiz)
Eine Woche vor dem folgenschweren Angriff auf Sewastopol, fand in der Schweiz am 15. und 16. Juni 2024 die „Internationale Konferenz zum Frieden in der Ukraine” (auch Bürgenstock- oder Ukraine-Konferenz genannt) statt. Dieses Treffen war auf Ersuchen des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskij einberufen worden. Neben der Schweizer Delegation nahmen Vertreter von 92 Staaten teil, 57 von ihnen waren Staats- oder Regierungschefs.
Ziel dieser diplomatischen Offensive war, einen künftigen Friedensprozess im “Russisch-Ukrainischen Krieg” anzuregen. Doch wie soll eine derartige Vision gelingen, wenn eine der involvierten Kriegsparteien, nämlich Russland, gar nicht zu dieser Konferenz eingeladen wurde? Das ist wie eine Trauung ohne Bräutigam.
Wie passt in diese Regie der von langer Hand durch die USA und Ukraine für den orthodoxen Pfingstsonntag vorbereitete Angriff mit geächteten Waffen auf Sewastopol? Ein koordinierter Falschspieler-Coup?
Vor dem Ende der Konferenz unterzeichneten 78 der 92 Staaten die Abschlusserklärung. Diese enthält kaum Neues und doch feiern die Teilnehmer die Versammlung als großes Bekenntnis zum Völkerrecht und zur Ukraine.(18)
Eingangs erinnert die Erklärung an die Charta der Vereinten Nationen.
„Wir bekräftigen unser Bekenntnis zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates“(19),
heißt es im Text. Die Grundsätze der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen müssten geachtet werden. Das schließe die Ukraine ein.
Was für eine Heuchelei!
Wir erinnern uns:
Drei Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine nannte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz rasch diesen Vorstoß der Russischen Föderation eine „Zeitenwende“. Doch diese wurde bereits 21 Jahre zuvor, am 24. März 1999, mit dem völkerrechtswidrigen Angriff (ohne UN-Resolution) der USA auf Restjugoslawien eingeläutet. Seither mandatieren die Vereinigten Staaten von Amerika ihre Interventionen weltweit ohne UN-Resolution: das Völkerrecht wurde durch das Faustrecht ersetzt. Die Aushebelung des Völkerrechts fand also nicht am 24. Februar 2022 statt, sondern bereits zwei Jahrzehnte zuvor. Und auch der aktuelle Krieg in der Ukraine hat seine Vorgeschichte. Darin geht es im Grunde um gebrochene Versprechen, um die Stationierung von Patriot Waffensystemen in Rumänien und in Polen, um ein Ultimatum der EU, um einen von den USA orchestrierten Staatsstreich, um den Artilleriebeschuss russischstämmiger Bevölkerung im Donbass durch die Ukraine selbst (seit 2014 mit annähernd 14.000 Toten), um die fehlende Durchsetzung der Minsker Abkommen, wo Deutschland als Garantiemacht fungierte und um die Weigerung, über von Russland geforderte Sicherheitsgarantien zu verhandeln. Insgesamt geht es um die Durchsetzung einer brutalen US-Geopolitik mit dem Ziel, die unipolare Weltordnung aufrecht zu erhalten.
Die 78 Unterzeichnerstaaten der Schlusserklärung von Bürgenstock haben bisher unisono gegen das Bekenntnis zu Beginn der Konferenz verstoßen. Die Staaten, die nicht von den USA abhängig sind – also der Großteil der Bevölkerung des globalen Südens – hat das nicht vergessen.
Infolgedessen waren unter den Ländern, die nicht zustimmten, 6 Staaten aus dem G-20 Format, das die wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt umfasst: Indien, Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und Indonesien trugen die Schlusserklärung von Bürgenstock nicht mit; Brasilien, Indien, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate sind mit Russland in der sogenannten BRICS-plus-Gruppe zusammengeschlossen. Außerdem scherten Armenien, Bahrain, Thailand, Libyen, Irak, Jordanien und Kolumbien ebenfalls aus.
Für die Organisatoren der „Internationalen Konferenz zum Frieden in der Ukraine” war es im Vorfeld wichtig, möglichst viele nichtwestliche Staaten auf den Bürgenstock zu lotsen. So versuchte man auf deren Sichtweise Rücksicht zu nehmen und verzichtete ausdrücklich darauf, Russland für seinen Angriff zu verurteilen.
Kurz vor Beginn des Treffens in der Schweiz hatte Russlands Präsident Wladimir Putin seine Forderungen für einen Frieden im Krieg mit der Ukraine gestellt.(20)
Unter anderem meldete er Anspruch auf vier Donbass-Regionen an und forderte eine Garantie, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt. Die US-affinen Gipfelteilnehmer sahen darin kein Verhandlungsangebot, sondern den Aufruf zu einer Kapitulation der Ukraine. Gleichwohl schreiben die Unterzeichner des Bürgenstock-Communiqués: „Wir glauben, dass die Einbeziehung und der Dialog zwischen allen Parteien notwendig ist, um Frieden zu schaffen“.(21)
Der ukrainische Machthaber Wolodymir Selenskij, dessen fünfjährige Amtszeit am 20. Mai 2024 endete (eigentlich müsste der Parlamentspräsident die Staatsgeschäfte leiten) erklärte dazu, dass eine Teilnahme Russlands an einer Friedenskonferenz bedeuten würde, dass Moskau beschlossen habe, den Krieg zu beenden. Moskau könne morgen direkt mit Kiew verhandeln, sobald es sich aus den besetzten Gebieten zurückziehe, so der ukrainische Komödiant, dessen Wahlkampf 2019 so auffällig der fiktiven Blaupause seiner eigenen TV-Serie “Diener des Volkes” glich.(22) Unterstützt vom „Werte-Westen“ soll er diese Rolle noch lange spielen.
Vielleicht hatte ja diese sogenannte Friedenskonferenz auch das Ziel, Selenskij weiterhin in der Welt mit dem Habitus eines rechtmäßig gewählten Präsidenten zu versehen.
Aussichten
Die überraschend gute Nachricht der letzten Juniwoche war, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange nach 7 Jahren Botschaftsasyl in der ecuadorianischen Botschaft in London (2012-2019) und anschließenden 5 Jahren Haft im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh freigekommen ist.
Ein US-Gericht sprach den Wikileaks-Gründer schuldig, doch die Haftstrafe gilt als abgegolten.(23) Mittlerweile ist Assange in seine Heimat Australien zurückgekehrt. Seine “Verfehlung” war, Dokumente zu veröffentlichen, die Kriegsverbrechen von US-Militärs im Irak zwischen 2004 und 2010 belegen.
Unterdessen geht der Krieg in der Ukraine erbittert weiter. Ein direkter Konflikt zwischen Russland und der NATO ist in den vergangenen Wochen wahrscheinlicher geworden:
- Russland ist dabei, den konventionellen Krieg in der Ukraine zu gewinnen
- Die NATO steht vor der Wahl zwischen Gesichtsverlust und Eskalation des Konflikts
- Das Fernsehduellder US-Präsidentschaftskandidaten vom 27. Juli 2024 war für Biden ein Desaster.
In diesem Duell standen sich der ehemalige US-Präsident Donald Trump und der noch amtierende Präsident Joe Biden (81) gegenüber, wobei Biden der Welt in Echtzeit als das vorgeführt wurde, was er ist, ein menschliches Wrack. Während der um drei Jahre jüngere Trump noch vital wirkte, bewegten sich große Teile des Duells auf einem schockierend niedrigen Niveau.(24) Zukunftsvisionen? – Fehlanzeige.
Dass die USA, die gemäß ihrer Langzeitstrategie „Win in a Complex World 2020-2040“ die unipolare Herrschaft mit allen Mitteln aufrechterhalten wollen, für ihre Präsidentschaft nur 2 alte Männer, die schon fast im Greisenalter sind, ins Rennen schicken, scheint für den Zustand der westlichen Welt symptomatisch zu sein. Gegenüber der zunehmenden Dynamik des globalen Südens und hier vor allem der BRICS plus-Staaten hat die westliche Welt mit deren aktuellen Politik keine Zukunft.
Trump ist ebenso wie Biden ein Symptom für die Krise des Westens. Trump beabsichtigt, den Krieg gegen Russland zu beenden, die Auseinandersetzung mit China wird er aber weiter forcieren. Auch mit ihm als Präsident ist ein Amerika im Kreis einer multipolaren Friedensordnung undenkbar.
Am 1. Juni 2024 bekundeten über hunderttausend ungarische Bürger in einer beeindruckenden Demonstration ihren Willen zum Frieden und applaudierten ihrem Präsidenten Viktor Orbán, der seine Rede auf der Kundgebung überschrieben hatte:
“Es gibt keinen dritten Weg, nur einen dritten Weltkrieg”
Viktor Orbán charakterisierte die aktuelle Kriegstreiberei mit den Worten:
„Heute bereitet sich Europa darauf vor, in den Krieg zu ziehen. Jeden Tag kündigen sie die Eröffnung eines weiteren Abschnitts des Weges zur Hölle an. Tagtäglich übergießen sie uns damit, dass Hunderte von Milliarden Euro in die Ukraine gepumpt werden, Stationierung von Atomwaffen in der Mitte Europas, Rekrutierung unserer Söhne in eine fremde Armee, eine NATO-Mission in der Ukraine, Entsendung europäischer Militäreinheiten in die Ukraine“.(25)
Orbán zeichnete das Bild von einem Kriegszug, der keine Bremsen hat und bei dem der Lokführer von Sinnen ist. Er forderte, die Notbremse zu ziehen, damit wenigstens diejenigen, die es wollen, aussteigen und sich aus dem Krieg heraushalten können. Orbán wies darauf hin, dass er den „Wagen Ungarn“ rechtzeitig vom „Migranten-Zug“, der Richtung Selbstaufgabe der Nationen zurast, abgekoppelt hat und nicht zulassen wird, dass Kinder und Enkelkinder an die ukrainische Front geschickt werden.
Für Orbán haben sich die Kriegsbefürworter über den gesunden Menschenverstand hinweggesetzt. „
Die Kriegsbefürworter sind wie betrunken. Sie wollen Russland besiegen, wie sie es im Ersten und Zweiten Weltkrieg versucht haben. Sie sind sogar bereit, sich mit dem ganzen Osten anzulegen. Sie glauben, dass sie diesen Krieg gewinnen werden. Aber der Rausch des Krieges ist wie eine Droge: Diejenigen, die ihm verfallen sind, fühlen sich für nichts verantwortlich“.(26)
Dieser Droge scheint auch die frischgebackene deutsche FDP-Europa-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann verfallen zu sein. Die selbsternannte “Oma Courage”, die sich absolut sicher ist über den siegreichen Verlauf des Ukrainekrieges und sich vehement für die Lieferung deutscher TAURUS-Marschflugkörper ins Kriegsgebiet einsetzt, bezeichnete Kanzler Olaf Scholz als „autistisch“ oder „verantwortungslos“. In der Talk-Show von Markus Lanz am 27. Juni 2024 – also wenige Tage nach dem schrecklichen Angriff auf Sewastopol – warf sie dem Kanzler vor, er würde in der Taurus-Frage “aus dem Kalkül heraus handeln, dass er der Annahme ist, dass eine Mehrheit der Deutschen diese Lieferung von Hochtechnologie-Waffen nicht will.”(27) Daraufhin legte Strack-Zimmermann dar, was ihrer Ansicht nach eine frühere Taurus-Lieferung gebracht hätte und was sie jetzt bewirken werde. Ihre Fachkompetenz: Sie war von 1989 bis 2008 als selbstständige Verlagsrepräsentantin für den Nürnberger Jugendbuchverlag Tessloff tätig. Was die Dialektik des Herrn Scholz betrifft, so scheint es, dass er den totalen Krieg mit Russland verbal nicht will.
Doch mit der Freigabe deutscher Waffen für den Einsatz in russischem Kernland rückt der Krieg immer näher auf Deutschland zu.
Alles Dramaturgie oder Scholz nur irre? Die Anweisungen scheint Scholz aus Washington zu bekommen. Man erinnere sich, wie Deutschland beim Antrag im UN-Sicherheitsrat, den Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipeline international zu untersuchen, auf Weisung von Scholz sich der Stimme enthielt.
Der ehemalige Vizefinanzminister von Ronald Reagan, Paul Craig Roberts, veröffentlichte am Tag der Terrorangriffe auf Russland in seinem “Institute for Political Economy” den nachdenklich machenden Artikel
“Evil Is Now the Dominant Power in the Western World” (Das Böse ist jetzt die dominierende Macht in der westlichen Welt).
Für Roberts sind es nicht die Russen, Chinesen und Iraner, die weitere Kriege provozieren:
„Es ist Washington und sein EU-Imperium. Wenn man die nackten Tatsachen betrachtet, geht das Böse von der westlichen Welt aus und agiert in der Welt. Russland, China und der Iran glauben, dass sie es mit Regierungen zu tun haben, die ihren Verstand verloren haben. Sie verlassen sich darauf, dass der drohende Ausbruch eines Weltkriegs schrecklich genug wäre, um den Westen zur Vernunft zu bringen – ohne zu realisieren, dass sie es mit dem Bösen zu tun haben, mit dem keine Verhandlungen möglich sind.“(28)
Für Roberts haben Russland, China und der Iran es nicht mit vernünftigen westlichen Regierungen zu tun, sondern
„sie stehen dem ungezügelten Bösen gegenüber. Putin fragt sich, warum der Westen so unvernünftig ist. Die Antwort ist, dass das Böse unvernünftig ist. Man kann sich nicht mit ihm arrangieren.“(29)
Was die Menschen in Ost und West nicht in Betracht ziehen, ist die Tatsache, dass die US-amerikanischen Geo-Strategen schon seit 30 Jahren auf eine große kriegerische Auseinandersetzung hinarbeiten und der Überzeugung sind, sie könnten sogar einen Atomkrieg gewinnen. Was das für Europa bedeuten würde, möchte man sich lieber nicht ausmalen.
Wie nah wir bereits an einem Kriegsszenario sind, zeigt die Tatsache, dass zum 1. Juli 2024 die Alarmbereitschaft der US-Streitkräfte in Europa auf die dritte von insgesamt vier Stufen erhöht wurde.(30)
Für Scott Ritter ist nach den Terroranschlägen vom 23. Juni. 2024 in Dagestan, wo westliche Beteiligung nicht auszuschließen ist und nach dem direkten Angriff auf Sewastopol durch Stellvertreter der Vereinigten Staaten und der NATO, der Ukrainekrieg mehr als nur ein Stellvertreterkrieg.(31) Um diesen Wahnsinn zu stoppen, müssen die Vereinigten Staaten von ihren Weltmacht-Phantasien ablassen und die in EU und NATO eingebundenen europäischen Länder endlich erkennen, wohin diese Kriegspolitik führen wird.
Der ungarische Präsident Viktor Orbán macht es vor:
“Wir werden nicht in den Krieg ziehen!”
„Vor dem Ersten Weltkrieg war Europa der Herr der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es nicht mehr Herr seiner selbst und wurde von fremden Imperien im Westen und Osten besetzt. Jetzt spielen wir die zweite Geige. So wie die Dinge stehen, wird Europa nach einem weiteren Krieg nicht einmal mehr in dem Orchester mitspielen, das den Rhythmus der Welt bestimmt – wenn es überhaupt ein Orchester geben wird“.(32)
Höchste Zeit, innezuhalten und über Orbans Rede nachzudenken!
Anmerkungen und Quellen
Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete “atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. Zuletzt erschienen vom ihm „Schwarzbuch EU & NATO“ (2020) sowie “Die unterschätzte Macht” (2022).
2) Scott Ritter, 23. Juni 2024, Video querdenken 711.de
3)13 weitere Staaten haben ihn unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert
4) Cluster munition convention signed. The Irish Times, 4. Dezember 2008. https://www.irishtimes.com/newspaper/ireland/2008/1204/1228337398018.html
5) https://www.the-monitor.org/media/1641916/banning_cluster_munitions_2009.pdf
6) Ebda.
8) https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/151125-streumunition/276700
10) https://free21.org/russland-erklaert-usa-zur-konfliktpartei/
11) Ebda.
12) https://irp.fas.org/offdocs/nsdd/nsdd-54.pdf
14) https://free21.org/russland-erklaert-usa-zur-konfliktpartei/
16) Ebda.
17) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/gespraeche-russland-usa-100.html
21) Ebda
26) Ebda.
28) https://www.paulcraigroberts.org/2024/06/23/evil-is-now-the-dominant-power-in-the-western-world/
29) Ebda.
31) Scott Ritter, 23. Juni 2024, Video querdenken 711.de
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vielleicht wird Opa Biden deswegen öffentlich als senil vorgeführt, damit er den entscheidenden Knopf drücken kann und das dann als 'Versehen' deklariert wird?!
Naja, so einfach ist es mit dem "Knopf" auch wieder nicht, wie mit dem Bettlampenschalter…