Tagesdosis 22.11.2017 – Rebellion gegen Schulz

SPD-Abgeordnete grummeln gegen hartes Nein zur GroKo 

Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.

Da schien alles so einfach zu sein, ja auch so einfach zu gelingen. Die SPD hatte nach der Bundestagswahl verkündet: Wir wollen nicht mit Merkel mitregieren, basta!

Und jetzt? Jetzt ruft der SPD-Politiker Johannes Kahrs seine Partei zur Gesprächsbereitschaft mit dem Bundespräsidenten auf. Man müsse mit dem Bundespräsidenten Steinmeier reden, ohne gleich auf einem eigenen Standpunkt zu verharren, sagte Kahrs an seine Partei gerichtet. Die Spitzen der Partei und der Fraktion, zahlreiche Abgeordnete der SPD sehen das auch so. Es rumort in der SPD.

Nun, Steinmeier und Schulz treffen sich am Donnerstag. In der SPD mehren sich die Stimmen, die gegen Neuwahlen sind. Und viele fragen sich und fragten sich von Anfang an, wieso denn die SPD nicht mitregieren solle. Schließlich sind sie ja seit vier Jahren in der Regierung. Wo kommt dieses Nein zum Regieren eigentlich her?

Erinnern wir uns: Martin Schulz, zugegeben, ein ziemlich langweiliger Kanzlerkandidat, kämpfte in einem höchst unspektakulären Wahlkampf gegen die Kanzlerin Merkel – und am Ende waren sie sich in fast allem einig. Man darf wohl annehmen, dass jemand, der im Wahlkampf ist, das ein so jemand auch gewinnen und regieren will. Wie anders aber dieser Martin Schulz. Er will nicht mitregieren und die Partei hatte beschlossen, mit Merkel wollen wir nicht im selben Boot sitzen, sprich mitregieren.

Wunderte das damals niemand? Sofort im Gespräch waren die FDP und die Grünen. Jamaika sollte es werden. Sie wollten und am Ende konnte die FDP nicht. FDP-Chef Lindner sorgte für einen politischen Urknall in den Sondierungsgesprächen und jetzt? Jetzt geht die Gerüchteküche so richtig los und sie nützt wem? Richtig, der Kanzlerin.

Der Focus schreibt, Zitat Anfang: „Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine Regierungsbildung in Koalitionssondierungen gescheitert. Wir erleben also gerade einen politischen Urknall. Doch trotz all der Schwierigkeiten: Das ist gut so! Neuwahlen bieten mehr Chancen als Risiken. Und jeder Bürger, der sie aus Bequemlichkeit („Ich will nicht schon wieder wählen”) oder aus Prinzip („Ich habe gewählt und jetzt müssen die das hinkriegen!“) ablehnt, sollte noch einmal nachdenken. Denn die vergangenen Monate waren aufschlussreich. Im Vergleich zum vergangenen Bundestagswahlkampf hat sich vieles zum Positiven geändert.“ Zitat Ende.

Lassen wir uns das einmal auf der Zunge zergehen: Das, was da geschehen ist, soll gut gewesen sein? Neuwahlen bieten mehr Chancen? Jeder Bürger soll nicht zu bequem sein und jetzt Neuwahlen umjubeln? Die vergangenen Monate waren aufschlussreich? Vieles soll sich zum Positiven geändert haben?

Stellen Sie sich, liebe Leserin und lieber Leser einmal vor, sie arbeiten als Chefingenieur bei einem Automobilhersteller und kreieren seit gut einem Jahr das neue Auto. Ein Renner soll es werden. Alles fokussiert sich auf dieses Auto, das ganze Unternehmen. Alle geben sich Mühe doch dann der Donnerschlag vom Chefingenieur: „Das Auto muss neu überdacht werden. Wir müssen es ganz anders bauen.“ Den Rest dieses Beispiels mag jetzt jeder selbst zu Ende denken.

Das passiert gerade flächendeckend mit dem Wahlvolk. Es wird für die Karrierewünsche einer politischen Elite benutzt. Die politische Elite will sich nicht durchringen, um zusammen zu regieren. Das also ist bei all der Bundestagswahl, die viele gefangen nahm, herumgekommen. Das wars. Aus und vorbei!

Wir dürfen uns jetzt darauf freuen, dass wir diese Pappenheimer, also die letzt mögliche Alternative für die große Mehrheit der Wähler, noch einmal durchdenken sollen und uns darüber Gedanken machen sollen, ob wir lieber Kinderlähmung oder Pocken oder Lepra bekommen wollen. Nicht die, sondern wir, das Wahlvieh ist schuld. Erinnert das nicht auch ein wenig an Irland und sein Beitrittsversuch zur EU. Da wurde so lange gewählt, bis es passte. Hauptsache „rinn in ne EU“.

Intern geht es in der SPD gerade so richtig rund. Die Speichellecker der zweiten Reihe wollen den Durchbruch in die erste Liga wagen. Ob Martin Schulz das überlebt, als Parteivorsitzender ist fraglich. Er wird sich durchringen, sich quälen und peitschen lassen. Und dann, wie ein Wunder, doch mitregieren und verantwortungsvoll in die Kamera lächeln, sich etwas winden und sagen, dass es am Ende doch einen annehmbaren Kompromiss gab.

Doch überlegen wir einmal welch ein Depp er wahrlich ist. Ich meine, Martin Schulz ist doch angetreten, eine Wende in der Politik hinzubekommen. Er wollte an die Spitze der deutschen Politik gelangen. Er wollte Kanzler werden. Und als er verlor, gab es aber noch eine Chance. Er hätte, ohne zu zögern, Vizekanzler werden können. Was für eine zusätzliche Absicherung für Martin Schulz. Aber dieser lehnte kategorisch ab. Ja die Partei lehnte es ab, mit Merkel noch weiter zu koalieren und zu regieren. Bisher hatte jede Partei mit aller Macht versucht, an die Regierung zu kommen. Mitregieren ist besser als oppunieren zu müssen, war der interne Wahlspruch jeder Fraktion – bis Martin Schulz kam. Was für ein Karrierepotenzial für tausende von SPD-Kandidaten da verspielt wurde, ist mir, ehrlich gesagt, bis heute ein echtes Rätsel. Man überließ das Feld den Kümmernissen eines Smartboys in schwarz/weiß, der am Liebsten schon in den Kindergärten für Internet und Smartphone warb und einer olivgrün vermoderten Partei, die zu allem und jedem etwas zu mäkeln hat, aber am Ende doch alles mit sich machen lässt, nur um am Glimmstängel von Heckler und Koch saugen zu dürfen.

Was das Wahlvolk denkt, ist ja, wir wissen es aus der Erfahrung, unerheblich. Am Ende sagen die seltsamsten Konstruktionen der Regierungen selbstredend und mit freundlicher Mine immer: „Hier stehen wir und sind nun der Wählerauftrag selbst! Da haste jetzt den Schlamassel selbst angerichtet. Beschwer dich am Ende bloß nicht!“

Wie lächerlich das alles in diesem Wahlkampf und danach so offensichtlich zur Schau getragen wurde und wohl noch wird! Mich wundert dennoch mehr, wie sich die Leute in diesem Land jahrein jahraus von solchen Selbstdarstellern am Nasenring der eigenen Verblendung herum führen lassen. Das ist das Erstaunliche daran.

„Ich habe gelitten wie eine Hündin über die Jamaika-Verhandlungen, soll die Grünen-Abgeordnete Katrin Göring-Eckardt gesagt haben und weiter: „Da wo es wehtut, da fängt Jamaika an.“ Frau Göring-Eckardt, das klingt aber nicht bunt! Frauenschwarm Lindner, FDP, soll gemurrt haben: „In der FDP habe es die Wahrnehmung gegeben, dass wir die Mehrheitsbeschaffer für ein im Kern schwarz-grünes Bündnis hätten werden sollen. Daher ist es besser, erst gar nicht zu regieren als falsch zu regieren.“ Bitte was? Falsch regieren? Tun die das nicht immer, frage ich mich am frühen Morgen? Christian, wie wär‘s denn mal mit „Fisherman’s Friend: „Sind sie zu wow bist Du zu lau.“

Ich stelle fest: Alle befinden sich in einem Kindergarten. Und mir wird etwas unwohl dabei, Kinder mit solch großen Schusseln wie die Jamaika-Politikdarsteller es offensichtlich sind, gleichzustellen.

Doch was ich am Meisten fürchte, das ist, dass der Wähler diese Schmach nicht durchschaut und sich wieder vorführen lässt. Wahlstimmen sind die Legitimitationsatrategie der Politikdarsteller. Mehr sind Wähler nicht. Denn nie wird nach ihnen Politik betrieben. Sie haben zu kuschen, nach der Wahl bis zur nächsten Wahl. Da wird ihnen wieder zugestanden, dass sie zu bestimmen hätten, in einer Demokratie. Ein Wahlvolk für Leute und Parteien, die sowas von überflüssig sind, dass einem die Worte dafür fehlen, dass es trotz allem wieder bereit sein wird, zu legitimieren, was sie fast alle zutiefst ablehnen.

Gehorsam und sich führen lassen zu wollen sind die beiden politischen Todsünden. An einer Illusion festzuhalten, in dessen Verderben sie uns alle führt, das ist das Ergebnis dieser vehement von den Wählern nicht in Betracht gezogenen Konsequenz dieser beiden politischen Todsünden. Und am Ende steht am Grabstein des Homo sapiens sapiens: „Wir waren frohen Mutes, doch hat nicht sein sollen, für was wir zu blöde waren. Der Selbstführung. Dies als Mahnung allen Affenartigen, die uns nachfolgen und es besser machen müssen, als es uns geschehen. Wir wurden Opfer unserer Taten. Was für ein großer Jammer.“

Wir sind das Zwischenglied zwischen dem Affen und dem Menschen, sagte der Nobelpreisträger Konrad Lorenz. Tja, wer schon mal einen Immanuel Kant in seiner Grundtheorie widerlegt, den kann das Zwischenglied nicht erfassen. Und nun, hurtig, schnell schnell, ab zur Urne und Zettelchen reinwerfen. Braver Mensch, brav, ganz brav. Such, such deinen Verstand, such!

Quellen

http://www.focus.de/politik/deutschland/jamaika-chaos-wir-erleben-gerade-einen-politischen-urknall-und-das-ist-gut-so_id_7878561.html

http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-jamaika-aus-widerstand-gegen-schulz-spd-abgeordnete-bringen-hartes-nein-zur-groko-ins-wanken_id_7879016.html

http://www.focus.de/politik/deutschland/jamaika-aus-im-news-ticker-doch-eine-groko-union-verstaerkt-druck-auf-spd_id_7873533.html

https://www.youtube.com/watch?v=UweQEoBQHHc

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