Ein Kommentar von Pedram Shahyar.
Erinnert sich irgendjemand an einen Wahlkampf, der noch langweiliger war als der der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2017? In 6 Wochen wird gewählt. Und man merkt nichts, aber gar nichts, von einer politischen Spannung. Nur ein paar lausige Plakate an den Säulen, entworfen von mittelmäßigen Werbeagenturen, erinnern daran, dass irgendwann bald irgendwas gewählt wird. Sicher, die meisten werden zur Wahl gehen, weil das noch ein bisschen demokratische Mitbestimmung verspricht. Aber irgendwie spürt die gesamte Bevölkerung, dass sich nichts, aber auch gar nichts verändern wird.
Was waren das für Monate in den USA vor den Wahlen? Die große politische Schlacht in den Vorwahlen, wo die Außenseiter Sanders und Trump das Establishment der großen Parteien vor sich her trieben. Sanders Wahlkampf-Kundgebungen zogen Hundertausende, meist junge Menschen an. Trump polterte und alle redeten darüber. In Frankreich ebenso Hochspannung: die alten großen Parteien schmolzen dahin. Macron schoss wie der Phoenix aus der Asche und mobilisierte viele Franzosen in seine neue Partei. Der rechtsradikale Front National wuchs immer weiter bedrohlich an und die neue Linke um Melenchon verpasste es nur knapp, die Machtfrage von links zu stellen. In England überraschte der Altsozialist und Friedensaktivist Corbyn mit der Übernahme der Labour-Party. Es kam zu einer riesigen Mobilisierung in kürzester Zeit und zu einer spannenden und knappen Wahl. Obwohl die Konservativen sich schon als sichere Sieger gesehen hatten, wurden sie zur „Koalition des Chaos“ und Labour steht bereit für die Machtübernahme und verspricht einen scharfen Politikwechsel in der Sozial-und Außenpolitik.
Überall Hochspannung. Die Zukunft der jeweiligen Länder lag offen vor der Wahl und man wusste nicht welche Richtung die Politik gehen wird. Dass es in Deutschland vor der Wahl schon vollkommen klar ist, wer die nächste Kanzlerin ist und die Politik genauso weiter gehen wird wie vorher, hat einen zentralen Grund: Die marode SPD mit Martin Schulz an ihrer Spitze. Die SPD hat seit der Regierung Schröder und ihr Hauptprojekt der Agenda 2010 ihre soziale Substanz und damit jegliche reale Option auf die Kanzlerschaft verloren. Dabei sehen wir überall, wie groß die Sehnsucht nach einer sozialen Wende ist, wie Sanders, Melenchon und Corbyn Millionen elektrisieren und mobilisieren. Schulz hat für einen kurzen Moment diese Illusion bedient, die SPD könnte eine soziale Wende herbeiführen. Doch dieser medialer Hype war so sehr von der Realität der SPD entfernt, dass es nicht mehr als ein Strohfeuer sein konnte. Die SPD ist bis ins Mark von neoliberalen Karrieristen besetzt und ohne einen kompletten Systemwechsel der Partei werden keine große Massen hier wieder Hoffnung schöpfen können.
Als ob das nicht schon alles schlimm genug wäre, entdeckt Schulz 2 Monaten vor der Wahl ein neues Thema: Die Angst vor Flüchtlingen! Wer noch einen Beweis gesucht hat, wie realitätsfern und Politikunfähig die SPD-Führung geworden ist, hat es hier geliefert bekommen. Als ob Menschen wegen der Angst vor Flüchtlingsströme die SPD wählen würden! An Strategie und Kopflosigkeit ist dieser Zug nicht zu überbieten. Und das ausgerechnet in einer Zeit, nachdem die Balkan-Route geschlossen, der dreckige Deal mit Erdogan vereinbart, das Mittelmeer zunehmend militarisiert, und Tausende Flüchtlinge in KZ-ähnlichen Lagern in Libyen versklavt werden. Soll irgendwer glauben, dass die SPD hier die Fluchtursachen wirklich bekämpft? Die SPD, die unter ihrem Außenministerium Jahrzehnte lang die Waffenexporte in den Nahen Osten genehmigt hat? Nein, das können die oberen Karrieristen im Willy-Brand-Haus Martin Schulz zuflüstern, die Menschen im Lande lassen sich davon nicht groß beeindrucken. Das Schüren der Ängste wird der SPD nichts bringen, könnte aber die AfD zum Oppositionsführer im neuen Bundestag gegen die nächste große Koalition machen. Bravo Martin Schulz!
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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