Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.
So fühlte es sich an, am 20. Juli 1969, als Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen den Mond betraten, während Michael Collins im Kommandomodul Columbia den Erdtrabanten umkreiste, um die Rückkehr der anderen beiden zu ermöglichen.
Ich war Kind und ich war dabei. So wie 600 Millionen Menschen an den Fernsehschirmen mit mir. Diese gigantische Zahl war Thema im Fernsehen. Wo sie wohl überall waren? Ich dachte an Inder mit Turbanen und Schwarze in afrikanischen Urwäldern, das ganze Dorf schaute in meiner Vorstellung gemeinsam auf einen Schirm. Weltgeschichte wurde geschrieben, und ich durfte die ganze Nacht Fernsehen gucken, zum ersten mal überhaupt, weil es ja Weltgeschichte war. Ich hielt die Wacht, die Mondfähre war gelandet, meine Mutter war schlafen gegangen, ich sollte sie wecken, bevor die Astronauten aussteigen würden. Ich traute mich kaum auf die Toilette, ich wollte nichts verpassen. Ich versuchte zu verstehen, was ich sah. Dann kam meine Mutter wieder ins Wohnzimmer und fragte: Sind sie etwa schon ausgestiegen? Ich war erschrocken und nickte. Sie war verärgert, schickte mich ins Bett, zur Strafe, weil ich versagt hatte und ihr nicht Bescheid gesagt hatte. Ich war verwirrt und fragte mich, wie mir das passieren konnte. Ich lag weinend im Bett. Es war Weltgeschichte und ich hatte es versiebt. Aber dann kam meine Mutter ins Zimmer und sagte: „Was erzählst Du denn? Die sind doch noch gar nicht ausgestiegen. Komm mit!“ und setzte mich neben sich. Es war zu viel Weltgeschichte für meinen jungen Verstand, ich fand mich nicht wirklich zurecht. Da waren Experten in einem Studio, Günter Siefarth, Ernst von Kuon, der Name imponierte mir mächtig, er klang nach Zukunft und König, die wussten alles, und erklärten es dem Rest der Welt. Da waren Modelle, eine nachgebaute Landefähre mit allen Knöpfen, mit Leuten in Astronautenanzügen drin, ein Mann war in Amerika am Telefon und berichtete, Werner Büdeler. Die Bilder vom Start der Saturn V waren in meinem Jungengeist eingebrannt, schwarz und weiß schob sich die Rakete nach oben, Eisplatten fielen von ihr zu Boden, und dann war da überall Feuer, überall, was mich faszinierte, aber nicht erschreckte. Das Feuer trieb die Rakete in den Himmel, machtvoll. Geschichte wurde geschrieben, und ich war dabei.
In meinem Kinderzimmer gab es Bücher mit Zeichnungen, die ich aufsog: Städte unter Wasser, fliegende Autos, Siedlungen auf dem Mond und auf dem Mars, Astronauten, die vor Raketen irgendwo im Weltall standen, im fahlem Sternenlicht. Die Nahrung sollte aus dem Meer kommen. Überall stand dabei: Im Jahr 2000. Die Zukunft war unglaublich. Und ich würde es erleben, dieses Jahr 2000, in dem es so anders sein würde als heute.
Dann betrat der Astronaut die Mondoberfläche, Neil Armstrong, er glitt auf den Boden. Und er sagte diesen Satz: Ein kleiner Schritt für einen Menschen, ein großer für die Menschheit. Ich verstand ihn sogar. Ich war dabei. Die Welt war unglaublich, es gab so viel Zukunft und ich würde es alles erleben. Ich würde eine Frau haben und Kinder und ich würde Raketen steuern. Oder U-Boote, die aus Unterwasserstädten kamen.
Die Amerikaner waren auf dem Mond, als Erste, die Guten hatten es geschafft, nicht die bösen Russen. Es hatte alles geklappt. Und es war auch ein Deutscher, der das geschafft hatte, Wernher von Braun. Deutschland hatte den Krieg verloren, das wusste ich, ich stellte mir den Krieg vor wie ein gigantisches Fußballspiel. Das war blöd mit dem Krieg. Aber wir hatten den Amerikanern ja die Rakete gebaut. Irgendwie. Wir gehörten jetzt auch zu den Guten.
50 Jahre später. Ja, natürlich war es Weltgeschichte, und ich war dabei. Am Fernseher halt. Das Jahr 2000 ist vorbei. Es gibt keine Siedlungen auf dem Mars, keine Städte mit fliegenden Autos und glücklichen Menschen, sauber gewaschen, in Anzügen der 60er Jahre. Es gibt Bahnhöfe mit Versätungsdurchsagen, Easy Jet, Kik und Hartz 4.
Die Russen sind nicht mehr die Bösen, außer im Fernsehen und die Amerikaner nicht mehr die Guten, außer im Fernsehen. Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Und Apollo 11? Irgendwie eine Fußnote der Weltgeschichte. Keine Umwälzung, nicht der Anfang von etwas, sondern eher das Ende vom Amfang, das Finale der großen Entwicklung, die ungefähr 1850 losging, und ungefähr 1970 endete und eine echte Umwälzung der menschlichen Existenz brachte, die den Menschen aus einer Kette von fast gleichförmigen Jahrhunderten herauskatapultierte. Eisenhahn, Elektrizität, Medizin, Hygiene, Autos, Flugzeuge. Alles wurde anders, rasant. Mein Opa hatte es erlebt, sein Leben war so ganz anders, als das Leben seines Vaters. Danach ebbte die Veränderung ab. Es kam noch Computer und Handy, gut, aber die Zukunft ist jetzt vorbei. Sie wird nichts Gutes bringen. Unterwasserstädte? Nahrung aus dem Meer? Eher mal nicht. Sondern: Wird uns der Planet überleben? Genießt die Gegenwart, die Zukunft wird fürchterlich.
Wie konnte ich damals glauben, dass die Amerikaner stellvertretend für die gesamte Menschheit Raumfahrt betrieben? Weil es doch ein bisschen so war? Wegen John F. Kennedy, der sterben musse, weil er so was schon ernst meinte? Aber warum pflanzten die Amis dann bei jeder Mission eine amerikanische Fahne in den Mondboden?
Die wahre Bedeutung, der Mondlandung war ihre Symbolik. Der Wettstreit der Systeme. USA gegen UdSSR. Der Sieg sollte die Überlegenheit der westlichen Welt symbolisieren. Je größer die Bedeutung des Ereignisses, desto größer die Überlegenheit. Ein System trat gegen das andere an, und in beiden Fällen war es eine staatliche Anstrengung. Um die Systembedeutung zu erhalten, wurde die Mondlandung zum Menschheitsereignis hochinterpretiert. Was sie ja auch war, irgendwie. Aber sie blieb so folgenlos. Und die Symbolik war hohl. Das Spiel war mit Apollo 11 entschieden, danach kam nur noch Verlängerung. Apollo 17? Gähn. Der Champions Cup war entschieden. Es war auch nicht der Anbruch einer neuen Zeit, der Beginn der Exploration des Weltalls. Oder der Anfang einer neuen Geisteshaltung, wie der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit durch die Fahrten der Entdecker – die Kontinente suchten und Kulturen versklavten, im Bewusstsein, dass sie das Recht dazu hätten.
Es gab aber schon die Chance für einen Neubeginn. Das Weltall, der Kosmos, war eine Verheißung. Möglicherweise könnte die Erweiterung des physischen Horizontes ins All auch zu einer Erweiterung des menschlichen Horizontes führen?
Zwei Kinofilme bringen ihre Zeit und ihre Gesellschaftssysteme zum Ausdruck. „Der schweigende Stern“, eine Koproduktion der DDR und Polens aus dem Jahr 1960. Die Vorlage hatte Stanislaw Lem geliefert, ein Meister nicht nur der Science Fiction Literatur, sondern der Literatur überhaupt. Die Handlung in groben Zügen, denn der Film lohnt sich insbesondere für Wessis: Eine internationale Mannschaft bricht mit einem Raumschiff zur Venus auf, von der eine Botschaft aufgefangen wurde. Offenbar wollten die Venusianer die Erde nuklear vernichten. Das Thema Nuklearkrieg ist der Hintergrund der gesamten Geschichte. Es gibt bei der Mannschaft des Raumschiffs eine japanische Ärztin, eine Hiroshima Überlebende, die durch die Strahlung unfruchtbar wurde. Es gibt einen deutschen Piloten, einen schwarzen Wissenschaftler zu einer Zeit, als Schwarzen in den Südstaaten der USA der Besuch von Universitäten verboten war. Es gibt einen amerikanischen und sowjetischen Wissenschaftler, die zusammenarbeiten. Das Weltbild des Filmes ist humanistisch, man könnte sagen, „friedensbewegt“, die technische Umsetzung für die damalige Zeit so eindrucksvoll, dass der Film sogar in den Westen verkauft wurde, wo er allerdings ideologisch aufgebrezelt wurde. Alle Verweise auf Hiroshima wurden aus dem Skript gestrichen, aus dem Sowjetmenschen wird ein Amerikaner, aus dem Amerikaner ein Franzose. Gute Sowjets, das führte zu weit. Interessanterweise war es in der DDR Version aber möglich, den Amerikaner als Menschen zu zeichnen. Wieso genau fühlte sich der Westen überlegen?
Der andere Film ist „Capricorn“ , eine US-britische Coproduktion von 1978. Ich habe ihn damals im Kino gesehen und war vom Donner gerührt. Auch diesen Inhalt werde ich nur in knappen Worten schildern, denn es lohnt sich unbedingt, den Film anzuschauen, im Fernsehen ist er so gut wie nie zu sehen, aus gutem Grund: Die Crew der US Marsmission wird damit konfrontiert, dass ihre Marslandung nur im Studio stattfinden wird, weil sie unmöglich ist, das Weltraumprogramm aber weitergeführt werden soll. Entweder die Astronauten machen mit, oder das Flugzeug das ihre Familien von der Startrampe nach Hause bringt, wird verunglücken. Es gelingt den Astronauten aber aus dem Fernsehstudio in der Wüste zu fliehen. Gleichzeitig riecht ein Journalist den Betrug und ermittelt gegen immense Widerstände auch in seiner eigenen Zeitung. Das Militär jagt die 3 geflohenen Astronauten, die sich getrennt haben, um ihre Überlebenschancen zu verbessern, denn ihnen ist klar, dass ihr Überleben nach den TV Übertragungen nicht zielführend ist. Angeblich, so die NASA, kommen sie dann auch bei einem Unfall auf dem Rückflug ums Leben. Der Showdown findet auf der pompösen Trauerfeier der US-Regierung für die 3 Astronauten statt.
In „Capricorn“ wird die gesamte finstere Geheimdienstlogik nachvollziehbar ausgebreitet, die die USA in den moralischen Ruin getrieben hat. In den 70er Jahren allerdings gab es Filme wie Capricorn, die offen dagegen rebellierten und damit die Vitalität und Selbstreinigungskraft der USA nach Watergate bewiesen. Leider sind solche „unpatriotischen“ Filme in den heutigen USA nicht mehr vorstellbar. Heute sind Blockbuster wie Top Gun, Pearl Harbour oder Black Hawk Down Stand der Dinge, militaristische Kriegsepen mit heldenhaften Soldaten in der Geschmacksrichtung Leni Riefenstahl. Anders gesagt: sollte ein Film wie „Capricorn“ heute zum Blockbuster werden, könnte man noch Hoffnung für die USA haben. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Damit niemand auf falsche Ideen kommt. Die Apollo-Mondlandungen sind nicht im Studio gefälscht worden. Es gibt genügend Beweise, dass sie stattgefunden haben, von Laserreflektoren, die Apollo 11, 14 und 15 zurückgelassen haben und der immer noch genutzt werden, über den Vergleich des zurücktransportierten Mondgestein der sowjetischen Sonden und der international ausgewerteten Apollo Missionen, über Mond-Satelliten-Fotos der Landestellen mit den zurückgelassenen Landestufen und Fußspuren der Astronauten, die auch von China bestätigt wurden, bis zur räumlichen Überwachung der Sprechfunksignale seinerzeit durch die Sowjets. Auch der Durchflug durch den Van Allen Gürtel ist für jeden nachvollziehbar, der ihn nachvollziehen will. Die Verschwörungshypothese zur Mondlandung ist falsifiziert. Und weitere Mondmissionen anderer Länder wie China, Indien, Japan oder Israel werden diese Faktenlage weiter untermauern.
Auch wenn ihn die Apollo Missionen nicht erzeugt haben, der wirklich planetarische Blick auf die Erde existiert trotzdem. Er ist aber viel älter als die Mondmissionen der USA. Immanuel Kant hat in einer wenig bekannten Schrift Vermutungen über das Wesen der Bewohner der anderen Planeten unseres Sonnensystems geäußert, also, sozusagen, Saturnier, Marsianer, Venusianer, Neptunesen usw. Der Text hat keinen wissenschaftlichen Wert mehr, auch wenn die Suche nach Leben im All auf dem gleichen Analogieprinzip beruht, wir denken nicht schlauer als Kant über die Bedingungen der Möglichkeit nach, wir wissen nur mehr. Knapp gesagt suchen wir nach Kopien der Erde im Weltall, im Hinblick auf Größe, Entfernung von einer Sonne und andere Parameter, weil wir wissen, dass die Erde Leben hervorgebracht hat.
Aber Kants kategorischer Imperativ, den es auch in dieser Version gibt: „Handle nur nach der Maxime, von der du zugleich wollen kannst, dass sie als allgemeines Gesetz für alle vernünftigen Wesen gelte“ meint das mit den vernünftigen Wesen genau so. Er ermöglicht uns eine Außenansicht auf uns selbst. Und die fällt wenig schmeichelhaft aus.
Der Blick auf Verhaltensweisen wie die geplante Raumstreitkräfte der Franzosen und der USA, die Militarisierung des Weltraums durch Russen, Chinesen, vor allem aber die USA, die auch gleich noch die Schürfrechte für das gesamte Weltall beanspruchen, ist nicht mit Kants Imperativ in Einklang zu brigen. Die imperialistische Kanonenbootpolitik des 19 Jahrhunderts in den Weltraum auszulagern, ist abgrundtief dumm und bösartig.
Statt sich damit zu beschäftigen, ob der bisher nicht stattgefundene Kontakt mit außerirdischer Intelligenz nur durch unendliche Distanzen bedingt ist, könnte man sich fragen: Wollten Sie mit einer biologischen Lebensformen wie uns Kontakt aufzunehmen, die kurz davor steht, sich entweder nuklear zu vernichten oder die eigene Lebensgrundlage auf dem Planeten zu zerstören? Oder würden Sie auf kommunikative Quarantäne plädieren, mit der Auflage, in 2000 Jahren noch mal nachzugucken, ob es diese hochagressive Lebensform noch gibt und ob sie soweit ist, auf Bewährung in eine kosmische Föderation integriert zu werden.?
Mir fällt die Antwort nicht schwer. Ich würde vor uns warnen. Die bisher existierenden gesellschaftlichen Populationen des Homo sapiens sapiens wollen und können nichts anderes als Erobern und Zerstören und erfinden immer wieder verantwortungslose und komplexe Lügen als Rechtfertigung ihres Handelns. Die realexistierenden Populationen der Lebensform Homo sapiens sapiens haben bisher keine ethisch hochwertigen Entscheidungen außer der Abschaffung der Sklaverei getroffen, die Abschaffung der Nuklearwaffen im speziellen und der Kriege im allgemeinen wären notwendig. Ihre gesellschaftlichen Erscheinungsformen sind nicht einmal in der Lage, mit ihrem Lebensraum vernünftig umzugehen.
Die erste Mondlandung war dementsprechend zwar nur ein kleiner Schritt für diese destruktive und aggressive Lebensform. Aber einer zu viel.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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