Ein Kommentar von Susan Bonath
Wieder einmal tagen die Bilderberger. Bei dieser Geheimkonferenz der Mächtigen aus Nordamerika und Europa in der Schweiz, nur eine von vielen verschiedenen, geht es laut Pressemitteilung (1) nicht nur um Themen wie „Klima“, „Künstliche Intelligenz“, „China und Russland“ sowie „die Waffe der sozialen Medien“. Auf dem Programm steht nichts weniger als die „Zukunft des Kapitalismus“. Was auch immer sie beraten, sagen sie uns nicht. Auch die deutschen Teilnehmer, darunter Axel-Springer-Chef Döpfner, Kriegsministerin von der Leyen und die CDU-Vorsitzende AKK, werden schweigen. Nur eins ist klar: Sie haben Muffensausen. Sie wollen um jeden Preis ihre Herrschaft über die Vielen erhalten. Komme, was da wolle.
Um den Kapitalismus ranken sich mindestens so viele Mythen wie um diese Konferenz. Von oben werden sie eifrig befeuert. Eine davon ist die Mär von der „sozialen Marktwirtschaft“. Angeblich haben wir die ja in Deutschland. Und die ist alternativlos. So tönt es jedenfalls von oben und unten, aus den Reihen von CDU, FDP, AfD und SPD. Die Grünen propagieren „grünen Kapitalismus“; auch die Linkspartei schwafelt gerne von „sozialer Marktwirtschaft“. Klar doch: Sozial klingt toll und Markt nach schnuckeligem Gemüsemarkt. Nur eins wird vergessen: Wer kein Tauschäquivalent namens Geld besitzt, bleibt auch auf dem Gemüsemarkt hungrig. Selbst bei den Armentafeln müssen die Leute für eine Tüte Essensreste zwei, drei Euro löhnen. An dieses Geld muss man im Kapitalismus erst kommen. Die Fragen ist: Wie? Und warum?
Für das Wie sieht der Kapitalismus zwei Möglichkeiten vor: Entweder erwerbe ich – für Geld! – rentable Produktionsmittel und vermehre mein Geld mittels fremder Arbeitskraft. Oder ich besitze kein Geld für solche Produktionsmittel. Dann bin ich gezwungen, meine Arbeitskraft an einen Kapitalisten oder dessen Manager, den Staat, zu verkaufen. Dafür erhalte ich einen kleinen Teil des Profits, den ich erwirtschafte, mit dem Lohn zurück. Davon kann ich dann leben – manchmal mehr schlecht als recht.
Das Warum ist schnell erklärt: Der Kapitalismus macht alle Bedarfs- und Gebrauchsgüter zu Waren. Und die gehören dem, der die entsprechenden Produktionsmittel besitzt und über den Zugriff auf notwendige Ressourcen – dank Geld – verfügt. Ein Beispiel: Max Müller braucht neue Schuhe. Er muss sie für Geld demjenigen abkaufen, dem sie gehören: Der Besitzer oder die Aktionäre der Schuhfabrik. Davon profitieren weitere Kapitalisten, und zwar die, die diesen Profit realisiert haben: Das Unternehmen, das die Schuhe verpackt hat. Jene Firma, die sie transportiert hat. Die Handelskette, die sie vermarktet hat. Und falls sie mittels Kredit produziert wurden, auch die Bank, die ihren Zins einfordert. Kurzum: Jede Ware gehört jemandem. Wer sie braucht, muss sie ihm abkaufen. Es geht um Privateigentum an Produktionsmitteln.
Genau darauf basiert die viel gepriesene Marktwirtschaft. Mit „sozial“ hat diese nichts am Hut. Wer kein Geld hat, bleibt auf der Strecke. Was als „sozial“ verkauft wird, dient dem Erhalt der Arbeitskraft der vielen. Ohne die gibt’s keinen Profit. Braucht das Kapital weniger Arbeitskräfte und werden mehr und mehr von ihnen überflüssig für den Markt, geht’s an Eingemachte. Der Sozialstaat wird geschrumpft. Dafür sorgt der Manager des Kapitals, der Staat. Wir erleben es: Hartz IV mit Sanktionsregime, Rentenkürzungen, verbotenes Retten ertrinkender Flüchtlinge und mangelnder Wohnungsbau. Zum Beispiel.
Nun kursiert auch das Gerücht, wir lebten gar nicht mehr im Kapitalismus, weil der doch eigentlich ganz schön sei. Und weil der Staat inzwischen so mächtig sei. Nun, dann bräuchten die Bilderberger nicht über dessen Zukunft beraten. Hinzu kommt: Der Begriff Kapital wird meistens falsch interpretiert. Keineswegs sind Ressourcen, Produktionsmittel, Geld und Arbeitskraft gleich Kapital. Zu Kapital wird all das erst, wenn es entsprechend verwertet wird. Und zwar mit einem einzigen Ziel: Die Eigentümer müssen ihre Profite maximieren. Das gebietet die Konkurrenz des Marktes. Wer nicht mitspielt, geht pleite. Der einzelne Kapitalist ist also gar nicht Schuld daran. Er muss Kapital akkumulieren. Logisch, dass sich die Vermögen im Laufe der Zeit oben konzentrieren und dies zur Bildung riesiger Monopole führt.
Es ist das System, das sich alle unterjocht. Marx nannte die gigantische, globale Verwertungsmaschine namens Kapital ein „automatisches Subjekt“. Unsere Propagandisten sprechen vom Markt. Und das ewige Wirtschaftswachstum, zu dem die Verwertungskonkurrenz zwingt, nennen sie „Wettbewerb“. Markt, Wachstum und Wettbewerb sind quasi heilig. Und doch kann schon ein Grundschüler verstehen: Ewiges Wirtschaftswachstum ist auf einem begrenzten Planeten nicht möglich.
Hier kommen wir zum zweiten Problem: Die Zerstörung der Umwelt und des Klimas, wenn das Wachstum, wie aktuell, an die natürlichen Grenzen stößt. Blöderweise basiert der Kapitalismus gerade darauf. Denn
in diesem erfolgt jede Produktion von irgendwas nur aus dem genannten Grund: Profitmaximierung. Ein Kapitalist, der das nicht befolgt, geht dank der Konkurrenz schnell unter. Fazit: Der Kapitalismus selbst ist der Umweltzerstörer. Die Story der Grünen vom grünen Kapitalismus ist pure Demagogie.
Und jetzt mögen die ersten schreien: Aber Planwirtschaft hat doch nie funktioniert! Nun ja, erstens: Auch im Kapitalismus herrscht Planwirtschaft. Jeder Eigentümer von Produktionsmitteln plant seine Produktion. Dabei orientiert er sich blöderweise nicht am Bedarf der Gesellschaft. Und schon gar an irgendwelchen friedenspolitischen oder ökologischen Kriterien. Ihm geht es schlicht darum, wie hoch am Ende die Rendite ist, wie viel Geld auf sein Konto sprudelt. Das ist die Krux.
Kommen wir zu den missglückten Versuchen sozialistischer Planwirtschaft: All die Staaten, die das versucht haben oder noch versuchen, befinden sich nicht im luftleeren Raum, sondern inmitten des kapitalistischen Marktes. Um mitzuhalten mit der wirtschaftlichen Entwicklung, waren oder sind sie auf Rohstoffe aus aller Welt angewiesen. Die lagern nämlich meist nicht vor der Haustür. Man kann es auch anders sagen: Ohne Globalisierung der Wirtschaft gäbe es das Internetportal KenFM und vieles andere nicht. Die technologische Entwicklung hätte irgendwo im 18. Jahrhundert stecken bleiben müssen.
Das Problem an dieser Globalisierung ist, und da kommen wir zurück zum Kernproblem, dass die Wirtschaft in Privatbesitz ist. Und dass diese Privateigentümer eben Profite maximieren müssen, wie auch immer. Und zu glauben, ein Staat, ob Deutschland, die USA oder sonst einer, könnte und würde das stoppen, ist naiv. Dazu ist er gar nicht da. Er ist und war, seit es den Industriekapitalismus gibt, nur ein schnöder territorialer Manager des Großkapitals. Staaten waren immer die Herrschaftsinstrumente der jeweils herrschenden Klasse. Wir erleben das ja, das ist doch nicht zu leugnen.
Dass es so ist, und dass die Herrschenden nichts so sehr fürchten, wie einen Aufstand der unterdrückten Klasse, zeigen die täglichen Schlagzeilen: Die brutalen Angriffe auf die Gelbwesten in Frankreich. Das Elend produzierende und den Niedriglohnsektor personell fütternde Hartz-IV-Regime. Das aktuell im Bundestag beratene Einwanderungsgesetz, das für den Markt nützliche Migranten reinlassen und unbrauchbare bestenfalls der Verelendung preisgeben will. Übrigens: Auch die AfD ist laut EU-Programm dafür.
Davon zeugen auch die seit Jahrzehnten verfehlten Klimaschutzziele. Und ständig neue Umweltskandale, dem Profitstreben sei dank. Die aktuellen Forderungen von AKK und ihrer CDU, die Meinungsfreiheit vor Wahlen drastisch einzuschränken. Der kürzlich geleakte Gesetzentwurf von Bundesinnenminister Seehofer, der dem Verfassungsschutz das Überwachen von Medien und Journalisten offiziell erlauben soll. Das Großkapital hat seinen Grund, ihm dienende Parteien zu mästen. Ja, auch die AfD.
All das lernt man aber nicht in der Schule oder im Studium. Ist doch klar. Der Staat als Manager des ganzen Spiels ist natürlich bestrebt, gutes und dienstbares Humankapital heran zu züchten. Die Profiteure wollen ja ihr System erhalten. Dafür schöpfen sie auch ihr gesamtes Propaganda-Potenzial aus. Wir sind von Geburt an mit Triggern konditioniert, die immer wieder zu einem Fehlschluss führen: Kapitalismus sei das einzig Wahre und völlig alternativlos. Und man könne ihn ja auch sozialer machen. Das ist Blödsinn, denn er basiert immer auf Ausbeutung von vielen, die einen leiden halt mehr darunter, die anderen weniger.
Und weil die Jugend das nicht gelernt hat – und zwar von den Alten – dann kann man ihr nicht vorwerfen, zur EU-Wahl in großer Anzahl die Grünen gewählt zu haben. So manch Erwachsener glaubt ja auch, die AfD sei eine Alternative, weil das in ihrem Namen steht. Aber vielleicht ist sie doch schon weiter als viele Alte. So distanzierte sich „Fridays for Future“ bereits am Mittwoch von der Aussage des Grünen-Spitzenkandidaten Sven Giegold, der Wahlsonntag sei „ein Sunday for Future“ gewesen. Man habe keinen Wahlkampf für eine Partei gemacht, „die Abschiebungen mitorganisiert, Hartz IV auferlegt und vielfach klimaschädliche Politik mitgetragen hat, weil sie nicht bereit ist, sich mit Kapitalinteressen anzulegen“, so die Bewegung.
Es muss verstanden werden, dass Kapitalismus eben keine Verschwörung geheimer Mächte, sondern ein Herrschaftssystem der beschriebenen Art ist, das nach ebenso beschriebenen Mechanismen funktioniert, die automatisch und zwangsläufig zu Vermögenskonzentration, sozialer Spaltung, Verarmung breiter Massen und Umweltzerstörung führen. Der Kapitalismus muss weg. Eine Lösung im System gibt es nicht.
Mehr noch: Solange sich die Welt im Würgegriff des Kapitals befindet, wird es für eine wachsende Masse schlimmer werden. Zu dieser dürften am Ende viele, sehr viele gehören. Die meisten werden dann wohl feststellen: Sie waren es, die ihre Peiniger und Umweltzerstörer über Jahrzehnte widerstandslos gewähren ließen. Ja, die sie regelrecht feierten. Die sich ewig mit dem plumpen AfD-Slogan „Merkel muss weg“ begnügten, um dann gemeinsam mit dieser, wie Union, SPD, FDP und Grüne ebenfalls vom Großkapital gepamperten Partei um 180 Grad umzuschwenken. Hin zum Bashing eines unter den Kids wie ein bunter Hund bekannten Youtubers, schizophrener Weise, weil der die Merkel-Partei kritisiert hatte.
Dass es so kommen wird, wissen auch die Bilderberger. Ihnen dürfte es nur darum gehen, ihren eigenen Arsch zu retten. Das heute noch willig für sie strampelnde Humankapital bekommt keinen Platz im Rettungsboot. Es hat ihnen nur bis zum jüngsten Tag die Macht zu sichern. Nicht mehr, nicht weniger.
Quelle:
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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