In seinem neuen Buch „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ erläutert Albrecht Müller Manipulationstechniken und zeigt, wie man sich gegen Meinungsmache wappnet.
Demokratie klingt schön. Tatsächlich wird sie täglich ausgehöhlt. Wir alle werden ständig bedrängt zu denken, was andere uns vorsagen. Aber man kann sich aus dem Gestrüpp der Manipulationen befreien. In meinem neuen Buch beschreibe ich zahlreiche gängige Methoden der Manipulation sowie Fälle gelungener oder versuchter Meinungsmache und analysiere die dahintersteckenden Strategien. Es ist an der Zeit, skeptischer zu werden, nur noch wenig zu glauben und alles zu hinterfragen. Es ist Zeit, wieder selbst zu denken und sich mit anderen zusammenzutun.
Die Kenntnis der Manipulationsmethoden, die heute üblich sind, hilft dabei, sich davor zu bewahren, selbst Opfer von Meinungsmache zu werden. Manche Vorgehensweisen sind alte Bekannte, andere hingegen basieren auf neueren Erfahrungen. Oft werden zwei oder mehr Methoden gleichzeitig angewandt. Eine dieser Methoden, unser Denken und Fühlen zu beeinflussen, ist es, Geschichten verkürzt zu erzählen. Darauf möchte ich nun anhand einiger Beispiel näher eingehen.
Geschichten verkürzt erzählen: Mit der Methode Geschichten verkürzt zu erzählen, werden viele Menschen unentwegt in die Irre geführt. Sie bestimmt über weite Strecken die öffentliche Debatte. Auf Basis dieser Manipulationen werden reihenweise politische Fehlentscheidungen getroffen und gedeckt. Typische Beispiele sind:
Wenn hierzulande über das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland berichtet und gesprochen wird, dann wird die Tatsache, dass West und Ost 1990 gemeinsam vereinbart haben, sich nicht mehr zu bedrohen und das Verhältnis auf die Idee der Gemeinsamen Sicherheit zu gründen, häufig weggelassen. Es war vereinbart worden abzurüsten. Jetzt wird so getan, als gäbe es diese Verabredungen nicht, ja als gäbe es die gesamte Entspannungs- und Friedenspolitik nicht.
Und natürlich wird auch vom Bruch der gegenseitigen Versprechen nichts erzählt. Nichts davon, dass schon die Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze ein übler Vertrauensbruch war. Nichts davon, dass und wie der Westen in der Amtszeit des russischen Präsidenten Jelzin in die inneren Verhältnisse Russlands hinein zu regieren versucht hat. Von diesen unglaublichen Machenschaften hat Naomi Klein in ihrem Buch »Schock-Strategie« eindrucksvoll berichtet (1). Das Buch ist 2007 in Deutschland erschienen und wurde erstaunlich erfolgreich vergessen gemacht.
Es wird bei der Beurteilung der russischen Politik und insbesondere des Präsidenten Putin alles Mögliche angeführt, aber nicht die Tatsache, dass Putin im September 2001 in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag, teilweise in Deutsch, weitreichende Angebote für die Zusammenarbeit gemacht hat (2). Das passt nicht ins Bild, deshalb wird es nicht berichtet. Genauso wenig wie die betretenen Gesichter deutscher Kabinettsmitglieder von Joschka Fischer bis Otto Schily, denen man anmerkte, dass ihnen diese Friedensofferte nicht in den Kram passt, weil ihre amerikanischen Freunde sie auf Konfrontation eingestimmt hatten und haben.
Zweites Beispiel: Zum Syrien-Konflikt fängt die Geschichte damit an, dass man empört erzählt, der syrische »Diktator« – wahlweise »Machthaber« – lasse Fassbomben auf syrische Kinder werfen und die Russen würden wahllos syrische Städte einschließlich der Krankenhäuser bombardieren. Die Vorgeschichte wird nicht erzählt: Nicht, dass der Westen einen Regime Change in Syrien beschlossen hatte und zu diesem Zweck mithilfe verschiedener Golfstaaten auch Islamisten und Terroristen für den Einsatz in Syrien bezahlt und bewaffnet hat. Es wird nicht berichtet, dass dieser Konflikt schon 2011 begonnen wurde und Russland erst ab September 2015 und auf Bitten des syrischen Präsidenten intervenierte. Nicht erzählt wird, dass auch Deutschland von spätestens 2015 an mit dabei war (3), ab 2011 hat sich Deutschland schon an Sanktionen gegen Syrien beteiligt und mitgeholfen, das syrische Volk auszuhungern. Ganz selbstverständlich wird bei uns weder von den Medien noch von der Bundesregierung davon berichtet, dass Deutschland wegen der Nutzung der US-Stützpunkte in nahezu alle diese Kriege involviert ist. Und es wird auch den Nachrichten nicht nachgegangen, dass Deutschland – zusammen mit Menschen, die sich berechtigt Flüchtlinge nennen – auch Islamisten aus Syrien aufgenommen hat (4).
Drittes Beispiel: Der Ukraine-Konflikt. Viele Medien – und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (5) datieren die Ukraine-Krise auf die militärische Unterstützung Russlands für die Aufständischen in der Ost-Ukraine und auf die Annexion der Krim. Weggelassen wird quasi alles Wichtige, was davor geschah: Die erwähnte Ausdehnung der NATO bis an die russische Grenze, der Versuch von EU und NATO, auch die Ukraine einschließlich der Krim und damit die Militärbasis Russlands in Sewastopol in den Bereich der EU und der NATO einzubeziehen. Es wird weggelassen, was die USA an Propaganda und – wie sie es nennen – demokratischer Aufbauarbeit in der Ukraine veranstaltet haben. Sie haben nach Auskunft der zuständigen US-Unterstaatssekretärin Victoria Nuland 5 Milliarden Dollar – Milliarden!, nicht Millionen – in der Ukraine eingesetzt. Auch die westlichen Inszenierungen zum Maidan, die Umstände des Staatsstreichs gegen den amtierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch und der Einfluss rechter Gruppen in der Ukraine werden bei der Erzählung nicht aufgenommen. Es wird auch nicht darüber aufgeklärt, welche Rolle die Außenminister von Polen, Frankreich und Deutschland, namentlich Steinmeier, im Februar 2014 in Kiew gespielt haben. Man kann alle diese Interventionen ja rechtfertigen, aber man kann sie bei der Erzählung der Geschichte nicht einfach weglassen.
Noch ein Beispiel aus einer ganz anderen Welt: Eine bemerkenswerte Verkürzung machen nahezu alle bei der Diskussion von Freihandelsabkommen (TTIP, CETA) mit. Dass die weitere Erweiterung des Welthandels sinnvoll sei, wird von vornherein als richtig unterstellt. Dabei wird unterschlagen, dass wir jetzt ja schon einen beachtlichen Grad an Welthandel haben und die viel beschworene Globalisierung bei weitem nicht so neu ist, wie behauptet wird. Außerdem wird verschwiegen, dass der nationale und internationale Verkehr immer größere Probleme bringt, dass er eine ökologische Belastung ist, dass wir der Lkw-Flotten schon gar nicht mehr Herr werden und dass der Verkehr darüber hinaus oft subventioniert ist, jedenfalls nicht die vollen Kosten trägt, also nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch fragwürdig ist. Wo ist die Diskussion um Verkehrsvermeidung geblieben? Und wo die Diskussion um die Dezentralisierung der Wirtschaftsräume? Sind das alles irrelevante Gedanken gewesen?
Wenn Sie die Geschehnisse, Argumentationen und Interpretationen durchschauen wollen, dann müssen Sie diese Methoden, im konkreten Fall die Methode einer verkürzten Erzählung einer Geschichte beherzigen. Prüfen Sie immer wieder, welche Tatsachen präsentiert werden und welche Veröffentlichungen miteinander in Konflikt geraten. Lassen Sie sich nicht von anderen missbrauchen. Fragen Sie selbst nach der ganzen Geschichte. Auch hier hilft und animiert Naomi Kleins Buch auf vorbildliche Weise, die ganze Geschichte eines Vorgangs zu durchschauen.
Dies war ein Exklusiv-Auszug aus dem aktuellen Buch ‘Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst – Wie man Manipulationen durchschaut’ von Albrecht Müller.
Quellen:
- Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt am Main 2007. Siehe dort das Kapitel »Scheiterhaufen einer jungen Demokratie.«
- https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin-196934
- Der Beschluss des Deutschen Bundestags online unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/068/1806866.pdf. Hier ein Bericht von NTV: https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Bundestag-gibt-gruenes-Licht-fuer-Syrien-Einsatz-der-Bundeswehr-article16500591.html. Offiziell gilt der Beschluss dem Einsatz gegen den Islamischen Staat (IS). Tatsächlich ist die Luftwaffe in ihrer Beobachtungsmission auch fähig, zu beobachten, was zum Beispiel das syrische Militär und Russland auf Einladung Syriens im dortigen Land machen.
- Zur Rolle der USA im Syrien-Krieg gibt es einen aufschlussreichen Text von Robert Kennedy junior.
- Siehe seine Rede in Finnland vom 16. Juni 2019 online unter: http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2019/06/190616-Finnland-Kultaranta-Gespraeche.html
Bildquelle: © Liesa Johannsen
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