Wie sich Großunternehmen wie Nestlé aus ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung stehlen.
Ein Kommentar von Christiane Borowy.
Nachhaltigkeit, CO2, Klimadebatte: Während Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit noch die Frage beschäftigt, ob der Klimawandel menschengemacht ist oder nicht, reiben sich Konzerne wie Nestlé längst die Hände. Sie springen auf den ökologischen Themenzug auf und polieren ihr angekratztes Image auf – und zwar sehr erfolgreich. Vergessen ist der Skandal um schädliche Babynahrung, abgeholzte Regenwälder bei der Palmölherstellung, verdurstende und verhungernde Kinder in Afrika oder Dürre in Pakistan, sobald man am Samstag den Wocheneinkauf für die Familie erledigt. Das Geheimrezept zur Öko-Amnesie ist eine PR-Strategie: Greenwashing.
„Nein Jean-Luca, das haben wir dir doch schon erklärt: Das ist ein Schoko-Keksriegel und ein Wasser von Nestlé. Das kaufen wir nie wieder. Das sind ganz böse Menschen, die reich dadurch werden, dass in Afrika Kinder verdursten, die so alt sind wie du. Die geben nicht einmal den Arbeitern in ihren Fabriken dort genug Wasser, so geizig sind die. Willst du außerdem schuld daran sein, dass es den Regenwald, in dem Mogli und Balou wohnen, bald nicht mehr gibt? Nur weil die Schokolade, die du dir kurz in den Mund steckst, so schön cremig ist? Nein und nochmals Nein.“
Solche oder ähnliche Sätze hört man an der Kasse im Supermarkt selten Eltern zu ihren Kindern sagen.
Dabei ist der Film, in dem das Geschäft von Nestlé mit Trinkwasser dokumentiert wird, bereits aus dem Jahr 2012: „Bottled life: Flaschenwahn statt Wasserhahn.“ (1) Weiter wurde Nestlé auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekannt: In der ARD-Mediathek gibt es unter anderem, seit 2015 und immer noch verfügbar, eine Sendung namens „Der Montags-Check“, in dem es eine Reihe an kritischen Beiträgen mit dem Titel: „Der Nestlé-Check“ gibt. (2)
Sogar ein Magazin der Handelsblatt Mediengruppe, welches die wirtschaftliche Jugend ansprechen möchte, das „Orange Handelsblatt“ titelte am 5. Juni 2019 provokant: „Warum Nestlé so unbeliebt ist“ (3) und erinnert noch einmal an sämtliche Skandale des Konzerns mit Hauptsitz in der Schweiz: Regenwald-Rodung für den Palmölanbau in Indonesien, Geschäfte mit Trinkwasser in Afrika, Tierversuche mit Mäusen für Hautcremes, für Babys schädliche Babynahrung und so weiter. Greenpeace wehrt sich in aktuellen Kampagnen gegen Plastikmüll (4) und berichtet seit Jahren von Umwelt-Skandalen durch Nestlé.
„Drastische Gewinneinbußen bei Nestlé“ oder „Kurz vor dem Aus: Nestlé!“, „Ein Skandal zu viel“ sind allerdings Schlagzeilen, die man vergeblich sucht.
Seit Jahren hagelt es also Kritik und wird versucht, Menschen zu einem Umdenken und zu einer Verhaltensänderung zu bewegen -sowohl auf Konzernseite als auch auf Konsumentenseite. Doch „Nestlé versteht die Kritik nicht“ (3) und lehnt reflexhaft jegliches Verantwortungsgefühl ab. Mit vollem Erfolg auf unternehmerischer Seite: Nestlé ist weiter der Platzhirsch der Nahrungsmittelindustrie. Wie kann das sein?
Antwort: Der Konzern investiert in PR, die nur ein Ziel hat: Verwirrung der Verbraucher. Die soziale und ökologische Weste muss nach den vielen Skandalen wieder reingewaschen werden. Diese Manipulation hat einen Namen und obendrein Menschen als Unterstützer, die ihren Namen für die angebliche Reinheit des sozialen und ökologischen Gewissens hergeben: Dieses PR-Kind wird kritisch Greenwashing bezeichnet.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Greenwashing bezeichnet die Strategie von Unternehmen, das eigene unsaubere ökologische und soziale Verhalten öffentlich als ganz besonders umweltfreundlich und ethisch einwandfrei umzuetikettieren. Dabei wird zum Beispiel so vorgegangen, dass einzelne ökologisch sinnvolle Aktionen öffentlich so herausgestellt werden, dass sie größer wirken als sie sind und verdecken, dass das Kerngeschäft des Unternehmens eigentlich durch destruktives ökologisches und soziales Verhalten gekennzeichnet ist. Oder es werden Qualitätsstandards so allgemein und vage formuliert, dass alles gemeint sein kann, ohne etwas Konkretes sagen zu müssen (5).
Man kann sich mit der Homepage von Nestlé diesbezüglich sehr lange beschäftigen, doch hier nur eine Auswahl an Slogans, die diametral dem entgegenstehen, was Kritiker gegen Nestlé vorbringen:
- Nestlé: „Die natürlichen Ressourcen schützen und erhalten“.
Das ist eine generelle und vage Aussage. Obendrein trifft es auf das Geschäft mit dem Wasser nicht zu: Nestlé kauft weltweit Trinkwasserrechte. Die natürlichen Ressourcen des entsprechenden Landes werden keineswegs geachtet und geschützt, was der Film „bottled life“ eindrücklich schildert. Das Wasser wird zu Lasten der Umwelt und der Menschen gefördert und gereinigt. Daraus wird dann Trinkwasser hergestellt, das in Plastikflaschen abgefüllt wird. Nestlé stellt das anders dar, beispielsweise mit dem Hinweis auf den „Grundwasserschutz in Vittel“. Hier werden „Botschafter“ zitiert, die sich gezielt für den Grundwasserschutz einsetzen und die sogar einen „Nestlé-Verbraucherbeirat“ ins Leben gerufen haben. Es entsteht so der Eindruck, Nestlé sei ein Unternehmen, das Verbraucherinteressen mit einbezieht. Dies muss sich allerdings nicht auf das Kerngeschäft beziehen, in dem die Gewinne erzielt werden, die maßgeblich für den Erfolg des Großkonzerns stehen.
- Nestlé: „Rohstoffe schonender beschaffen“ und „So haben wir z. B. für den Bezug von Palmöl besonders strenge Richtlinien aufgestellt, die den weiteren Raubbau an der Natur verhindern. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird regelmäßig überprüft.“
Damit ist keine Aussage gemacht über die Flächen, die man bereits verwüstet hat. Davon abgesehen ist unklar, von welchem seriösen und unabhängigen Unternehmen die selbst aufgestellten Vorgaben überprüft werden. Hinter dem Bild von natürlichen Quellen und liebevollem Umgang mit der Natur sollen vielleicht die Bilder von gerodetem Regenwald für die Palmölherstellung verblassen.
- Nestle: „Klar, dass in unserer Produktion Wasser wie auch Energie verbraucht wird und CO2 entsteht. Aber wir arbeiten ständig daran, den Verbrauch zu senken. So machen wir immer weitere Fortschritte und entlasten dadurch die Umwelt und das Klima.“
Wenn Trinkwasser in Afrika gefördert, gereinigt und über lange Transportwege beispielsweise auf den europäischen Markt gebracht wird, dann ist das keineswegs energiesparend.
- Nestlé: „Clever. Energie tauschen, CO2 sparen“
Hier wird das Energiethema sogar mit Nachbarschaftshilfe verknüpft; „Wie leiht man sich Klimaschutz?“ Besonders schön ist hier auch die Bildregie: Eine Frau wäscht Bohnen unter dem fließenden Wasser aus dem Hahn. Möglicherweise wird hier zu verschleiern versucht, dass Nestlé ein Großkonzern ist, der an der Börse gehandelt wird und definitiv kein kleines Familienunternehmen ist. Mit Nachbarschaftshilfe hat das rein gar nichts zu tun, sondern mit kapitalistischen Interessen an hohen Gewinnen und geringen Kosten.
Es fällt selbst bei dieser kleinen Betrachtung auf, dass das Thema CO2 bei Nestlé sehr stark repräsentiert ist. Wenn wie vor kurzem in Deutschland ein Gesetzesentwurf zum Thema Minderung von CO2-Ausstoß eingebracht wurde, stellt sich obendrein die Frage, ob und inwieweit Industrie und Politik hier womöglich längst zusammenarbeiten, und wer wen zu beeinflussen versucht. Die Debatte um das Thema Klima wird momentan sehr hitzig geführt: Was für den einen Wahrheit ist, die selbstverständlich noch viel schärfer politisch durchzusetzen ist, ist für andere eine Ablenkungsstrategie viel größeren Ausmaßes, die beispielsweise mit „Geo-Engineering“ zu tun hat. Diese Themen polarisieren also und werden hitzig diskutiert.
Ein Schelm, der Lobbyismus denkt
Nestlé vertritt hier scheinbar das ökologische Konzept der Politik und das, woran sich die Allgemeinheit orientieren soll. Es kann also durchaus sein, dass Industrie und Politik längst entschieden haben, die eigenen Interessen durchzusetzen und notfalls dem Konsumenten ein ökologisches X für ein U vorzumachen, während in Bezug auf CO2 und die Frage nach „Klimawandel – Ja oder Nein“ noch geforscht und gestritten wird. Ein Schelm, der Lobbyismus dabei denkt.
Wenn ein Unternehmen versucht, auf politische Entscheidungsträger einzuwirken, nennt man das übrigens „Deep Greenwash“ (6). Im Vergleich damit das Firmen-Image durch PR aufzuhübschen, ist das noch eine Schippe draufgelegt. Im EU-Lobbyreport 2019 heißt es: „Die Lobbytreffen zeichnen ein deutliches Bild von der Unausgewogenheit zugunsten von wirtschaftsnahen Interessen. In extremen Fällen führt diese Schieflage sogar dazu, dass Gesetze regelrecht von Konzernen vereinnahmt werden. Im internationalen Diskurs ist von „corporate capture“ oder „policy capture“ die Rede.“ (6)
Außerdem findet man auch bei LobbyControl einen Hinweis auf Nestlé: „Die Überwachungsfirma Securitas spionierte im Auftrag von Nestlé eine Schweizer Attac-Gruppe aus“ (7). Laut LobbyControl kein Einzelfall, sondern eine für Großunternehmen keineswegs unübliche Strategie.
Für einen immerhin kurzen Aufruhr sorgte Anfang Juni 2019 die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Julia Klöckner (CDU), weil sie in einem Interview mit dem führenden Nestlé-Manager Marc Aurel Boersch (Vorstandsvorsitzender Nestlé-Deutschland) auf Twitter den Großkonzern für eine Reduzierung des Zucker-, Salz-, und Fettgehaltes in Fertigprodukten -um sagenhafte 10 Prozent- gelobt hatte. Klöckner sah sich allerdings nicht genötigt, den Lebensmittelriesen zu kritisieren, sondern bezeichnete stattdessen die Kritiker und Kommentatoren des Videos kurzerhand als Hassredner (8).
Es ist folglich eher Skepsis angebracht, wenn ein Großkonzern wie Nestlé sich sozialer und ökologischer Themen annimmt.
Hier ist das bewusste soziale und ökologische Handeln der Verbraucher gefragt, denn Konzerne wie Nestlé werden vor allem dadurch reich, dass massenhaft Menschen ihre Produkte kaufen. So kompliziert ist das nicht.
Der Arzt und Autor Rüdiger Dahlke weist in seinem Buch „Peace Food“ sowie in seinen Büchern und Vorträgen darauf hin, dass Unternehmen nicht wegen ökologischer Ideale auf bestimmte Themen anspringen, sondern weil sie sich sicher sind, daran verdienen zu können und sich obendrein ein sauberes Image geben. Dahlke empfiehlt: „Lassen Sie besser die Finger davon. Das taugt meistens nichts“ (9).
Dass der Großkonzern Nestlé vielleicht sozial und ökologisch nichts taugen könnte, pfeifen seine Gegner nachhaltig von den Dächern. PR-Strategien wie Greenwashing, gepaart mit Lobbyismus könnten der Grund sein, weshalb die Kritik trotzdem keiner hört. Wer also der Meinung ist, mit Afrika, Pakistan, Regenwaldabholzung, Politik ganz allgemein oder der aktuellen Klimadebatte nichts zu tun zu haben, sollte sich beim nächsten großen Samstags-Einkauf im Supermarkt daran erinnern:
Der Mensch ist, was er isst….und trinkt.
Quellen:
- https://www.youtube.com/watch?v=vp5dUdHPuxA
- http://mediathek.daserste.de/Der-Montags-Check/Der-Nestl%C3%A9-Check-1/Video?bcastId=22834010&documentId=30696290
- https://orange.handelsblatt.com/artikel/40262
- https://www.greenpeace.org/luxembourg/de/aktualitaet/4435/nestle-zerstoere-das-plastik-monster-das-du-erschaffen-hast/
- https://de.wikipedia.org/wiki/Greenwashing
- https://www.nestle-marktplatz.de/qualitaet/qualitaetsbotschafter
- https://www.lobbycontrol.de/wp-content/uploads/EU-Lobbyreport2019.pdf
- https://www.youtube.com/watch?v=YGElDtVu2As
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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