Ein Standpunkt von Dagmar Henn.
Die US-Amerikaner sind immer für eine Überraschung gut. Nein, damit meine ich nicht die neueste Lügengeschichte über iranische Angriffe auf Tanker im persischen Golf. Das ist das übliche schlechte Kino, das nur noch jene glauben, die dafür bezahlt werden oder deren Gehirn höchstens einer Mücke zur Ehre gereichte.
Ich meine die jüngst erfolgte Ankündigung aktiver Cyberkriegsführung. Die New York Times berichtete, das US-Militär widme sich der Vorbereitung digitaler Angriffe auf Russland. Weil man ja, so die ewige Begründung, von russischen Hackern angegriffen worden sei. Dass auch diese Geschichte längst widerlegt ist, die Daten aus den Computern der Demokratischen Partei von Mitgliedern ebendieser geholt wurden, das muss man ja nicht laut sagen.
„In Interviews im Verlauf der letzten drei Monate,“ so schreibt die New York Times (1), „beschrieben Staatsbedienstete die zuvor noch nicht berichtete Implementierung amerikanischer Computercodes in Russlands Stromnetz und anderen Zielen, als geheimgehaltene Ergänzung der öffentlich diskutierten Handlungen, die sich gegen Moskaus Desinformation und die Hackereinheiten um die Wahlen 2018 richten.“
Vor einigen Wochen stand bereits der Verdacht eines Cyberangriffs (2)im Raum, als Venezuelas Stromnetz nach einer Überlastung ausgerechnet des modernsten Kraftwerks zusammenbrach. Wie es der Teufel so will, heißt modern auch computerisiert, und computerisiert heißt, US-amerikanische Prozessoren; der Verdacht kam also nicht von ungefähr.
Nun also die mehr oder weniger öffentliche Ankündigung, man habe das russische Stromnetz ins Visier genommen.
Und was haben die hiesigen Medien darüber berichtet? Wenig; sie fanden nur die Reaktion von Trump interessant, der in einem Tweet am Tag nach dem Artikel wohl selbst nicht wusste, ob der Bericht auf Wahrheit beruhte oder nicht. Denn er erklärte ihn sowohl für unwahr als auch für Landesverrat, obwohl letzteres nur dann möglich wäre, wäre er wahr… Der Grund für diese Unklarheit wird allerdings wieder nicht berichtet – der Kongress hat das Militär ermächtigt, geheime militärische Aktivitäten im Cyberspace auszuführen, und Trump selbst hatte General Nakasone, dem Chef des Cyber Command, das Recht erteilt, offensive Handlungen ohne Genehmigung des Präsidenten vorzunehmen…
Die hiesigen Medien hätten eigentlich über ganz andere Dinge berichten müssen. Unter anderem, welche Gefahren auch uns drohen könnten, sollten die US-Amerikaner diese Drohungen wahr machen. Schließlich kann es auch uns nicht egal sein, wenn durch Handlungen eines unberechenbaren Staates etwa russische Atomkraftwerke in Havariegefahr gebracht werden. Man erinnere sich: Fukushima passierte, weil das Stromnetz zusammenbrach und gleichzeitig die Notstromversorgung beschädigt war.
Mehr noch, es wäre eigentlich fällig, darüber zu reden, was Cyberkriegsführung eigentlich ist. So, wie man über sonstige gegen die Bevölkerung gerichtete Angriffe reden müsste, jene, die sich ‘Sanktionen’ nennen, beispielsweise, und die nicht nur die USA selbstherrlich, also unabhängig von Beschlüssen der Vereinten Nationen verhängen, sondern auch die EU. Es handelt sich um Methoden der Kriegsführung, die nicht als solche bezeichnet werden, und die man der eigenen Bevölkerung als gleichsam unschuldige Maßnahmen verkauft, obwohl sie unter Umständen, wie im Falle des Irak belegt, das Leben Hunderttausender fordern.
Beides, Sanktionen wie auch Cyberattacken, sind im Grunde nach dem Kriegsvölkerrecht illegale Kampfhandlungen. Die USA sind dabei fein raus – sie haben das erste Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention (3), das dem Schutz der Zivilbevölkerung dienen soll, im Jahr 1977 zwar unterzeichnet, aber nie ratifiziert. Die Staaten der EU, die beinahe ebenso freudig Sanktionen verhängen, haben sie allerdings sämtlich ratifiziert.
In Artikel 35 besagt dieses Protokoll Folgendes:
- 1. “In einem bewaffneten Konflikt haben die am Konflikt beteiligten Parteien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Methoden und Mittel der Kriegsführung.
- 2. Es ist verboten, Waffen, Geschosse und Material sowie Methoden der Kriegsführung zu verwenden, die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen.
- 3. Es ist verboten, Methoden oder Mittel der Kriegsführung zu verwenden, die dazu bestimmt sind oder von denen erwartet werden kann, dass sie ausgedehnte, lang anhaltende und schwere Schäden der natürlichen Umwelt verursachen.“
Dieses Zusatzprotokoll entstand unter anderem als Reaktion auf den Vietnamkrieg, in dem die USA durch die Entlaubung der Wälder den Boden großer Landstriche Vietnams auf Jahrhunderte mit Dioxin vergifteten. Bis heute trägt Vietnam die Last der vielen schwer behinderten, durch das Gift geschädigten Kinder alleine; die USA weigern sich noch immer, Entschädigungen zu zahlen.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass sie sich ebenso weigern, das Zusatzprotokoll zu ratifizieren. Es müsste ja auch am Einsatz von Uranmunition hindern, und es könnte die
Entwicklung neuer Angriffstechniken erschweren:
„ Art. 36 Neue Waffen: Jede Hohe Vertragspartei ist verpflichtet, bei der Prüfung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel und Methoden der Kriegsführung festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die Hohe Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre.“
Noch einmal die New York Times:
„Spätestens seit 2012, so sagen heutige und ehemalige Funktionsträger, haben die USA Erkundungsproben in die Kontrollsysteme des russischen Netzes eingebracht.
Aber jetzt hat sich die amerikanische Strategie in eine offensivere Richtung verlagert, sagen Offizielle, mit der Einbringung von möglicherweiser verkrüppelnder Malware in das russische System, in einer Tiefe und mit einer Aggressivität, die nie zuvor versucht wurde.“
Weiter unten wird ein höherer Geheimdienstler zitiert mit dem Satz: „Wir tun Dinge in einer Größenordnung, an die wir vor ein paar Jahren nicht einmal zu denken wagten.“
Cyberangriffe auf die Infrastruktur richten sich zwangsläufig gegen die Zivilbevölkerung. Sie erfolgen meist in der Form von Virenattacken; Stuxnet war ein erstes Beispiel dafür, dass ihr Einsatz ebensowenig begrenzbar ist wie der Einsatz biologischer oder chemischer Waffen. Selbst US-amerikanische Städte wurden bereits Opfer von Cyberattacken aus dem Arsenal der NSA; Baltimore wurde erst in diesem Jahr von Hackern erpresst (4), die mit Hilfe des Spionageprogramms Eternal Blue in die Rechner der Stadt eindrangen und tausende Dateien verschlüsselten. Ein Spionageprogramm, das eine Hintertür von Windows nutzte. Welches, nur um ein Beispiel zu geben, auch das Betriebssystem ist, mit dem deutsche ICEs fahren…
Auch die Bundeswehr strebt nach Cyber-Angriffsfähigkeiten (5). Obwohl die Bundesrepublik das erste Zusatzprotokoll unterzeichnet hat, eigentlich also verpflichtet wäre, „festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten Umständen durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die Hohe Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre.“ Und die Bundesregierung betätigt sich gern als Einpeitscher bei Sanktionen, selbst wenn diese – wie im Falle Syriens – auch die Lieferung medizinischer Geräte und Materialien umfassen, also unmittelbar zum Tod Unbeteiligter beitragen. Krieg herrscht schließlich nur da, wo geschossen wird…
Gäbe es eine starke Friedensbewegung in Europa, sie müsste die Sanktionspraxis und die Frage der Cyberwaffen auf die Tagesordnung setzen. Handlungen, die kriegsgleiche Folgen verursachen, Angriffe auf die Lebensmittelversorgung etwa (6), wie seitens der USA im Falle Venezuelas, müssten als Kriegshandlungen bewertet werden, und der Regel, dass nur die UN Sanktionen verhängen dürfen, muss wieder Gültigkeit verschafft werden. Vielleicht hat die Menschheit ja Glück, und der nächste Einsatz von Cyberwaffen endet nicht katastrophal, aber richtet genug ungeplanten Schaden an, dass diese Waffen endlich in derselben Kategorie landen wie Giftgase und Biowaffen, sprich, durch internationale Abkommen kontrolliert und geächtet werden.
Bis dahin bleibt nur, abzuwarten, welche bösen Überraschungen der Schurkenstaat noch aus dem Ärmel zaubert, und zu hoffen, dass endlich genug Menschen den Frieden zu ihrer Sache erklären, um den Kriegstreibern erfolgreich die Waffen aus den Händen zu nehmen.
Quellen:
- https://www.nytimes.com/2019/06/15/us/politics/trump-cyber-russia-grid.html?
- https://www.telesurenglish.net/news/Russia-To-Help-Venezuela-Probe-Cyber-Attacks-on-Electric-Grid-20190415-0014.html
- https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19770112/index.html
- https://www.heise.de/tp/features/Baltimore-Mit-NSA-Cyberwaffe-lahmgelegt-4433265.html
- https://www.heise.de/tp/features/Bundeswehr-soll-sich-mit-einem-Cyberkommando-zum-Cyberwar-formieren-3375488.html
- https://www.heise.de/tp/features/US-Regierung-greift-Lebensmittelversorgung-in-Venezuela-an-4432334.html?fbclid=IwAR1BO9ftrMRsEvUTNsPDgxKja8b2jrJAoL7_2JBWBJFH3L_e_y8mqgD53LU
Bildquelle: rozbyshaka /Shutterstock
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