Tagesdosis 22.7.2019 – Der Stauffenberg-Kult: Was steckt dahinter?

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Am 20. Juli 1944 entging Adolf Hitler nur knapp einem Attentat. Eine in das Führerhauptquartier Wolfsschanze geschmuggelte Bombe explodierte zwar, verletzte ihn aber nur leicht. Der Attentäter, Oberstleutnant Claus Schenk Graf von Stauffenberg, wurde zusammen mit einigen Helfern noch in der gleichen Nacht hingerichtet. 

Aus Anlass des 75. Jahrestages des Ereignisses wurde Stauffenberg von Bundeskanzlerin Merkel vergangene Woche als Widerstandskämpfer gewürdigt. Bundespräsident Steinmeier lobte ihn als einen der „Mutigen, die nicht weggeschaut haben“ und AFD-Chef Gauland nannte Stauffenberg einen „Helden deutscher Geschichte“.

Bei so viel parteiübergreifender Einigkeit fragt man sich, wer genau dieser Mann war und vor allem, welche Eigenschaften ein Mensch besitzen muss, um im heutigen Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg zum allgemein akzeptierten Vorbild zu werden. 

Beginnen wir mit einem Blick auf seinen Werdegang:

Stauffenberg wurde 1907 in eine bayrische Adelsfamilie geboren und trat 1926 nach bestandenem Abitur in die Reichswehr ein, in der er 1930 zum Leutnant befördert wurde. Seine politische Gesinnung beschrieb er damals mit den Worten: „Der Gedanke des Führertums… (und) der Rassengedanke… erscheinen uns gesund und zukunftsträchtig.“

1933 sprach Stauffenberg sich für Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler aus und beteiligte sich an der militärischen Ausbildung von SA-Mitgliedern, wofür er noch im selben Jahr zum Oberleutnant befördert wurde. 

In den folgenden Jahren äußerte er weder an den Nürnberger Rassegesetzen noch an den Pogromen gegen die Juden Kritik. Als im August 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, nannte er ihn „eine Erlösung“, weil Kriege für seine Familie das „Handwerk von Jahrhunderten her“ waren. 

Nach dem deutschen Einmarsch in Polen schrieb Stauffenberg in einem Brief an seine Frau: „Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht guttun.”

Auch die 1941 herausgegebene Parole von der „Endlösung der Judenfrage“ – der systematischen Ermordung aller als Juden definierten Personen in Europa – nahm Stauffenberg widerspruchslos hin. Bis 1942 unterstützte er, inzwischen zum Oberstleutnant befördert, Adolf Hitler und auch danach kritisierte er ihn nicht etwa wegen seiner Ideologie, sondern, weil er annahm, dass die Kriegsziele auf Grund von Hitlers militärischem Dilettantismus nicht erreicht werden würden. 

Da jede Kritik am Diktator zwecklos war, tat Stauffenberg sich daraufhin mit einigen Gleichgesinnten zusammen und plante das Attentat – nicht mit dem Ziel, das Deutsche Reich von der faschistischen Diktatur zu befreien, sondern, um Hitlers Alleinanspruch auf die Macht zu brechen.

Dass Stauffenberg das Attentat mit seinem Leben bezahlte, ist tragisch, ändert aber nichts daran, dass seine Gesinnung zu Lebzeiten ganz offensichtlich von rassistischem, militaristischem und anti-demokratischem Gedankengut geprägt war. 

Warum also wird er heute von der offiziellen Politik derart gefeiert?

Ein Grund dürfte sein, dass diejenigen, die sich in unseren Tagen der Finanzindustrie unterordnen, es bitter nötig haben, sich den Anstrich „kämpferischer Demokraten“ zu geben und deshalb gern vermeintlich heroischen Leitbildern folgen. 

Ein zweiter dürfte sein, dass viele Politiker Menschen lieben, die ihren Lebenssinn in kritikloser Pflichterfüllung sehen und denen das Schicksal der Schwächeren und Ausgegrenzten gleichgültig ist. Wie sonst ist es zu erklären, dass ausgerechnet Stauffenberg und nicht die vielen tausend Widerstandkämpfer gefeiert werden, die sich selbstlos gegen den Faschismus, die Judenverfolgung und den Krieg erhoben und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben?

Ein weiterer Grund dürfte angesichts der gegenwärtigen Aufrüstung der Bundeswehr und der Planung einer europäischen Armee die Verharmlosung der mörderischen Rolle sein, die die deutsche Wehrmacht zu Stauffenbergs Zeiten gespielt hat. 

Auch die Unterwürfigkeit der offiziellen Politik gegenüber Stauffenbergs Nachfahren dürfte von Bedeutung sein, denn der Adel, dem er entstammte, verfügt auch heute noch über viel Geld und Besitz und ist für Politiker wegen seines nach wie vor großen Einflusses von erheblicher Bedeutung. 

Möglicherweise entscheidend könnte auch Stauffenbergs glühender Patriotismus sein, der ihn staatliches Unrecht widerspruchslos akzeptieren und Eroberungskriege sowie die Versklavung anderer Völker gutheißen ließ. Ein solch blinder Hurra-Patriotismus dient Politikern aller Schattierung vor allem in schwierigen Zeiten dazu, von sich selbst abzulenken und das vermeintlich hohe Gut der „Liebe zum Vaterland“ zu nutzen, um so ungestört die Interessen derer durchzusetzen, die im Hintergrund die Fäden ziehen. 

Es gibt sicherlich noch weitere Gründe für die Heroisierung Stauffenbergs, aber sie alle werden vermutlich in die gleiche Richtung deuten und sollten uns allen als Warnung dienen: Der parteiübergreifende Kult um einen zum Widerstandskämpfer erklärten überzeugten Faschisten enthüllt nämlich nicht nur, wie unsere Politiker es mit der historischen Wahrheit halten. Er vermittelt vor allem einen tiefen Einblick in ihr Demokratieverständnis und zeigt darüber hinaus, wie nahe sich die Vertreter der verschiedenen Parteien trotz aller immer wieder zur Schau gestellten Unterschiede sind.

+++

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++

Bildhinweis: Wolf’s Lair (Wolfsschanze, Wolfschanze, Wilczy Szaniec), Adolf Hitler’s military headquarters in World War II, Gierloz near Ketrzyn, Poland. The attempted assassination of Hitler took place here.

+++

Bildquelle:  Robert Szymanski/ Shutterstock 

+++

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

+++

Alle weiteren Beiträge aus der Rubrik „Tagesdosis“ findest Du auf unserer Homepage: hier und auf unserer KenFM App.

+++

Dir gefällt unser Programm? Informationen zu Unterstützungsmöglichkeiten hier: https://kenfm.de/support/kenfm-unterstuetzen/

+++

Jetzt kannst Du uns auch mit Bitcoins unterstützen.

BitCoin Adresse: 18FpEnH1Dh83GXXGpRNqSoW5TL1z1PZgZK


20. Juli 1944 afd Attentat Aufrüstung bundeswehr deutschland faschismus hitler Judenverfolgung nazi Patriotismus Stauffenberg vaterland Wolfsschanze 

Auch interessant...

Kommentare (17)

Hinterlassen Sie eine Antwort