Strafurteil und weitere Strafdrohungen gegen Künstler

Kunst ist nicht nur schön und macht Arbeit, sie kann auch teuer kommen (Karl Valentin)

Ein Meinungsbeitrag der apolut-Redaktion.

Fünf Bildmontagen kommen dem Bremer Künstler und Politikwissenschaftler Prof. Dr. Rudolph Bauer sehr teuer zu stehen. Für eine seiner Collagen wurde er am 26. März 2024 in der Hauptverhandlung am Stuttgarter Amtsgericht zu einer Strafe von dreitausend Euro (30 Tagessätze von je 100 €) verurteilt. Wie auf Absprache zwischen den Gerichten in Baden-Württemberg und Bremen, wurde dem Künstler zur gleichen Zeit eine Anklage des Bremer Amtsgerichts zugestellt. Er wird der Volksverhetzung wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§§ 86, 86a, 130, 53 StGB) beschuldigt. Die entsprechende Strafdrohung lautet auf Freiheitsentzug bis zu drei oder fünf Jahren und/oder Geldstrafe.

Der Bremer Anklage ist eine Hausdurchsuchung am frühen Morgen des 10. August 2023 vorausgegangen. Der Überfall durch bewaffnete Polizisten in Schutzwesten, die Durchsuchung sämtlicher Wohnräume und die Wegnahme des Smartphones dienten angeblich einer Beweissicherung. Der Vorgang wurde vom Landgericht Bremen zwei Monate später als nicht rechtens erkannt, weil die „Beweise“ in Gestalt der Bildmontagen sowohl auf dem Instagram-Account (unter dem Hashtag #bauerrudolph) zugänglich sind als auch in mehreren Veröffentlichungen der „Edition Kunst“ des Bergkamener pad-Verlages. Die bloße Eingabe des Namens „Rudolph Bauer“ in irgendeiner der Suchmaschinen hätte die Staatsanwaltschaft nachdenklich machen müssen.

Karriere ohne Fehl und Tadel

Rudolph Bauer, Jahrgang 1939, ist Kriegs- und Nachkriegskind. Geprägt vom demokratischen Aufbruch der westzonalen Bundesrepublik, studierte er nach dem Abitur Politische Wissenschaft und war in der Studentenbewegung aktiv. Zunächst Vertretungsprofessor an der Universität Gießen, wurde er 1972 unter dem Rektorat von Thomas von der Vring als Professor der Wohlfahrtspolitik und Sozialen Dienstleistungen an die als „Rote Kaderschmiede“ verunglimpfte Universität Bremen berufen. Politisch war er u. a. aktiv im Bremer und im Bundes-Vorstand der Gesellschaft für Deutsch-Chinesische Freundschaft.

1979/80 war Bauer beurlaubt und in der Wörterbuchgruppe des Chinesischen Fremdsprachen-Instituts Nr. 1 der Universität in Beijing tätig. 1989/90 hielt er sich als Fellow in Philanthropy am Institute for Policy Studies in Baltimore MD/USA auf. Seit der Emeritierung 2002 ist Bauer weiterhin publizistisch aktiv und widmet sich vermehrt auch der Bildenden Kunst. Seine Militarismus-kritischen Bildmontagen erscheinen ebenso wie die Hefte mit Bildmontagen zur Kritik der Corona-Maßnahmen in der schon erwähnten „Edition Kunst“ #1 bis #5. Öffentlich ausgestellt wurden seine künstlerischen Arbeiten u. a.: 2015 in der Bremer Zentralbibliothek; 2016 im Club Voltaire, Frankfurt am Main; 2016/17 im Berliner Anti-Kriegs-Museum.

Eine Art Justiz-Schelm, wer in Bauers Uni-Laufbahn und in den Aktivitäten der Jahre danach verfassungswidrige Anhaltspunkte oder gar Beweise zu finden meint für den Tatbestand der Volksverhetzung durch die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Die Bremer Staatsanwaltschaft beschuldigt den Künstler und Wissenschaftler natürlich auch nicht explizit einer antidemokratischen Gesinnung oder totalitärer Bestrebungen. Sie wirft dem Künstler lediglich vor, dass er in seinen Bildmontagen NS-Symbole verwendet, und schlussfolgert daraus die durch nichts begründete Absicht der Volksverhetzung. Der Gedanke, dass die Verwendung von NS-Symbolen der Aufklärung dient, der Anklage und der Warnung, scheint jenseits des Horizonts der Strafverfolgungsbehörden angesiedelt zu sein.

Das Kriterium der Interpiktorialität: Neue Aussagen durch den „Dialog der Bilder“

Bauers Bildmontagen entsprechen den bildnerischen Methoden der collagierenden Kunst. Sie unterliegen den Kriterien der Interpiktorialität (vgl. Guido Isekenmeier [Hrsg.]: Interpiktorialität. Theorie und Geschichte der Bild-Bild-Bezüge. Bielefeld 2013). Die Bildmontage unterscheidet sich von anderen, unidirektionalen Kunstformen (Gemälde, Zeichnung, Radierung, Lithografie, Skulptur) dadurch, dass ihr am „Dialog der Bilder“ gelegen ist, an ihrer wechselseitigen Beziehung. Eine Interpretation, die nur ein einziges Bildelement – etwa ein NS-Symbol – herausgreift, wird dem Kunstwerk nicht gerecht; sie verkürzt, vereinfacht, banalisiert, bagatellisiert, erkennt keine Zusammenhänge, ist blind für den Kontext.

Die Bildmontage als Zweig bildnerischer Gestaltung hat seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen. Sie stellt eine Technik dar, die auf der Collage basiert, indem mehrere unterschiedliche Bildelemente in einem einzigen Bild zueinander in Beziehung gesetzt werden. „Durch das Zusammenfügen unterschiedlicher Bildelemente entsteht eine neue Komposition und somit eine neue Aussage. Oftmals dient die Fotomontage der Verdeutlichung, Kontextuierung oder der Satire.“ (Zitiert aus Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Fotomontage; siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Collage; betr. Satire – „eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden“ – siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Satire)

Militarimus-kritische Bildmontagen I: Leyen, Selenskyj und der Reichsadler

Bauer wird beschuldigt, eine Bildmontage veröffentlicht zu haben, „welche die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und den Präsidenten der Ukraine Volodymyr Selenskyj und einen schwarz-weißen Reichsadler mit Hakenkreuz zeigt“. Der auf der Bildmontage erkennbare Adler ist die Fotografie einer Skulptur aus den Bombentrümmern des untergegangenen Dritten Reichs. Der das Hakenkreuz umgebende Eichenkranz ist ebenso wie ersteres erkennbar beschädigt, trägt also deutliche Spuren des Niedergangs der NS-Herrschaft und der damit verbunden Befreiung vom Nationalsozialismus.

Der in der Anklage nicht zitierte Bildtitel lautet #zubesuchbeifreunden und #gastgeschenk. Der Hashtag #zubesuchbeifreunden deutet hin auf das freundschaftliche Verhältnis der abgebildeten Politiker. #gastgeschenk persifliert auf ironisch-sarkastische Weise die Waffenlieferungen und Milliarden-Euro-Zahlungen an die Ukraine. Die Bildtitel, der in das Bild eingefügte Adler mit Hakenkreuz und der aus der Bildunterschrift ersichtliche Hinweis #politicalart zeichnen die Bildmontage aus als ein politisches Statement. Die Aussage übt Kritik: sowohl am untergegangenen Nationalsozialismus als auch an der Wiederkehr nationalistischer und faschistischer Tendenzen.

Hintergrund ist die Tatsache, dass auf Seiten der von der EU finanziell und mit Waffen unterstützten Ukraine auch faschistische Bandera-Truppen kämpfen. Zu Bandera siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Stepan_Bandera. Zur aktuellen Bedeutung des ukrainischen Bandera-Kults siehe https://www.deutschlandfunkkultur.de/bandera-kult-ukraine-100.html. Die Kombination Adler + beschädigtes Hakenkreuz + Bildtitel lassen Zusammenhänge erkennen, die zwar dem herrschenden Narrativ widersprechen. Adler und Hakenkreuz werden in der Bildmontage aber nicht zu Propagandazwecken („Volksverhetzung“) verwendet, sondern ganz im Gegenteil als Warnung und Kritik sowohl an der Rolle faschistischer Kräfte in der Ukraine als auch an der politisch zweideutigen Haltung der Europäischen Kommission und ihrer Präsidentin.

Militarimus-kritische Bildmontagen II: Olaf Scholz und Hitler

Wegen einer weiteren Bildmontage wird der Künstler wie folgt angeklagt: „Der Angeschuldigte veröffentlichte eine Bildmontage, die Adolf Hitler und den Bundeskanzler Olaf Scholz mit ähnlichen Handbewegungen zeigt und versah diese mit den Hashtags #seitenwende, #bildmontage und #politicalart.“ Die Bild-Bild-Doppelung ist der pazifistischen Sichtweise des Wissenschaftlers und der Überzeugung des Künstlers geschuldet, dass die deutsche Regierung (verkörpert durch den Bundeskanzler) eine Politik verfolgt, welche dahin tendiert, den Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion unter neuen Vorzeichen fortzusetzen.

Die Bildmontage stellt eine Kriegswarnung dar. Sie signalisiert eine „rote Linie“ und nimmt das Verfassungsgebot des Artikels 26 GG ernst, der besagt:

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Und im ‚Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland‘, dem sogenannten ‚2+4-Vertrag‘ vom 12. September 1990 hatte die deutsche Politik sich feierlich verpflichtet, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen“ und „Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen“

Scholz hat mit der Ausrufung einer „Zeitenwende“ – im Titel der Bildmontage als #seitenwende ironisiert – und mit der „Schaffung eines Sondervermögens von 100 Milliarden Euro, um die Bundeswehr besser auszurüsten“, ein Kriegsprogramm verkündet. In der Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift „Foreign Affairs“ vom 5. Dezember 2022 veröffentlichte der Bundeskanzler einen Beitrag, der den Politikwissenschaftler Bauer veranlasste, einen Kommentar über „Die schreckliche Kontinuität deutscher Außenpolitik“ von 1914 über 1936/37 ff. bis in die Gegenwart zu verfassen; siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28440&css=print.

Der in der Montage ins Auge fallende Bild-Bild-Bezug bedeutet keine Gleichsetzung von Scholz mit Hitler oder umgekehrt. Vielmehr sollte die außen- und militärpolitische Kontinuität deutscher Politik gegenüber Russland sichtbar werden. Im Zweiten Weltkrieg wurden russische Menschen auf brutalste Weise durch Zwangsarbeit erniedrigt, ausgebeutet sowie durch Hunger und die Kriegsmaschinerie vernichtet. Hitler und die NS-Ideologie rechtfertigten die Tötung von 27 Millionen Menschen; siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges#Sowjetunion. Wer angesichts dessen (und angesichts des unblutigen Rückzugs russischer Truppen aus der DDR) nichts aus der Geschichte gelernt hat, derjenige stellt sich selbst auf eine Stufe mit Hitler.

Militarimus-kritische Bildmontagen III: Hofreiter, Strack-Zimmermann und Hakenkreuz

Die Argumentation, dass die „Tradition“ rassistischer Unmenschlichkeit deutsche (!) Politiker veranlassen müsste, sich bedingungslos für diplomatische Verhandlungen und den Frieden einzusetzen, statt mit ihrer Hetze und mit unablässigen Forderungen für Waffenlieferungen den Krieg in der Ukraine weiter anzufeuern – dieselbe Argumentation ist auch gegen die Anklage ins Feld zu führen, welche besagt, der Angeschuldigte habe eine Bildmontage veröffentlicht, „die die Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter und Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann und einen Reichsadler mit Hakenkreuz zeigt“.

Die auf der Bildmontage erkennbaren Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind hinlänglich dafür bekannt zu fordern, die Ukraine im US/NATO-Stellvertreterkrieg gegen die Russische Föderation mit Waffen und Kriegsgerät auszurüsten. Das Zeigen des in der Bildmontage erkennbaren Reichsadlers mit Hakenkreuz dient der Warnung. Diese ist dem Umstand geschuldet, dass die beiden deutschen Abgeordneten durch ihre militaristische Einstellung in einer Tradition stehen, in welcher der Zweite Weltkrieg mit der Notwendigkeit des Siegs über die Sowjetunion propagandistisch begründet wurde.

Es gibt – in der Bildmontage nicht explizit visualisierbar – genügend kriegsaffine Aussagen der abgebildeten Politiker, die sich gegen Russland, die russische Regierung und das russische Volk richten. Die Kriegshetze dieser Politiker ist unverkennbar von der Rassenideologie des Nationalsozialismus geprägt, auch wenn dies den Akteuren nicht bewusst sein muss. Ihr militaristisches Palavern bezieht sich in erster Linie zwar „nur“ auf Putin, erinnert in seiner Diktion aber an die NS-Propaganda gegen die „russischen Untermenschen“. Ist es nicht eine juristisch eingefädelte Volksverhetzung, wenn kritische Bildmontagen durch die Verwendung einer Reichsadler-Abbildung umgedeutet werden zu einer Verherrlichung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen?

Corona-Maßnahmen-kritische Bildmontagen I: #impfenmachtfrei

Die Justiz verfolgt nicht nur den Pazifisten Professor Bauer, sondern gleicherweise seine Kritik an den Corona-Maßnahmen in den Jahren 2020 bis 2023. Zwar wird der medizinische Sinn der politischen Entscheidungen gegenwärtig durch die Veröffentlichung geschwärzter Passagen der RKI-Protokolle in Zweifel gezogen. Das macht die Staatsanwaltschaft jedoch nicht nachdenklich. Sondern sie beschuldigt den Künstler, eine Bildmontage veröffentlicht zu haben, „die ein Konzentrationslager und den zu ‚COVID 19 IMPFSTOFF MACHT FREI‘ abgeänderten Schriftzug zeigt und versah diese u. a. mit dem Hashtag #impfenmachtfrei“.

Abgesehen vom holprigen Deutsch gibt die Anklageschrift den Bildinhalt nicht korrekt wieder. Die Bildmontage zeigt kein KZ, sondern das Tor des Konzentrationslagers Dachau. Aus dem Tor mit der zynisch-verächtlichen Inschrift „Arbeit macht frei“ wanken Menschen in Häftlingskleidung, die das betreffende Zwangsarbeits- und Vernichtungslager aufgrund ihrer Befreiung durch die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition verlassen. Allein darin ist keine KZ-Verherrlichung zu erkennen, sondern entschiedene Kritik an den „Straf“-Lagern und der Beifall für die Befreiung der Häftlinge aus dem KZ.

In der Bildmontage sind die drei letzten Buchstaben des Wortes „Arbeit“ durch eine Ampulle verdeckt. Diese trägt die Aufschrift „COVID 19 IMPFSTOFF“. Trotz der verdeckten Schlussbuchstaben des Wortes „Arbeit“ lässt die Bildmontage die menschenverachtend-zynische Lagertorinschrift „Arbeit macht frei“ zweifelsfrei erkennen. Der Schriftzug ist also nicht abgeändert, sondern durch die Ampulle ergänzt. Das Zitat „Arbeit macht frei“ stellt in Verbindung mit der Impfstoff-Ampulle und dem Hashtag #impfenmachtfrei eine Verbindung her zwischen dem nationalsozialistischen Zynismus der Zwangsarbeits- und Todeslager einerseits und den „Impf“- und sonstigen Auflagen im Rahmen der politisch verordneten Corona-Maßnahmen.

Der Angeklagte nimmt mit seiner Bildmontage u. a. Bezug auf „T 4“, die 1940/41 erfolgten systematischen, als „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ bezeichneten Tötungsaktionen an psychiatrischen Patienten während des Nationalsozialismus. Ferner kann eine Verbindung hergestellt werden zu den von Josef Mengele und anderen Ärzte im KZ Auschwitz mit tödlichen Folgen vorgenommenen medizinischen Experimenten an Häftlingen.

Der Künstler Rudolph Bauer wurde 1939 geboren, im Jahr des beginnenden Zweiten Weltkriegs. 1945 war er sechs Jahre alt. Die Grauen des Krieges und die Schreckensberichte über die Konzentrationslager waren prägend für seine Kindheit und Jugend. Er hat sich während seines Studiums und als Hochschullehrer der Universität Bremen eingehend mit der Bezugsthematik (T4, tödliche Menschenversuche) auseinandergesetzt und zuletzt in einem Aufsatz unter dem Titel „Die ‚Nazi Doctors‘. Über Medizin-Fundamentalismus“ darüber publiziert; siehe http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27159&css=print.

Die Bildmontage ist zwar mehrdeutig und interpretationsoffen, wie es einem Kunstwerk angemessen ist. Sie lässt aber bei objektiver, vorurteilsfreier Interpretation keine der in § 6 Abs. 1 des VStR genannten Absichten erkennen. Die Collage mit den befreiten Häftlingen stellt weder eine Billigung, noch eine Leugnung oder Verharmlosung der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen dar. Im Gegenteil: Sie zeigt den fotografisch dokumentierten Akt der Befreiung (!) der im KZ geschundenen Häftlinge. Dem Kläger ist entgangen, dass es sich bei der betreffenden Bildmontage um Bild-Bild-Bezüge handelt, die „in den verschiedensten piktorialen Praktiken – in der Werbung (und der Propaganda), in Comics (und Cartoons), in der hohen (und der angewandten) Kunst – eine herausragende Rolle“ spielen (Guido Isekenmeier: Interpiktorialität. Bielefeld 2013: 11).

Corona-Maßnahmen-kritische Bildmontagen II: Lauterbach beleidigt

Der interpiktoriale Charakter der Bildmontage-Technik verbietet eine eindeutige und simplifizierende Interpretation. Diese lässt das gesellschaftskritische Anliegen politischer Bildkunst und erst recht den Verfassungsgrundsatz der Kunstfreiheit außer Acht. Das aufgrund der kunstfeindlichen Erfahrungen des Dritten Reichs im Grundgesetz festgeschriebene Gebot der Meinungs-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit hinderte das Amtsgericht Stuttgart jedoch nicht, einer Beleidigungsklage des Abgeordneten und jetzigen Bundesgesundheitsministers Prof. Dr. Karl Lauterbach stattzugeben und Rudolph Bauer zu einer Strafzahlung von dreitausend Euro zu verurteilen.

Was war der Auslöser? Eine Bildmontage Bauers, veröffentlicht in der Broschüre „Charakter-Masken“ der Reihe Edition Kunst des pad-Verlags (Bergkamen 2023), zeigt Professor Dr. Lauterbach mit zwei leicht erhobenen linken Händen, die von der Justiz –und angeblich auch von Lauterbach – als Hitlergruß gedeutet werden. (Ein schlichter Klick bei Wikipedia auf https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlergru%C3%9F zeigt den ‚wahren’ Hitlergruß.) Ein unter die Nase des Lauterbach geklebtes Viereck – das kunstgeschichtlich berühmte Schwarze Quadrat von Kasimir Malewitsch – gilt dem Abgebildeten und der ihm darin folgenden Justiz als „Hitlerbärtchen“. Vollends in die Hitler-Falle getappt sind beide, der beleidigte Lauterbach und die Amtsrichterin K., durch die schillernde Bildunterschrift: #adolf #lauterbach. Also doch ein Hitler-Vergleich? Ein Skandal?

Die schriftliche Begründung des Stuttgarter Urteils nach der Verhandlung am 26. März 2024 liegt noch nicht vor. Ein Kommentar muss deshalb noch unterblieben. Vorerst nur ein Zitat zum Fortleben des Nationalsozialismus in jenen Denkstrukturen, die sich nicht nur bei Richtern, Staatsanwälten, Bundestagsabgeordneten und Ministern zeigen:

“Der Nationalsozialismus lebt heute ja wohl weniger darin nach, dass man noch an seine Doktrinen glaubte – wie weit das überhaupt je der Fall war, ist fraglich – als in bestimmten formalen Beschaffenheiten des Denkens. Zu ihnen rechnen beflissene Anpassung ans je Geltende, zweiwertige Aufteilung nach Schafen und Böcken, Mangel an unmittelbaren spontanen Beziehungen zu Menschen, Dingen, Ideen, zwanghafter Konventionalismus, Glaube an Bestehendes um jeden Preis. Derlei Denkstrukturen und Syndrome sind als solche, dem Inhalt nach apolitisch, aber ihr Überleben hat politische Implikationen. Das ist vielleicht an dem, was ich mitzuteilen suche, das Ernsteste.” (Theodor W. Adorno: Eingriffe. Neun kritische Modelle. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1963, S. 41).

Adressen für Nachfragen: 

  • Prof. Dr. Rudolph Bauer, Tel. 0421-78781; rudolph.bauer@gmx.de
  • Verleger Peter Rath-Sangkhakorn, Tel. 02307-261601; peter-rath@gmx.de
  • Rechtsanwalt Holger Willanzheimer, Tel. 06421-4984000; rechtsanwalt-willanzheimer@t-online.de
  • Amtsgericht Bremen, Geschäftsnummer 220 Js 36720/23; Tel. 0421-361-0
  • Amtsgericht Stuttgart, Geschäftsnummer 15 Cs 314 Js 32955/23; Tel. 0711-921-3158

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Kommentare (1)

Ein Kommentar zu: “Strafurteil und weitere Strafdrohungen gegen Künstler

  1. Komisch, dass die gleichen Kräfte die immer wieder deutlich sichtbar auftretenden Nazisymbole in der Ukraine übersehen. Das hat was von "haltet den Dieb" und macht die ganze Rechtsdiffamierung sowas von unglaubwürdig.
    Ich sage dazu nur: Was kümmert Dich der Splitter im Auge Deines Bruders, entferne erst einmal den Balken vor Deinen Augen.

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