Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
Watergate – Ein Zauberwort der amerikanischen Kultur. Zeitungsreporter, allen voran Bob Woodward und Carl Bernstein von der Washington Post deckten 1973 auf, dass die Einbrüche im Hauptquartier der Demokratischen Partei, bei denen Dokumente fotografiert und Abhörwanzen installiert werden sollten, letztlich auf das Konto von Präsident Nixon gingen. Eine Lawine von Ermittlungen der amerikanischen Presse folgte und die Verstrickung oder die direkte Urheberschaft der US Regierung in vielfältige Verbrechen und Korruptionsskandale wurde bekannt. Schließlich begann ein Amtsenthebungsverfahren gegen den US Präsidenten Richard Nixon, der am 9. August 1974 zurücktreten musste.
Der Skandal zeigte auf vielfältige Weise, wozu die Regierungskaste der USA fähig war. Eine Erkenntnis, die in den 70er Jahren in den USA unausweichlich war. Der Vietnamkrieg bewies es tagtäglich, aber auch die Ermittlungsergebnisse des Church Committees aus dem Jahr 1975, eines Untersuchungsausschusses, der unter anderem aufdeckte, dass die CIA z.B. Mordanschläge gegen unliebsame fremde Machthaber durchführte, wie Patrice Lumumba, Fidel Castro oder auch den chilenischen General Rene Schneider, der loyal zu Allende war, dass die CIA unter dem Decknamen MKUltra geheime Menschenexperimente mit Todesfolge unternahm, um Bewusstseinskontrolle zu erproben und das FBI die illegale Überwachung, Diskreditierung und aktive Manipulation verschiedener Bürgerrechtsgruppen und linker Aktivisten praktizierte.
Beim Watergate Skandal war es der Whistleblower Mark Felt, Vizedirektor des FBI, der als Informant mit dem Tarnnamen Deep Throat den beiden Journalisten Woodward und Bernstein Tips gab, um sie auf die richtige Spur zu lenken. Er gab ihnen also illegal geheime Regierungsinformationen preis, und die Washington Post agierte wie die Informationsbeschaffung eines Geheimdienstes, um diese Informationen zu verifizieren. Eine Tätigkeit, die als Investigativjournalismus bezeichnet wird, die in freiheitlichen Demokratien geschützt ist, weil sie eine systemrelevante Korrekturfunktion darstellt.
Oder als Verbrechen und Verrat bezeichnet wird, die mit schärfsten Strafen geahndet werden. Aber das geschieht nur in autoritär regierten Ländern, die faschistisch oder auf dem Weg in den Faschismus sind.
Watergate war ein Tiefpunkt in der Geschichte der USA, die sich selbst als exzeptionell, also außergewöhnlich oder einzigartig unter den Staaten einordnet, als demokratisches Vorbild. Die Aufklärung der Affäre durch Journalisten aber war die Ehrenrettung, der Nachweis, dass gerade die Demokratie sich erfolgreich selbst am Schopf aus dem Sumpf ziehen kann. Ja, es war offenbar geworden, wie verkommen die USA sein können, aber gleichzeitig waren ja die Kräfte der Selbstreinigung und Reparatur des defekten Staatsapperates aktiv geworden – und sie hatten gesiegt! Das System hatte funktioniert. Der daraus abgeleitete Lehrsatz: Die Demokratie funktioniert meistens gut, aber wenn sie Verfallsformen zeigt, ist sie als einziges Gesellschaftssystem in der Lage, die Funktionsfähigkeit selbstständig wieder herzustellen.
Ganz im Gegensatz zu anderen Gesellschaftsformen, vor allem dem Sozialismus/Kommunismus, aber auch Militärdiktaturen (die trotzdem erstaunlich oft von den USA unterstützt und genutzt wurden und werden) die durchgehend korrupt und despotisch seien und ihre Kritiker mundtot machten und in Straflagern verschwinden ließen.
Die Pressefreiheit ist der Universalreiniger der Demokratie. Freie Medien, die als Spürhunde nach Vergehen des Staates suchen, sind unverzichtbarer Bestandteil der Demokratie und werden deshalb auch als Die 4. Gewalt bezeichnet. Was aber einen schweren gedanklichen Webfehler beinhaltet, denn sie sind ja eben nicht Teil des Staates, sondern der Zivilgesellschaft. Die Weisheit der Demokratie besteht aber darin, in dieser Form Macht zu gestatten, die zu Beginn gegen den Staat gerichtet ist, aber letztlich das System aufrecht erhält. Siehe Watergate. Das ist auch in Deutschland verfassungsrechtlich so geregelt.
Unter erwachsenen Menschen war und ist der Watergate Skandal deshalb immer auch ein Synonym für die Überlegenheit der Demokratie. Wer so die Kurve kriegt, wie es die USA angesichts dieses Skandals in den 70er Jahren taten, kann mit Recht auf sich stolz sein. In den 70er Jahren waren die USA vital, auch kulturell, sie produzierten zwar politisch im großen Stil Seuchen, aber auch die Medikamente dagegen, und das ganze war unterlegt mit dem besten Soundtrack der Weltgeschichte. Es war nicht alles schlecht und vieles richtig gut in Amiland.
Diese Analyse war das Glaubensbekenntnis und der Konsens der Demokraten in West-Deutschland, von links bis rechts, so wurde das an Schulen und Universitäten gelehrt. Wie das in Ost-Deutschland gesehen wurde, müssen Ost-Deutsche kommentieren. Ich weiß es wirklich nicht und will nicht ins Blaue raten.
Sie ahnen aber wahrscheinlich bereits, worauf ich hinaus will. Mit dem jetzt teilweise selbst von Journalisten geäußerten Jubel über den Verrat an Julian Assange, seine Inhaftierung und bevorstehende Auslieferung an die rachsüchtige politische Elite der USA wird dieser Konsens aufgekündigt. Wie so viele unverzichtbare Bestandteile des demokratischen Rechtsstaates, die seit einiger Zeit auf Rudis Resterampe zu haben sind. Wie Schutz vor Überwachung, Folterverbot, Verbot von Angriffskriegen usw, usw.
Der Verrat des von Korruptionsskandalen geschwächten und auf einen 4.2 Milliarden Kredit des Weltwährungsfonds angewiesenen ecuadorianischen Präsidenten Moreno wird den Ruf des Landes für die nächsten Jahrzehnte prägen. Moreno und die Ecuadorianer sollten sich an die Weisheit Napoleons erinnern: Ich liebe den Verrat, doch ich hasse den Verräter. Moreno ist zum kurzzeitig nützlichen Vasallen der USA aufgestiegen, er hat seine 30 Silberlinge erhalten, wird aber bereits mittelfristig abtreten müssen, um dann als Cracknutte in die Annalen der Historie eingehen.
Es passt ins Bild, dass die jetzige ecuadorianische Regierung nicht davor zurückschreckt, Assange allen Ernstes vorzuwerfen, ungewaschen gerochen zu haben und die Wände der Botschaft mit Exkrementen vollgeschmiert zu haben. Vollkommen klar also, dass man Assange ausliefern und 4.2 Milliarden einstreichen musste, oder ???
Wobei man der ecuadorianischen Regierung zugute halten muss, dass sie echte Experten für das Schleudern von Dreck, Smear Campaigns und Exkremente aufzuweisen hat, die außerdem aus eigener Anschauung genau wissen, wie es im Enddarm der US Regierung aussieht, riecht und schmeckt.
Und die USA heute sind auch nicht die USA der Nixon, Ford und Carter Jahre. Die 70er Jahre waren die Zeit, in der die USA noch vital waren, an ihre Ideale glaubten, aber auch scharfe Kritik an sich selbst produzierten. Dazu gehört das Versprechen, dass jeder nach seiner Facon selig werden darf und Sympathie für den Rebellen an sich. Dieser Individualismus und die tatsächlich hohe Wertschätzung der Ausdrucksfreiheit waren ein dauerhaft wirksames Gegengift gegen Spießigkeit und Enge. Für die USA galt das Hölderlin Wort: Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.
Diese Zeiten sind vorbei.
Das US Militär hat aus dem Vietnamkrieg die Lehre gezogen, dass es im Zusammenhang mit Krieg nie wieder Pressefreiheit zulassen wird. Jetzt wird embedded berichtet und Fahneschwenken gehört zur Grundausbildung in Militär und Journalismus. Wer nicht genug Enthusiamus dabei zeigt, muss sich einen anderen Job suchen. Oder bei RT anheuern.
Die US Politik hat aus ihrer eigenen Geschichte, aus dem Sündenfall der Staats-Morde an John F. und Robert Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X die Lehre gezogen, dass machiavellistische Clevernis den Weg zum Erfolg ebnet. Alles andere sei Schönwetter-Ethik für Pfadfindertreffen und Kindergeburtstage. The Winner takes it all. Jeder wollte Irak angreifen. Echte Männer wollen Iran angreifen. Und wenn irgend so ein Ausländer richtig stört, siehe Olof Palme, dann…
Die US Politik hat sich dazu entschlossen, nur noch Gesetze und Verträge zu akzeptieren, die sie selbst erstellt oder verbrochen haben. Wenn sie Verträge abschießen, dann nur mit Staaten, die einsehen, dass die Konditionen der Verträge im Zweifelsfall nicht für die USA gelten.
Sie haben die Folter, das Lager und die extralegale Hinrichtung eingeführt und sind dabei die Pressefreiheit abzuschaffen. Denn wenn Assange im Gefängnis oder schlimmerem landet, ist der Kernbestand der Pressefreiheit nicht bedroht, sondern zerstört.
Kurz gesagt, die USA sind zu einem autoritären Regime der Geschmacksrichtung „Faschismus“ geworden, mit einem pompöööösen Präsidenten, der die Phänomenologie des Größenwahns auf die Spitze treibt, ein Staat dessen Lebenselixier und Naturzustand der Krieg ist, ein Staat, der die Konstruktion der dazu gehörigen komplexen Lügengebilde beherrscht wie kein zweiter, die er dann durch willfährige Medien zur Akklamation durch den Pöbel freigibt. Ein Staat, dessen Medienlandschaf mit Ausnahme seiner Alternativmedien mittlerweile wahlweise zum Lachen oder Heulen ist. Ein Staat der sein Militär als Schule der Nation feiert, als Goldenes Kalb umtanzt und Gewalt in Hochfrequenz produziert, auch in seiner Medienproduktion.
Ein Staat, der so agiert und soviel Geld für sein Militär ausgibt, wie die nächsten 8 Staaten zusammen, hat sicher nicht vor, sein politisches Hauptwerkzeug ungenutzt zu lassen.
Ein Staat, der die Welt totalüberwacht, seine politische Gegner zersetzt, den Australier Julian Assange in Großbritannien festnehmen lässt, um ihn an die USA auszuliefern, der Whistleblower mit jahrzehntelanger Lagerhaft bestraft, hat nicht vor, den politischen Diskurs in Freiheit stattfinden zu lassen, damit seine Bürger gemeinsam nach den bestmöglichen Lösungen suchen können.
Ein Staat, der mit aller Hingabe dafür sorgt, dass ein neues „Watergate“ nicht mehr repariert werden kann, der statt dessen Woodward und Bernstein im Gulag verschwinden oder irgenwo ermorden lassen will, wie es Hillary Clinton oder Sarah Palin oder Mitch McConnel oder Mike Huckabee oder CNN und Fox Moderator Bob Beckel und viele andere gefordert haben – hält nichts mehr von der Demokratie, von sich gegenseitig hemmender Macht, vom Rechtsstaat.
Wäre es vielleicht eine Idee, sich endlich nach anderen Freunden und Alliierten umzusehen? Bevor uns die USA auch noch das Haus über dem Kopf anzünden? Tschüss Evil Empire!
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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