Ein Kommentar von Mathias Bröckers.
Weil aktuelle Umfrageergebnisse stets mit Vorsicht zu genießen sind, nehmen wir zuerst eines aus der Vergangenheit (1). 2015 sagten 58 Prozent im Lande, dass Deutschland im Falle eines “ernsthaften militärischen Konflikts” zwischen Russland und einem benachbarten Nato-Land dem Verbündeten nicht militärisch zur Hilfe kommen sollte. Auch in anderen Ländern war die Bereitschaft der in Artikel 5 des Nato-Vertrags festgelegten Beistandsverpflichtung nachzukommen nicht sehr hoch, nirgends jedoch war die Skepsis gegenüber der Nato stärker als in Deutschland.
Dieser Vertrauensverlust hat gute Gründe und die sind weniger in der Seele des deutschen Michels zu suchen, als in der Wandlung der Nato von einem Verteidigungsbündnis im Kalten Krieg zu einer internationalen Eingreiftruppe. Der völkerrechtswidrige Angriff auf Jugoslawien 1999, dem die rot-grüne Bundesregierung mit der Beschwörung des Hitler-Gespensts Legitimiät verschaffen wollte (2), muss als Beginn dieses Wandels festgehalten werden. Und wer das Ergebnis dieser “Befreiung des Kosovo” heute besichtigt – und kaum mehr als einen gigantischen US-Militärstützpunkt und einen Mafiastaat mit Drogenhandel vorfindet – muss sich eigentlich nicht wundern, dass es mit dem Ansehen der Nato nicht mehr so weit her ist. Es geht in diesem Verein nicht um Demokratie/Freiheit/Menschenrechte, sondern um Macht,- und Geschäftsinteressen – was die Vereinigten Staaten nach dem Jugoslawienkrieg auch freimütig bekundeten: es sei darum gegangen, das strategische Versäumnis Eisenhowers am Ende des 2. Weltkriegs zu korrigieren einen US-Stützpunkt zur Kontrolle Osteuropas einzurichten (3). Diese “Korrektur” wurde seitdem mit der Nato-Expansion in viele weitere osteuropäische Länder fortgesetzt und ist in der Ukraine noch in Arbeit.
Dass die Deutschen 2015 mehrheitlich nicht mehr bereit waren, diesem aggressiven “Verteidigungsbündnis” Beistand zu leisten, hat deshalb auch weniger mit einem Mangel an Hilfsbereitschaft oder einem Übermaß an Feigheit zu tun, als mit einer realistischen Einschätzung der Lage. Eine Erhebung zu der Frage, ob man die Nato nicht auflösen und in ein Militärbündnis unter Einbeziehung Russlands und Chinas verwandeln sollte, wäre vermutlich absolut mehrheitsfähig. Zumal die Sympathiewerte für das Nordatlantische Vertrauensbündnis seitdem weiter gesunken sind – zwar sind immer noch zwei Drittel der Deutschen dafür, in der Nato zu verbleiben, in Frankreich, England und allen anderen EU-Staaten ist die Zustimmung hingegen deutlich zurückgegangen (4). Und sie wird auch nicht steigen, wenn die Nato sich jetzt am größten US-Manöver in Europa seit 25 Jahren beteiligt, bei dem unter dem Namen „US Defender Europe 2020“ im Baltikum, in Polen und in Georgien geübt werden soll, wie man möglichst schnell Truppen und schweres Gerät über den Atlantik und durch Europa an die russische Grenze verlegt. Mit der Übung, so bekundete die Bundeswehr, „geben die USA ein deutliches Bekenntnis zur Sicherheit Europas“.
Dass diese Sicherheit aus dem Osten, aus Russland bedroht würde, ist das zentrale Feindbild und Narrativ, mit dem die Nato ihre Existenz und ihr ständig wachsendes Budget rechtfertigt, das mittlerweile 1000 Milliarden, 1 Billion, Euro per anno beträgt. Dass der französische Präsident Macron diesen Moloch unlängst als „hirntot“ bezeichnet hat, kam bei einigen Nato-Mitgliedern zwar nicht gut an, trifft aber auf das im Kalten Krieg gegründete Bündnis sehr wohl zu: der Feind im Osten, ein „aggressives Russland“, ist in die DNA der Nato einprogrammiert, ohne ihn bricht ihr Geschäftsmodell sofort zusammen. Weshalb der Feind permanent beschworen und halluziniert werden muss, auch wenn er gar nicht vorhanden ist oder gar Abrüstungs-und Friedensverhandlungen anbietet. Die sind ein rotes Tuch für den Moloch, da sie Umsatzeinbußen bedeuten – „Sicherheit“ und „Frieden“ sind für ihn nur mit immer mehr Waffen zu erreichen.
Vor 59 Jahren, im Januar 1961, sprach der US-Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede von diesem Moloch, den er den „militärisch industriellen Komplex nannte:
”In der Regierung müssen wir uns in unserem Denken vor dem Eindringen von unberechtigten Einflüssen des militärisch industriellen Komplexes hüten, seien sie gewollt oder auch nicht. Die Gefahr eines unheilvollen Anwachsens unbefugter Macht existiert und wird fortdauern. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Gewicht dieser Kombination unsere Freiheiten und demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als gesichert ansehen. Nur eine wachsame und kenntnisreiche Bürgerschaft kann eine ausgeglichene Verbindung der gewaltigen industriellen und militärischen Maschinerie der Verteidigung mit unseren friedlichen Methoden und Zielen gewährleisten, so dass Sicherheit und Freiheit gemeinsam gedeihen können“
Eisenhower war ein Militär durch und durch und alles andere als ein Peacenik. Wie real der Moloch war, vor dem er warnte, sehen wir mehr als ein halbes Jahrhundert später – 900 Milliarden $ allein in Amerika müssen ihm pro Jahr zum Opfer gebracht werden, 50 Milliarden in Deutschland. Und er verlangt mehr und mehr. Und weil er immer mehr Geld und immer mehr Macht bekam, hat der Moloch des militärisch-industriellen Komplexes auch Politik und Medien unterwandert. Was eine wirklich „kenntnisreiche“ Bürgerschaft erfolgreich verhindert, weil ihr die Vietcong/Taliban/ Saddam/Putin – Schurken permanent als Megabedrohung vorgeführt werden. Nur dieser permanente Alarmismus hält den Moloch am Leben. Wer wirklich Sicherheit und Freiheit – Frieden! – will, statt immer gigantischerer Opfergaben an ein hirntotes Monster – darf sich davon keine Angst mehr machen lassen.
Quellen:
- https://www.spiegel.de/politik/ausland/nato-mehrheit-der-deutschen-wuerde-partner-nicht-verteidigen-a-1038017.html
- https://www.nachdenkseiten.de/?p=26380
- http://www.medienanalyse-international.de/wimmer.html
- https://www.faz.net/aktuell/politik/umfrage-nato-verliert-in-buendnisstaaten-an-rueckhalt-16124173.html
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Mathias Bröckers veröffentlichte zuletzt „Don’t Kill The Messenger – Freiheit für Julian Assange“ im Westendverlag. Er bloggt auf broeckers.com
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildhinweis: M-SUR / Shutterstock
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