Längst sind „The Young Turks“ das größte digitale Mediennetzwerk der Welt. Auf YouTube liegt die Zahl der
Abonnenten alleine im Hauptkanal bei 4,5 Millionen. Die Zahl der Zugriffe geht auf die fünf Milliarden zu – dabei verfügt „TYT“ über mehrere Kanäle und wird außerhalb von YouTube noch weitaus häufiger angesehen.Gegründet hat „The Young Turks“ der türkisch-stämmige Moderator Cenk Uygur. Der war einst beim liberalen Fernsehsender MSNBC engagiert und hatte dort eine eigene Show. Als er begann, Barack Obama massiv zu kritisieren, wurde er aufgefordert, seinen Ton zu mäßigen. Als er das verweigerte, bot man ihm für diese Mäßigung eine Geldsumme an. Als er die ebenfalls ablehnte, wurde die Show eingestellt.
Daraufhin gründete Uygur seinen eigenen Sender im Internet, der ein Riesenerfolg wurde. Diese so ähnlich aus Deutschland ebenfalls bekannte Geschichte erhält nun eine faszinierende Wendung: Cenk Uygur hat nämlich erklärt, als Kongressabgeordneter zu kandidieren.
Er tut das im 25. Wahlbezirk Kaliforniens. Dieser ist derzeit vakant, weil die bisherige Abgeordnete Katie Hill nach einer ziemlich widerlichen Schmutzkampagne zurücktrat. Der Demokratin Hill wurde zunächst von dem den Republikanern nahestehenden Blog „The Red States“ vorgeworfen, eine Affäre mit einem jüngeren Mitarbeiter gehabt zu haben. Anschließend wurden Nacktfotos von Hill veröffentlicht. Die Sprecherin des Hauses Nancy Pelosi ging daraufhin auf Distanz zu Katie Hill und die trat zurück.
Der ganze Vorgang ist ein unschönes Beispiel für die hochmoralische Verlogenheit, mit der das Privatleben politisch unliebsamer Frauen in den USA zu einer Waffe gemacht wird – während Sexualskandale ganz anderer Dimensionen, die Männer mit Macht und Prominenz betreffen, konsequent vertuscht werden, wie im Falle Jeffrey Epstein – oder juristisch abgebogen, wie soeben im Falle Harvey Weinstein.
So kommt es nun also zu einer gesonderten Nachwahl im 25. Wahlbezirk Kaliforniens am 3. März – und das ist auch das Datum des sogenannten „Super-Tuesday“, also jenem Tag in den demokratischen Vorwahlen, an dem diesmal gleich fünfzehn Bundesstaaten ihre Vorwahlen abhalten. Darunter ist 2020 erstmalig auch der delegiertenstarke Staat Kalifornien, der bisher weit hinten im Vorwahlkalender lag.
Dass Cenk Uygur seinen Hut in den Ring geworfen hat, ist nun ausgesprochen bedeutsam. Denn Uygur ist einer, der keine Konfrontation scheut, was ihn von den allermeisten Demokraten in Kongress und Senat unterscheidet.
Die haben es beispielsweise gerade fertig gebracht, dem von Donald Trump vorgeschlagenen Militärhaushalt sang- und klanglos zuzustimmen. Immerhin hat Bernie Sanders den Wehretat abgelehnt – als einziger der derzeitigen Präsidentschaftsbewerber, übrigens.
Ist das nicht eigenartig? Demselben Donald Trump, gegen den gerade ein Impeachement-Verfahren angestrengt wird, genehmigen die Demokraten eine Steigerung der Militärausgaben um 300 Milliarden Dollar über die kommenden zwei Jahre? Demselben Trump, den man zum gefährlichsten Präsidenten aller Zeiten erklärt?
Für Cenk Uygur ist die Ursache eindeutig. Sie liegt für ihn darin, dass Demokraten und Republikaner von denselben Großspendern finanziert werden. Uygur spricht dabei eine klare Sprache. Er nennt es Korruption und die Wahlkampfspenden nennt er Bestechungsgelder. The Young Turks sind unerbittlich darin, diese Bestechungssummen offenzulegen, die Politiker beider Parteien von der Pharmaindustrie, den Versicherungen, der Kriegsindustrie oder von einzelnen Multimilliardären erhalten.
Der Kandidat Cenk Uygur verzichtet auf derlei Spenden. Er setzt ausschließlich auf Kleinspender und dank seiner Verankerung im Netz hat er nach wenigen Wochen seiner Kandidatur bereits 15.000 Menschen gefunden, die für ihn gespendet haben – im Schnitt 23 Dollar.
Seine stärkste demokratische Gegenkandidatin, Christie Smith, führt dagegen jene typischen Spenden-Events von und mit den Reichen und Wohlhabenden durch, mit denen die Demokraten seit der Clinton-Ära ihrer Wahlkämpfe zu finanzieren pflegen. So sammelt Smith Spenden im nah gelegenen Beverly Hills ein. In den ärmeren Gegenden des 25. Wahlbezirks lässt sie sich dagegen kaum sehen. Der durchschnittliche Spendenbetrag liegt in ihrem Fall bei mehr als 2700 Dollar.
Nun ist Cenk Uygur auch der lautstärkste Kritiker der Zustände in den etablierten Großmedien der USA, deren willfährige Berichterstattung er ebenso geiselt wie den Verfall journalistischer Standards – und er ist mit seinem eigenen Sender ihr härtester Konkurrent.
Dabei tut die klebrige Nähe zur etablierten Macht in Politik und Wirtschaft den etablierten Sendern nicht gut. Die Einschaltquoten von CNN rutschten beispielsweise mitten in der Berichterstattung über das vermeintlich hochspannende Impeachmentverfahren dramatisch ab und erreichte zur Hauptsendezeit nur noch 643.000 Zuschauer – eine Zahl, die „The Young Turks“ an guten Tagen längst übertrifft.
Was also tun mit diesem Cenk Uygur? Wie verhindern, dass er in den Kongress einzieht, zumal er bereits angekündigt hat, dort regelmäßig vor wichtigen Abstimmungen öffentlich zu machen, welcher Abgeordnete welche Spenden von für diese Abstimmung relevanten Konzernen und Superreichen erhalten hat?
Natürlich, wir kennen auch das: es muss eine Schmutzkampagne gestartet werden.
Die dreht sich im vorliegenden Fall um Blogbeiträge, die Cenk Uygur vor inzwischen 18 Jahren geschrieben, aber bereits vor 15 Jahren wieder gelöscht und mehrfach selbst als saudumm bezeichnet hat. Man muss dazu wissen, dass Uygur als junger Republikaner ins politische Leben gestartet und erst später ins progressive Lager gewechselt ist. Aber während ein Bill Clinton, trotz seiner intensiven Verbindungen zu Jeffrey Epstein, weiterhin als ehrbarer Mann am öffentlichen Leben teilnehmen darf, sind ziemlich plumpe, frauenfeindliche Witzchen des jugendlichen Cenk Uygur natürlich auch 18 Jahre später noch für eine empörte Kampagne gut.
Die wurde offensichtlich koordiniert in zahlreichen Zeitungen und Sendern zeitgleich gestartet.
Dazu wird versucht, Cenk Uygur, der die Besatzungspolitik Israels klar verurteilt, Antisemitismus zu unterstellen. Welch eine Überraschung! So zitierte die New York Times, einstmals das Flaggschiff des Journalismus, aus einem Interview, das Uygur mit David Duke, dem bekanntesten Antisemiten der USA, geführt hat. Als Duke abschließend gesagt habe, er sei kein Antisemit, habe Uygur geantwortet: „Natürlich nicht.“, berichtet die New York Times aufgeregt.
Nun hat Cenk Uygur das tatsächlich so gesagt: aber in offensichtlich ironischer Tonlage und nach einem Interview, in dem er Dukes Antisemitismus eine Stunde lang nach allen Regeln der Kunst nachgewiesen und auseinandergenommen hatte.
Das dumme am Internetzeitalter ist nun, dass das Originalinterview allen Interessierten zugänglich ist. Und die sehen einen Cenk Uygur, der David Duke derartig zusammenfaltet, dass es eine wahre Freude ist. Alle können sich anschauen, wie das Gespräch gelaufen ist – und die New York Times wurde Gegenstand eines gewaltigen Shitstorms im Internet. Daraufhin versah die Redaktion den besagten Artikel mit einer kleinlauten „Korrektur“ am Ende des Textes.
Das wiederum hielt aber CNN nicht davon ab, die gleiche Story tags drauf erneut aufzutischen. Jack Tapper, ein berühmter CNN-Moderator, lief sogar zu investigativer Hochform auf. Er fischte einen Blogpost von Cenk Uygurs Neffen heraus, in dem dieser das englische Äquivalent des Wortes „Fotze“ benutzt. Tapper forderte umgehend eine Entschuldigung dafür bei allen Frauen von CNN.
Moment, wer kandidiert jetzt eigentlich im 25. Wahlbezirk Kaliforniens? Cenk Uygur oder dessen Neffe? Es ist erstaunlich, wie albern Hauptmedien agieren können, wenn sie sich bedroht fühlen. Und das tun sie zurecht, denn die Schmutzkampagne gegen den TYT-Gründer zog eine gewaltige Reaktion im US-amerikanischen Internet nach sich. Dort ist, durchaus ausgelöst durch den Siegeszug von The Young Turks, ein großes Spektrum progressiver Kanäle entstanden. Diese digitale Landschaft ist längst in der Lage, die alten Medien unter Druck zu setzen. Und im Fall der Kampagne gegen Uygur war die Solidarität überwältigend.
Im Zuge dessen versöhnte sich auch der Kabarettist Jimmy Dore, der die jungen Türken wegen ihrer Berichterstattung zu „Russia Gate“ kritisiert hatte, öffentlich mit Cenk Uygur, der dabei seine Position zu Russia Gate deutlich korrigierte. Nur Bernie Sanders zog seine Unterstützung für Uygurs Kandidatur feige zurück – ein schlechtes Zeichen, denn mit dieser Haltung, vor jedem inszenierten Shitstorm gegen politisch Verbündete zu kuschen, wird es schwierig werden, in der vergifteten politischen Atmosphäre der USA zu bestehen.
Was bei dem ganzen Empörungstsunami, der da gegen Uygur abgelassen wurde, übrigens völlig untergegangen ist, sind dessen politische Inhalte. Man erfuhr in den gesammelten Hetzartikelm nicht, dass Uygur für eine Gesundheitsversorgung für alle US-Bürger eintritt, für die Legalisierung von Marihuana, für eine Abschaffung der unfassbar hohen Studiengebühren, für ein Ende der ewigen Interventionskriege und für eine massive Besteuerung der Multimilliardäre und der Wall Street.
Dafür weiß man als Konsument von New York Times, Los Angeles Times, MSNBC oder CNN jetzt ganz genau Bescheid über die Jugendsünden des Cenk Uygur und über dessen Neffen. Na, da wird es besser sein, sich neue Informationsquellen zu suchen – und die gibt es ja zum Glück.
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildhinweis: Debby Wong / Shutterstock
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