Eine Adaption von Nino Schrepfer.
Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen – sondern kurz arbeiten und zuhause bleiben. dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst eineinhalb, besser zwei Meter Abstand halten und dein Gesicht verdecken, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
Kredite aufnehmen, die deine Kinder und Kindeskinder abbezahlen sollen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst einen neuen Virus erfinden gegen das alte Leben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine eigenen Gedanken denken, du sollst dichten, was sie dir vorlegen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst Menschen gegen ihren Willen impfen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst in Gottes namen Angst unter deinen Gläubigen säen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Ertrinkenden retten – sondern so schnell wie möglich deine Waren ausliefen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Polizist auf der Straße. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Menschen verhaften, die für die Freiheit einstehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Schneider auf deinem Brett. Wenn sie dir morgen befehlen,
du sollst Mundschutzmasken zuschneiden, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Entrechtung der Menschen mit deiner Autorität untermauern, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Abtransport in das Quarantänezentrum, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Impf-Befehl bringen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo – Mütter in allen Erdteilen, Mütter in der Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder künstlich nach ihrer Selektion gebären, Mädchen und Jungen ohne Gewissen und gehorsame Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
dann:
In den lärmenden dampfdunstigen Hafenstädten werden die großen Schiffe stöhnend verstummen
und wie titanische Mammutkadaver wasserleichig träge gegen die toten vereinsamten Kaimauern schwanken, algen-, tang- und muschelüberwest den früher so schimmernden dröhnenden Leib, friedhöflich fischfaulig duftend, mürbe, siech, gestorben –
die Straßenbahnen werden wie sinnlose glanzlose glasäugige Käfige blöde verbeult und abgeblättert neben den verwirrten Stahlskeletten der Drähte und Gleise liegen, hinter morschen dachdurchlöcherten Schuppen, in verlorenen kraterzerrissenen Straßen –
eine schlammgraue dickbreiige bleierne Stille wird sich heranwälzen, gefräßig, wachsend, wird anwachsen in den Schulen und Universitäten und Schauspielhäusern, auf Sport- und Kinderspielplätzen, grausig und gierig, unaufhaltsam –
die sonnige, fröhliche Art des friedliebenden Menschen wird verfaulen, der Zusammenhalt wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Empathie wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Liebe wird ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken –
in den Instituten werden die genialen Erfindungen der großen Ärzte missbraucht werden für ihr Projekt der neuen Weltordnung und der Geburtenkontrolle –
in den Küchen, Kammern und Kellern, in den Kühlhäusern und Speichern werden die letzten biologischen Lebensmittel, die letzten Gläser Erdbeeren, Kürbis und Kirschsaft verkommen – das Brot auf den ordentlich aufgestellten Tischen und auf den sterilen Tellern wird knapp werden und der künstliche Butter-Ersatz wird euren Organismus vergiften, das Korn auf den Feldern wird von modernsten Pflügen mit Gift gedüngt werden, es wird sein wie ein aufrecht stehendes Heer, akkurat, fehlerlos, künstlich
und die qualmenden Schornsteine, die Schlote der stampfenden Fabriken werden leer sein, von künstlichen Intelligenzen betrieben, da die menschliche Arbeitskraft nun ersetzbar ist und ihr im Home-Office ein fremdgesteuertes Leben genießt –
dann wird der letzte freie Mensch, mit Zwangsjacke und mit Beruhigungsmitteln vollgepumpten Venen, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen auf seinem Bürostuhl sitzen, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern der Rebellen, Widerständler, Freidenker und Verschwörungstheoretiker und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte freie Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend – und seine furchtbare Klage:
WARUM?
wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die Reihen der Gehorsamen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos, letzter Tierschrei des letzten Tieres Mensch
– all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht,
wenn – wenn –
wenn ihr nicht NEIN sagt.
Dann gibt es nur eins! (1) ist einer der bekanntesten Prosatexte des deutschen Schriftstellers Wolfgang Borchert (2). Er entstand als seine letzte Arbeit wenige Wochen vor seinem Tod am 20. November 1947 und wurde an Borcherts Todestag das erste Mal im Rundfunk vorgetragen.
(zitiert aus: Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk, Rowohlt 1986, Seite 318 ff)
Quellen:
- https://www.youtube.com/watch?v=I_4mH0MBviE
- https://www.forum.lu/wp-content/uploads/1981/11/1108_51-52_Schaus.pdf
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: © KenFM0520
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