STANDPUNKTE • Florian Homm: “Ich habe heute eine höhere Rendite als früher”

Der Börsenboom der 90er Jahre hatte ihn reich gemacht. Er war Inhaber von Finanzfirmen mit Milliarden-Anlagekapital. Seine Methoden waren verpönt: Er soll öffentlich negative Analysen verbreitet und mit sogenannten Leerverkäufen von dem Absturz der Aktien profitiert haben. Im September 2007 verschwand er über Nacht. Ihm wurde vorgeworfen, für Millionen-Verluste in seinem Hedgefonds verantwortlich zu sein. Um einer Auslieferung in die USA zu umgehen und sich der Kopfgeldjagd im Auftrag ehemaliger Kunden zu entziehen, setzte er sich nach Südamerika ab. Im März 2013 wurde er nach mehr als fünf Jahren der Spurensuche in Italien festgenommen. Nach Ablauf der Auslieferungsfrist wurde er freigelassen und kehrte nach Deutschland zurück, wo nichts gegen ihn anhängig war.

Von Tahir Chaudhry.

DAS MILIEU: Waren Sie davor schon mal in einem Gefängnis?

Florian Homm: Niemals als Insasse. Es war irgendwie ironisch. Ich war während meiner Harvard-Studienzeit Mentor in einem der verruchtesten Gefängnisse, dem Hochsicherheitsgefängnis von Walpole. Ich betreute dort einen Mentee, der wegen Bankraub und mehrfachen Mordes auf der Most-Wanted-Liste stand. Durch ihn hatte ich sozusagen eine Frühausbildung.

MILIEU: Wie war Ihr erster Tag in der Zelle?

Homm: Wir waren zu sechst auf 12 Quadratmetern – das war noch okay, weil ich später in eine Zelle mit neun Insassen kam. Es war eine Zelle voller Araber, die muslimischen Glaubens waren. Dort war ich der einzige weiße Christ mit Rosenkranz.

Der Kommandant hatte zu mir gesagt: „Das wird für Sie kein Zuckerlecken. Deshalb sollten Sie sich freiwillig für die Auslieferung in die USA melden“. Wider Erwarten war das aber für mich die beste Zeit im Knast. Mit diesen Leuten habe ich um die Wette gebetet. Wir wurden abrahamitische Brüder.

MILIEU: Blieb es für Sie immer friedlich?

Homm: In Florenz kam ich nur selten aus der Zelle, ungefähr 90 Minuten pro Tag, aber in Pisa war das anders. Wir konnten circa vier Stunden aus der Zelle in den Gefängnishof. Da vergingen keine drei Tage ohne Mord- und Totschlag auf dem Hof. Es herrschte Krieg zwischen den unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen. Mir gab man den Namen Ratzinger, weil ich oft gebetet und als Christ mit den Muslimen diskutiert habe. Dadurch änderte sich der Schwerpunkt der Aktivitäten in den Zellen und auf dem Hof – weg von Racheplänen und Prügeleien hin zum Austausch und Debatten. Ich wollte dabei natürlich nicht als Idiot dastehen und habe mich intensiv mit religiöser Literatur beschäftigt. Man kann sagen, dass der Knast aus einer Sicht fantastisch war: er war für mich eine Umschulung vom weltlichen zum spirituellen Menschen.

MILIEU: Ein christlicher Pazifist kann also auf diese Weise einen italienischen Knast überleben?

Homm: Nein. Ich musste definitiv ab und zu einen Akzent setzen, um zu signalisieren, dass ich kein Opfer bin. Der Akzent musste so radikal gesetzt werden, damit klar war, dass sogar der Versuch, mich um Schutzgeld zu erpressen, nicht ohne Strafe bleiben würde. Da muss man einfach aufs Ganze gehen: in wenigen Sekunden töten oder zumindest ein Ohr abreißen. Das war mir sehr unangenehm. Man muss in so einem Umfeld mit allen zwar respektvoll umgehen, jedoch ohne Schwäche zu zeigen. Aber auch in dieser Sache war ich gut vorbereitet, weil ich als Jugendlicher Box- und Einzelkampfkurse belegt hatte.

MILIEU: Sie kamen also relativ gut über die Zeit. Warum wurden Sie nicht in die USA ausgeliefert?

Homm: US-Marshalls kamen nach Pisa, um mich abzuholen. In Italien tickte die Uhr. Bald wäre die Auslieferungsfrist von 15 Monaten abgelaufen. Der Haftrichter in Florenz sagte: „Homm wird nicht freigelassen, weil sein Fall anders ist als alle anderen“. Sie konnten mich aber nicht ausliefern, weil ich noch in der Revision war und u.a. noch ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg lief.

MILIEU: Von einer Freilassung waren Sie aber noch weit entfernt.

Homm: Klar. Deshalb lief ich mit einem gestutzten Plastikmesser, mit einer Batterie und einem Kugelschreiber in meiner Tasche herum. Falls man mich geholt hätte, hätte ich die geschluckt. Die wären in meinem Darm und dann hätte ich operiert werden müssen, weil die mich so nicht hätten transportieren dürfen. Damit hätte ich mir weitere sechs Wochen gekauft. Das war aber nicht nötig. Denn irgendwann hat der Oberste Kassationsgerichtshof in Italien beschlossen, dass die Entscheidung des Haftrichters in Florenz gar keine Basis habe und verfassungswidrig sei. Daraufhin wurde ich freigelassen.

MILIEU: Wer stand vor den Gefängnistoren, um Sie in Empfang zu nehmen?

Homm: Keine Menschenseele. Kein Anwalt, kein Helfers Helfer, keine Familie stand dort, weil niemand an meine Freilassung geglaubt hatte. In der Zelle hatte ich zu anderen Häftlingen gesagt, dass ich freikommen würde. Und das nach der dritten oder vierten gescheiterten Berufung, um meine Freilassung zu bewirken. Sie hatten mich allesamt für verrückt erklärt.

MILIEU: Warum waren Sie so sicher?

Homm: Wie heißt es so schön: der Glaube ist wie das Zwitschern der Vögel bevor der Tag anbricht. Mein Glaube war mittlerweile viel stärker geworden als jede juristische Wahrscheinlichkeit. Ich hatte die Sicherheit und wusste natürlich, dass mir niemand glauben würde. Deshalb schrieb ich drei Briefe: an meinen italienischen Anwalt, meinen amerikanischen Anwalt und an meine Tochter.

MILIEU: Wie haben Sie sich nach Ihrer Freilassung gefühlt?

Homm: Ich war relativ mittellos und ziemlich krank. Aber ich war glücklich, was ich nicht verstehen konnte. Ich habe dann meine Mutter zwei Jahre lang vor ihrem Tod an Krebs betreut. Das hat mir viel gegeben.

MILIEU: Innerhalb der deutschen Grenzen müssen Sie sich nicht fürchten, weil hier gegen Sie nicht ermittelt wird und Deutschland keine Staatsbürger an die USA ausliefert.

Homm: Und trotzdem wurde ich einmal in Erlangen und drei Mal im Rhein-Main-Gebiet von der Polizei festgehalten. Ich musste sogar einmal in einer Zelle übernachten, weil man beim Bundeskriminalamt nach 20 Uhr niemanden erreicht hatte. Es dauerte knapp fünf Stunden bis man dann herausfand, dass aus der Schweiz ständig gefälschte Haftbefehle gegen mich ausgestellt werden. Seitdem trage ich immer ein Schreiben des BKA bei mir, dass den Polizisten versichert, dass gegen mich in Deutschland kein legitimer Haftbefehl aus dem Ausland vorliegt.

MILIEU: Stehen Sie noch auf der Most-Wanted-Liste des FBI?

Homm: Nein. Das man mich damals auf diese Liste gesetzt hat, war eine kleine billige Rache der US-Justiz. Sie waren dort sauer, dass sie den ersten Auslieferungsfall seit 30 Jahren in Italien verloren hatten. Ich habe schon während meiner Inhaftierung erfahren, dass kein Auslieferungsantrag seitens der USA vorlag. Es war also schlicht Freiheitsentzug. Meine Anwälte sagen heute noch, dass ich den italienischen Staat auf eine halbe Million Euro verklagen könnte. Außerdem könnte ich zahlreiche Medienhäuser auf Schadensersatz verklagen. Ich denke aber, dass es ein zu großer Zeitaufwand wäre. Es würde mich von sinnvollen Aufgaben abhalten.

MILIEU: Vermissen Sie manchmal das viele Geld, das Sie hatten?

Homm: Nein, ich vermisse die wirtschaftliche Unabhängigkeit von früher. Die negative Seite dessen war ja, dass ich ab einem gewissen Punkt zum Sklaven meines Kapitals und Terminkalenders wurde. Ich hatte alle Spielzeuge der Welt, aber keine Zeit dafür, mich mit ihnen zu beschäftigen. Ich hätte auf jeden Fall meiner Familie und meinen Freunden mehr Zeit widmen sollen. Ich hätte auch weniger Stunden in der Woche arbeiten und mit dem Geld viel Positives bewegen können.

Sollte ich irgendwann an die mehreren zehn Millionen Euro herankommen, die auf verschiedene Schweizer Konten eingefroren sind, würde ich sie größtenteils karitativ einsetzen. Ich glaube, dass ich heute zum richtigen Verhältnis zu dieser und zur anderen Welt gefunden habe.

MILIEU: Sind Sie mit dem zufrieden, was Sie heute haben?

Homm: Obwohl ich mein Vermögen größtenteils verloren habe, hat es mich als Menschen nicht gebrochen. Wer Zweifel an seinem Glück hat, den sollte man für ein Jahr in ein hartes Gefängnis stecken. Wenn man aus so einem Umfeld einigermaßen sortiert und gesund herauskommt, dann empfindet man eine tiefe Dankbarkeit. Verglichen mit den früheren Maßstäben ist natürlich das, was ich heute besitze, nichts. Mein Haus ist so groß wie mein damaliges Büro. Allein mein Gästehaus war 700 Quadratmeter groß mit einem eigenen Schwimmbad und Blick auf das Mittelmeer. Aber für mich hat das keinen Wert mehr. Das ist alles relativ.

Ich habe mit 22 schon eine S-Klasse und einen Porsche gehabt. Wer meint, dass er das wirklich braucht, sollte mal in sich gehen. Es kann doch nicht sein, dass mein Steuersatz ein Drittel von dem meiner Sekretärin war. Ich höre mich manchmal wie ein linker Politiker an, aber das ist doch fucking ungesund. Das sind keine neuen Ansichten. Davon war ich schon vor 2007 überzeugt.

MILIEU: Warum hat man das aber nicht an Ihren Taten gesehen?

Homm: Das stimmt nicht ganz. Ich habe circa zwei Millionen für eine Schule gespendet und den Aufbau begleitet und war knapp ein Jahrzehnt hoher Diplomat und verzichtete komplett auf irgendwelche Bezüge. Aus eigenen Mitteln habe ich die Botschaft Liberias in Paris renovieren lassen. Da hängen immer noch Kunstwerke, die ich gespendet habe.

Aber natürlich gab es noch viel Luft nach oben. Ich war ein großer Hai und züchtete in meinem Umfeld kleine Haie, damit sie auch groß werden. Die haben sich darum gestritten, dass sie einen Halbjahresbonus von 800.000 Euro hatten, obwohl ihnen angeblich 811.000 Euro zustanden. Ernsthaft blöde Streitgespräche (lacht). Ich habe irgendwann verstanden, dass die Steigerung der materiellen Güter ein blödsinniger Trip war. Aber meine Bekehrung kam nicht über Nacht. Es dauerte bis in den Knast hinein.

MILIEU: Man könnte sagen: Bis 2007 haben Sie in einem dauerhaften Rausch gelebt. Dann wurde Ihnen der Stoff plötzlich aus der Hand gerissen und Sie begannen klarer zu sehen. Was würde geschehen, sollte Ihnen der Stoff wieder in die Hände fallen? 

Homm: Ein Wallstreet 3 wird es mit mir nicht geben – Punkt, fertig, aus! Ich bekomme bis heute Anfragen von Leuten, die nur darauf warten, dass ich freigesprochen werde, um sofort wieder wie früher loslegen zu können. Nein, ich bin raus! Ich kenne jeden Winkel dieser Szene gut genug, um sagen zu können, dass ich das nicht mehr will.

Es ist ja schon sehr reizvoll, wenn du auf deinem Landanwesen über dein fünf Hektar-großes Grundstück schaust und Fasane jagst, aber dorthin zurückzukehren, wäre eine Niederlage. Das wäre eine Beleidigung angesichts der tiefen Dankbarkeit, die ich erfahren habe. Das wäre so, als würde Paulus einen turn-around machen und wieder Christen jagen.

MILIEU: Können Sie verstehen, dass viele Menschen denken, dass Sie in Wahrheit noch Saulus sind? 

Homm: Klar. Ich bin selbst so ein ungläubiger Thomas: Mir glaubt keiner und ich glaube keinem. Mir wurde bewusst, dass es eine ganze Welt gibt, die ich ganz vergessen hatte. Ich befinde mich auf einer neuen Reise, die mich jeden Tag überrascht. Die Leute sollten auf dieser Reise darauf achten, was ich tue und nicht darauf, dass was ich sage. Ich bin mir selbst gegenüber verantwortlich. Man muss in den Medien nicht über seine gemeinnützigen Projekte oder Pro-Bono-Vorträge berichten, um gut dazustehen.

Was ich vollkommen unlogisch finde ist, dass   Menschen glauben, ich hätte einen Nutzen davon, religiös und wohltätig zu sein. Mit meinen Fähigkeiten und meinem Know-How könnte ich weiterhin große Geschäfte machen. Das angeblich aufgesetzte christliche Image würde nur Zeit kosten, was Geld bedeutet. Warum soll ich das jemandem vorspielen? Dieser ganze christliche Klimbim, der mich ständig umgibt, wäre doch reine Zeitverschwendung.

MILIEU: Sie werden auch heute noch medial verurteilt, obwohl Sie sich geläutert zeigen. Was macht das mit Ihnen?

Homm: Ich bin es gewohnt. Ich nehme mich nicht so ernst. Außerdem deutet nichts in meiner konfliktbehafteten Vita daraufhin, dass ich es allen recht machen will. Man sollte jeden Morgen aufstehen und zu sich selbst sagen: ich bin nichts, ich weiß nichts, ich kann nichts und ich bin einer von 7,8 Milliarden in einer Weltgeschichte von unzähligen Milliarden. Das ist Fakt. Warum soll ich Dinge nicht riskieren? Weil dann irgendjemand nicht für mich klatscht? So what! Es geht um dich und diejenigen, die dir nahestehen und niemand anderes.

MILIEU: Ein FAZ-Redakteur schrieb mal in einem Artikel über Sie: „Wir sind umzingelt von Geläuterten. Ihre Gier behaupten die Büßer abgelegt zu haben, ihren Narzissmus haben sie offenkundig behalten“.

Homm: Es gibt sieben Todsünden: wenn ich für etwas Reue zeigen müsste, dann wäre das definitiv meine Eitelkeit. Womit ich am meisten zu kämpfen habe, ist, dass Gott das Seinige bekommt. Ein Zehntel von meinem Verdienst abzugeben, wäre optimal. Ich würde gerne noch viel mehr geben.

Diese Eigenliebe und den Narzissmus noch in diesem Leben loszuwerden, könnte echt knapp werden. Wenigstens bin ich mir darüber bewusst. Ich versuche selbstkritisch zu sein und meine Bücher sind voll davon. Das heißt natürlich nicht, dass ich keinen ordentlichen Schlag von Eitelkeit in mir habe.

MILIEU: Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie noch heute „Plattmacher“, „Mr. Gnadenlos“ oder „Antichrist der Finanzwelt“ genannt werden?

Homm: So what? Ich muss mich nicht vor diesen Menschen und Medien verantworten, sondern ganz woanders. In dieser Welt zählt nur, ob ich eine liebvolle Beziehung zu meinen Kindern habe oder sinnvolle Dinge tue und damit meine Glückseligkeit erreiche.

Früher hatte ich eine ungewöhnliche Logik. Sie hat mich zwar zum Starperformer gemacht, aber eben auch unglücklich. Diese Logik brachte mich nicht nur dazu, Dinge aufzubauen: wie etwa die fünfzehn Aktienunternehmen, die noch heute auf dem deutschen Kurszettel stehen und deren Börsengang ich maßgeblich begleitet habe. Sie hat mich auch zu jemandem gemacht, der nicht gerade zimperlich war, wenn es mies lief. In meiner Branche hieß es unter Kollegen oft: Ich habe die Firma übernommen, jetzt liquidiere ich sie, dabei gehen etliche Jobs flöten, aber es ist nichts Persönliches. It’s only Business.

MILIEU: Bereiten Ihnen damalige Entscheidungen bis heute schlaflose Nächte?

Homm: Die einzigen schlaflosen Nächte, die ich in meinem ganzen Leben hatte, waren die, in denen ich gespürt habe und wusste, dass meine ehemalige Seelenverwandte mir nicht hilft. Darauf hatte ich immer gezählt. Aber was das Gewissen betrifft, da sage ich immer: wie viele Wochen hast du Zeit? Ich hatte eine unwahrscheinliche Kaltschnäuzigkeit, die seine Opfer gefordert hat. Leerverkäufe bedeuten, dass man vom Untergang von Konzernen profitiert. Mein Wirken könnte man mit aktiver Sterbehilfe vergleichen. Ich habe schon mehrere Hundertfach um Vergebung gebetet, das können Sie mir glauben.

MILIEU: Sie waren für mehrere Jahre von der Bildfläche verschwunden und sind derzeit in dem Dokumentarfilm „Generation Wealth“ zu sehen, der Ende Januar in die deutschen Kinos gekommen ist. Was haben Sie davon, dort mitzuwirken?

Homm: Keinen Cent. Sie werden es sehr selten finden, dass jemand, der wirtschaftlich gesehen auf einer Dreh- und Angelposition war, so offen über seine Erfahrungen spricht. Soll ich mich in mein Büro zurückziehen und acht Stunden Computerschach spielen oder eher rausgehen und Menschen aufklären und inspirieren? Klar, der Film geht kritisch mit mir um, aber ich kann damit gut Leben. Wenn man lange Zeit ausgeteilt hat, muss man auch einstecken können.

Man nimmt im Film relativ überdrehte Beispiele, um in einer Medienflut von Eindrücken überhaupt noch schocken zu können. Das macht den Film zwar nicht jugendtauglich, aber sehr wertvoll, denn er öffnet die Augen für diese Sinnlosigkeit, die im exzessiven Ausleben des Materialismus liegt.

MILIEU: Ich war bei der Berlinale-Premiere im Februar 2018 dabei und mir ist aufgefallen, dass die Kinogäste teilweise gelacht haben, sobald Sie zu sehen oder zu hören waren. Wie erklären Sie sich das?

Homm: Das Theatralische, Ironische und Absurde bringt schon manchmal die Leute zum Lachen. Ich bin sicherlich kein Mauerblümchen. Auch wenn es teilweise eine Katastrophe ist, muss man es mit Humor angehen. Man muss versuchen, nicht alles zu ernst zu nehmen. Besonders wenn man den „Kleinen Prinzen“ gelesen hat. Das zeigt eine wunderbare Relativität. Man kann relativ intelligent sein und trotzdem strohdoof (lacht).

Besonders für junge Leute ist es sehr wichtig, die Magie des Erfolges, des Ruhms und des Geldes zu verstehen. Wir leben in Zeiten der medialen Verrohung. Wir kennen die Kardashians besser als unsere Nachbarn. Wenn das global auf dieser Ebene weiterläuft, dann verlieren wir unsere Riten, Traditionen und Familienwerte. Wir müssen wissen, wer wir sind, woher wir kommen und was unser Wertesystem ist. Es kann doch nicht sein, dass die Träume unserer Jugend sind, stinkreich und berühmt zu sein. Das ist kein Beruf. Das ist irgendeine komische Sache, aber kein Beruf.

MILIEU: Es ist eben eine tiefe Sehnsucht.

Homm: Ich verstehe das. Die Wissenschaft belegt aber: Die Kinder der Superreichen sind genauso glücklich wie bettelnde Kinder in Kalkutta. Ich weiß aus Erfahrung, dass wenn du eine geile Koks- und Nuttenparty feierst, dann hält das maximal eine Woche. Dann machst du es zwei oder drei Mal die Woche und dann hält es überhaupt nicht mehr. Am Ende musst nur die Dosis erhöhen, weil es dich nicht mehr flasht. Das macht dich nur kaputt. Wenn du nur in Fünf-Sterne-Restaurants isst, dann sehnst du dich irgendwann nach einer Currywurst.

Eine Langzeitwirkung haben nur gute Beziehungen, schöne Erlebnisse und sinnvolle Taten. Deshalb sieht man mich nicht auf irgendwelchen Glamourpartys abhängen und den Pausenclown machen. Das braucht niemand. Der Exzess fängt dich an aufzufressen. Bleiben wir doch bei dem, was uns erfüllt. Wenn wir das vernachlässigen, wird unsere Seele kleiner.

MILIEU: Bekennen Sie sich vielleicht heute öffentlich zu Ihrem Glauben, weil Sie nichts mehr zu verlieren haben?

Homm: Nein, weil ich ohne den Glauben alles verloren hätte. Ich lief schon mit einem Gehstock und auf Krücken im Knast. Bei mir ist die Multiple Sklerose heute jedoch stabil. Das ist bei der Form meiner Krankheit mathematisch extrem unwahrscheinlich. Ich war einer von zwei, die aus etlichen hundert nicht in die USA ausgeliefert wurden. Ich habe ein Attentat überlebt mit einer Kugel von einem 38er, mit der du einen Bären umlegen könntest sowie eine globale Kopfgeldjagd. Da muss man einfach aufhören mit Rechenmodellen rumzueiern und akzeptieren, dass du ein Wurm bist und dass es etwas gibt, was viel größer ist als du. Ich glaube daran, dass man durch den Glauben Dinge bewegen kann.

MILIEU: Wie hat Sie der Glaube verändert?

Homm: Immer wenn ich bete, verliere ich etwas. Da bin ich “out of touch”. Minimiere das Risiko, dass ich merkantil werde. Dieser Instinkt ist verdammt ausgeprägt. Deshalb tun sich Leute schwer, es mir abzunehmen. Ich habe enorm entwickelte merkantile Züge, weil ich schon mit 15 Geschäftsberichte gelesen habe und mit 18 Geschäftsmann wurde.

Ich habe heute eine höhere Rendite als früher. Die ist zwar nicht messbar, aber ich weiß, dass ich sie habe. Dadurch fühle mich wohler und reicher, aber das verstehen die meisten nicht.

MILIEU: Wenn Sie eines Tages nicht mehr hier sind, was werden Sie hinterlassen?

Homm: Einige Bücher und Filme über ein extrem bewegtes Leben und eine geile Geschichte im Pharmabereich: ich habe zu Gott gebetet, dass bitte dieses Medikament namens Scenesse zur Behandlung von extremer Lichtempfindlichkeit, auch als Vampirkrankheit bekannt, zugelassen wird, damit mein berufliches Leben Sinn ergibt. Dieses Gebet wurde erhört. Tausende Schwerkranker können jetzt ein gutes Leben führen. Dieses Medikament hat das Potenzial Millionen von Menschenleben dramatisch zu verbessern – primär in den Bereichen Hautkrebs-Vorsorge und der Behandlung der Weißfleckenkrankheit (Vitiligo).

Und vielleicht erinnert man sich an mich als Erzkapitalist und Insider, der das System auf glaubwürdige Art entlarvt. Vielleicht sagen meine Nachfahren im Hinblick auf den Stammbaum: da war mal so ein verrückter Typ. Vielleicht bleibt irgendwo hängen, dass er spät im Leben christliche und humanistische Züge angenommen hat. Aber das darf nicht so wichtig sein. Jetzt ist nur wichtig, dass bei dem, was ich erzähle, nicht das Laute und der Glitzer hängen bleibt, sondern die Substanz, die Moral der Geschichte.

MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Homm!

Der erste Teil des Interviews ist hier nachzuhören.

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Dieser Artikel erschien am 15.April 2019 bei: Das Milieu

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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