Ein Kommentar von Susan Bonath.
Vergangene Woche geriet ein Fall mal wieder in die Schlagzeilen, der mich seit 2011 beschäftigt: Der Feuertod von Oury Jalloh im Polizeirevier Dessau. Der an Händen und Füßen gefesselte Asylbewerber verbrannte im Januar 2005 in einer gefliesten Schlichtzelle binnen 20 Minuten bis zur Unkenntlichkeit. Von der feuerfest umhüllten Matratze blieb nur Schutt übrig.
Selbstmord, meint die Staatsanwaltschaft Dessau. Unmöglich, sagen Anwälte und Unterstützer der Familie. Nun rückte die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt mit der Sprache heraus: Bereits im Juni habe sie den Fall aus Dessau abgezogen und den Staatsanwälten im 50 Kilometer entfernten Halle übertragen. Nach zwölfeinhalb Jahren Ermittlungen ins Leere. Der Grund: Gutachter zweifeln daran, dass der 36jährige beim Brandausbruch noch gelebt hat.
»Lasst den Fall doch endlich ruhen«, wettern Kommentatoren zur aktuellen Berichterstattung. Die Spekulationen kosteten nur immer mehr Geld. Behauptet wird: Die Polizei bringe keine hilflosen Personen so einfach um. Schließlich habe der Mann aus Sierra Leone zuvor betrunken Frauen angequatscht, weil er mit ihrem Handy telefonieren wollte. Da sei er halt selbst Schuld. Wie bitte? In was für einer Gesellschaft lebe ich? Was sind das für Menschen, die Polizisten einen Freifahrtschein zum Morden ausstellen wollen?
Das erschreckt mich. Zumal es keine Spekulationen sind. Ich bin seit sechs Jahren an dem Fall dran. Ich habe mit Sachverständigen, Feuerwehrleuten und externen Brandermittlern gesprochen. Ich habe alle Gutachten studiert und Tausende Seiten Ermittlungsakten gelesen.
Schwarz auf weiß ist in den Akten belegt, wie Polizisten Beweismittel wie am Fließband verschwinden ließen: Polizeijournale, Dienstpläne, Kaufbelege für Matratzen, Brandschutt, eine Handfessel, ein Fahrtenbuch, Videoaufzeichnungen vom Tatort. Mediziner erklären die offizielle Todesversion für unhaltbar. Es steht geschrieben, dass das angebliche Selbstmordfeuerzeug mangels Spuren nie in der Zelle gewesen, geschweige denn, dort verbrannt sein kann. Auch die Tatortgruppe hatte es nicht im Brandschutt gefunden. Drei Tage später sei das Utensil plötzlich aus einer Asservatentüte gepurzelt, behauptet die Polizei. Spuren, wie Textilfasern von der Matratze oder DNA vom Opfer hat es, mysteriöser Weise, nicht abbekommen.
Ich habe erlebt, wie Spuren verwischt wurden: Eine Flüssigkeitslache in der Zelle und Blutspuren im Arztraum. Strafanzeigen gegen bestimmte Polizisten, denen die Staatsanwälte nie nachgegangen sind. Statt dessen haben sie die Hinweisgeber verfolgt. Ich habe erlebt, wie man als Journalist bei allen Behörden bis in die höchste Bundesebene auf Granit beißt. Trotz aller Belege. Die Bundesanwaltschaft, SPD-Justizminister Heiko Maas und sämtliche Landesbehörden in Sachsen-Anhalt fühlen sich nicht zuständig.
Ich habe zwei Gerichtsprozesse in Dessau und Magdeburg verfolgt, in denen gelogen wurde, dass sich die Balken biegen. Niemals ging es um die Frage, wer das Feuer gelegt hat, sondern darum, zu ermitteln, ob die angeklagten Polizisten dem Opfer hätten rechtzeitig helfen können. Am Ende erhielt der Dienstgruppenleiter des Reviers, Andreas S., eine Geldstrafe. 10.800 Euro sollte er abdrücken wegen fahrlässiger Tötung. Die Gewerkschaft der Polizei griff für ihn ins Portemonnaie.
Jahrelang haben mich die Behörden hingehalten: Wir sind nicht zuständig. Wir geben keine Auskunft. Wir vertrauen den Ermittlern in Dessau. Dessau? Dort, wo vor Oury Jalloh schon zwei weitere ungeklärte Todesfälle im Revier in der Schublade verschwanden? Im Oktober 2002 starb in derselben Zelle unter demselben Dienstgruppenleiter und demselben Revierarzt der 36jährige Mario Bichtemann an einem Schädelbruch. 1997 verließ Hans-Jürgen Rose zwar noch lebend den Gewahrsam, brach aber wenige Meter weiter zusammen. Schwere innere Verletzungen, lautete die Diagnose. Auch bei Oury Jalloh stellten Rechtsmediziner in Frankfurt am Main massive Schädelverletzungen fest.
Sechs Jahre Recherche haben aus mir einen halben Rechtswissenschaftler und einen ganzen Ermittler gemacht. Wenn ich eins für sicher halte: Polizisten haben den Mann misshandelt und angezündet. Der Kreis infrage kommender Täter ist überschaubar. Doch der Staatsapparat beschmutzt nun mal sein eigenes Nest nicht. Auch die Staatsanwaltschaft Halle wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht herausfinden, was man schon seit Jahren wissen kann. Der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft brachte es mir gegenüber auf den Punkt: „Wie wollen Sie nach so langer Zeit noch einen Täter finden?“
Das alles erinnert an den NSU. Die Sachsen-Anhalter, denen es nicht egal ist, werden damit leben müssen, dass es Mörder oder deren Beschützer in Uniform sein könnten, die sie demnächst kontrollieren. Wer will mit dieser Gewissheit noch Polizei und Justiz um Hilfe bitten?
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