Von Uli Gellerman.
Nicht selten fragt man sich, was Volksvertreter in den Parlamenten eigentlich machen. Häufig, wenn es um die Besteuerung der Reichen und die Entlastung der Armen geht, vertreten sie sich gerade mal die Beine. Gern fahren sie in dieses oder jenes Ausland. Kommen sie dann zurück, dann haben sie was zu erzählen: Wie gut sie sich mit ihren Gesprächspartnern vertragen hatten, konnten deutsche Kanzler zum Beispiel immer erzählen, wenn sie irgendeinen der diversen US-Präsidenten besuchten. GRÜNE Volksvertreter sind gerne mal austreten, wenn es um Abstimmungen rund um Auslandseinsätze der Bundeswehr geht:
Dann muss man nicht echt NEIN sagen, aber man muss der Parteibasis auch nicht erklären, warum man JA gesagt hat: Man musste eben mal. Mancher Abgeordnete bringt auch Geschenke mit nach Haus: Jemenitische Krummdolche, chinesisches Porzellan oder afghanische Umhänge werden im Auswärtigen Amt gesammelt. Dass deutsche Parlamentarier ins Ausland fahren, um der Demokratie ein Geschenk zu machen, ist eher selten. Aber es geht. Bewiesen von den Bundestagsabgeordneten der Linkspartei Sevim Dağdelen und Andrej Hunko.
Jüngst erst war Sevim Dağdelen in London. Nein, nicht zum Shoppen. Sie hat versucht, den Journalisten Julian Assange im Belmarsh Gefängnis zu treffen. Gemeinsam mit Heike Hänsel hat sie versucht, dem Gefangenen einen Kontakt mit der Außenwelt zu verschaffen. Doch Assange, der Mann, der mehrfach Dokumente von US-Armee und -Behörden zu den Drecks-Kriegen in Afghanistan und im Irak veröffentlichte, darf nicht besucht werden.
Fände diese widerrechtliche Verhaftung und Abschottung eines politischen Aktivisten in China oder Rußland statt, könnte man aus deutschen Medien einen Aufschrei der Empörung hören. Schnell wäre das Wort von der Isolationsfolter in der Welt. Zwar hat die Abgeordnete Dağdelen jede Menge Presseresonanz erreicht. Aber das zeitgleich anwesende ZDF schweigt sich bis heute vornehm aus: Assange ist ein Berufskollege mit Rückgrat und Wahrheitsdrang, so einer hat keinen Platz im Öffentlich-Rechtlichen. Dağdelen bleibt dran. Die Abgeordnete schreibt: “Falls es zur Verhandlung kommt im Gerichtsaal will ich dorthin. Vermutlich aber wollen die das verhindern und ihn nur über Video zum Gericht zuschalten, damit nicht so ein Trubel ist.”
Auch der Abgordnete Andrej Hunko war nach einer Reise in den deutschen Medien. Denn der Parlamentarier der Linkspartei besuchte bei seiner Reise nach Venezuela den Staatschef Maduro. Das ist bei Besuchen im Ausland ziemlich üblich. Aber die deutschen Medien mochten sich kaum fassen vor lauter Empörung. Und sie konnten sich dabei auf brave Vertreter der GroKo stützen, die sich aufplusterten, als habe man ihnen die Lobby-Zuwendungen gekürzt. Es sind dieselben Politiker, die mörderische Auslandseinsätze der Bundeswehr regelmäßig durchwinken.
Und die gleichen, die gerne Besuche von US-Präsidenten beklatschen, egal, ob die im Irak morden lassen oder gemeinsam mit den befreundeten Saudis das jemenitische Volk in den Hunger- und Seuchen-Tod stürzen. Aber jemanden wie Maduro, der sich gegen die USA wendet, besuchen, das geht für sie gar nicht.
Sevim Dağdelen und Andrej Hunko fanden sich vor ein paar Tagen gemeinsam bei der TAGESSCHAU wieder. Unter der Überschrift “Maduro-Foto mit Spätfolgen” wird Dagdelen sogar zitiert, sie beklage einen “Putschversuch“, den US-Präsident Trump “wie bestellt unterstützt”. Der Vorspann zur TAGESSCHAU-Meldung hält für Hunko auch gleich eine Rüge bereit: “Die Bundesregierung hat den venezolanischen Übergangspräsidenten Guaidó anerkannt. Das hielt den Linken-Abgeordneten Hunko aber nicht von einem Treffen mit Staatschef Maduro ab.” Tatsächlich hat Hunko einfach von seinem Recht als gewählter Abgeordneter Gebrauch gemacht. Das findet die TAGESSCHAU so empörend, dass sie ganz schnell den LINKEN-Politiker Liebich zu Venezuela erwähnen muss, obwohl LINKE im Staatsfunk höchst selten zitiert werden, um die Haltung von Dağdelen und Hunko zu konterkarieren. Liebich kommentiert: “Mit dem ‚Sozialismus‘, den ich mir wünsche, hat das nichts zu tun.”
So geht Parlamentarismus eben auch: Dass Abgeordnete die leicht erhöhte Bühne des Bundestages nutzen, um der Öffentlichkeit jenen Zipfel der Wahrheit zu präsentieren, der sonst im Dunkel der Medien-Öffentlichkeit nur schlecht zu sehen ist. Es war Sevim Dağdelen, die in einer Bundestagsdebatte über die Krimkrise Brecht zu zitieren wußte: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“.
Wie schön, dass sich umgehend in einer gemeinsamen Erklärung die Linken-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Katja Kipping, Bernd Riexinger und Strippenzieher Gregor Gysi von ihr distanzierten; da weiß man doch, wo man dran ist. Auch Andrej Hunko hat im Bundestag der Wahrheitsfindung nachdrücklich gedient: Er sprach sich 2009 angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise für „soziale Unruhen“ aus, die fälschlicherweise „gezielt mit Gewalt und Faschismus in Verbindung gebracht“ würden.
Das Gegenteil sei jedoch der Fall, wie das Beispiel Island zeige: „Sozialer Protest gegen die Krise kann eine Regierung stürzen, Neuwahlen erzwingen und neue gesellschaftliche Hoffnung erzeugen“. Es gibt in der LINKEN mehr als nur die beiden, die die Wahrheit als Waffe einsetzen. Aber es sind weniger geworden.
Vor den EU-Wahlen ist so mancher Wähler ziemlich verzweifelt: Ob er zur Wahl dieses Parlaments der Eurokratie überhaupt gehen und wenn ja, wen er wählen sollte. Sevim Dağdelen und Andrej Hunko geben Hinweise: Man wird mit der Wahl der LINKEN ein Symbol wählen. Weder kann man einzelne linke LINKE wählen, noch den linken Flügel der Partei mit der Wahl stärken, denn der Wahlmodus läßt das nicht zu. Aber eine Partei, in der Dağdelen und Hunko agieren, die sammelt Hoffnungen. Mehr nicht, aber eben auch nicht weniger.
Dieser Artikel erschien am 29. April 2019 bei: Rationalgalerie
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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