von Bernhard Trautvetter.
Als Essener beobachte ich die Entwicklung um die Essener Tafel schon von Beginn an und intensiv. Dafür steht ein Leserbrief von mir in der regionalen „Neuen Ruhr Zeitung“ vom 24.2.: „Ich nehme vielen Unterstützern (nicht allen) des Beschlusses der Essener Tafel ab, dass sie keine Rassisten sind. Ihr Fehler entspringt einer Nichtbeachtung der fatalen Wirkung ihres Beschlusses auf Mitmenschen: Arme Ausländer verzweifeln. Sie fühlen sich bundesweit weiter zum Sündenbock für viele Probleme abgestempelt, ohne etwas dafür zu können. AfD-PolitikerInnen und andere Rassisten werden darauf ihr Süppchen kochen und in unserem Land, in dem es eine immer krassere Schere zwischen Arm und (Ganz)Reich gibt, noch militanter Arme gegen ganz Arme ausspielen, um Unterstützung einzuheischen.“ Es ist aus meiner Erfahrung heraus symptomatisch, dass der Schluss meines Textes in der NRZ fehlt. Das Staatsversagen, Arme gegen ganz Arme auszuspielen, ist der Skandal in der Tragödie.
Allerdings warne ich die KritikerInnen vor einer allzu schnellen Bewertung komplexer Vorgänge – sie entfernt uns von der Realität, von uns selbst und voneinander. Ich bin darüber befremdet, wie schnell selbst über KenFM-AutorInnen das Kreuz gebrochen wird. Selbstgerechtigkeit ist nicht nur der Feind des Selbst, sondern auch das lähmende Gift in den Bewegungen/Spektren, die die Verhältnisse der Unmenschlichkeit zum Tanzen bringen wollen, um den Weg der Menschlichkeit zu eröffnen.
Die Essener Tafel ist für die unsoziale Sozialpolitik des Kapitalismus nicht verantwortlich, auch nicht für die Kriege, die eine millionenfache Flucht-Tragödie ausgelöst haben, und die nun zu einem sprunghaften Anstieg von Not bei Betroffenen auch innerhalb unseres Landes nach sich gezogen haben. Krokodilstränen der für die Kriege und die unsoziale Sozialpolitik Verantwortlichen in der Regierung, im Parlament, in der Nato und in den sie tragenden Kreisen sind Heuchelei.
Und zugleich gilt genauso klar: Die diskriminierende Ausgrenzung Bedürftiger bei der Essener Tafel weist Ähnlichkeiten mit einer Strategie der Rassisten auf, die gegen Menschenrechte vorgehen, indem sie sich gegen die so genannte Diktatur der politischen Korrektheit wenden: Es beginnt mit einer Verletzung vielleicht sogar der Grundsätze, auf die man sich nach außen hin bezieht: Die Essener Tafel bezieht sich in ihren Grundsätzen auf die „Tafelgrundsätze des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V.“ als ihre Leitlinien.
http://www.essener-tafel.de/ueber-uns/tafel-grundsaetze/
Dort heißt es unter dem Begriff „Humanität“: „Jedem bedürftigen Menschen wird unabhängig von seiner Herkunft, seinen Möglichkeiten und Grenzen mit Respekt begegnet; seine Würde wird geachtet.“
Oft wird ein solcher Verstoß mit dem Begriff „Tabubruch“ herunterpoliert. Wenn dann erwartungsgemäß ein Sturm der Kritik losbricht, deklariert man sich zum Opfer zumindest der Mainstream-Medien, aber gerne auch gleich der Elite, gegen die die Benachteiligten sowieso und aus guten Gründen heraus, ohnehin eher kritisch sind.
Die Kritik an der unmenschlichen Realität im reichen Deutschland mit Ausländerdiskriminierung zu verbinden, bedeutet, hier werden die noch Schwächeren für einen Zweck instrumentalisiert. Es ist Zufall, dass ich Deutscher bin. Und die Begründung für den ausgrenzenden Beschluss “Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt.”, erinnert fatal an den NPD-Werbespruch: „Geld für die Oma statt für Sinti und Roma!“ Diesen Zusammenhang nicht gesehen zu haben, das ist m. E. verantwortungswidrig, denn hier wird den Feinden der Demokratie, wenn auch ohne bewusste Absicht, Resonanzraum in der Öffentlichkeit bereitet.
Die vielen Ehrenamtlichen und Bedürftigen sowie alle Menschen, die ein anderes (Zusammen-)Leben anstreben, brauchen ein Klima, in dem nicht immer neue Gräben zwischen den Opfern der Gewaltpolitik und der kapitalistischen Konkurrenz aufgerissen und vertieft werden, sondern eine auf Gleichberechtigung, friedliche und faire Interessensregulation ausgerichtete Gesellschaft – auf allen Ebenen. In Essen, West- und Gesamtdeutschland und weltweit.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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