Tagesdosis 18.8.2018 – Der Fall der türkischen Lira: Trumps Spiel mit dem Feuer

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Der Absturz der türkischen Lira und die Verschärfung der Krise durch US-Präsident Trumps Erhöhung der Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei haben in der vergangenen Woche weltweit für Aufsehen gesorgt. Während einige Beobachter bereits vor dem Zusammenbruch des globalen Finanzsystems warnten, spielten andere die Ereignisse herunter und sprachen von „hausgemachten“ Problemen der Türkei.

Was steckt hinter Trumps gezielter Provokation? Und vor allem: Welche Kräfte sind hier am Werk und welche Auswirkungen wird die Lira-Krise auf die Zukunft der Türkei und den Rest der Welt haben?

Zunächst einmal muss man feststellen: Der Wertverlust der türkischen Lira ist kein Einzelfall. Wir haben es zurzeit weltweit mit einem Verfall des Wechselkurses sehr vieler Währungen in Schwellenländern (u.a. Südafrika, Indonesien, Brasilien, Argentinien, Indien) zu tun. Die Ursache dafür liegt aber nicht in den Ländern selbst, sondern in den USA.

Die US-Zentralbank FED hat nach der Finanzkrise von 2008 zur Rettung des globalen Finanzsystems riesige Dollarmengen ins System gepumpt und die Zinsen immer weiter gesenkt. Dieser Kurs kann aber nicht unbegrenzt fortgesetzt werden, und zwar aus zwei Gründen: Er entwertet den Dollar und nimmt der FED im Fall einer neuen Krise ihre wichtigsten Waffen, die Geldschöpfung und die Zinssenkung. Um das zu verhindern und wieder handlungsfähig zu werden, hebt die FED die Zinsen seit Dezember 2015 in kleinen Schritten wieder an und reduziert seit Juni 2017 ihre Bilanz, vermindert also den Geldfluss.

Das aber hat für die Schwellenländer, in die wegen der Niedrigzinsen seit 2008 mehrere Billionen Dollar geflossen sind, schwerwiegende Folgen: Mit jeder Zinserhöhung werden im Ausland angelegte Dollars wieder in die USA zurückgelockt, was die Fremdwährungen schwächt und den selbstverstärkenden Effekt hat, dass noch mehr Investoren zurück in den Dollar wechseln. Zudem erschweren höhere Zinsen die Bedienung von Schulden. Da die Zahlungsausfälle von Schuldnern mit jeder Erhöhung zunehmen, halten sich Banken bei der Kreditvergabe immer stärker zurück – was vor allem mittelständische Betriebe hart trifft.

All diese Faktoren schwächen und untergraben nicht nur die Währungen, sondern auch die Wirtschaften der Schwellenländer. Dass US-Präsident Trump im Fall der Türkei nun auch noch aktiv dazu beigetragen hat, die Krise zu verschärfen, liegt offensichtlich daran, dass sie ihm als NATO-Mitglied zu viel Nähe zu Russland zeigt. Wie die kaum verhüllte US-Unterstützung des Coups gegen Erdogan im Juli 2016 gezeigt hat, wäre ein Regime-Change in der Türkei schon seit längerem ganz im Sinne der USA.

Es ist gut möglich, dass Trump die Daumenschrauben in den nächsten Wochen noch weiter anzieht und die Regierung Erdogan finanziell so weit in die Enge treibt, bis ihr nur noch ein Ausweg bleibt: Der Gang zum IWF. Der von den USA dominierte IWF würde der Türkei dann nur unter scharfen Austeritäts-Auflagen Kredite gewähren und dem US-Präsidenten auf diese Weise in die Karten spielen: Die Sparmaßnahmen würden nämlich vor allem die arbeitende Bevölkerung der Türkei treffen, einen Keil zwischen sie und ihre Regierung treiben und Erdogans Position nachhaltig schwächen.   

Doch auch ohne die Einschaltung des IWF ist die Strategie der Eskalation, die US-Präsident Trump derzeit verfolgt, riskant. Wie alle anderen Länder ist die Türkei keine Insel, sondern finanziell eng mit dem Rest der Welt verbunden. So haben spanische Banken Türkei-Kredite im Wert von 73 Mrd. Euro in ihren Büchern, gefolgt von französischen Banken mit 34 Mrd. Euro, italienischen mit 15 Mrd. Euro und deutschen Banken mit 12 Mrd. Euro.

Das ist aber noch längst nicht alles: Diese Kredite werden in der Regel über Derivate abgesichert, von denen ein Großteil nicht in den Büchern der Banken erscheint. Zudem können die brandgefährlichen Kreditausfallversicherungen, die das globale Finanzsystem bereits 1998 und 2008 ins Wanken gebracht haben, noch immer in unbegrenzter Zahl abgeschlossen werden. Daher kann niemand sagen, wie hoch das Risiko in diesem Bereich tatsächlich ist.

Das heißt: Sollte Donald Trump den Konflikt durch weitere Maßnahmen so sehr verschärfen, dass es im Bereich der Derivate zum gefürchteten Domino-Effekt kommt, dann bliebe den USA nur eine Option: Die FED müsste die Zinsen wieder senken, und zwar drastisch, also vermutlich bis in den negativen Bereich, und dazu erneut riesige Geldsummen ins System pumpen. Das aber wäre nichts anderes als der Offenbarungseid des gegenwärtigen Dollar-dominierten globalen Finanzsystems, denn mit dieser Entscheidung würden der Hyperinflation Tür und Tor geöffnet.

Es ist also eher damit zu rechnen, dass Trump in den kommenden Wochen darauf achten wird, die Auswirkungen der Krise auf die Türkei zu begrenzen. Der große Verlierer der Auseinandersetzung aber steht jetzt schon fest: Während Trump und Erdogan zusammen mit ihren Clans auch weiterhin im Reichtum schwelgen können, wird die arbeitende Bevölkerung der Türkei, deren Kaufkraft durch den Fall der Lira bereits gesenkt wurde, die Folgen der Lira-Krise weitgehend allein tragen müssen – und zwar durch Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen und Kürzungen im Sozialbereich.

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