Ein Kommentar von Gunther Sosna.
Der Kapitalismus, und da hilft nicht einmal mehr die wohlwollenste Betrachtung, zerstört die Welt. Er verdaut sie in seinem Magen-Darm-Trakt aus entarteter Profitgier und Wachstumswahn.
Die Übelkeit verursachenden Ausscheidungen bestehen aus sozialer Spaltung, Massenarbeitslosigkeit, explodierender Armut, Fremdenfeindlichkeit, Umweltzerstörung und dem Elend zahlloser Kriege, deren gegenwärtige Höhepunkte auf den Killing Fields im Nahen Osten zu finden sind. Jeder, egal in welchem Winkel der Welt, hat den Gestank der Verwesung bereits in der Nase.
Auf welche Seite der Barrikade gehört der aufgeklärte Mensch? Auf die Seite der Vernunft sollte man annehmen. Doch dem ist nicht so. Die Anpassung, die Verbeugung vor der Funktionalität in einer immer weniger funktionierenden Gesellschaft treibt große Teile der ökonomisch abgehängten Schichten in die Gleichgültigkeit.
Die Kleinbürger, die sich als Mittelstand verstehen und sich an der Bio-Fleischtheke der Discounter innerlich wegen ihrer Fortschrittlichkeit abfeiern, schmiegen sich durch Jubelgeschrei oder durch Tuschelei hinter vorgehaltener Hand an die Zerstörer der Erde an, statt ihnen in den Arm zu fallen.
Die Hand der Kriegstreiber zu beißen, sie auszugrenzen und ihnen die Rote Karte ins Gesicht zu halten, ist zugegeben schwerer, als Nein zu sagen. Nein! Nein! Nein! Der angepasste Charakter sagt … Nichts sagt er. Der Verantwortung ist spätestens Genüge getan mit der Versendung elektronischer Bittbriefe an seine Herren.
Jenen Funktionsträgern des Kapitalismus, die Heimatministerien eröffnen, ihre feuchten Tagträume von geschlossenen Grenzen in einer globalisierten Welt verbalisieren und schmutziges Kriegshandwerk als brauchbares Lösungsmittel für die Beilegung von Konflikten ansehen.
Lächelnd fast, den Tod für andere Menschen zu fordern, aber selbst zu feige, in die Schützengräben zu steigen, wohl dennoch innerlich fähig, in die Rolle des von Schuld befreiten Schlächters zu schlüpfen, der einen Knüppel in die Hand nimmt, um einem Kind in Afghanistan, einer Schwangeren im Jemen oder einem Greis in Syrien persönlich den Schädel einzuschlagen.
„Je primitiver das menschliche Wesen ist, desto mehr glaubt es an sich selbst“, soll Erich Maria Remarque geschrieben haben. Das Wort irrt nicht. Diese feine Riege ist der moralische Bodensatz einer sich in Auflösung befindlichen Gesellschaft, die keine Werte mehr kennt und jede Haltung aufgegeben hat, die nur im Ansatz mit Verantwortungsbewusstsein in Einklang zu bringen wäre.
Ein politischer Gegenpol ist in den Parlamenten nicht auszumachen. Seit dem Siegeszug der Unaussprechlichen, durch die die braune Ursuppe wieder offen aus der Terrine der Herrenmenschenideologie gelöffelt werden darf, ist jeder Sozialspalter, jeder Scharfmacher, jeder gekaufte Lobbyist, jeder Waffenhändler und jeder Kriegshetzer ein lupenreiner Demokrat.
Ihre Frontvermischung, heiliggesprochen in den Medienkritiken der Schönfedern des Feuilleton, findet regelmäßig in einer der vielen belanglosen Polit-Talks-Shows statt, wo Vertreter angeblich klar abgrenzbarer politischer Positionen ihre Standardsätze aufsagen, die sozial Schwächsten nach politischer Wetterlage ver- und standrechtlich aburteilen, um sich nach getaner Arbeit zum Erinnerungsfoto selbst mit den Feinden der freien Gesellschaft verschrauben zu lassen.
Man kennt sich eben, ist links wie rechts unter „Kollegen“ und da fällt jede Art der Berührung leicht, selbst die der Unberührbaren. Das ist die echte Querfront; geschlossen in einer Sache: Hurra, wir haben den Souverän verarscht.
Die substanzielle Auseinandersetzung, die der Souverän bei sich selbst und im Kopf der anderen suchen kann, lautet: Erhalt oder Abschaffung des Kapitalismus und seiner Mordinstrumente. Diese Entscheidung steht an, obgleich die Antwort aus rein existenziellen Gründen feststehen sollte.
Es gilt für den Souverän, den Weg zur Macht zu finden, um den Wahnsinn zu beenden, bevor dieser alles beendet. Dies kann nur eine Massenbewegung bewerkstelligen, die sich emanzipiert von Parteien, Verbänden, Organisationen und Ideologien – und die vor allem dem Gestank der Verwesung entschlossen und konsequent mit einem neuen sozialen, humanitären und friedlichen Gesellschaftsmodell begegnet.
+++
Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++
KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.
+++
Alle weiteren Beiträge aus der Rubrik „Tagesdosis“ findest Du auf unserer Homepage: hier und auf unserer KenFM App.
+++
Dir gefällt unser Programm? Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten hier: https://kenfm.de/support/kenfm-unterstuetzen/
Kommentare (0)