STANDPUNKTE • Kasper und Krokodil

Die Ablehnung des Ergebnisses der thüringischen Ministerpräsidentenwahl durch Berliner Politiker offenbart ein demokratisches Defizit. Das politische System erscheint vielen als manipulierte Puppenbühne. Wieviel parlamentarische Selbstbestimmung, Diskussion und Vielfalt sind erwünscht?

Ein Standpunkt von Paul Schreyer.

Was zur Zeit in Thüringen passiert, scheint zu einer Lehrstunde für das ganze Land zu werden. Wie umgehen mit der mächtiger werdenden Partei von Alexander Gauland, Alice Weidel und Björn Höcke – einem Politiker, der einem Gerichtsurteil zufolge als Faschist bezeichnet werden darf? Viele sind überzeugt, die Partei müsse weiterhin hart und konsequent ausgegrenzt werden. Schließlich handele es sich um Nazis, debattieren sei zwecklos und sogar gefährlich, stattdessen müsse man aufstehen und die Feinde der Demokratie mit aller Kraft bekämpfen.

An dieser Stelle endet die Argumentation meistens. Die Losungen erscheinen vielen Menschen einleuchtend, wirken klar und vor allem gerecht: Wir, die Anständigen, gegen sie, die Rückständigen und Bösen. Keinen Fußbreit den Faschisten! Wir sind mehr! Leider ist dieser vermeintlich gerechte Kampf am Ende vor allem eines: selbstgerecht. Denn wer so argumentiert, der hinterfragt selten die eigene Position, ist auch kaum motiviert, Verständnis für die Gegenseite aufzubringen. Man hat schließlich recht: Die Nazis sind Verbrecher, gemeine, rassistische Massenmörder, die in der Vergangenheit erst durch alliierte Bomben und Panzer gestoppt werden konnten. Nun schicken sie sich an, zurückzukehren – das muss um jeden Preis verhindert werden!

Doch abgesehen von der fragwürdigen Pauschalisierung, alle AfD-Politiker seien Nationalsozialisten: Wie soll der wachsende Einfluss der Partei aus Sicht der Kritiker konkret verhindert werden? Will man nicht bloß alle gewählten AfD-Abgeordneten bekämpfen, sondern auch sämtliche Bürger, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben (in Thüringen waren es zuletzt 23 Prozent)? Wenn ja, mit welchem Ziel soll das geschehen? Dass die AfD-Wähler unter dem Druck der Anderen ihrer Haltung abschwören? Dass sie zukünftig den Mund halten? Oder gleich ganz verschwinden („Nazis raus“)? Wenn ja, wohin? Weg aus Deutschland? Weil „wir“, also die AfD-Kritiker, hierzulande „mehr“ sind? Die Frage sollte erlaubt sein: Wie kann man glauben, mit einer solchen Geisteshaltung die Demokratie zu verteidigen – oder überhaupt irgendetwas Produktives zu erreichen?

Die Einstellung, die sich in solchen Überlegungen ausdrückt – selten werden sie so direkt ausgesprochen oder auch nur zu Ende gedacht –, ist der Haltung von überzeugten Nazis gefährlich ähnlich: Man verleugnet schlichtweg die Legitimation der Anderen. Es darf sie nicht geben. Sie haben kein Recht, hier zu sein, müssen sich entweder uns (den Anständigen) anpassen oder aber verschwinden. Sonst … ja, was eigentlich sonst?

Eine „unverzeihliche“ Wahl

Das Chaos bei der aktuellen Regierungsbildung in Thüringen hat die Auseinandersetzung in neuer Schärfe auf die Tagesordnung gesetzt. Hintergrund ist ein schon seit 20 Jahren andauernder Niedergang der CDU in Thüringen. Der Wählerzuspruch geht seit 1999 steil bergab, von damals 51 % auf nur noch 33 % im Jahr 2014. Bei den letzten Landtagswahlen im vergangenen Herbst rutschten die Christdemokraten nochmals weiter ab und erhielten lediglich 22 % der Stimmen. Damit liegen sie aktuell hinter der Linkspartei und der AfD. Eine „große“ Koalition aus CDU und SPD hätte keine Mehrheit, ebenso wenig Rot-Rot-Grün. Betrachtet man das Wahlergebnis, wird klar, dass eine Regierung zwingend, ob nun offen oder verdeckt, durch mindestens zwei der drei führenden Parteien getragen werden muss, also entweder durch CDU und AfD, durch CDU und Linke, oder durch Linke und AfD. Das ist das demokratisch erzielte Ergebnis, ob es einem nun gefällt oder nicht.

Von den politischen Inhalten wäre eine Koalition aus AfD, CDU und FDP am naheliegendsten. Doch der Thüringer Versuch, eben diese durch die Hintertür einzuführen, scheiterte nun am Widerstand aus der Bundespolitik. Die Reaktionen nach der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten am 5. Februar waren scharf und ließen tief blicken. Da er offenkundig mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten gewählt worden war, sei das Ergebnis nicht akzeptabel, so der Tenor. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete die Wahl als „unverzeihlich“. Sie müsse „rückgängig gemacht“ werden. Die CDU dürfe sich an einer solchen Regierung nicht beteiligen. Das Ganze sei – welch Pointe – „ein schlechter Tag für die Demokratie“.

Ähnlich „demokratisch“ äußerte sich der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans: Es gelte, dass „ein solches Ergebnis keinen Bestand haben darf“. FDP und CDU seien gefordert „das Problem aus der Welt zu schaffen“.

Doch worin besteht das „Problem“ genau? Offenbar haben die Thüringer Bürger aus Sicht vieler etablierter Politiker „falsch“ gewählt, indem Sie Mehrheitsverhältnisse schufen, die ein „weiter so“ unmöglich machten. Aber was folgt nun daraus: Will man das Volk zukünftig so oft neu wählen lassen, bis das Ergebnis den Verantwortlichen an der Spitze keine Schwierigkeiten mehr macht? Deutlich wird: Im Umgang mit der AfD haben sich viele in eine Sackgasse manövriert. Man kann schlecht die Demokratie verteidigen, in dem man demokratische Wahlergebnisse nicht akzeptiert.

Ist die AfD eine „undemokratische Partei“?

Die grundsätzliche Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit der AfD wird in der Regel damit erklärt, dass sie keine demokratische Partei sei. Doch was heißt das genau? Was ist eine „demokratische Partei“? Vernünftigerweise kann damit eigentlich nur eine Partei gemeint sein, die den demokratischen Willen der Bürger respektiert, und die sich darüber hinaus an den Werten des Grundgesetzes orientiert, also dem Streben nach Frieden, der freien Entfaltung der Persönlichkeit, der politischen Gleichheit aller Bürger, dem Schutz von Minderheiten, sowie von Glaubens- und Meinungsfreiheit.

Kann die CDU, um ein Beispiel zu nehmen, an diesen Kriterien gemessen als „demokratische Partei“ gelten? Zweifel sind erlaubt. Die CDU lehnt, anders als alle anderen Parteien im Bundestag, bundesweite Volksabstimmungen ab, respektiert den politischen Willen der Bürger also weniger als alle anderen. Sie verantwortet, gemeinsam mit SPD und Grünen, die deutsche Beteiligung an Kriegen im Ausland, was dem Geist der Verfassung und teils dem Völkerrecht widerspricht. Vor allem aber betreibt sie, auch wieder gemeinsam mit anderen etablierten Parteien, eine Politik, die sich, einer Studie der Bundesregierung (!) zufolge, in den vergangenen 20 Jahren fast ausschließlich an den Wünschen der Oberschicht orientiert hat. Für die CDU und andere Parteien zählt also erwiesenermaßen weniger der Wille der Mehrheit der Bürger, als die Wünsche finanzstarker Einzelinteressen. Ist das demokratisch?

Anders gesagt: Wer die AfD für „undemokratisch“ erklärt und Doppelmoral vermeiden will, der müsste dieses Etikett eher noch der CDU verpassen. Jedenfalls erscheint der Begriff „demokratische Partei“ in seiner derzeitigen Verwendung als inhaltsleere Phrase, die das Argumentieren ersetzt. Um bei der Metapher des Puppentheaters zu bleiben: Man warnt vor dem Krokodil – und macht sich zum Kasper.

Die Warnungen vor der AfD gehen aber tiefer, denn die kompromisslose Ablehnung und Ausgrenzung der Partei wird vor allem mit Blick auf die deutsche Geschichte vertreten. So warnte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: „Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik haben CDU und FDP Nazis die Hand gereicht“. Damit hätten diese Parteien „den demokratischen Grundkonsens ‘Nie wieder’ aufgekündigt.“

Doch diese Aussage ist historisch falsch. Zur ersten Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer zählten in den 1950er Jahren neben CDU, CSU und FDP auch zwei Minister der rechtsextremen „Deutschen Partei“. Der damalige Verkehrsminister Hans-Christoph Seebohm bekannte öffentlich, sich vor Hakenkreuzen zu verneigen, weil unter diesem Symbol „Deutsche ihr Leben geopfert haben“. In rassistischer Manier erklärte er vor sudetendeutschen Jugendlichen: „Sehen wir denn nicht, wie aus dem Osten die Tollwut zu uns vordringt?“ Der rechtsextreme Seebohm war kurzzeitig sogar Vizekanzler der Bundesrepublik. CDU und FDP haben also durchaus Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Rechtsradikalen in der Regierung sammeln können, auch wenn das einige Jahrzehnte zurück liegt.

Doch unabhängig von den historischen Fakten: Klingbeils Formulierung vom „erstmals aufgekündigten Grundkonsens“ trifft eine verbreitete Stimmung in der Bevölkerung. Auf Twitter schrieb ein Bürger während des Streits in Thüringen:

„Wann wird diese faschistische Partei endlich verboten? Raus aus dem Bundestag. Wenn dieses Krebsgeschwür streut … ist’s zu spät. Thüringen kann noch geheilt werden.“

Das Bundesland „heilen“? Sind alle AfD-Wähler krank? Bei der letzten Bundestagswahl waren es 6 Millionen – 4 Millionen im Westen und 2 Millionen im Osten Deutschlands. Sind diese Menschen sämtlich „Nazis“ und Teil eines „Krebsgeschwürs“, das „entfernt“ werden muss? Ähnliche Äußerungen, pauschal, grob und oft hochemotional vorgetragen, finden sich vielerorts. Die dumpfe Angst, dass mit dem Aufstieg der AfD zugleich, wie durch einen bösen Fluch, die Zeit des Nationalsozialismus zurückkehrt, und sich die Schrecken des Faschismus inklusive Judenverfolgung und Massenmord dann irgendwie, in einer Art seltsamer Zeitschleife, wiederholen könnten, sitzt in vielen Köpfen. Björn Höcke und andere spielen geschickt auf der Klaviatur dieser Angst und schlagen daraus politisches Kapital.

Warum sich die CDU der AfD wohl öffnen wird

Klar ist: Die Gegner und die Unterstützer der AfD schaukeln sich in ihren wechselseitigen Unterstellungen gegenseitig hoch. Eine sachliche Verständigung erscheint inzwischen kaum noch möglich. Dabei wäre sie nötig. Es gibt genügend Gründe, die AfD zu kritisieren und eine Koalition mit ihr abzulehnen – wenn auch ein Studium ihres aktuellen Thüringer Wahlprogramms zeigt, dass die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit CDU und FDP so groß sind, dass die kategorische Ablehnung einer Zusammenarbeit zumindest sachlich schwer verständlich ist.

Wenn man die Programme denn wirklich einmal liest, dann wird deutlich, wie nah sich die drei Parteien stehen. Eine der radikaleren AfD-Forderungen, die nach einem Stopp des Zuzugs von Migranten, ist auch in weiten Teilen der CDU mehrheitsfähig. Björn Höckes Abschlussrede im Thüringer Wahlkampf im Oktober 2019 hätte, was die Inhalte und Forderungen angeht, so auch von manchem CDU- oder CSU-Politiker gehalten werden können – lässt man die scharfe Kritik an „Altparteien“ und Medien einmal beiseite.

Tatsächlich lehnt die CDU eine Öffnung zur AfD wohl nicht aus inhaltlichen Gründen ab, sondern eher aus strategischen Erwägungen – weil es ihr langfristig schaden würde, wenn man den Wählern die AfD als möglichen Koalitionspartner in Aussicht stellte. Nur solange die CDU glaubhaft machen kann, dass eine Stimme für die AfD eine „verlorene“ Stimme ist, weil die AfD keine Chance für eine Regierungsbeteiligung bekommt, werden unentschlossene konservative Wähler sich im Zweifel eher für die CDU entscheiden – so das Kalkül. Diese Strategie geht langfristig aber nur dann auf, wenn die Popularität der AfD nicht weiter steigt, sondern sinkt. Manches deutet darauf hin, dass die CDU diese Wette verliert – und sich daher über kurz oder lang auch der AfD öffnen wird.

Die AfD wirbt derweil auch um Stimmen aus anderen Lagern. In Thüringen setzt sie vereinzelt sozialdemokratische Akzente, etwa durch die Ablehnung von Privatisierungen als „Irrweg“ (so das Wahlprogramm). Zugleich will man allerdings den Mindestlohn „durch eine gute Lohnentwicklung überflüssig machen“. Woher diese kommen soll, bleibt offen.

Die AfD, soviel macht eine nähere Betrachtung deutlich, ist im Wesentlichen eine aufgefrischte Variante des konservativen Flügels der CDU, ergänzt um einige populäre Positionen anderer Parteien. Ihr öffentliches Image – und zwar sowohl bei den Anhängern, als auch bei den Gegnern – passt nicht zum Programm (wie gesagt: man sollte es einmal gelesen haben). Der angekündigte „Politikwechsel“ ist von dieser Partei daher auch kaum zu erwarten.

Ganz im Gegenteil: Wesentliche Probleme der Gesellschaft bleiben bei der AfD vollständig ausgespart. Die zunehmende gesellschaftliche Ungleichheit durch riesige Vermögen Einzelner und die politische Machtkonzentration bei wenigen Konzernen und Milliardären sind kein Thema – genau so wenig wie bei CDU und FDP. Auch die rasante Zerstörung der Natur und damit der Lebensgrundlagen durch das bestehende Geld- und Wirtschaftssystem kommt im Programm nicht vor, lediglich etwas grüne Romantik, so, als lebte man vor 200 Jahren: „Wir sehen den Menschen nicht als Fremdkörper und Störenfried, sondern als umsichtigen Gestalter“. Für Tierschutz ist man auch, der Tierrechtsorganisation PETA will man aber die Gemeinnützigkeit aberkennen, da sie „nicht vor ungerechtfertigten Strafanzeigen oder Straftaten gegen Menschen und deren Eigentum“ zurückschrecke.

Kurzum: Die AfD ist eine rechtskonservative Partei, die bei CDU und FDP gut andocken kann – und das, wie gesagt, wahrscheinlich auch wird. Ihr rebellisches Image ist zum größten Teil Marketing, um unzufriedene Bürger möglichst in der rechten Hälfte des politischen Spektrums zu halten – dort, wo die großen Unternehmen und Vermögenden den Ton angeben.

Verflechtung mit der Geldelite

Das Thema Klassenkampf meidet man konsequent. Kein Wunder, ist die AfD-Spitze doch eng mit elitären Wirtschaftskreisen verflochten. Es fällt auf, dass dieser Aspekt der Partei kaum ein Thema in den Medien ist, vielleicht, weil eine solche Verflechtung ganz ähnlich auch die meisten etablierten Parteien betrifft und generell ausgeblendet wird – Stichwort Bilderberg-Konferenz. Die Verbindungen sind vielfältig:

Alice Weidel, Co-Fraktionschefin der AfD im Bundestag, arbeitete vor ihrer Parteikarriere für die Investmentbank Goldman Sachs sowie im Vorstandsbüro von Allianz Global Investors, einem der weltgrößten Vermögensverwalter. Ihr dortiger Chef James Dilworth, ein aus New York stammender Wall-Street-Banker, hatte unter anderem zehn Jahre lang ebenfalls für Goldman Sachs superreiche Privatkunden noch reicher gemacht. Die Erbschaftssteuer wollen Weidel und die AfD nun abschaffen, im Interesse „der Leistungsträger in unserer Gesellschaft“. Welche „Leistung“ die Erben reicher Menschen vollbracht haben, bleibt unklar.

Beatrix von Storch, stellvertretende Bundesssprecherin der AfD, agiert seit vielen Jahren im Zentrum eines weitverzweigten Netzwerks konservativer Unternehmer. Sie arbeitete zunächst im Vorstand des sogenannten „Bürgerkonvents“, eines Vereins, der vom rechtskonservativen Bankier und Milliardär August von Finck unterstützt wurde, und wo man sich für den Abbau von Sozialleistungen zugunsten privater Vorsorge einsetzte sowie überhaupt für einen geringeren Einfluss des Staates. Der Kündigungsschutz sollte abgebaut werden, die Privatisierung der Altersvorsorge und des Gesundheitswesens vorangetrieben.

Am „Bürgerkonvent“, der von 2003 bis 2015 existierte, beteiligten sich so einflussreiche Prominente wie der Unternehmensberater Roland Berger oder der Manager Hans-Olaf Henkel. Diese Bürgerinitiative der Millionäre war eine Art Vorläufer der AfD. Henkel, langjähriger Cheflobbyist der deutschen Industrie sowie bis 2013 Berater der Bank of America und deren Repräsentant in Berlin, wurde denn auch zum ersten Sprecher der AfD. Er gewährte der Partei 2014 aus Privatmitteln einen Kredit in Höhe von 1 Million Euro.

Roland Hartwig, aktuell parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, war zuvor knapp zwanzig Jahre lang als Chefjurist für den Chemiekonzern Bayer tätig. Hartwig leitete auch den Rechtsausschuss des Verbandes der chemischen Industrie, eines der mächtigsten Lobbyverbände Deutschlands. Aktuell sitzt er für die AfD im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages.

Georg Pazderski, seit 2016 Fraktionsführer der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus, diente zuvor als Oberst der Bundeswehr und war von 2005 bis 2010 auf einem Militärstützpunkt in Florida stationiert, wo er als Leiter einer internationalen Planungsgruppe US-Generäle beim „Krieg gegen den Terror“ beriet. Pazderski arbeitete damals direkt für General David Petraeus, der wenig später CIA-Chef wurde und heute Partner bei einem der weltgrößten Finanzinvestoren (KKR) ist. Oberst Pazderski ging kurz darauf in Rente und übernahm 2013 die Geschäftsführung der neugegründeten AfD, die er zwei Jahre lang generalstabsmäßig leitete. In einem Interview bekannte er offen, noch immer das gleiche politische Weltbild zu haben wie im Kalten Krieg. Befragt zur Sozialpolitik gab er an, die Hartz-IV-Sanktionen für richtig zu halten, angesichts von Menschen, „die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben.“

Parteiführer wie Alice Weidel, Beatrix von Storch, Roland Hartwig oder Georg Pazderski vertreten sicher verschiedenste einflussreiche Gruppen und Interessen, aber kaum „den kleinen Mann“. Viele Geldgeber halten sich zudem im Hintergrund. 2016 und 2017 erhielt die Partei millionenschwere Wahlkampfhilfe mittels mehrerer großer Zeitungs- und Plakatwerbekampagnen, lanciert über einen dubiosen „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“, dessen Finanziers im Dunkeln blieben. Der Verein Lobbycontrol schrieb in einer Analyse, es handle sich „um die wahrscheinlich größten intransparenten Geldflüsse der letzten Jahre zugunsten einer einzelnen Partei“.

Die AfD ist, ähnlich wie die Deutschnationale Volkspartei in den 1920er Jahren oder der „Bürgerkonvent“ von 2003 bis 2015, eine „Opposition von oben“, gelenkt im Sinne von Managern und Millionären. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung schrieb schon kurz nach Gründung der AfD: „Auftreten, Programm und Kommunikation kommen eher einer Marketing-Kampagne als einer politischen Bewegung gleich.“ Die Themen Islam und Migranten sollen Wählerstimmen und breite Akzeptanz an der Basis bringen, die Agenda dahinter aber ist eine andere.

Der wachsende Zuspruch für rechtskonservative Politiker ist dennoch nicht nur gutem Marketing geschuldet. Er gründet vor allem im derzeitigen Charakter „liberaler“ Politik, deren Erfolge in den letzten Jahren vor allem in Freihandelsabkommen, Privatisierungen, Bankenrettungen, Sozialabbau und Kriegen bestehen. Selbst in konservativen Elitenkreisen (nachzulesen etwa im gerade erschienenen Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz) wird inzwischen offen eingeräumt, dass „diese Art der Globalisierung“ zwar „den Eliten nützt“, viele aus der Mittelschicht aber „berechtigterweise glauben“, das System sei „manipuliert“. An der Spitze der Gesellschaft fehle es an der „notwendigen Selbstreflektion“.

Ergänzen ließe sich: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich für eine egoistische und zerstörerische Politik, die einer winzig kleinen Elite nützt, nicht dauerhaft demokratische Mehrheiten erzeugen lassen.

Die AfD und andere Rechtskonservative überall auf der Welt reiten nun schon seit mehreren Jahren erfolgreich auf einer antiliberalen Welle, wollen zugleich aber kaum etwas Grundsätzliches an der ungerechten und destruktiven „liberalen“ Wirtschaftsordnung ändern, sondern lediglich deren Lenkung wieder auf die nationale Ebene verschieben. Auch dieser Widerspruch wird selten erwähnt.

Was tun?

Wenn eine Partei als stärkste oder zweitstärkste Kraft aus einer demokratischen Wahl hervorgeht, ist es unsinnig und kontraproduktiv, die Augen zu verschließen, diese Kraft zu verleugnen und sie mit aller Gewalt von der Regierung fernhalten zu wollen. Man kann Bürgern nicht vorschreiben, was sie wählen sollen.

Wen der Erfolg der AfD beunruhigt – und dafür gibt es, wie geschildert, gute Gründe –, der sollte sich ernsthaft mit den Ursachen beschäftigen, die Menschen zu ihrer Wahl treiben, sowie mit den Gründen für den Abstieg anderer Parteien. Zweifel, Selbstkritik und und eine sachliche Debatte sind für eine konstruktive, gewaltfreie Entwicklung vielversprechender als heiliger Zorn oder der Ruf nach einem Verbot.

Davor aber scheuen die etablierten Parteien zurück, gerade auch diejenigen im als links geltenden Spektrum. Das Ausgrenzen und Empören sind offenbar bequemer. Grundsätzlich überdenken oder gar ändern will man die eigene Politik nicht. Es verwundert daher kaum, wenn sich viele gar nicht mehr zutrauen, abtrünnige Bürger sachlich überzeugen zu können. Wie soll man das auch mit schlechten Argumenten?

Gerade in dieser Verweigerung einer inhaltlichen Debatte liegt die Hauptgefahr für ein plurales politisches System. Wer glaubt, den Gegner – und die Öffentlichkeit – mit seiner Politik und seinen Argumenten sowieso nicht mehr überzeugen zu können, der hat sich von der Idee der Demokratie verabschiedet.

Dies war ein Beitrag aus dem Magazin Multipolar.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: photocosmos1 / shutterstock

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