Tagesdosis 2.1.2018 – Spalten und aufwiegeln

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Das Jahr 2018 hat begonnen. Man darf davon ausgehen, dass die ökonomischen Verhältnisse die Spaltung in arm und reich weiter vorantreiben. Politik und Medien signalisieren zum Jahresauftakt deutlich: Die Spaltung soll auch in den Köpfen weiter an Substanz gewinnen. Gebaut wird sie auf Angst vor wachsender Kriminalität – der logischen Begleiterscheinung sozialer Konflikte.

Die Gewalttat von Kandel soll aktuell den Hass Einheimischer auf Nichtdeutsche schüren. Dort hatte ein junger Afghane eine 15jährige erstochen – offenbar ein grausames Beziehungsverbrechen. Keine Frage: Die Gesellschaft gehört vor Mördern und anderen Gewalttätern geschützt. Über Gewalt an Frauen muss ebenso gesprochen werden. Auch darüber, welche Rolle dabei kulturelle und religiöse Erfahrungsmuster spielen. Doch wenn, dann darf man nicht verschweigen, welchen Anteil der westliche Imperialismus am Rückfall diverser Länder im mittleren Osten wie in Afrika ins buchstäbliche Mittelalter hat.

Eine solche Debatte steht nicht auf dem Programm der fortdauernden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD. Die CSU nutzt die brutale Tat von Kandel zur Eröffnung einer weiteren Hetzkampagne gegen alle Flüchtlinge. Und ihre ideologischen Väter aus CDU, AfD und FDP jaulen mit.

Die „Christsozialen“ wärmten heute zum einen die AfD-Forderung nach einem grundsätzlichen Alterstest durch eine zwangsweise durchgeführte Röntgenuntersuchung bei jungen Neuankömmlingen auf. Die Bundesärztekammer hält dagegen. Würde man diesen belastenden Eingriff bei jedem Flüchtling durchführen, wäre dies ein Eingriff in das Menschenwohl, erklärte deren Präsident Ulrich Montgomery.

Erst kürzlich hatten Politiker aus AfD, CDU und CSU gefordert, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in spezielle Lager nach Marokko abzuschieben, in Stacheldraht-Knäste in der Wüste sozusagen. FDP-Chef Christian Lindner stimmte heute in den Kanon ein. Um sich nicht als „schlechter Mensch“ zu outen, setzte er vorsichtshalber das Adjektiv „kriminell“ davor.

Und die CSU geht noch weiter: In ihrer anstehenden Klausur will sie eine „härtere Asylpolitik“ beschließen. Das würde weitere scharfe soziale Einschnitte für Flüchtlinge bedeuten. Statt in den ersten 15 Monaten sollen sie ganze drei Jahre nur den sogenannten Grundbedarf erhalten.

Was das heißt, steht im Paragraf 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes: Die Betroffenen bekommen keinen Cent »Taschengeld« mehr. Dieses beträgt, je nach Alter, 79 bis 122 Euro pro Monat. Stattdessen werden sie mit Sachleistungen in Form von Gutscheinen, Kleiderkammern oder Suppenküchen abgespeist. Der Wert für diese ist nach Alter gestaffelt. Für Alleinstehende beträgt er 216 Euro, für Kleinkinder noch 133 Euro. Schüler erhalten Sachleistungen im Wert von 157 Euro. Ein »Luxusleben« in Deutschland sähe anders aus.

Ohnehin müssen viele Asylsuchende mit weniger als dem für Hartz IV und Sozialhilfe errechneten Existenzminimum auskommen, solange sie sich im Aufnahmeverfahren befinden. Schon alleine das verstößt maßgeblich gegen ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2012. Das besagt: Das Minimum dürfe nicht anhand ethnischer oder sozialer Kriterien unterschiedlich bemessen werden.

Mal abgesehen davon, gilt es ernsthaft darüber nachzudenken, wer tatsächlich die Kriminalität schürt. Menschen, die stets ausgegrenzt werden, ziehen sich entweder zurück oder rächen sich. Von derart Ausgegrenzten, von denen kaum jemand in Kriegs- oder Elendsgebieten sowie auf der Flucht nicht traumatisiert worden sein dürfte, Integration zu erwarten, ist nicht nur dumm. Es ist gefährlich.

Augenscheinlich zeigt sich eins: Die politisch Verantwortlichen wollen in der Bevölkerung eine entsolidarisierende Panik schüren. Sie wollen die Menschen vergessen lassen, mit wem sie tatsächlich das Interesse an sozialer Sicherheit teilen. Eine Spaltung nach rassistischen oder religiösen Kriterien funktioniert schon seit langem, um den Blick von der realen Gewahr ständig verschärfter Unterdrückung und Ausbeutung abzulenken. Wenn sich die Menschen unten bekämpfen, muss „Oben“ keinen Aufstand fürchten.

Das Ansinnen offenbart sich auch in der Gewichtung von Kriminaldelikten. 2016 suchten in Deutschland rund 70.000 Frauen Hilfe wegen häuslicher Gewalt durch ihre Partner. Knapp 12.000 von ihnen wurden gefährlich verletzt. In 357 Fällen ging es um Mord. 149 Frauen überlebten den Tötungsversuch nicht. Doch in Medien und Polizeimeldungen gewinnt ein Fall offensichtlich erst dann Bedeutung, wenn ein Ausländer beteiligt war, auch wenn das keineswegs die Regel ist. Bemerkenswert: Bei den Polizeimeldungen, die mich in großer Zahl erreichen, ist gewöhnlich immer nur dann die Herkunft des Täters erwähnt, wenn es sich nicht um einen gebürtigen Deutschen handelt. So können interessierte Kreise wieder einmal mehr spekulieren.

Die Hauptursache aller Kriminalität am unteren Rand der Gesellschaft bleibt indes bestehen: Die soziale Ungleichheit und die fehlenden Perspektiven für immer mehr Menschen. Zu den Verlierern zählen Deutsche und Migranten. So gerät die tagein, tagaus oben praktizierte Kriminalität wunderbar aus dem Fokus. Die abscheulichsten Verbrechen produziert noch immer die imperiale Politik.

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